Ein „Gefühl“, das verbindet: Antisemitismus in einer globalisierten Welt

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Eine Veranstaltungsreihe der DIG München zu zeitgenössischen Erscheinungsformen des Antisemitismus…

Wird in Deutschland über Antisemitismus gesprochen, steht meist die Zeit vor 1945 im Blickpunkt. Wir wollen aufzeigen, dass der Untergang des Nationalsozialismus nicht zum Untergang dieser Geisteshaltung führte und dass sie nicht auf Deutschland oder Europa beschränkt war und ist.

Von Oktober 2011 bis Februar 2012 laden wir im ca. 14tägigen Rhythmus zu Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen ein. Gemeinsam mit unseren Referentinnen und Referenten wollen wir darlegen, auf welch verschiedene Weisen antisemitische Vorurteile geäußert und stereotype Vorstellungen reproduziert wurden und werden, wie die Strategien antisemitischer oder antizionistischer Gruppen aussehen und wie diese gesellschaftlich zu verorten sind.

Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass all jene, die sich antisemitisch äußern einem gemeinsamen Masterplan folgen. Eine globalisierte Welt lässt es durchaus zu, dass Menschen, die sich nicht kennen und vielleicht auch nicht mögen, den gleichen Gedanken teilen. Das ändert jedoch nichts daran, dass derartige Einstellungen und Weltsichten zu analysieren und entschieden zu kritisieren sind – ohne „Wenn“ und „Aber“.

Die Veranstaltungen finden im Jüdischen Museum München, St.-Jakobs-Platz 16 (soweit nicht ein anderer Veranstaltungsort angegeben ist) statt. Beginn 19:30 Uhr. Eintritt jeweils 6 €/erm. 3 €. Reihenticket für alle Veranstaltungen 30 €/erm. 15 €. Tickets an allen bekannten Vorverkaufsstellen und an der Abendkasse.

Acht renommierte Referentinnen und Referenten, darunter Detlev Claussen, Willi Winkler, Ian Jonson und Corry Guttstadt, untersuchen aus verschiedenen Blickwinkeln Antisemitismus, Israelbilder und den Status von Jüdinnen und Juden in verschiedenen Ländern und Epochen. Es soll aufgezeigt werden, dass Antisemitismus ebenso wenig mit dem Untergang des Nationalsozialismus verschwunden ist, wie er auf Deutschland oder Europa beschränkt ist. Es wird unter anderem darum gehen, die Mechanismen zu verstehen, warum und wie stereotype Vorstellungen reproduziert werden.

Hauptsache gegen die Juden? – Antisemitismus von Rechts und von Links
Referenten: Robert Andreasch, Sebastian Voigt, am 6.10. im Jüdischen Museum München, St.-Jakobs-Platz 16

Vorurteile über, Verachtung für und Hass gegen Juden und den jüdischen Staat gibt es im politischen Koordinatensystem überall. Während in der Linkspartei derzeit keine Gelegenheit ausgelassen wird, unter antizionistischem Label Israel zu dämonisieren und zu delegitimieren, ist der antisemitische Wahn im rechten und rechtsradikalen Lager quasi konstitutiv. In zwei Referaten werden die jeweiligen antisemitischen Einstellungen und Haltungen dargestellt, im Anschluss diskutiert, inwieweit strömungsübergreifende Gemeinsamkeiten existieren und wo die Trennlinien beim Antisemitismus von Rechts und von Links liegen.

Antisemitismus in Ungarn – Eine aktuelle Bestandsaufnahme
Referentin: Magdalena Marsovszky, am 19.10. im Gewerkschaftshaus, Schwanthalerstraße 64

Im heutigen Ungarn gehört zu den gängigen antisemitischen Stereotypen der „Jude“ als Bösewicht, der die Hauptfeinde Liberalismus, bolschewistischer Kommunismus, Kapitalismus und Sozialdemokratie verkörpert. Auch der Prozess der Globalisierung wird als „planvoll gesteuerte Vernichtung“ der magyarischen Kultur, der Traditionen, der Werte und letztendlich der ganzen Nation und des ganzen Volkes durch die Juden gesehen. „Globalisten“ und „Globalisierung“ sind allseits bekannte antisemitische Codes und stehen oft auch synonym für den Zionismus.

Die Türkei, die Juden und der Holocaust – Der Mythos von der Rettung der Juden in der Türkischen Republik
Referentin: Dr. Corry Guttstadt, am 3.11. im Jüdischen Museum München

Seit der Gründung der Republik 1923 gibt sich die Türkei als Retter der Juden während des Nationalsozialismus. Mit diesem Mythos wird noch heute ein Schleier über das Wirken der Türkischen Republik als Nachfolgerin des Osmanischen Reichs gelegt. Die Zusammenarbeit mit dem NS-Regime, die Unterbindung der Durchfahrt der jüdischen Flüchtlingsboote Richtung Palästina und die Ausbürgerung der Juden aus den ehemaligen osmanischen Gebieten kommen in diesem „1001-Nacht“-Geschichtsbild nicht vor. Ist gerade deshalb die nationalistische und antisemitische Haltung der vermeintlich säkularen Republik gegenüber den eigenen jüdischen Staatsbürgern bis heute gesellschaftsimmanent?

Die Kritische Theorie als Auslaufmodell? – Ist Adornos kategorischer Imperativ überholt?
Referent: Prof. Dr. Detlev Claussen, am 17.11. im Jüdischen Museum München

Die Kritische Theorie entwickelte sich seit der Mitte der Weimarer Republik als eine an Marx‘ Kritik der politischen Ökonomie orientierte, gleichwohl gegen die Orthodoxie der Arbeiterbewegung  argumentierende Denkrichtung. Mit der intellektuellen und lebensgeschichtlichen Aufnahme der Katastrophe von Auschwitz und deren zentralen Platzierung unterscheidet sich die Kritische Theorie von allen Ansätzen, die mit dem Anspruch der Analyse der Gegenwart auftreten. Inwieweit kann dieser Theorieansatz zur heutigen Analyse von Gesellschaft und Politik noch verwendet werden und welche Erkenntnisse lassen sich noch mit Hilfe der Kritischen Theorie gewinnen.

Der Schattenmann – Das mysteriöse Leben des François Genoud
Lesung und Diskussion mit Willi Winkler, am 1.12. im DGB-Haus München, Schwanthalerstraße 64

Diskrete Geldgeschäfte waren seine Spezialität. Er liebte Hitler, trauerte den Nazis nach und konnte dieses Hobby zum Beruf machen: François Genoud verdiente viel Geld mit dem Copyright an den Schriften von Joseph Goebbels und nutzte es, um arabische Terroristen ebenso wie den Kriegsverbrecher Klaus Barbie zu unterstützen. Trotz seiner kriminellen Leidenschaft für Extremisten jeglicher Couleur ist Genoud nie belangt worden.

Die vierte Moschee – Nazis, CIA und der islamische Fundamentalismus
Lesung und Diskussion mit Ian Johnson, am 15.12. im Jüdischen Museum München

Als Ian Johnson 2003 eine Londoner Buchhandlung betritt, macht er eine sensationelle und unheimliche Entdeckung: Als wichtigste Moscheen werden Mekka, Jerusalem, Istanbul und eine Moschee in München genannt. Warum München? Welche Moschee? Das islamische Zentrum von München wurde seit dem Dritten Reich und dem Kalten Krieg von Nazis, Agenten, gestrandeten Muslimen, islamistischen Fanatikern, von Akteuren aller Couleurs zum Bollwerk gegen die Sowjetunion aufgerüstet. Die CIA und andere Geheimdienste spinnen Intrigen, steuern Machtkämpfe und unterstützen radikale Islamisten der  Moslembruderschaft – immer hinter dem Rücken der Öffentlichkeit.

Heuschrecken, Gier und Weltverschwörung – Regressiver Antikapitalismus und das antisemitische Ressentiment
Referent: Lothar Galow-Bergemann, am 19.1. im  Jüdischen Museum München

Geht es gegen Banken und „die Finanzmärkte“, sind sich schnell alle einig: Parteipolitiker, Gewerkschaften, Linke, Rechte, Hobby-Ökonomen und wer sonst noch so in Krisenzeiten das Wort ergreift. Es entstehen sonderbar anmutende Schulterschlüsse, wenn es gegen die „Zirkulationssphäre“ geht. Doch die Aufspaltung des kapitalistischen Prinzips in „produktives Kapital“ auf der einen und „das Finanzkapital“ auf der anderen Seite leistet nicht selten einer Dämonisierung des Finanzsektors Vorschub, die dabei mal mehr, mal weniger bewusst auf antisemitische Stereotype zurückgreift.

Die Deutschen und der Iran – Geschichte und Gegenwart einer verhängnisvollen Freundschaft
Referent: Dr. Matthias Küntzel, am 2.2. im Jüdischen Museum München

Bis heute ist Deutschland mit dem Regime, das den Holocaust leugnet und Israel auslöschen will, wirtschaftlich, politisch und kulturell enger verbunden, als jedes andere europäische Land. Mit einem Regime, dessen Vertreter sich erst jüngst auf einer Webseite der „Revolutionsgarden“ den Ablauf eines Atomtests ausmalten. Wie ist diese „verhängnisvolle Freundschaft“ zu erklären? Und: Soll es bei ihr bleiben?

Weitere Informationen:
http://www.dig-muenchen.de/