In Jerusalem fällt die Mauer

2
97

Die „Mauer“ aus grauen Betonsegmenten verschandelt seit Ende 2000 die Landschaft in Jerusalem und anderswo entlang der Grenze zwischen Israel und den besetzten Gebieten. Im Jerusalemer Viertel Gilo, von den Palästinensern auch „Siedlung“ bezeichnet, wird jetzt ein erstes 800 Meter langes Teilstück der Mauer von Pionieren der israelischen Armee zurückgebaut, durchnummeriert und „für alle Fälle“ eingelagert…

von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 18. August 2010

Die ersten Mauern wurden kurz nach Ausbruch der El Aksa Intifada im Süden Jerusalems errichtet. Es handelt sich um etwa 3 Meter hohe Betonsegmente, vorgefertigte Mauern mit einem breiten Sockel, der „Berliner Mauer“ nachempfunden.
Palästinenserpräsident Jassir Arafat ersann die Taktik, das Jerusalemer Viertels Gilo von der friedlichen, wohlhabenden und überwiegend christlichen Ortschaft Beth Dschallah aus beschießen zu lassen. Pünktlich zu Beginn der Fernsehnachrichten um 20 Uhr, als auf der israelischen Seite die TV-Übertragungswagen bereit standen, positionierten sich schwerbewaffnete Beduinen zwischen christliche Villen und wohltätige, von der EU finanzierte Einrichtungen. Die Beduinen beschossen mit schweren Maschinengewehren das israelische Wohnviertel auf dem Hügel gegenüber. Nachdem die ersten israelischen Bürger in ihren Wohnungen oder auf der Straße getroffen worden waren, behalfen sie sich mit Sandsäcken und Stahlplatten vor ihren Fenstern. Bereitstehende israelische Panzer orteten die Quelle des palästinensischen Feuers und schossen zurück. Doch die Beduinen waren auf ihren Motorrädern längst verschwunden, sodass die israelischen Granaten christliche Villen und kirchliche Einrichtungen trafen. Der Vatikan und der amerikanische Präsident protestierten. Arafat erfreute sich des internationalen Drucks auf Israel. Es hätte wohl kaum solchen diplomatischen Druck und Interesse der Presse gegeben, wenn der palästinensische Beschuss von einem unbekannten muslimischen Dorf ausgegangen wäre. Der Spuk endete erst, als die Israelis die Sichtblenden aus Beton errichteten, Schulhöfe einmauerten und keine Zivilisten mehr getroffen werden konnten.

Im Laufe der Zeit wurde diese Mauer, ähnlich der Berliner Mauer, von Künstlern und Kindern bunt gestaltet. Einige malten die nun versteckte Landschaft hinter der Mauer auf den grauen Beton.

Nach mehreren Jahren Ruhe hat das Militär jetzt beschlossen, die Mauer abzubauen und einzumotten. Innerhalb von Minuten hebt ein Kranwagen zwei Segmente auf einmal mit einer Kette auf einen Sattelschlepper. Innerhalb von drei Tagen sind schon 500 Meter Mauer spurlos verschwunden. „Endlich ist das Schandmal wieder weg“, sagt ein Mann. „Jerusalem wird um eine Touristenattraktion ärmer“, meint ein Schweizer Reiseleiter, der seine Gruppen dorthin führte, um den Konflikt zu erklären. „Ich war so froh um die Mauer. Sie ersparte mir den Anblick dieser schrecklichen Araber“, geifert eine ältere Frau ohne Scham, ihre rassistische Einstellung zur Schau zu stellen. „Und was machen wir, wenn wieder geschossen wird?“ fragt eine junge Frau mit einem Baby auf dem Arm. Ein Soldat beruhigt sie: „Dann können wir die Mauer jederzeit ganz schnell wieder herbringen.“ Während Israel zunächst Schutzmauern am Rand jüdischer Viertel errichtete, um seine Bürger zu schützen, ging die Regierung unter Ariel Scharon ab 2003 dazu über, fast 10 Meter hohe Mauern als Sicht- und Schussblenden den Palästinensern vor die Nase zu setzen. Erst dann setzten palästinensische und internationale Empörung über die Höhe, die Hässlichkeit und den Verlauf der Mauer ein, die gegen Menschenrechte der Palästinenser verstoße.

Jedes Mauersegment, dessen Zement Fabriken des ehemaligen palästinensischen Ministerpräsidenten Ahmad Qureia anlieferten, ist mit Ösen aus Stahl versehen. Eines Tages könnte auch die berühmtere große „Mauer“ genauso schnell wieder abgebaut werden, wie jetzt die Schutzmauer im Viertel Gilo.

Dank einer spürbaren Beruhigung im Westjordanland sind in den vergangenen Monaten schon unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die meisten Straßensperren innerhalb der besetzten Gebiete verschwunden.

© Ulrich W. Sahm, haGalil.com

Siehe auch Video v. R.C. Schneider.

2 Kommentare

  1. Der auch hier angepriesene Abriss der Mauer war nur innerhalb der Siedlung Gilo.

    Gilo ist kein Stadtteil von Jerusalem. Das Gebiet, auf dem Gilo gebaut wurde, gehört de jure zu dem Bezirk Bethlehem. Wer Gilo als Teil Jerusalems anerkennt, legitimiert die einseitige Erweiterung der Grenzen Jerusalems und die Annexion palästinensischen Landes. Handlungen, die nach dem Völkerrecht illegal sind.

    Gilo wurde auf palästinensischem Land gebaut, das Israel im Juni 1967 besetzte. Drei Jahre später annektierte die damalige Regierung Flächen der Kleinstädte Beit Jala, Beit Safafa und Sharafat, um dort 1971 mit dem Bau der Siedlung als Teil eines Wehrgürtels und Gross-Jerusalem zu beginnen. Zwecks weiterer Expandierung wurden immer weitere Flächen, die den Gemeinden Beit Jala und Beit Safafa gehörten, enteignet.

    Durch die Siedlung Gilo blockiert Israel Entwicklungen und Erweiterung an den Stadtgrenzen Beit Jalas, Beit Safafas und Sharafats. Der inzwischen geschlossene Wehrgürtel bestehend aus weiteren Siedlungen, die Ost-Jerusalem von der restlichen Westbank, einschließlich Bethlehem, trennen.

    Die palästinensischen Vorschläge sahen daher offene Grenzen in einer gemeinsamen Region Jerusalem / Al Quds vor. Hier sollten palästinensische und israelische Stadtviertel gemeinsam von einer Munizipalverwaltung die Gesamtstadt mit je eigener Souveränität verwalten. Arafats Vorschläge wurden damals abgelehnt, können aber jederzeit umgesetzt werden, wenn Israel anerkennt, das es widerrechtlich Land annektiert hat und dafür entsprechende gleichwertige Ausgleichsgebiete anbieten muss. Die weitere Besiedlung und Enteignung muss zu Beginn der Verhandlungen gestoppt werden. Das ist leider noch nicht geschehen, ebenso wie die Enteignung überhaupt geleugnet wird.

    Sollte Israel aber eine Zwei-Staatenlösung ablehnen, wird es sich mit der Gleichberechtigung der Bevölkerung der annektierten Gebiete abfinden müssen, so wie Arafat die bürgerliche Gleichberechtigung der Siedler die unter Palästinensischer Hoheit hätten bleiben wollen, angeboten hat.

    Eine Zwei-Staatenlösung wird es nicht unterhalb der von Arafat bereits vorgeschlagenen Teilungsbedingungen, basierend auf der Linie von 1967, geben. Arafat konnte seinen Wählern keine Teilung unter 22% des ehemaligen „Palestine“ anbieten. Leider hat sich keine israelische Regierung gefunden, die ihrerseits bereit war der jüdischen Bevölkerung eine Teilung auf dieser Basis, 78 : 22, zu empfehlen. Da Arafat also mit seinem Vorschlag, der nach Meinung der meisten Palästinenser wirklich an der äußersten Schmerzgrenze lag, kein israelisches Entgegenkommen und noch nicht einmal Verhandlungen unter gleichberechtigten Partnern erreichen konnte wandten sich viele der Hamas zu, zumal es sogar schien als richte sich Arafats Fatah mit Korruption und israelischer Verwaltung ganz gut ein.

Kommentarfunktion ist geschlossen.