Plädoyer für ein Leben in Wahrheit

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Boualem Sansals Selbstverständnis als Autor…

„Eines Tages hat mir ein Freund gesagt, während er spürbar auf Abstand ging: ,Du hast das geschrieben, jetzt steh auch dazu!’Ist mir eiskalt über den Rücken gelaufen, diese Art zu sagen: ,Zähl schon mal deine Knochen, der Postmann klingelt niemals ohne Grund.'“ (Erzähl mir vom Paradies)

Sansals Kommisar Si Larbi (aus dem Debütroman Der Schwur der Barbaren) hält sich nicht an die Richtlinien der Offiziellen und erkennt Zusammenhänge zwischen zwei Morden, die angeblich nichts miteinander zu tun haben. Si Larbi gerät bei seinen Ermittlungen auf eigene Faust zwischen alle Fronten, denn er lässt sich nicht davon abbringen, in dem Sumpf von Korruption, Machtverflechtungen und abgekarteter Spiele nach einer Wahrheit zu suchen. Und so wie der Kommissar Larbi mit seinem Leben dafür zahlen muss, nimmt der Autor Boualem Sannsal zugunsten der Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit erhebliche Schwierigkeiten in seinem Alltag in Kauf: So wurde er 2003 aus seinem Amt als ranghoher Beamter im algerischen Industrieministerium entfernt und sein angebliches unmuslimisches Verhalten öffentlich angeprangert.

„Heftige Kritik kann man nicht vom Ausland her üben“, versucht er im Gespräch mit Reiner Wandler sein Ausharren in der algerischen Heimat zu erklären. Dabei ist es um den Autor einsam geworden. Verwandte, Freunde und gleichgesinnte Intellektuelle sind gegangen, von den Offiziellen in Politik und Gesellschaft wird er verachtet und von den Islamisten bedroht. So ergeht es auch Lamia, der Protagonistin seines Romans Harraga: „Gestern wie heute, und sicher wird es bis ans Ende aller Zeiten so bleiben, verlässt man dieses Land eher, als dass man ankommt … Wir sind alle, schon immer, Harragas, Straßenverbrenner, das ist der Sinn unserer Geschichte. Bin ich nun an der Reihe fort zu gehen?“

Im Ausland, vor allem in Frankreich, erlebt Sansal (wie sein Alter Ego in Erzähl mir vom Paradies) genau das Gegenteil: „Das Schwierigste an der Kunst zu schreiben ist die Vermarktung eines Buches. Zwischen zwei Bahnhöfen, zwei Hotels kann man die irrwitzigsten Dinge erleben, ohne dass je ein Ende absehbar wäre. Man kann noch soviel schreiben, man muß auch noch reden … Doch auf Schritt und Tritt wächst die Unruhe. Man sagt immer zu viel, wagt sich weiter als nötig vor, ertappt sich dabei, wie man bald ins Anschwärzen, bald ins Ausplaudern gerät, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Möglich, dass mir etliches entschlüpft ist, große Industriegeheimnisse, Namen, Orte, Geldbeträge, Connections.“ Die Reisen ins europäische Ausland sind dem Schriftsteller sehr wichtig und gerne nimmt er die Einladungen zu den zahlreichen Literaturfestivals an. Weniger, um seine Bücher zu vermarkten – eine Aufgabe, die er anderen überlässt –, sondern vor allem, um in freier Rede zu diskutieren. In „offener Gesellschaft“, ein Zustand, den er nicht als selbstverständlich nimmt, legt er in beeindruckender Weise über sein literarisches Schaffen hinaus von seinem Land Zeugnis ab. Er berichtet von den politischen, gesellschaftlichen und moralischen Missständen, von der alltäglichen Gewalt der Islamisten und von den subtilen Einschüchterungen der Regierung gegen Andersdenkende. Sansals Prominenz im Ausland verleiht ihm in seiner Heimat einen gewissen Schutz.

Gleichzeitig weiß er nur zu genau, wie sehr die tonangebenden Eliten in Algerien sich über jeden seiner Schritte und jede seiner Äußerungen in Europa informieren. Die Konsequenzen haben er und seine Familie nach jeder Rückkehr nach Algerien zu tragen: Zuletzt musste seine Frau ihren Beruf als Berufsschullehrerin aufgeben, weil sie die Schmähungen, die nach der Veröffentlichung von Postlagernd: Algier an der Tagesordnung waren, nicht mehr ertragen konnte.

In seinem Selbstverständnis als Autor steht Boualem Sansal in der Tradition des kritischen Intellektuellen. Als Schriftsteller mischt er sich ein und meldet sich zu Wort, auch da, wo er sich in große Gefahr begibt. Allerdings kann er seine unmittelbaren Adressaten, die Algerier, aus Gründen der Zensur nur auf Umwegen erreicht. Genaue Angaben, wie oft seine Bücher in Algerien verkauft wurden, liegen ihm nicht vor: „Ich schätze, mein erster Roman wurde 10.000 Mal, die beiden folgenden jeweils rund 5.000 Mal verkauft“ (Zenith). Seit der Veröffentlichung des Essays Postlagernd: Algier sind seine Werke in Algerien offiziell verboten. Der deutsche Journalist und langjährige Nordafrika-Korrespondent der ARD, Samuel Schirmbeck, kennt den Grund: „Die meisten Algerier denken wie Sansal. Mein algerischer Kameramann, ein einfacher Mann, ein gläubiger Moslem, hat für meinen ARTE-Beitrag Sansal in Boumerdès gefilmt. Auf meine Frage, was er von Sansals Ideen hält, sagte er: ‚Der Mann hat Recht.’“ Umso heftiger sind die politischen Eliten um Abgrenzung bemüht. Schließlich wollen sie ihre Position nicht gefährdet wissen.

Die beschränkten Wirkungsmöglichkeiten der Literatur sind Boualem Sansal natürlich bewusst. Dennoch gibt er nicht auf, sondern hält mit einer beeindruckenden Hartnäckigkeit an seiner literarischen Tätigkeit fest: „Vielleicht dulden sie uns als eine Art Narren. Mehr aber auch nicht“, hat er Reiner Wandler gegenüber in der tageszeitung geäußert. Dabei funktioniert der Dialog mit seinen Landsleuten im europäischen Ausland wunderbar, beispielsweise im September 2008 in Berlin mit der deutsch-algerischen Vereinigung YEDD. Dass diese Vereinigung wegen der Veranstaltung mit Boualem Sansal von der algerischen Botschaft in Deutschland abgemahnt und als nicht vertrauenswürdig eingestuft wurde, verdeutlicht nur die Notwendigkeit seines Engagements.

Was heißt das für Europa, für Deutschland? Boualem Sansal ermuntert nicht nur seine Landsleute zum Dialog. In zahlreichen Beiträgen in Tageszeitungen, Interviews und natürlich in seinen Werken klagt er eine Auseinandersetzung Europas mit den maghrebinischen Staaten ein. Er fordert ein Umdenken in der Integrationspolitik, sonst bleiben die Vorstädte der europäischen Metropolen weiterhin Brutstätten für die totalitären Bestrebungen der Islamisten. Der Westen mit seinen rein ökonomischen Interessen an Algerien verstärkt die Isolation der kritischen Bürger und Intellektuellen. Wenn Autoren wie Sansal ihre eigenen Landsleute nicht mehr erreichen können und der Westen sich nicht um sie kümmert, haben die Machthaber ihr Ziel erreicht. Boualem Sansal, zu einem Empfang mit dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy eingeladen, zeigte sich maßlos enttäuscht: „Ich war zusammen mit dem Bischof von Algier und drei anderen Vertretern der Zivilgesellschaft zu einem Abendessen eingeladen. Sarkozy ist gekommen, er hat uns begrüßt, dann haben wir uns hingesetzt – und er hat seinen alten Freund und Reisebegleiter, den Sänger Didier Barbelivian, aufgefordert, Gitarre zu spielen und zu singen. Der Präsident hat auch gesungen. Der Präsident hat auch gesungen? Ja, auch er hat gesungen. Zwischendurch hat ein anderer Begleiter, der Komiker Smain, Witze gemacht. So ging das den ganzen Abend lang: Lieder und Witze. Keine Fragen, keine Diskussion.“ (Interview mit Jacqueline Hénard in der FAZ) Dagegen stehen Erfahrungen, die Boaulem Sansal auf zahlreichen Lesungen und Diskussionen auch in Deutschland machen konnte: Lebhafte, offene Diskussionen, lange nach dem Ende der Veranstaltungen. Und nicht nur den Journalisten Tomas Fitzel hat die Begegnung mit Boualem Sansal verändert: „Man besucht eine Veranstaltung … dann geht man nach Hause und fühlt sich irgendwie reicher, nicht nur um das Buch, das nun in der Tasche steckt und das man sofort in der S-Bahn zu lesen beginnt, nein man fühlt sich äußerst angeregt und inspiriert oder besser beseelt … Boualem Sansal schlug einen sofort in den Bann. Dem Moderator erging es offenbar damit nicht anders, aber von Sansals gelöster Heiterkeit, die fast schon etwas Unirdisches hatte, sowie seinem ironischen Humor, der sich entgegen der grausamen Wirklichkeit Algeriens behaupten kann, ging etwas Strahlendes aus, das man nur schwer beschreiben kann.“ (rbb)

–> Boualem Sansal: Das Dorf des Deutschen