Die Menstruierende im Judentum

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In ritueller Unreinheit zwischen Rücksichtnahme und Absonderung…

Von Tanja Kröni

Das Tabu das in den meisten Religionen das Menstruationsblut umgibt ist im Islam, nach Amira Hafners Ausführungen, nicht mehr so stark ausgeprägt wie im Judentum. Hier wird die Menstruation selbst immer noch mit dem Tod in Verbindung gebracht, ihr Ausbleiben mit Empfängnis und Leben. Die Menstruierende ist Nidda ((„Nidda“ bezeichnet in Mischna und Talmud auch die menstruierende Frau als „Abgesonderte“)), „abgesondert“. Die Gesetzgebung rund um die Menstruierende umfasst in Mischna und Talmud jeweils ein ganzes Kapitel. Diese Gesetze gehören zu den Bereichen der zum Tempel gehörenden rituellen Reinheit und den Vorschriften die das Sexualleben regeln. Rituelle Unreinheit verursacht unter anderem übrigens auch männliches Ejakulat.

Nach der Zerstörung des Zweiten Tempels wurden die diesen betreffenden rituellen Reinheitsgebote und -verbote nicht auf die Synagoge übertragen. Es gelten also nur noch die Nidda-Gesetze für die sexuelle Beziehung zwischen Frau und Mann. Sie werden Taharat haMischpacha, Gebote der Familienreinheit, genannt und sind vollumfänglich der Verantwortung der Frau unterstellt. Die Halacha, das Religionsgesetz ((Schulchan Aruch, Orach Chaim 88,1))sagt: „Alle unreinen Personen lesen aus der Tora, sagen das Schma Israel ((Jüdisches Glaubensbekenntnis))und beten in der Synagoge“. Doch das ist oft – nicht nur in der Orthodoxie – Theorie.

In der Tora (den fünf Büchern Moses) finden sich zwei unterschiedliche Einstellungen zur Nidda: Leviticus 15 beschreibt wertungsfrei verschiedene Arten der rituellen Unreinheit, darunter in 15, 24, dass ein Mann der mit einer Frau während ihrer Menstruation Sex hat für sieben Tage unrein ist. Leviticus 18,19 hingegen stellt Sex mit der Nidda auf eine Stufe mit Inzest und Ehebruch. In der Bibel wird Verzicht auf Sex nur während der Menstruationsdauer, die mit bis zu sieben Tagen angenommen wird, gefordert. Nachbiblische Autoritäten fügten weitere sieben „reine“ Tage hinzu, wodurch die sexuelle Enthaltsamkeit 14 Tage dauert. Die Zeit der Nidda beendet das Untertauchen im Ritualbad, der Mikwa. Danach kann die Frau wieder Sex mit ihrem Mann haben.

Leviticus 15,19-28 erklärt alles für unrein was die Menstruierende berührt. Die talmudische Gesetzgebung erleichtert zugunsten des Mannes: Eine Nidda kann alle gewohnten Tätigkeiten verrichten, ausser dem Mann seinen Becher einschenken, sein Bett machen, wenn er anwesend ist, und sein Gesicht, seine Hände und seine Füsse waschen. ((Babylonischer Talmud Ketubot 61a))Diese Verbote sollen das Aufkommen sexuellen Verlangens bei beiden Partnern verhindern. Die posttalmudischen Autoritäten bestätigen die talmudische Erleichterung. Raschi ((Rabbi Salomo ben Isaac, 1040-1105, berühmter Bibel- und Talmudkommentator))erklärt, dass seit der Tempelzerstörung alle Menschen durch die Berührung mit Grabstätten, Reptilien und anderem mehr unrein geworden sind und dass die messianische Zeit die Reinigung bringe. „Deshalb können auch die von einer Nidda berührten Gegenstände berührt und verwendet werden. Allerdings schränken wir uns ein und essen nicht aus der gleichen Schale wie sie, essen nicht, was sie übrig lässt, setzen uns auch nicht auf ihren Stuhl oder nehmen etwas direkt aus ihrer Hand (Responsa Nr. 336).“

Da die orthodoxen Frauen sich immer noch als die „Priesterinnen des Hauses“ verstehen, nehmen sie – zum Teil freiwillig, zum Teil weil es in ihrer Gemeinde üblich ist – die strengeren Regeln der rituellen Unreinheit auf sich. Ist kein Extrageschirr für die unreine Zeit vorhanden und wird nicht von Wegwerfgeschirr gegessen, lebt die Familie zwei Wochen in ritueller Unreinheit und alle Gerätschaften müssen danach gekaschert, wieder rituell rein gemacht werden. Und viele von ihnen bleiben als Nidda der Synagoge fern. Auch in den Reformströmungen Konservativ und Liberal gibt es immer noch Frauen die während ihrer Menstruation nicht in die Synagoge gehen und wenn, dann nicht laut mitbeten und sich nicht zur Toralesung aufrufen lassen, obwohl die Halacha das klar und deutlich erlaubt. Die Berufstätigkeit der Frau wird übrigens weder durch die rituellen Reinheitsgebote für den Tempel noch durch die sexuellen Beziehungsregeln eingeschränkt.

Das Verbot sexueller Beziehung während der Menstruation wird von den Autoritäten ((Jüdisches Leben heute, von Rabbiner Chajim Halevi Donin, S 134))damit begründet, dass die Frau in diesem Zustand geschwächt sei, Sex in dieser Zeit physisch und psychisch als unangenehm empfinden könne. Zusammen mit den sieben reinen Tagen soll diese Zeit der Vertiefung der geistigen und seelischen Beziehung zwischen Mann und Frau dienen. Weiter soll diese sexuelle Abstinenz der Langeweile und Routine in einer Ehe entgegenwirken, die für Flitterwochen charakteristische Romantik und Zärtlichkeit über lange Jahre hinweg erhalten. Nicht ständig verfügbar sein zu müssen wird von orthodoxen Frauen sehr geschätzt. Auch viele Frauen der konservativen und liberalen Strömungen, denen die Einhaltung der sieben reinen Tage frei gestellt ist, halten gerne diese Zeit der Nichtverfügbarkeit, der Absonderung, der Besinnung auf die seelische und geistige Komponente der Beziehung ein.

Im Judentum stehen viele Frauen Sonderregeln für Frauen ebenfalls ambivalent gegenüber. Denn viele dieser Sonderregeln, die in früher Zeit einmal zum Schutze der Frauen gemacht wurden, schränken heute die Frauen ein. Die freiwillige Absonderung der Frauen während der Menstruation in einem Frauenhaus, zu gemeinsamem Gespräch und Ritualen, ist heute noch bei vielen Naturvölkern üblich. Auch von den Priesterinnen vormonotheistischer Religionen ist überliefert, dass sie sich während der Menstruation zurückzogen und besondere Rituale abhielten. Sehr erstaunt und etwas verwirrt war man in Israel als die aus Äthiopien kommenden Fallaschinnen nach einem Frauenhaus für Menstruierende fragten. Und diese waren entsetzt, dass in einem modernen Staat eine für Frauen so wichtige Einrichtung fehlt…

Ob der moderne Umgang mit der Menstruation oder die Einhaltung von Sonderregeln richtig ist, kann meiner Meinung nach offen bleiben. Wichtig ist, dass die Frauen den Umgang mit der Menstruation wählen können, der für sie stimmt. Für mich wäre eine Enttabuisierung der Menstruation in Moderne und Religionen wichtig, weil diese ein weiterer Schritt zur Gleichwertigkeit der Frauen wäre. Ohne Enttabuisierung steht die   Menstruierende im Judentum zwischen Rücksichtnahme und Absonderung. Modern gesehen ist nach Rachel Adler ((Tumah and Taharah, in The Jewish Woman, S. 64-65))die Menstruation ein Ende, das einen Neubeginn in sich trägt. Sie Ist für Adler „wie ein Herbst im Innern des Körpers, ein Sterben, das neues Leben ermöglicht“.

Erschienen in: Judith Stofer/Rifa’at Lenzin (Hg.), Körperlichkeit – Ein interreligiös-feministischer Dialog, Religion & Kultur Verlag 2007, Bestellen?