Nationalismus ist heilbar: Kleine Wunder in Athen

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Stavros betreibt einen kleinen Laden in einer mehr als ruhigen Straße von Athen. Das heißt eigentlich besteht seine Tätigkeit daraus, morgens einen Tisch mit vier Stühlen vor den Laden zustellen, um zusammen mit seinen drei Freunden dem Tag beim Verstreichen zuzusehen. Mit gespieltem Interesse nehmen sie das emsige Treiben der Chinesen zur Kenntnis, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen kleinen Laden umbauen oder empören sich, weshalb ausgerechnet in ihrer kleinen Straße ein Denkmal für die »Interkulturelle Solidarität« gebaut werden soll…

Was tun, wenn einem nur der Nationalstolz bleibt?

Doch als eines Tages ein Mann namens Marenglen (was die Zusammenziehung von »Marx, Engels, Lenin« ist) auftaucht und Stavros’ betagte und demente Mutter in ihm ihren lang verlorenen Sohn wiederzuerkennen glaubt, gerät Stavros Leben aus dem Gleichgewicht. Irritierend, dass seine Mutter plötzlich albanisch kann.

Eine wundervoll warmherzige Komödie um einen alternden Kioskbesitzer, der seine Identität verliert und dafür einen Bruder gewinnt. Ein Meisterwerk des skurrilen Humors und ganz nebenbei, so meint der Verleih, eine ausgesprochen gelungene Einführung in die griechische Ökonomie. Darüber kann man natürlich streiten, aber erst sollte man den Film gesehen haben.

Hier schon mal die Geschichte:

Es herrschten schon bessere Zeiten in Griechenland. Das gilt auch für das Leben des Kioskbetreibers Stavros (Antonis Kafetzopoulos). Er leidet an Schlaflosigkeit, seine Frau hat ihn verlassen und seine Mutter (Titika Saringouli) lebt nach einem Schlaganfall in einem Dämmerzustand. Liebevoll kümmert sich der bullige Mann um die betagte Dame, auch wenn er dafür meist nur abwesende Blicke erntet oder (die Mutter ist eine große Anhängerin türkischer Seifenopern) als Salih oder Remzi angesprochen wird.

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Halt geben Stavros seine drei Kumpels, Ladenbesitzer wie er selbst. Akadimia Platonos heißt der Stadtteil, in dem ihre Geschäfte angesiedelt sind, benannt nach der Akademie des Philosophen Platon. Doch mit dem klassischen Athen und seiner Säulenpracht hat dieser kleine Platz in der Altstadt nichts gemein. Kunden gibt es hier nur wenige, und dementsprechend schlecht laufen die Geschäfte. Der Arbeitsalltag der Männer beschränkt sich darauf, jeden morgen einen Tisch und vier Stühle vor Stavros Laden aufzubauen, über Rockmusik zu fachsimpeln und dem Leben zuzuschauen. Mit gespieltem Interesse nehmen sie das emsige Treiben der Chinesen zur Kenntnis, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen kleinen Laden umbauen, oder machen sich über die albanischen Gastarbeiter lustig, die jene Arbeiten übernehmen, für die sich Griechen zu schade sind. Einer von Stavros Kollegen hat sich einen Hund namens ‚Patriot‘ zugelegt und behauptet, das Tier würde nur Albaner anbellen, aufrechte Griechen jedoch in Frieden lassen. Stavros wettet dagegen – und wird prompt mit einem heiseren Kläffen begrüßt.

Eines Tages kommt Marenglen (Anastasis Kozdine) an ihrem Laden vorbei. Marenglen, was die Zusammensetzung von Marx, Engels und Lenin ist, ist Albaner. Doch bei seinem Anblick erwacht Stavros Mutter aus ihrer Versteinerung. Sie glaubt, ihren verschollenen Sohn wiederzuerkennen. Stavros hat plötzlich einen Bruder, einen Albaner zu allem Überfl uss. Hat seine Mutter ihn über ihre Herkunft belogen? Zwischen Verblüffung und ohnmächtiger Wut schwankend, muss er erleben, wie die Mutter den Hinterwälder aus den albanischen Bergen bekocht und umsorgt. Die alte Dame blüht spürbar auf und beginnt, wie ein Wasserfall zu reden – in fließendem Albanisch, von dem Stavros nicht ein Wort versteht. Das ist dann doch zu viel für Stavros. Erst beschließt die Stadt, auf dem Platz ein Denkmal der interkulturellen Solidarität zu errichten, genau dort, wo Stavros mit seinen Kumpels Fußball zu spielen pflegt. Der Bau wird, natürlich, von albanischen Arbeitern ausgeführt. Stavros und seine Freunde reagieren darauf mit typisch hellenischer Widerborstigkeit: Tagsüber sehen sie den Bauarbeiten zu und bespötteln die Arbeitsmoral der Arbeiter, nachts reißen sie die Baufortschritte wieder ein.

Schwerer aber wirkt, dass seine Kumpels allmählich Stavros Identität in Frage stellen. Haben sie die Geschichte vom verlorenen Sohn zunächst noch der Senilität der Mutter zugerechnet, häufen sich nun die Indizien: War da nicht der Hund, der Stavros anbellte? Spricht seine Mutter nicht perfektes Albanisch? Ist Stavros Verhalten beim Anschauen des Länderspiels zwischen Griechenland und Albanien nicht höchst verdächtig? Es kommt zum Streit. Am nächsten Morgen sitzt Stavros allein vor seinem Laden. Die Kollegen haben ein paar Meter weiter ihre eigene Sitzbank aufgestellt, und man tauscht feindselige Blicke.

Am Tag darauf findet Stavros seine Mutter tot in ihrem Bett. Er lädt Marenglen zur Beerdigung ein, und auch die einstigen Kumpels schließen sich an. Auf dem Friedhof vergleichen sie die verblichenen Fotos der Mutter, die Stavros und Marenglen bei sich tragen. Man stellt fest, dass die Ähnlichkeit der beiden Aufnahmen nicht gar so groß ist. Und auch Marenglen ist sich plötzlich nicht mehr sicher: Hat er die Mutter gefunden, von der in frühester Kindheit getrennt wurde – oder wollte er das nur glauben?
Stavros widerstreitende Gefühle brechen endlich hervor, Grabschmuck und böse Worte fliegen durch die Luft. Doch der anschließende Umtrunk zu Ehren der Verstorbenen führt zu einer alkoholschwangeren Versöhnung der beiden Männer.
Am nächsten Morgen schließt Stavros wie stets seinen Laden auf. Die drei Kumpels sehen ihm zu, beraten sich flüsternd und dann, als wäre nichts geschehen, setzten sie sich wortlos zu ihm. Die Männer nehmen ihren Alltag wieder auf und es scheint, dass auf der Akadimia Platonos die Dinge ihren alten, lakonischen Gang nehmen, und auch das Denkmal interkultureller Solidarität ist beinahe fertig gestellt.

Was sagt der Regisseur?

Stavros ist ein 50-jähriger Kioskbesitzer. Seine Frau hat ihn vor langer Zeit verlassen, außerdem trägt er die schwere Bürde, seine alte Mutter pflegen zu müssen. Mehr gibt es zu Stavros‘ Leben nicht zu sagen.
Den ganzen Tag sitzt er mit seinen Freunden, die ebenfalls Tabakhändler sind, vor seinem Laden. Und sie tun nichts. Anders gesagt: Stavros‘ Leben besteht aus nichts. Ein schädliches Leben an einem schädlichen Ort. Wie viele Tabakverkäufer kann ein kleiner und ruhiger Platz überhaupt vertragen? Vor allem aber sind alle drei Tabakhändler Griechen. Und das ist mehr als genug für sie, um sich besonders zu fühlen. Sie müssen gar nichts ändern – sie sind ja Griechen.
Infiziert mit der Krankheit ihres Nationalstolzes sitzen sie vor ihren Läden und beobachten, wie sich das Leben verändert. Sie machen Witze über die chinesischen Besucher, die jeden Tag mehr und mehr werden oder über die albanischen Arbeiter, die an ihnen vorbei gehen.

Dennoch: Stavros ist ruhelos. Besorgt. Unzufrieden. Nachts kann er nicht schlafen. Irgendetwas stimmt nicht mit seinem Leben, aber er ist unfähig zu verstehen, was oder warum. Irgendetwas stimmt nicht – irgendetwas stimmt nicht – aber was?! Was könnte falsch laufen?