Abstimmung zur Bespitzelungsklausel

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Am 27.1. wird im Plenum des Deutschen Bundestages gegen 17 Uhr der Antrag der Regierungskoalitionen mit dem Titel „Programme zur Bekämpfung von politischem Extremismus weiterentwickeln“ diskutiert und abgestimmt…

Eine der zentralen Intentionen des Antrages ist es, dass Vorgehen von Bundesministerin Schröder gegen die Demokratieprojekte mit der s.g. Besitzelungsklausel zu rechtfertigen. In diesem Zusammenhang hat die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung sich heute in einem Brief direkt an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages gewendet

„Sehr geehrte Damen und Herren,

Neonazis sind ein großes Problem in Deutschland. Neben Wahlerfolgen der NPD auf Landes- und Lokalebene gibt es nach wie vor eine hohe Zahl von Gewaltstraftaten und eine weit verbreitete, rechtsextreme Alltagskultur. Dies betrifft längst nicht mehr nur die Neuen Bundesländer. Wie wissenschaftliche Studien seit langem zeigen, handelt es sich um ein Phänomen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, das breite Schichten erfasst hat und weit über ein spezifisches Jugendproblem hinaus geht.

Gegen Demokratiefeindlichkeit sind Projekte und Beratungsstrukturen entstanden, deren Ziel es ist, die Zivilgesellschaft vor Ort bei einer selbstbewussten Haltung für demokratische Kultur zu unterstützen. Dies ist u.a. ein großer Erfolg der Demokratieprogramme aller Bundesregierungen des letzten Jahrzehnts. Die Erfolge dieser kontinuierlichen Arbeit sind auch durch die verschiedenen Evaluationen immer wieder bestätigt worden.

Im Moment sehen sich alle mit Bundesmitteln geförderten Träger dieser oft gefährlichen Arbeit jedoch einem erheblichen Druck ausgesetzt, der ohne Not ihre Arbeit zusätzlich erschwert. Es geht dabei um eine so genannte Extremismusklausel, die alle Projektträger unterschreiben müssen. Darin sollen sie sich erstens zum Grundgesetz und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (fdGO) bekennen und zweitens alle potenzielle Partner, Referenten etc. ebenfalls daraufhin überprüfen, ob sie auf der Grundlage der fdGO arbeiten.

Auch die Amadeu Antonio Stiftung hat mit einem Zuwendungsbescheid des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) die Aufforderung erhalten, eine solche Erklärung zu unterschreiben, da sie andernfalls keine Zuwendung erhalten würde. Sie ist dem auch nachgekommen, hat aber erhebliche Zweifel an der verfassungsrechtlichen Richtigkeit dieser Klausel erhoben.

Zunächst drei grundsätzliche Anmerkungen aus der Sicht der Demokratieprojekte:

1. Die Demokratieprojekte weigern sich keinesfalls sich zu den Zielen des Grundgesetzes zu bekennen – ganz im Gegenteil : Dies stellt den Inhalt ihrer Arbeit dar. Ein solches Bekenntnis ist in der Tat selbstverständlich. Dem kann ich nur zustimmen.

2. Die Form jedoch, die hierbei vom BMFSFJ gewählt wurde, ist auf verschiedenen Ebenen, sowohl gesellschaftspolitisch als auch verfassungsrechtlich strittig und unpräzise.

3. Die Intention des Verfahrens wird von den Projekten als ungerechtfertigtes Misstrauen und als Mangel an Anerkennung gegenüber ihrer oftmals gefährlichen Arbeit empfunden.

Wenn sich die Projekte nun wehren, weil sie juristisch-gesellschaftspolitische Bedenken haben oder/und weil sie das gegen sie gerichtete Misstrauen als unberechtigt, sogar verletzend empfinden, so ist ihre Reaktion keineswegs eine Bestätigung für unterstellte Linksradikalität, sondern zunächst einfach eine Reaktion, zu der sie im demokratischen Rechtsstaat durchaus berechtigt sind.

Neben der emotionalen Ebene der Empörung über das Misstrauen des Ministeriums gegenüber ihrer Arbeit, ist die rechtlich-gesellschaftspolitische Ebene ebenso Anlass zur Kritik an der Klausel. Der zentrale Punkt dabei ist die von den Projekten verlangte Überprüfung Dritter. Dies wird als unangemessen, rechtlich fraglich und praktisch als Überforderung angesehen. Wenn jedes Projekt Dossiers über Referenten und potenzielle Partner anlegen soll, vergiftet das die Zusammenarbeit und absorbiert die ohnehin schmalen Ressourcen der Projekte. Das Ziel, wirklich radikale Kräfte von einer Teilhabe an den Bundesprogrammen auszuschließen, steht hier in keinem Verhältnis zum Aufwand. Dazu gab es auch in der Vergangenheit keinen Anlass.

Um radikaler Teilhabe vorzubeugen, wären Aufklärung und öffentliche Diskussionen der bessere Weg. Dies würde sehr viel deutlicher machen, wie demokratische Werte im Alltag zu verteidigen sind, als dadurch über Zuwendungen, die Projekte zu zweifelhaften Maßnamen zu nötigen.

Ich bitte Sie daher dringend, auf parteipolitische Kämpfe zuungunsten der Demokratieprojekte zu verzichten und nicht den Kampf für eine demokratische Alltagskultur zu erschweren.

Mit freundlichen Grüßen
Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung , Berlin, den 26. Januar 2010″

8 Kommentare

  1. Na toll, jetzt hat die Rechts-Sympathisantin Schröder es also geschafft und ihren Kameraden einen großen Dienst erwiesen. Keine der Organisationen die sich gegen rechts engagieren wird noch vernünftige Arbeit leisten können wenn sie jeden potentiellen Bündnispartner überprüfen und viele wird ablehnen müssen, weil der VS es mal wieder übertrieben hat mit seiner Gesinnungsschnüffelei… Und zugleich können sich aufrechte Deutsche (Nazis) an den neu zu schaffenden Initiativen gegen „Linksextremismus“ beteiligen und ordentlich Gelder aus Frau Schröders Ministerium abgreifen!  Ich sollte meinen Reisepass bereithalten und langsam mal Geld sparen für die Emigration… Deutschland wird immer ungemütlicher.

  2. @ Pjet:
     
    Es ist doch eine bedauerliche Tatsache, das manche vom Staat finanziell geförderte Projekte und Institutionen auch mit Organisationen zusammenarbeiten, die im Verfassungsschutzbericht als verfassungsfeindlich geführt werden – z.B. die VVN-BdA.
     
    Ãœbrigens: Jede im VS-Bericht genannte Organisation kann gegen ihre Nennung klagen, der Verfassungsschutz muss also seine Einstufungen stets gerichtsfest begründen. Interessanterweise haben Gruppen wie besagte VVN oder „Die Linke“ bislang noch nicht einmal den Versuch gemacht, gegen ihre Aufführung als verfassungsfeindliche Organisation juristisch vorzugehen.
     
    Eine Verfassungsfeindlichkeit ist übrigens noch kein ausreichender Verbotsgrund – notwendig ist der Nachweis einer „aktiv-kämpferischen Haltung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.“
     
    Kein Projekt gegen Rechtsextremismus und für Demokreatie ist tatsächlich mehr als nur eine Geldabschöpfungsaktion, die mit Gruppen kooperieren, die als erklärtes Ziel die Zerschlagung unserer Demokratie und die „Errichtung der Diktatur des Proletariats“ haben.

  3. Piet, ich gebe ihnen weitgehend Recht, das nur vorweg.
     
    Aber: Es geht nicht darum, mit welchen Gruppen sich z.B. Frau Kahane vernetzt, es geht ausschließlich um die Empfänger von Zahlungen…
     
    Darüber hinaus bin ich eben *nicht* der Meinung, daß der Zweck (Bekämpfen von Rechtsextremismus) alle Mittel (Einbeziehung demokratiefeindlicher und gewalttätiger Linksextremisten) heiligt. Es gibt keine „guten“ Demokratiefeinde.
     
    Da an dieser Stelle gern das Argument kommt „aber irgendwer muß doch gegen die Nazis protestieren!“ – in meiner Heimatstadt hat gerade die Abgrenzung zur gewaltbereiten autonomen Szene dazu geführt, daß ein gaaaanz breites gesellschaftliches Bündniss gegen bevorstehende Aktionen protestiert:
    http://meilederdemokratie.wordpress.com/2011/01/15/meile-der-demokratie-begeistert-magdeburg/
    http://meilederdemokratie.wordpress.com/meile/liste-der-akteure/
     
     
     

  4. Piet, Klartext – sie wissen und ich weiß, daß im Kampf gegen Neonazis sehr oft mit Gruppen kooperiert wird, die ganz offen dieses Land und sein politisches System ablehnen. Ja, diese Gruppen bezeichnen sich als Antifaschisten – aber ist der Feind meines Feindes tatsächlich immer mein Freund!? Noch deutlicher: müssen linksextremistische Einrichtungen und Gruppierungen tatsächlich durch staatliche Gelder gefördert werden?
     

    • Dann aber isses doch Aufgabe des Staates, diesen Gruppen ihre Verfassungsfeindlichkeit nachzuweisen und ggf. ein Verbotsverfahren in die Wege zu leiten — nicht die eines kleinen Vereines, der dazu weder ausgebildetes Personal, noch adäquate Ressourcen hat.
       
      Klartext: Wenn ein Verein, der Opfer neonazistischer Gewalt betreut (Beratung institutioneller Art, Begleitung zu Ämtern oder in rechtlichen Fragen, etc.pp.), staatl. Zuwendungen erhält, die kaum ausreichen, ein kleines Büro und eine halbe Stelle zu finanzieren, sich mit anderen Gruppen vernetzt im Kampf gegen Neonazis (z.B. Demo-Vorbereitung Dresden, o.ä.), dann soll dieser kleine Verein eine Garantie abgeben, dass unter all den im Kampf gegen Neonazis Vereinten nicht einer dabei ist, der mit linksradikalen und/oder anarchistischen Gedanken sympathisiert? Schon rein praktisch — völlig unmöglich.
       
      Wir haben endlich eine Situation, in der die Notwendigkeit, sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren, auch in bürgerlichen Schichten ankommt und größeren Wiederhall findet (wenngleich noch immer viel zu wenig). Kampf gegen Rechtsextremismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und insofern ist es gut und richtig, dass nicht ausschließlich sich als links verstehende Gruppen sich beteiligen, sondern dass jeder Demokrat dies als seine Aufgabe empfindet. Deswegen habe ich es schon immer als ärgerlich empfunden, wenn in Bezug auf Nazi-Demos beispielsweise von „linken Gegendemonstranten“ gesprochen wurde anstelle von „demokratischen“, die auf ein anderes Selbstverständnis hinweisen.
       
      Dass sich darunter dann auch CDU-Wähler befinden, die ganz und gar nicht auf das Wohlwollen mancher linken Gruppen stoßen (abhängig von den favorisierten Faschismus-Theorien) und dass sich darunter auch radikal linke Gruppen befinden, die ihrerseits nicht das Wohlwollen bürgerlicher Demokraten finden, ist sicher richtig und wird bei der Organisation von z.B. Demos i.d.R. berücksichtigt. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, ein breites Spektrum im Kampf gegen rechts zu organisieren. Sich auseinanderzudividieren, das ist nix Neues, tun linke Gruppen schon zur Genüge und von ganz alleine. 😉 Abgesehen davon, führt der Begriff des Extremismus aber völlig in die irre: Sind es doch gerade die bürgerlichen (in der „demokratischen Mitte“ angesiedelten) Schichten, die sich gegenüber Minderheiten oft als intolerant und in dieser Hinsicht „extremistisch“ erweisen.
       
      Ich persönlich halte eine Spaltung der dringend notwendigen Kräfte im Kampf gegen Rechtsextremismus für kontraproduktiv, auch wenn ich nicht mit allem konform gehe, was der eine oder andere denkt (was sowohl auf manch Linken, aber auch auf manch Bürgerlichen zutrifft). Für völlig unrealistisch und im Übrigen undemokratisch und in Hinsicht auf das Bekämpfen von Rechtsextremismus sogar absolut schädlich halte ich aber eine solche abzugebende Garantie, übrigenz nicht nur im Kampf gegen rechts, sondern mit diesem Spitzel-Paragrafen schädlich für unsere Demokratie. Gut gemeint ist leider nicht immer auch gut gemacht.

    • „Piet, Klartext – sie wissen und ich weiß, daß im Kampf gegen Neonazis sehr oft mit Gruppen kooperiert wird, die ganz offen dieses Land und sein politisches System ablehnen.“

      Dieses „sehr oft“ ist völliger Quatsch! Die allermeisten Gruppen, die sich gegen Neonazis engagieren, sind ausgesprochen demokratsich gesinnt und stehen fest auf dem Boden des Grundgesetzes. Das heisst nicht, dass sie keine konkreten Verbesserungsideen für „dieses Land und sein politisches System“ haben. Aber solche Ideen zu haben ist politisch legitim.

      „Ja, diese Gruppen bezeichnen sich als Antifaschisten.“

      Stimmt – viele Gruppen, die sich gegen Neonazis engagieren, nennen sich Antifa. Aber auch hier gilt das oben geschriebene: die meisten dieser Gruppen stehen voll auf dem Boden des Grundgesetzes. In meinen Augen deutlich mehr als diese Frau Schröder, die als ‚PI-Freundin‘ noch nie Berührungsängste nach rechts aussen hatte.

      Wie schon von Piet geschrieben ist es ganz sicher nicht die Aufgabe von Bürgerrechts- und Antifa-Gruppen, „Hobby-„Verfassungsspitzelgruppen zu sein. Es würde – wenn den schon nötig – völlig ausreichen,die Gruppen ihre Verfassungstreue bestätigen zu lassen. Schliesslich müssen sogar auch deutsche Beamte ’nur‘ die eigene Verfassungstreu schwören und nicht geloben, täglich als Spitzel des Verfassungsschutz unterwegs zu sein.

      Ups .. hab ich jetzt der Bundesblockwärtin einen neuen Tipp gegeben? :-O

  5. Also ehrlich, ich verstehe es nicht – wieso ist es für Organisationen/Vereine die gegen Demokratiefeindlichkeit antreten derart schwierig, sich selbst zur Demokratie zu bekennen?
     
    Ich habe jedenfalls volles Verständniss dafür, daß staatliche Gelder nicht an Organisationen/Vereine fließen sollten, die ein Problem mit der Demokratie haben- ja, für die es schon problematisch zu sein scheint, sich zu der Demokratie zu bekennen, von der sie sich Fördergelder erhoffen!
     

    • «wieso ist es für Organisationen/Vereine die gegen Demokratiefeindlichkeit antreten derart schwierig, sich selbst zur Demokratie zu bekennen?»
       
      Genau das, willow, ist nicht das Problem. Aus dem obigen Schreiben: „1. Die Demokratieprojekte weigern sich keinesfalls sich zu den Zielen des Grundgesetzes zu bekennen – ganz im Gegenteil: Dies stellt den Inhalt ihrer Arbeit dar. Ein solches Bekenntnis ist in der Tat selbstverständlich. Dem kann ich nur zustimmen.“
       
      Ein Problem aber stellt dar, wenn dieses auch für etwaige eingeladene Referenten oder andere Personen/Organisationen, mit denen auf verschiedenen Ebenen zusammengearbeitet wird, sichergestellt werden soll. Zwar kann man erwarten, dass nicht mit verfassungsfeindlichen Organisationen oder Personen (soweit bekannt) zusammengearbeitet wird. Das ergibt sich schon aus oben Zitiertem, weil es den eigenen Zielen zuwiderlaufen würde. Im Einzelfall aber kann es nicht Aufgabe einer Organisation oder eines kleinen Vereins sein (diese bestehen ja oft nur aus wenigen Personen, die viel Arbeit und Engagement aufbringen, um die sehr notwendige Arbeit überhaupt leisten zu können), ihr viel zu knappes Budget und Personal zu verwenden, Aufgaben des Verfassungsschutzes zu übernehmen — und davon auch noch die Existenz (viel zu knappe Mittelzuteilung) abhängig zu machen.

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