Frankreichs Rechte vor den Parlamentswahlen

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Rege gewordener ideologischer Austausch zwischen einem Teil der französischen Konservativen und den Neofaschisten. Linienstreit bei den Rechtsextremen um Sympathien für Israels Rechte oder den Iran. Kandidaten mit Nazisympathien, mit Schlägervergangenheit oder anderen schönen Bilderbuchkarrieren. Und vieles Neue mehr…

Von Bernard Schmid, Paris

Dann kann ja nichts schiefgehen für ihn: Der alternde Jean-Marie Le Pen brüstete sich in diesen Tagen, dass seine Familie – so wörtlich – „von guter Rasse“ sein müsse. Befänden sich doch drei Generationen dieser Familie in der aktiven Politik; neben ihm selbst und seiner inzwischen prominenten Tochter, Marine Le Pen, auch seine Enkelin Marion Maréchal-Le Pen.

Diese 22jährige Jurastudentin kandidiert für die Partei der Sippschaft Le Pen, den Front National (FN), zu den französischen Parlamentswahlen, welche an den beiden kommenden Sonntagen – 10. und 17. Juni – stattfinden. Die Tochter des früheren Oberhaupts der FN-Parteijugend (FNJ), Samuel Maréchal, und der Chef-Tochter Yann Le Pen tritt im südfranzösischen Bezirk Vaucluse an. ((Zu Jean-Marie Le Pens Ausspruch vom 03. Juni vgl. http://actu.orange.fr/legislatives2012/news/vaucluse-pour-jean-marie-le-pen-sa-famille-est-de-bonne-race-afp_627196.html ))

Dem Front National (FN) werden derzeit frankreichweit, je nach Umfrage, zwischen 14 % und knapp 18 % der Stimmen vorausgesagt. Die Tendenz ist dabei seit den Präsidentschaftswahlen von Ende April und Anfang Mai dieses Jahres leicht fallend.

Gleichzeitig bricht bei den Konservativen und Wirtschaftsliberalen der bürgerlichen Rechten die Bündnisdiskussion gegenüber der extremen Rechten neu auf. Auch innerhalb des FN gibt es politisch-ideologische Konflikte.

Konservative machen Neofaschisten schöne Augen  

Noch nie wurde den französischen Rechtsextremen so stark und so eindeutig von anderer – insbesondere konservativer – Seite signalisiert, dass ihre politische Existenz legitim und ein Bestandteil der Normalität sei. Dies hängt nicht nur mit ihren hohen Wahlergebnissen zusammen, ihre Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen erhielt Ende April d.J. 18 Prozent der Stimmen, sondern auch mit der Strategie von Teilen des konservativ-wirtschaftsliberalen Blocks. Zum ersten Mal, jedenfalls in dieser Deutlichkeit, bezeichnet die bis vor kurzem regierende UMP den rechtsextremen Front National als im selben politischen Lager verankert.

Unter Altpräsident Jacques Chirac hatte die bürgerliche Rechte überwiegend eine klare Linie der Abgrenzung zur extremen Rechten gezogen. Chiracs damaliger Premierminister Alain Juppé bezeichnete den FN 1996 als „rassistische, antisemitische und fremdenfeindliche Partei“, die sich außerhalb der Demokratie stelle.

Einen ganz anderen Tonfall schlug Nicolas Sarkozy in den letzten Wochen an. Er erklärte ausdrücklich, sich an die Wählerinnen und Wähler des FN zu wenden. Im selben Zeitraum erklärte Sarkozy etwa auch: „Wenn die Demokratie Marine Le Pen das Recht gibt, zur Wahl anzutreten, dann ist Marine Le Pen mit der Demokratie vereinbar.“  Nur zur Erinnerung: Der Front National benutzt als Parteisymbol zur Selbstdarstellung nach wie vor die Flamme in den drei Nationalfarben blau, weiß und rot. Die rechtsextreme Partei hatte dieses Abzeichen bei ihrer Gründung im Oktober 1972 von den italienischen Neofaschisten des MSI übernommen. Bei ihnen symbolisierte die Flamme in der Nachkriegszeit die Seele Benito Mussolinis, die aus dem Sarg empor in den Himmel fährt. Italiens ex-faschistische Rechte, die in ihrer Mehrheit vom Neo- zum „Postfaschismus“ übergewechselt ist – und bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen eher Nicolas Sarkozy als Marine Le Pen unterstützte -, benutzt dieses Zeichen heute nicht mehr. Abgesehen von kleineren Splittergruppen, die sich vom Mainstream unter Gianfranco Fini abgespalten haben. Der FN hingegen blieb seinem Zeichen treu. Auch wenn die französische Partei zu den Parlamentswahlen vom 10. und 17. Juni 12 nicht unter ihrem eigenen Namen antritt, sondern als Rassemblement bleu marine (Marineblaue Sammlung), um ihren Willen zur politischen „Öffnung“ und Erneuerung zu unterstreichen.

„Tabubrüche“ nach Rechts

Einige frühere Tabus auf der konservativen Rechten sind inzwischen gefallen. Dennoch möchten weder die UMP noch der FN sich heute mehrheitlich miteinander zu einer Regierungskoalition verbünden. Dies wäre aus Sicht der Konservativen ein zu hohes politisches Risiko, während umgekehrt die extreme Rechte eine Strategie verfolgt, die darauf hinausläuft, die eigene Partei zur stärksten Kraft auf der politischen Rechten aufzubauen. Dazu fehlt es noch an einigem. Nimmt man die Ergebnisse des ersten Wahlgangs der jüngsten Präsidentschaftswahl als Maßstab, dann setzte sich die Wählerschaft deutlich rechts von der Mitte zu zwei Fünfteln aus den Anhängern Marine Le Pens (18 Prozent = zwei mal neun) zusammen und zu drei Dritteln aus denen Nicolas Sarkozys (27 Prozent = drei mal neun).

Aus der Sicht des FN entstehen Bündnisperspektiven dann, wenn sich das Verhältnis umgekehrt oder zumindest ausgeglichen haben wird – worauf er jedenfalls inständig hofft. Deswegen strebte der harte Kern der Partei bei den letzten Präsidentschaftswahlen auch nach einer Niederlage Sarkozys, um auf eine Implosion der bisherigen Präsidentenpartei UMP zu hoffen. Nicht alle in der Partei, und noch weniger in ihrer Wählerschaft, teilten allerdings diese taktisch motivierte Ausrichtung. 51 Prozent der FN-Wähler votierten in der Stichwahl für Sarkozy, 15 Prozent für den Sozialdemokraten François Hollande. Der Rest stimmte ungültig wie Marine Le Pen selbst oder ging nicht zur Wahl.

Rechtsextreme Presse gespalten

Innerparteilich plädierten vor allem die Anhänger des katholisch-fundamentalistischen und nationalchristlichen Flügels für eine Wahl Sarkozys. Denn vom Sozialdemokraten Hollande befürchteten sie einen beschleunigten „Sittenverfall“ durch Einführung der Homosexuellenehe. Der frühere FN-Vizepräsident und innerparteiliche Gegner Marine Le Pens, Bruno Gollnisch, teilte diese Position.

Auch die mehr oder minder parteinahe rechtsextreme Presse war gespalten. Die älteste, 1961 im Algerienkrieg gegründete, rechtsextreme Wochenzeitung Minute trat für einen Sieg Sarkozys ein. Vier Tage vor der Stichwahl publizierte sie ein Interview mit dessen Verteidigungsminister Gérard Longuet, der offen für ein Bündnis aus Konservativen und Rechtsextremen warb. Longuet hatte 1973 selbst das erste Wirtschaftsprogramm des damals noch jungen FN verfasst, bevor er ins bürgerliche Lager wechselte. Dagegen trat die altfaschistische und antisemitische Wochenzeitung Rivarol eher für eine Wahlenthaltung oder Ungültigstimmen ein, wie etwa ihr Autor Alain Renault: Sarkozy sei „ein Jude, der notfalls auch einen Tag lang das Braunhemd überstreift, wenn es ihm im Wahlkampf nutzt“. Davon dürfe man sich nicht täuschen lassen. Einzelne Stimmen tendierten eher zu einer Wahl Sarkozys. Dagegen trat Philippe Ploncard d’Assac für eine taktisch motivierte Wahl François Hollandes ein, weil eine klare innenpolitische Feinderklärung besser sei als „falsche Freunde an der Macht, die einen einschläfern“.

Augenblicklich wirbt der FN beim Publikum auch stark mit Parolen für sich, die einige Auswirkungen wirtschaftsliberaler Politik und vor allem der Globalisierung anprangern und insbesondere protektionistische Maßnahmen einfordern. Dies kann die UMP unmöglich mittragen, die stark für wirtschaftsliberale Reformen und Marktöffnung eintritt, auch wenn seit März 12 zusätzlich einige moderat protektionistische Töne in ihren Wahlkampf eingestreut wurden. Auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet klafft der Diskurs beider Parteien also stark auseinander. Während die UMP sich auf dem Feld der Einwanderungspolitik in den letzten Wochen stärker an den FN annäherte – und einen Großteil ihres Wahlkampfs in der Schlussphase darauf verwandte, François Hollande Absicht zur Einführung des Ausländerwahlrechts auf kommunaler Ebene anzuprangern. Dieses wurde von Politikern der damaligen Regierung in apokalyptischen Darstellungen als Mittel zur Erpressung Frankreichs durch einen aggressiven Islam dargestellt.

Vor diesem Hintergrund proben beide Parteien derzeit die „Einheit an der Basis“ statt „die Einheit an der Spitze“, wie man in früheren Jahreszehnten zwischen Sozialistischer und Kommunistischer Partei zu sagen pflegte.  Das bedeutet: UMP respektive FN erkennen an, dass sie im selben gesellschaftlichen Lager stehen – aber versuchen beide, die Anhänger der je anderen Partei zu sich herüberzuziehen. Dazu benötigen sie aber eindeutige Botschaften zumindest in einigen Politikbereichen. Auch wird seitens des FN versucht, Mandatsträger, Parlamentskandidaten und Abgeordnete – zumindest unter den Hinterbänklern – abzuwerben. Bei den kommenden Parlamentswahlen Mitte Juni wird sich die entscheidende Frage stellen, ob und wie viele konservative Kandidaten dazu bereit sein werden, erklärte oder auch unerklärte Bündnisse einzugehen, um ihren „bedrohten“ Sitz zu retten.

Der Front National kann nach geltendem Recht zwischen dem ersten Durchgang und den Stichwahlen seine Kandidaten überall dort aufrecht erhalten, wo diese in der ersten Runde durch mindestens 12,5 Prozent der Wahlberechtigten gewählt wurden. Dies könnte die Konservativen in den Stichwahlen mehrere Dutzend Mandate kosten. Seitens des FN erklärte die Parteiführung bereits, im Prinzip überall seine Kandidaten im Rennen beibehalten zu wollen – es sei denn, dass interessante Kandidaten oder substanzielle Zugeständnisse dafür sorgen, dass sie es sich anders überlegt.

Laboratorium Südostfrankreich

Vor allem im Raum Marseille und in Südostfrankreich deutet es sich an, dass das konservative Lager sehr massiv zu, offenen oder inoffiziellen, Absprachen neigen wird. „Die Werte, die Marine Le Pen hat – ich habe sie schon immer vertreten“: Dies erklärte soeben die Bürgermeisterin von Aix-en-Provence, Maryse Joissains-Masini. Darauf antwortete Marine Le Pen prompt: „Ich glaube, dass Madame Joissains es ehrlich meint.“ Manche Beobachter äußern zwar in jüngster Zeit ernsthafte Zweifel am Geisteszustand der UMP-Politikerin, die letzte Woche vor das französische Verfassungsgericht zog um die Wahl von Präsident Hollande für „ungültig“ erklären zu lassen: François Hollande sei „eine Gefahr für Frankreich“, zudem körperlich unansehnlich, und außerdem habe Nicolas Sarkozy nur aufgrund „illegaler Propaganda“ verloren, weil nämlich die Zeitungen immer so negativ über ihn berichtet hätten. Aber diese französische Ausgabe einer Tea Party-Fanatikerin steht nicht allein bei der UMP in Südostfrankreich. So erklärte die Marseiller Parlamentsabgeordnete Valérie Boyer, es gebe „keinerlei Grund, sich die Nase zuzuhalten“, man müsse vielmehr mit allen reden. Und eben, vor allem, auch rechts. Im fernen Paris verkündet dagegen Parteichef Jean-François Copé bislang, Absprachen mit dem FN seien ein klarer „Verstoß gegen die Parteilinie“.

Ein koalitionsähnliches Bündnis beider Parteien dagegen würde derzeit nicht auf die Zustimmung einer Mehrheit in der Wählerschaft der UMP – eher schon in jener des FN – stoßen. Auch wenn die Umfrageergebnisse in dieser Frage widersprüchlich sind: Unmittelbar nach dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl erschien das Ergebnis einer Befragung, welcher zufolge 64 Prozent der UMP-Wähler eine Koalition mit dem Front National wünschten. Inzwischen erschien allerdings eine andere Umfrage, bei der heraus kam, dass 51 Prozent der UMP-Anhänger gegen eine solche Koalition seien, und 46 Prozent dafür. Es hängt vielleicht auch stark davon ab, wie man die Frage genau formuliert.

Rechte Kampagnen

Unterdessen stoßen beide Parteien derzeit lautstark in dasselbe Horn, wenn es um bestimmte Attacken gegen das sozialdemokratisch geführte, neue Regierungslager geht. Dies fing schon am Tag nach dem Wahlsieg François Hollandes (vom 06. Mai 12) an, als Ex-Ministerin Nadine Morano, der FN und der ebenfalls rechtsextreme Bloc identitaire gleichförmig gegen die Freudenfeier auf dem Bastille-Platz vom Wahlabend wetterten. Dort hatten eine Reihe von Franzosen mit Migrationshintergrund und Doppelstaatsbürger/inne/n, als Zeichen ihres Stolzes, neben französischen Fahnen auch Flaggen ihrer Herkunftsländer gezeigt – ob Spanien oder Marokko, Algerien und Senegal. François Hollande, der um 1 Uhr früh in der Wahlnacht auf dem Platz sprach, sei dort „in einem Meer von roten und ausländischen Fahnen“ aufgetreten, behaupteten rechte und rechtsextreme AgitatorInnen in nahezu gleich lautenden Tönen.

Unisono konzentrierten beide politischen Kräfte zunächst auch ihre Attacken auf die neue Justizministerin, die aus Französisch-Guyana stammende schwarze Politikerin Christiane Taubira. UMP-Parteichef Jean-François Copé versuchte es mit dem Wahlwerbe-Argument, wer rechtsextrem wähle, irre sich (taktisch), denn: „Wer FN stimmt, der bekommt die Linke – und Taubira noch dazu.“ Dass besonders Taubira als Ziel spezifischer Attacken besonders herausgehoben wurde, hing sowohl mit ihrer Herkunft zusammen (und der Tatsache, dass sie 2001 ein Gesetz zur Anerkennung der Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit hatte durchbringen können) als auch mit ihren ersten Beschlüssen. Besonders ihre Entscheidung, die in den letzten Jahren quasi-automatisch gewordene Anwendung von Erwachsenenstrafrecht für 16- bis 18Jährige zugunsten des Jugendstrafrechts wieder abzuschaffen, wurde und wird heftig angegriffen.

Der Teilen der Ex-Regierungsrechten nahe stehende TV-Journalist Eric Zemmour verstieg sich auf RTL zu der Behauptung, Taubira interessiere sich für Opfer nur dann, wenn sie „Frauen oder (dunkelhäutige) Jugendliche“ seien – eine Anspielung auch darauf, dass die Ministerin ein neues Gesetz zur Bestrafung sexueller Belästigung am Arbeitsplatz angekündigt hat. (Es gab bislang ein Gesetz dagegen, doch dieses wurde vor kurzem aufgrund unpräziser Bestimmungen vom Verfassungsgericht annulliert.) Kriminalität halte Madame Taubira jedoch für verzeihbar, wenn „weiße Männer ihre Opfer“ seien, tönte Zemmour. Im Anschluss löste dies einen Proteststurm aus, doch am verlängerten Pfingst-Wochenende des 26./27./28. Mai stellte Marine Le Pen sich zugleich demonstrativ hinter Eric Zemmour.

Auf Seiten der UMP bemühte ihr Pariser Abgeordneter Bernard Debré sich um Entschärfung und politische Schadensbegrenzung. Er versuchte, im Interview mit Le Monde klarzustellen: „Ich würde nie Christiane Taubira als Person angreifen, die UMP attackiert nur ihre Entscheidungen.“ Ob die Präzisierung für alle gilt, die sich in den letzten 14 Tagen – massiv auch im Internet – über die neue Ministerin geifernd ereiferten?

Aus Toulouse wird unterdessen vermeldet, dass örtlich Aktivisten aus der Ex-Regierungspartei UMP, dem rechten Studierendenverband UNI sowie dem neofaschistischen Bloc identitaire zusammen in einem Kollektiv gegen Pläne für das Ausländerwahlrecht aktiv wurde. Offiziell hat das neue Regierungslager vor, ein bedingtes Wahlrecht für Einwanderer auf kommunaler Ebene einzuführen. Was genau daraus wird, bleibt im Augenblick noch abzuwarten – ist jedoch bereits Gegenstand erbitterter Hasskampagnen.

Sympathien für Siedlerpack…

Auch beim FN gibt es Konflikte, insbesondere in Form von Spannungen bezüglich der internationalen Ausrichtung. Die Weltpolitik, optimale Projektionsfläche für ideologische Bedürfnisse (ohne unmittelbare gesellschaftliche Realitätsbindung), war schon immer eine Spielwiese für die Profilierungsversuche rechtsextremer Ideologen. Darüber hinaus spielt aber auch eine wichtige Rolle, dass das Verhältnis etwa zum israelisch-arabischen Konflikt historische und ideologische Bruchlinien berührt. Beispielsweise war im europäisch-kontinentalen Frankreich der Diskurs der extremen Rechten über „die Juden“ historisch von Antisemitismus und Verschwörungsdenken geprägt.

Dagegen waren im französische kolonisierten Nordafrika die dortigen Juden eine Bevölkerungsgruppe, die durch die Kolonialmacht stets privilegiert behandelt und (neben den Christen) mit Vorrechten ausgestattet wurde, da die Kolonisatoren sie als Verbündete gegen die arabisch-berberische, muslimische „Masse“ der Bewohner/innen betrachteten. Da frühere französische Kolonialsiedler aus Algerien einen beträchtlichen Teil des harten Kerns der FN-Wählerschaft ausmachen, bleibt dies nicht ohne Auswirkungen. In deren Optik jedoch sind, neben den Christen, die Juden der zweite Pfeiler einer kolonial geprägten Herrengesellschaft. Dies führt mitunter zu ideologischen Ausrichtungskämpfen.

Deswegen wurde Mitte Mai d.J. der Parlamentskandidat Michel Thooris – dessen familiärer Hintergrund, genau wie jener des FN-Vizepräsidenten und Lebensgefährten von Marine Le Pen, Louis Aliot oder auch des rechten Journalisten Eric Zemmour, auf ein kolonialfranzösisch-jüdisches Milieu im französisch beherrschten Algerien  zurückgeht – quasi strafversetzt. Der frühere hohe Polizeifunktionär und ehemalige Chef einer ultrarechten Polizeigewerkschaft war bislang Kandidat für die Auslandsfranzosen in dem Wahlkreis, der Israel, die Türkei und Italien umfasst. Dort hängte er sich jedoch gar zu weit aus dem Fenster. So hatte er nicht nur unumwunden erklärt, dass Marine Le Pen eine gute Kandidatin sei, weil sie „gegen den Islam und gegen die Kriminalität“ kämpfe, sondern auch ohne Abstriche seine Unterstützung für die Siedlerbewegung im besetzten Westjordanland geäußert. Beim Front National, wo nach wie vor Freunde der militante israelischen Rechten mit Bewahren der antisemitischen Ideologietradition koexistieren, brachte dies ein unausgesprochenes Gleichgewicht ins Schwanken. Thooris wird nunmehr in Sarcelles in der Nähe von Paris für das französische Parlament kandidieren.

…oder für das iranische Folterregime?

Umgekehrt ist der „Nationalrevolutionär“ bzw., laut früherer Eigenbezeichnung, „Nationalbolschewist“ Christian Bouchet im westfranzösischen Nantes als FN-Kandidat nominiert worden. Er wurde im Wahlkreis des langjährigen Bürgermeisters von Nantes und nunmehr seit dem 15. Mai 2012 amtierenden Premierministers Jean-Marc Ayrault aufgestellt, wird also direkt mit dem Regierungschef konfrontiert werden.

Bouchet ist vielfach als Sympathisant der iranischen Folterdiktatur und des syrischen Regimes, das derzeit eifrig seine ,eigene’ Bevölkerung massakriert, ins Gerede gekommen. Beide sieht er in positivem Lichte als unabhängige Regierungen, die die „Neue Weltordnung“ und die US-Weltherrschaft herausforderten. Diese Position ist angesichts der internationalen Neuausrichtung des FN – den Marine Le Pen insbesondere an die israelische Rechte anzunähern versucht, u.a. um Antisemitismusvorwürfe dadurch auf längere Dauer vom Tisch zu bekommen – überaus heikel. Im März 2011 hatte die neue FN-Chefin gegenüber einem israelischen Radiosender erklärt, er sei „nicht (ihr) Mitarbeiter“, und die Behauptung hinzugefügt, ihn kaum zu kennen: „Ich bin ihm vielleicht zwei mal in meinem Leben bei einer Pressekonferenz begegnet.“ Im Juni 2011 war er daraufhin als Vize-Bezirkssekretär des FN abgesetzt worden. Ganz abgesägt ist er aber offenkundig doch nicht, denn nunmehr kandidiert er am selben Ort zur französischen Parlamentswahl. ((Vgl. http://www.rue89.com/rue89-politique/2012/05/21/christian-bouchet-candidat-fn-contre-ayrault-et-sa-legende-noire-230774 ))

Die Gegend um Nantes und Westfrankreich generell zählten bislang allerdings noch nie zu den Stärkezonen des FN, sondern – u.a. aufgrund einer im Durchschnitt eher ländlichen und „politisch moderaten“ Struktur, wo die christlich geprägten bürgerliche Rechte stark den Ton angibt und der extreme Rechten kaum Spielraum lässt – immer zu seinen „Missionierungsgebieten“. Auch aus diesem Grund fällt es Christian Bouchet und seiner Umgebung leicht, den eher schwachen Kreisverband im Raum Nantes (Bezirk Loire-Atlantique) zu dominieren.

„Folkloristische“ Kandidaten

Christian Bouchet ist jedoch nicht der einzige Repräsentant des Front National, den Le Pen (oder die Parteiführung des FN) zumindest zu manchen Zeitpunkten gerne „verstecken“ würde. Auch andere Bewerber, deren Auftreten eher unter die Rubrik „Folklore“ fällt und jedenfalls nicht unbedingt als „vorzeigbar“ gelten darf. Als „Folklore“ bezeichnet man bei der rechtsextreme Partei das Vorzeigen von offenen Nazisymbolen oder –sympathien, der Auftritt in Militärklamotten, das Tragen von extrem kurz geschorenen Haaren u.Ä.

Im Bezirk Yonne (in der Region Burgund) tritt beispielsweise ein Arzt im Namen des FN zur Parlamentswahl an, ein gewisser Jacques Kotoujansky. Er soll das Kapitel „Gesundheitspolitik“ im PRÄsidentschaftswahlprogramm Marine Le Pens für 2012 verfasst haben. Im September 2011 hatte er verkündet, ein großer Anhänger des Auschwitzlügen-Verbreiters Robert Faurisson zu sein – welchen er in so hohen Tönen lobte, dass es sogar einem rechtsextremen Parteifreund (Rémi Carillon) daraufhin unwohl wurde. Letzterer beschwerte sich deswegen bei der FN-Vizechefin Marie-Christine Arnautu. Ebenfalls ein Fan des Holocaustleugners Faurisson ist Jérôme Boudet, Ersatzkandidat des FN im Wahlkreis von Courbevoie (nordwestlich von Paris). Ausweislich seiner Facebookseite „hat Faurisson Recht“.

Diese und noch weitere schrecklich nette Kandidaten-Gestalten stellte die französische Wochenzeitung Le Canard enchaîné in ihrer Ausgabe vom 30. Mai 2012 auf Seite 3 vor. Eine kleinen Überblick über „die Geisterbahn/das Schreckenskabinett der Front National-Kandidaten“ lieferte auch ein jüngst publizierter Artikel der Zeitschrift Basta Magazine, vgl. http://www.bastamag.net/article2452.html – Unter ihnen faschistische Schläger wie Bernard Marandat, oder eine Reihe von langjährigen Anhängern der ultrarechten Terrororganisation OAS (Organisation Geheime Armee), die ab 1961/62 zahllose Morde und Attentate gegen den französischen Rückzug aus der Kolonie Algerien verübte.

Im ostfranzösischen Bezirk Marne (rund um Reims) wiederum tritt einmal mehr der langjährige FN-Bewerber Pascal Erre zur Wahl an. Er sorgte vor wenigen Tagen für Schlagzeilen, weil in der letzten Maiwoche 2012 durch die örtliche Presse heraus kam, dass sein 26jähriger Stiefsohn Bryan Puireux eine – nun ja – ziemlich eindeutige Tätowierung auf dem Rücken spazieren trägt. ((Vgl. eine Abbildung dazu hier: http://www.lunion.presse.fr/article/region/fn-de-la-marne-le-nazisme-dans-la-peau )) Die NS-Deutschland verherrlichende Tätowierung ließ der Mann nicht etwa in törichten Jugendtagen während der Pubertät anfertigen, sondern vor nunmehr zwei Jahren, als 24jähriger. Besagter Bryan Puireux kandierte im März 2011 auch persönlich für den FN, zu den damaligen Bezirksparlamentswahlen. Nachdem die Presse seinen Hautschmuck offenbart hatte, wollte Pascal Erre von ihm offiziell nichts mehr wissen. Er erklärte sogar öffentlich, er werde für „seine Hinrichtung (exécution), ähm Verzeihung, seinen Ausschluss (exclusion)“ aus der Partei sorgen –  welch letztere inzwischen eingeleitet wurde. Erre hat dabei nur leider vergessen, hinzuzufügen, dass laut örtlicher Presse er selbst es war, der Bryan Puireux im Auto zu seinen zahlreichen Sitzungen beim Tätowierer gefahren hatte. Aber nein, natüüüüürlich hat er nichts davon gewusst… Erre spielte in der jüngeren Vergangenheit mitunter eine gewisse Rolle bei der rechtsextremen Partei; er war es beispielsweise, der Jean-Marie Le Pen zum Wahlkampfauftakt 2006/07 auf dem Schlachtfeld von Valmy (Schauplatz eines Siegs der jungen französischen Republik über Preußen und Österreich, 1792) empfing. ((Vgl. dazu http://www.trend.infopartisan.net/trd1106/t191106.html ))

Alte Rivalitäten brechen auf

Spannungen traten nicht nur zwischen – verkürzt ausgesagt – vordergründigen Israel- und Iran-Freunden bei der extremen Rechten auf. Sondern auch etwa zwischen früheren Parteigängern Bruno Mégrets, der sich Ende 1998 mit einer eigenen – auf Dauer erfolglosen – Partei vom FN abgespalten hatte, und langjährigen Getreuen Jean-Marie und Marine Le Pens auf. Nicolas Bay, der von 1998 bis 2009 Spitzenfunktionär der Mégret-Partei gewesen und erst dann zum FN zurückgekehrt war, wurde jüngst im Parteivorstand angegiftet: Das „schreiende“ Fehlen von qualifizierten Kadern, das er kritisiert hatte, sei nur auf den Verrat  der Mégret-Anhänger zurückzuführen. Er konterte: „Seit 14 Jahren haben die FN-Leute also nichts auf die Reihe bekommen!“ Diese Szene verspricht weitere anregende Streitgespräche in naher Zukunft.

Eine Fortsetzung dazu folgt in den kommenden Tagen. U.a. zu den ersten Ansätzen für die Einwanderungspolitik der neuen, sozialdemokratisch geführten Regierung. Auch werden wir unsere Leser/innen darüber informieren, was aus der „Kampfkandidatur“ des Ex-Präsidentschaftskandidaten des französischen Linksbündnisses ,Front de gauche’, Jean-Luc Mélenchon, gegen Marine Le Pen wird. Er tritt nun im Wahlkreis der FN-Chefin, Hénin-Beaumont, gegen dieselbe an und macht aus dieser „Kampfkandidatur“ einen Gradmesser für eventuelle Möglichkeiten zur Zurückdrängung der extremen Rechten. Der Front National kämpft mit harten Bandagen dagegen, u.a. mit vordergründig anonymen Flugblättern, auf denen Mélenchon sich mal selbst scheinbar als „Kandidat der Araber“ anpreist und mal mit Hitlerbärtchen firmiert… (Zumindest im ersten Fall hat Marine Le Pen sich inzwischen zur Urheberschaft bekannt, nachdem die rechtsextreme Partei zunächst offiziell nichts davon wissen mochte.) Wie’s weitergeht, dazu demnächst mehr an dieser Stelle…