Ein Theaterabend in Heidelberg – gewidmet Juliano Mer-Khamis…
Von Ramona Ambs
Es gibt da eine alte Weisheit: Wenn jemand kommt und sagt, er will Dir helfen, dann nimm Deine Beine in die Hand und lauf weg so schnell Du kannst. Dummerweise ist Israel sehr klein. Man entkommt den Helfern nicht. Sie sind nämlich überall. All die Helfer aus Deutschland, die immer sehr genau wissen, wann was wie zu tun ist, um Frieden zu erreichen, besetzen das kleine Land und die gesamte Region. Denn „Frieden ist ein Meister aus Deutschland“.
„THE PEACE SYNDROME“ – Auftakt zum diesjährigen Heidelberger Stückemarkt mit dem Thema Türkei und Abschluss der zweijährigen Theaterpartnerschaft Familienbande zwischen dem Heidelberger Theater und dem Teatron Beit Lessin in Tel Aviv – erzählt in deutsch, hebräisch und englisch genau von diesem Friedensimperialismus. Regisseur Torge Kübler hat gemeinsam mit zwei israelischen und zwei deutschen Schauspielern vor Ort recherchiert, Volontäre, Aktivisten und Mitarbeiter diverser Institute befragt und das dokumentarische Material auf die Bühne gebracht.
Herausgekommen ist dabei eine erstaunlich israelische Komposition. Das Stück ist -für deutsche Verhältnisse- unglaublich schnell. Gleich zu Beginn fallen die Protokolle auf die Bühne, Textfetzen aus den Interviews werden dialogisch präsentiert und erzählen in ihrer Summe von Motivation und Gefühlslage deutscher Volontäre in Israel. Jom HaShoa, Jom HaSikaron und dann auch noch Jom HaAtzmaut – die Volontäre machen alles mit : „Jehudim chaijm Beintensiviut / Juden leben sehr intensiv“ wird konstantiert.
Matthias Rott, Ariel Nil Levy, Natanaël Lienhard, Amir Shoresh, Yuval Scharf, © Markus Kaesler
Dann treten Peaceman, Doctor Peace und Klaus aus Deutschland auf, allesamt äußerst gelungene Karrikaturen deutscher Friedensaktivisten, die den Israelis erklären, wie Frieden funktioniert, und dabei ihre unbewältigte Geschichte dabeihaben. Are you interested in Peace? „Lo“ kann man dann nur antworten. Nein danke. Die Inszenierung geht dabei so weit, ihr eigenes Engagement selbstironisch miteinzubeziehen. Ariel Nil Levy, der Übersetzer wird irgendwann selbst auf die Bühne gerufen, um direkt (ohne die sonst eingeblendeten Übertitel) zu übersetzen: „Schluss mit Eurem Betroffenheitsimperialismus. Ihr alle, Ihr seid keine Humanisten, sondern Imperialisten. Und Ihr Künstler seid die Schlimmsten. Das deutsche Theater ist so langweilig, jetzt holt Ihr Euch die Ideen aus Nahost. Und Israelis wie ich sollen das deutsche Theater retten. Und Türken. Und andere Postmigranten. Deutschland schafft sich ab. Das Theater schafft sich ab.“ Und passend dazu wird dem deutschen Klaus von der Israelin vorgeschlagen sich doch eine palästnensische Freundin zu suchen, um sich von der Last seiner deutschen Vergangenheit zu befreien: „Maybe we find a nice Palestinian girl for you to marry? She is the victim of the victims. So it’s a double relief for you.“
Doch neben all den witzigen Szenen gibt es auch ernste Momente an diesem Theaterabend, beispielsweise wenn der Schauspieler Amir Schoresch auf die Bühne tritt und von seiner Familie, von dem palästinensischen Vater und der jüdischen Mutter erzählt. Oder wenn Hannah, eine alte Israelin zitiert wird, und den deutschen Helfern entgegenschleudert: „Wenn Du mir gegenübersitzt, was siehst Du? Jüdin, Opfer, Konflikt?“… Die Leute kommen wegen dem Konflikt- ich bin aber mehr als nur der Konflikt.“ Hier wird deutlich, wie endlos bedrückend es ist, nicht als Mensch, sondern nur noch als Vertreter einer bestimmten Spezies – „Jude“, „Shoa-Opfer“ „Israeli“ „Besatzer“ – wahrgenommen zu werden.
In diesem Sinne ist „The Peace Syndrome“ ein brilliantes Lehrstück, bei dem die Texte selbst die Dramaturgie ersetzen und das wunderbare Bühnebild (Harel Luz) den Texten den Raum gibt, den sie verdienen. Im Grunde : ein Pflichtprogramm für deutsche Friedensfreunde. Das Sympathischste an diesem Stück: es bietet keine Lösung. Es hat seine eigene Lektion verstanden. Es verzichtet auf einen Ausweg.
Gewidmet wurde dieser Theaterabend Juliano Mer-Khamis, dem jüdisch-palästinensischen Theatermacher, der am 4. April 2011 vor seinem Freedom-Theater in Jenin erschossen wurde.
Weitere Vorstellungen sind am 18., 19. & 20.5.2011.
Partnerschaft mit dem Teatron Beit Lessin, Tel Aviv
Ein dokumentarisches Theaterprojekt
Uraufführung / Auftragswerk
Regie Torge Kübler
Bühne & Kostüme Harel Luz
Dramaturgie Jan Linders & Julia Reichert
Künstlerischer Berater Ariel Nil Levy
Produktionsleitung Jenny Flügge
Mit Yuval Scharf; Natanaël Lienhard, Matthias Rott, Amir Shoresh