Nach dem Terroranschlag in Norwegen müssen auch die Antirassisten ihre Rolle überdenken…
Ein Kommentar von Ivo Bozic
Jungle World v. 4.8.2011
Für die meisten Medien und ihre Terrorismusexperten war schnell klar: Terroranschlag gleich Jihadismus. Auch in jihadistischen Internetforen bejubelte man zunächst den Bombenanschlag in Oslo. Doch als sich wenig später herausstellte, dass der Täter aus einer antimuslimischen und rassistischen Gesinnung heraus gehandelt hatte, verstummten kurzzeitig die offensichtlich irritierten Kommentatoren. Tatsächlich wurden in den zehn Jahren seit 9/11 größere Terroranschläge fast ausschließlich im Namen Allahs ausgeführt. Dass nun die vermeintliche Gegenseite, der sogenannte Counterjihad, ins Spiel kommt, daran muss man sich erst einmal gewöhnen. Dass Anders Breivik ein wahnsinniger Einzeltäter war, darf nicht als Begründung genügen, um die Debatte vorzeitig zu beenden. Denn das war, Deniz Yücel hat den Vergleich in der Taz angestellt, Mohammed Bouyeri, der Mörder des niederländischen Regisseurs Theo van Gogh, auch. Trotzdem war seine Tat die Ausgeburt einer Weltsicht, die eben nicht nur in seinem einzelnen wirren Kopf existiert.
Und auch die Weltsicht des Anders Breivik ist nicht nur in seinem eigenen kranken Hirn herangereift. Er hat zwar kein im klassischen Sinne rassistisches Massaker angerichtet, vielmehr hat er die Kids der sozialdemokratischen Jugendorganisation umgebracht. Diese sah er als den Nachwuchs einer »kulturmarxistisch« kontaminierten, multikulturalistischen Elite an, die die »Islamisierung« Europas vorantreibe. Aber Breiviks Weltsicht ist auch die einer rechtsextremen Szene, denen die Sozialdemokraten als »Verräter« gelten und deren Methode es ist, eine berechtigte und notwendige Kritik an dem wachsenden Einfluss reaktionärer Islamisten und an einer Verbreitung vormoderner Islamvorstellungen dafür zu missbrauchen, ihren rassistischen Hass auf Ausländer, Araber, Nicht-Weiße oder Andersgläubige zu verbreiten. Zwar ist ein derart begründeter Terror neu, doch vor einer rassistischen Aufladung der Kritik des Islamismus ist schon oft gewarnt worden, etwa angesichts dessen, was Internetseiten wie Politically Incorrect (PI) betreiben. Gerade auch die Jungle World hat regelmäßig davor gewarnt.
Das Problem ist: Am lautesten riefen immer jene »Rassismus!«, denen es um etwas ganz anderes ging, nämlich darum, jede Kritik am Islam und am kulturrelativistischen Multikulturalismus mundtot zu machen. Jene, die die sozial abgehängten migrantischen Communities in Europa als dissidentes, potentiell revolutionäres Subjekt, die islamistische Bewegung weltweit als antikapitalistische Bewegung und den Jihadismus als gerechten Widerstand gegen den Zionismus idealisieren.
Diese vorgeblichen Antirassisten haben die Warnungen vor dem offenkundigen Rassismus à la PI immer wieder desavouiert. Sie haben nämlich nicht nur jene Hetzer, sondern jeden, der den Islamismus oder auch den Islam selbst kritisierte – und sei es auch aus säkularen, feministischen, antiautoritären oder demokratischen Erwägungen heraus –, des Rassismus bezichtigt und damit diesen Begriff derart unscharf werden lassen, dass man ihn kaum mehr verwenden konnte, um wirkliche Rassisten zu kennzeichnen.
Die aber gibt es durchaus. Was sich bei PI und Konsorten auskotzt, ist eine in ihrer Anzahl und in ihrem aggressiven Hass nicht zu unterschätzende Rassistenmeute. Und dass von Thilo Sarrazin nicht eine einzige relevante Kritik am Islamismus bekannt ist, dafür aber jede Menge mit größtenteils völlig abstrusen Statistiken unterfütterte Ressentiments gegen migrantischen Communities, zeigt, dass antirassistische Kritik nicht nur bei Rechtsextremisten ansetzen darf. Rassismus ist in Deutschland nach wie vor mehrheitsfähig, wenngleich nicht mehr so offen wie in den neunziger Jahren. Die Lehre daraus kann aber nicht sein, nun die Kritik am Islamismus als politischer Bewegung und am Islam als Religion einzustellen. Im Gegenteil! Es kann nur darum gehen, die Kritik zuzuspitzen und sie dabei beständig zu konkretisieren. Es geht nämlich letztlich um eine Kritik an allem, was gegen die Freiheit des Einzelnen, gegen die Gleichberechtigung, gegen das Leben gerichtet ist. Kritik an allem, was Autorität über Vernunft und Paranoia über Analyse setzt. Sprich, es ist eine dezidiert linke Kritik gefragt, ein Antifaschismus, der sich den Rechtsextremismus ebenso vorknöpfen muss wie den Jihadismus. Kurz: Es geht um die Grundlage jeder linken Politik.