Peter Finkelgruen – Eine Stimme

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Am Anfang war eine Stimme – gelassen, oft leicht ironisch – am anderen Ende einer Telefonleitung. Eine vernünftige Stimme in einer wirren Diskussion: Das PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, dem ich damals seit einigen Jahren angehörte, war in Auflösung begriffen, und derweil ich – anfänglich überrascht, dass eine Organisation mit so illusterer Vergangenheit eine kleine Schweizer Autorin aufnahm – andere Schriftstellerverbände gemieden hatte, war mir dieser ans Herz gewachsen…

Von Gabrielle Alioth

Ich bedauerte die Auflösung eines Vereins, dem diejenigen angehörten, die aus politischen oder persönlichen Gründen in keinen Verein gehörten, aber ich hätte mich nie dagegen gewehrt. Wäre da nicht Peter Finkelgruens Stimme gewesen, die mahnte, plante und mich und andere überzeugte. Deshalb gibt es den „Exil-PEN“ noch heute, die Stimme aber hat über die Jahre ein Gesicht bekommen.

Ich weiß nicht mehr, wann mir Peter Finkelgruen zum ersten Mal in persona begegnete, wann wir vom Sie zum Du übergingen, an wie vielen Lesungen und Sitzungen wir uns leibhaftig oder elektronisch trafen. Ich kann auch nicht sagen, wie oft er in unserem kleinen PEN-Kreis aufkeimende Kontroversen entschärfte, Aufgeregte besänftigte und Wege fand, nicht zu Besänftigende elegant zu umgehen. Dabei hat er bei aller Geduld, aller Konzilianz und Toleranz seine eigenen Überzeugungen nie kompromittiert, seinen glasklaren Verstand bewahrt und auch seine Leidenschaft für das, was recht und richtig ist. In schriftlichen wie in mündlichen Erzählungen gab Peter immer wieder Stücke seiner Vergangenheit preis, eines ungewöhnlichen und ungewöhnlich schwierigen Lebens, das von Verlusten gezeichnet war und in dem es an Enttäuschungen nicht fehlte. Dass er es verstand – um mit Ingeborg Bachmann zu sprechen – enttäuscht, d. h. ohne Täuschung zu leben, ist nicht nur Fundament seiner Integrität, sondern vielleicht auch Quelle jener Fröhlichkeit, die genauso zu meinem Bild von Peter gehört wie der Panamahut, ein locker über die Schulter geworfener Schal und das Lachen in seinen Augen. Die finkelgruensche Vergnügtheit trotz aller Unbill, seine Zuversicht trotz aller Aussichtslosigkeit haben mich – neben allen intellektuellen und emotionellen Qualitäten –  stets am meisten beeindruckt. Daraus, so scheint mir, wächst auch Peters Leichtigkeit im Umgang mit Menschen aller Altersgruppen und jeglicher Herkunft, und mehr noch seine Fähigkeit, mit Leichtigkeit das Beste in jedem zu wecken.

Es gibt berufenere Leute, Peter Finkelgruens schriftstellerische, journalistische, politische und gesellschaftliche Verdienste zu würdigen, und er selbst – begnadeter Geschichtenerzähler – hat über sein außerordentliches Leben geschrieben. Dass dieses ihn zu einer außerordentlichen Persönlichkeit gemacht hat, wird jedem klar, der ihm begegnet – oder eben auch nur seine Stimme am Telefon hört.


Peter Finkelgruen (l.) und Gabrielle Alioth (zweite v.l.) 2006 zu Gast beim damaligen Schweizer Gesandten in Berlin