Deutscher Altar in Jerusalem „wiederentdeckt“

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Der Altar der vor hundert Jahren im Jerusalemer „Syrischen Waisenhauses“ von dem deutsch-schweizerischen Missionar Johann Ludwig Schneller im heutigen Westjerusalem errichteten Kirche wurde „wiederentdeckt“. Vor einer Woche wurde er in einer geheimen Operation zerlegt und zur Auguste Victoria Himmelfahrtskirche auf dem Ölberg gebracht…

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 27. Juli 2010

Der Schneller-Komplex war einst Teil einer blühenden deutsch-protestantischen Gemeinde westlich des sich inzwischen schnell ausbreitenden jüdisch-orthodoxen Viertels Mea Schearim. Der Schneller-Komplex, in dem es Anfang des vorigen Jahrhunderts neben dem Waisenhaus auch ein Krankenhaus und eine Ziegelei gab, wurde während des Zweiten Weltkriegs von den in Palästina herrschenden Briten konfisziert. Gleichzeitig wurden fast alle Deutsche, viele von ihnen württembergische Templer, von den Briten des Landes verwiesen und nach Australien deportiert. In Jaffo, Jerusalem und Haifa hatten sich viele dieser Deutschen der NSDAP angeschlossen und mit Hakenkreuzflaggen demonstriert.

Die Briten „eroberten“ den riesigen Schneller-Komplex mitsamt einer Kirche. Nach 1948 „erbte“ das israelische Militär das Gelände und richtete dort den „Stadtoffizier“ ein. Tausende jüdische Soldaten passierten das altertümliche Tor mit Zwiebeltürmchen und der deutschen Aufschrift „Herr Jesu, lieber Heiland, erbarm Dich unser“ über dem Eingang des Hauptgebäudes, um sich beim Militär anzumelden oder Krankenscheine abzuholen. Die historischen Gebäude verrotteten. Der riesige Kirchraum wurde zunächst in eine Handball-Halle verwandelt, bis die Verkleidung des Daches abstürzte.


Lauschige deutsche Stimmung in Schneller in Jerusalem

Im vergangenen Oktober erhielt der deutsche Propst Uwe Gräbe an der lutherischen Erlöserkirche in der Altstadt Jerusalems vom Architekten Gil Gordon eine Führung durch das Gelände und „entdeckte“ zwischen Bergen von Müll und Taubendreck in dem ehemaligen Kirchensaal an der Stelle des Altars eine Holzkiste.


Die Holzkiste mit dem versteckten Altar

Die Israelis erlaubten 1951 dem Lutherischen Weltbund, innerhalb von 48 Stunden alle noch verbliebenen christliche Objekte aus dem inzwischen zu einem Militärlager umfunktionierten Gelände zu entfernen. So gelangten nach Angaben von Gräbe die Bänke, Kirchenfenster, Glocken und sogar die Orgel zur Kapelle der Schneller-Schule in der jordanischen Hauptstadt Amman. Nur der Altar konnte wohl nicht bewegt werden, oder aber er wurde übersehen, weil er schon in einem Holzkasten „verpackt“ worden war.

Gräbe vermutete zurecht, dass sich in dem Holzkasten der Altar versteckte. Mit Einwilligung der Jerusalemer Stadtverwaltung wurde die Holzkiste abgebaut. Darunter kam der Altar aus weißem Marmor zum Vorschein. „Für uns ist Gott durch sein Wort gegenwärtig. Als Zeichen dafür legen wir eine aufgeschlagene Bibel auf den Altar“, sagte Gräbe zu Haaretz über das  „letzte Zeugnis eines christlichen Rituals im Schneller-Gelände“. Der Altar war mit geometrischen Mosaiken aus blauen und vergoldeten Steinchen geschmückt. In der Mitte war ein rundes Mosaik mit Kreuz eingelassen, wie man noch auf historischen Fotos erkennen kann. Dieses Mosaik ist allerdings völlig zerstört. Die fertigen Mosaikleisten wurden vor hundert Jahren in Berlin angefertigt und nach Jerusalem geschickt, erzählt Gordon. „Israelische Soldaten haben mutwillig viele Mosaiksteine rausgepult, denn was übrig blieb, ist bombenfest mit dem Marmor verklebt“, sagte Gräbe. Der Architekt Gil Gordon vermutet jedoch, dass schon die Briten den Altar mit Holzplanken schützend eingehüllt haben, als die Kirche in einen Speisesaal umfunktioniert worden war, also vor der Übernahme der Kirche durch israelisches Militär.

Der Altar wurde zu der Auguste Victoria Kirche auf dem Ölberg gebracht und im linken Kirchenschiff aufgestellt, unter einer Statue des Moses mit den Gesetzestafeln und neben einem Kirchenfenster mit dem Wappen des „Frh. v. Gayl“. Wilhelm Moritz Egon Freiherr von Gayl nahm 1919 für Ostpreußen an den Friedensverhandlungen zum Versailler Vertrag teil. 1932 amtierte er als Reichsinnenminister in der von Reichskanzler Franz von Papen geführten Regierung.


Auguste Victoria Himmelfahrtskirche

Entsprechend einer Bedingung der Jerusalemer Stadtverwaltung wurde neben dem wiedererrichteten Altar ein Schild angebracht: „Der Altar des Syrischen Waisenhauses, Schnellersche Anstalten, Jerusalem 1910“.

Im Rahmen der Luxemburger Abkommen, in denen die Bundesrepublik und Israel die Wiedergutmachungszahlungen ausgehandelt hatten, wurde der deutsche Besitz in Israel dem jüdischen Staat übertragen, darunter auch das Schneller-Gelände mitsamt seinen historischen Gebäuden. Israel zahlte dafür „Wiedergutmachung“ an Deutschland.

Inzwischen sind acht Gebäude auf dem Schneller-Gelände unter Denkmalschutz gestellt worden, während einige irreparabel verfallen sind, darunter die Dampfziegelei. Das Militär ist ausgezogen und es ist geplant, auf dem Gelände Wohnhäuser und Synagogen für die ultraorthodoxe Bevölkerung in der Gegend zu errichten. Versuche, Investoren für das Hauptgebäude zu finden, um es zu renovieren und einem öffentlichen Zweck zuzuführen, sind bisher fehlgeschlagen, „weil niemand Geld investieren will in ein Gebiet, das auf vier Seiten von ultraorthodoxen Juden umgeben ist“, sagte Gräbe.

Gräbe sagte, dass er die Presse von der Aktion nicht informiert habe. Ein Reporter der Zeitung Haaretz, die in großer Aufmachung mit vielen Fotos von dem Umzug des Altars am Montag berichtete, sei wohl von anderen Stellen informiert worden. Der Fund des Altars wurde geheim gehalten, während die Lutheraner und die Stadtverwaltung dessen Verlegung aushandelten, berichtete Haaretz. Im November soll der Altar nach Angaben der israelischen Zeitung neu geweiht werden.

© Ulrich W. Sahm, haGalil.com