Israels Wahl: Frieden machen oder verschwinden

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Der Studentenrat der Berkeley-Universität in Kalifornien verabschiedete kürzlich eine Resolution, die zum Divestment von Israel aufrief. Prof. Judith Butler, die feministische Theoretikerin erläuterte dem begeisterten Publikum ihre neue „jüdische“ Vision, die dazu aufruft, auf den Staat Israel zu verzichten…

Tzvia GREENFIELD צביה גרינפלד

Auf diese Weise drücken die intellektuellen Eliten abermals ihren starken Glauben an das theologische Prinzip aus, dessen Grundlage die Opposition gegen die westliche Kultur ist. Für diese Intellektuellen symbolisiert der palästinensische Kampf gegen Israel den heroischen Aufstand der Zurückgewiesenen und Unterdrückten gegen den Eroberer, der sie ihrer Menschlichkeit und ihres historischen Narratives beraubt hat. In dieser mythologischen und theologischen Arena besteht keine Chance, eine vernünftige auf Fakten gegründete Debatte zu führen.

Israel als den schlimmsten Vertreter des westlichen Kolonialismus zu sehen, ist besonders paradox angesichts der winzigen Größe des jüdischen Volkes und Europas bösartiger anti-jüdischen Geschichte. Weder Russlands Kontrolle über die Tschetschenen, noch irischer Groll gegen die Briten, noch der Groll der Basken gegen die Spanier hat so viel scharfe Kritik hervorgerufen wie Israel. Vielleicht weil es nicht viel Sinn hat, sich mit Russland anzulegen, während Großbritannien und Spanien ihren Minderheiten demokratische Gleichheit und die vollen bürgerlichen Rechte anbieten.

Dagegen kontrolliert Israel die Palästinenser und ihre Gebiete weiter mit Gewalt und, um seine jüdische Identität aufrechtzuerhalten, hat es überhaupt nicht die Absicht, ihnen die gleichen Rechte zu gewähren. Man muss kein kritischer Intellektueller sein, um zu verstehen, dass dieser innere Widerspruch in einem Staat, der sich selbst als fortschrittlich, westlich und demokratisch betrachtet, unhaltbar ist.

Als Lösung gibt es nur zwei Optionen: entweder sich aus der ganzen Westbank zurückzuziehen und einen unabhängigen Staat für die Palästinenser zu errichten oder jedem, der unter israelischer Kontrolle lebt – Palästinensern wie Juden – die vollen Rechte zu gewähren. In diesem Fall wird Israel natürlich seine zionistische Identität als Staat des jüdischen Volkes verlieren. Und falls es für Palästinenser und Juden möglich sein sollte, nach 100 Jahren Hass zusammen zu leben, werden die jüdischen Bewohner Palästinas zu einer unbedeutenden Minderheit werden, die von der Gnade von Millionen muslimischer Araber rund herum abhängig ist.

Eine Entwicklung dieser Art, die das zionistische Projekt zerstören würde, würde die meisten jüdischen Bewohner des früheren Israel dazu bringen, ihr Land zu verlassen und für sich auf individueller Basis eine neue Lösung suchen – in der Hoffnung natürlich, dass das, was sich vor dem Holocaust ereignete, nicht noch einmal wiederholen werde, und dass die Millionen neuer jüdischer Flüchtlinge in der Lage sein werden, in den demokratischen Ländern des Westens für sich einen sicheren Hafen zu finden. Ein erschreckendes Szenarium wie dieses würde das ganze jüdische Volk zurück in die historische Situation der Schwäche und ungerechter Behandlung bringen. Man kann sich kaum vorstellen, dass dies ohne einen gewaltigen Umbruch geschieht.

Noch eine andere erschreckende Möglichkeit ist natürlich, dass Israel bewusst auf seine Definition als einer westlichen Demokratie verzichtet. Es würde dann nach und nach zu einer Diktatur werden, die sich als jüdisch definiert. Es würde weiter Waffengewalt benützen, um seine Kontrolle über alle Gebiete westlich des Jordan auszuüben und würde den Palästinensern das Recht auf Freiheit und Gleichheit weiterhin verweigern. Eine Möglichkeit dieser Art würde Israel als modernen Staat zerstören und dementsprechend auch seine Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen und eine sichere, blühende Gesellschaft des 21. Jahrhundert zu entwickeln.

Auch in diesem Fall wird der größte Teil der Intelligenz des Landes und aller Leute mit Initiative das Land verlassen. Israel würde mit seiner religiösen Bevölkerung und seinen Ultra-Rechten (Siedler ua.) zurückbleiben. Einige werden es verteidigen können, aber die meisten haben nicht die Fähigkeiten für Entwicklung auf hohem Niveau oder für Management. Die israelisch-jüdische Diktatur würde auf diese Weise unter substantieller Schwäche leiden, was schließlich zu einer Niederlage durch seine muslimischen Feinde führen würde.

Es ist traurig, wenn man daran denkt, dass dieser Prozess anscheinend schon begonnen hat. Der Kollaps der Erziehung und höheren Bildung, zusammen mit der politischen Korruption und dem enormen Wachstums jenes Sektors, der nicht bereit ist, die soziale, wirtschaftliche und militärische Bürde zu teilen, ermutigt die begabteren und fleißigeren Israelis, das sinkende jüdische Schiff zu verlassen.

Israel als Land zu behandeln, das die Inkarnation des Bösen verkörpert, drückt tatsächlich eine neue und hässliche Verkörperung des traditionellen Antisemitismus aus, der die Juden schon immer als Vertreter aller Übel der Welt ansah; die Wahrheit ist ganz einfach, aber schwierig zu sehen. Ein Israel, das nicht will, dass die palästinensische Situation gelöst wird, hat praktisch seinen eigenen unaufhaltsamen Tod verkündet und zwar über eine allmähliche Zerstörung der Ressourcen von Wissen und Talenten, die es bis jetzt befähigten, sich zu entwickeln und zu verteidigen. Um Israel zu retten, müssen wir uns so schnell wie möglich von den besetzten Gebieten und seinen Bewohnern trennen.

Quelle: Israel’s choice: Make peace or disappear (Haaretz, 30.4.2010)

Tzvia Greenfield war bis vor Kurzem Mitglied der Knesset für Meretz-Jachad. Sie war die erste weibliche ultraorthodoxe Knesset-Abgeordnete.
Sie wurde 1945 in Jerusalem (Palästina) geboren und wuchs in einer ultraorthodoxen Familie auf und besuchte die Bet-Ja’akov-Schulen. Sie erwarb einen Master in Philosophie und Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem und wurde später in politischer Philosophie promoviert.
2006 entschied sie sich für eine politische Karriere. Sie wurde auf den sechsten Platz der Meretz-Liste für die 17. Knesset gewählt. Die Meretz erhielt bei der Wahl 2006 nur fünf Sitze. Am 4. November 2008 löste sie Jossi Beilin, der sich aus der Politik zurückziehen wollte, ab und wurde die erste ultraorthodoxe Frau in der Knesset. Vor den Wahlen 2009 gewann sie wieder den sechsten Platz auf der Meretz-Liste, konnte aber nicht wieder in die Knesset einziehen, da ihre Partei bei der Wahl im Februar 2009 nur noch 3 Sitze erhielt.
Übersetzt von Ellen Rohlfs / Einar Schlereth, beide sind Mitglieder von Tlaxcala, dem internationalen Übersetzernetzwerk für sprachliche Vielfalt.

5 Kommentare

  1. Natürlich wird keine „Macht der Welt“ Israel auflösen — die Einen, die es gern wollen, können das nicht; und die Anderen die es könnten, wollen das nicht.

    Gott hat dieses Land seinem Knecht ( nicht Sohn ) Abraham gegeben – und damit auch dessen Söhne Isaak, Jakob und deren Nachkommen. OK. Aus der biblischen Geschichte ( AT ) geht aber hervor, daß ER, Gott, die bisherigen Einwohner des Landes nicht verjagen wollte; im Gegenteil. Gott hat immer wieder ( z.B. auch durch seinen Knecht Mose ) verlangt, daß der Fremdling im Land wohnen und leben sollte, wie die Kinder Israel auch. Und ER ( gelobt sei ER dafür insbesondere ) hat sogar „Freiheitsjahre“ ( Halljahre) eingesetzt, die den Sklaven und Fremdlingen Gutes in jeglichem Sinne bringen sollten. Also : Besitz ja, aber alleiniger Besitz nein.

    Die Weltbevölkerung – so sie denn jüdisch oder christlich orientiert ist, – weiß das sehr wohl.

    Schlußendlich: Israel ist von Gott her geradezu verpflichtet, sich um Frieden zu bemühen und dem ( Halbbruder ) Ismael bzw. dem Isaak-Zwilling Esau die Versöhnungshand zu reichen — siehe hierzu die jüdische Geschichte, wie sie im AT (THORA) dargestellt ist. In diesem Zusammenhang die Frage: „Warum eigentlich wurde Israel aus dem ( gelobten ) Land Abrahams und dessen Nachkommen mehrfach vertrieben oder – wenn man so will – warum ließ Gott dieses zu ???

    Zusatzfrage an @ Cleopatra: Wen meinst Du mit „Erstgeborenem Sohn“ ??? – Nach dem „Neuen Testament“ ist das nur einer………………………………………………………………………………………………………………….Jesus von Nazareth ein Jude von Erziehung und Glaube her, aber ein Mensch mit höherer, göttlicher Erkenntnis.

  2. Israel auflösen, wie soll das gehen? Der Ewige hat Abraham und seinen Nachkommen aus Isaak und Jakob dieses ganze Land als Besitz gegeben. Es wäre an der Zeit, dass die ganzen Völker die gesamte Weltbevölkerung es kapieren und respektieren lernen! Ich vertraue auf den Ewigen, dass ER seinem Volk seinem erstgeborenen Sohn das Land geben wird. ER hat vorausgesagt, dass „Israel ein Taumelbecher“ für die Nationen sein wird, aber sie werden sich die Zähne daran ausbeißen!

  3. „Noch eine andere erschreckende Möglichkeit ist natürlich, dass Israel bewusst auf seine Definition als einer westlichen Demokratie verzichtet. Es würde dann nach und nach zu einer Diktatur werden, die sich als jüdisch definiert. Es würde weiter Waffengewalt benützen, um seine Kontrolle über alle Gebiete westlich des Jordan auszuüben und würde den Palästinensern das Recht auf Freiheit und Gleichheit weiterhin verweigern. Eine Möglichkeit dieser Art würde Israel als modernen Staat zerstören und dementsprechend auch seine Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen und eine sichere, blühende Gesellschaft des 21. Jahrhundert zu entwickeln.“

    Das Risiko erscheint ausgesprochen real. Ja es stellt sich die Frage, ob im Land noch die Kraft besteht, diese schleichende Transformation aufzuhalten.

    Man fragt sich schon jetzt zunehmend, ob man Israel noch mit den moralischen Ansprüchen an eine Demokratie westlichen Zuschnittes oder eher mit den moralischen Ansprüchen an eine x-beliebige, rassistische Diktatur bewerten soll.

  4. „Um Israel zu retten, müssen wir uns so schnell wie möglich von den besetzten Gebieten und seinen Bewohnern trennen.“

    Soweit ich weiss halten grosse Teile der Weltbevölkerung ganz Israel für eine einzige grosse Besatzungszone,gut das ich kein „kritischer Intelektueller“ bin,der deren Auflösung anstrebt.Hätte ich nur die Möglichkeit,ich würde möglichst schnell nach Israel einwandern,dann müsste ich mich hier nicht mehr mit Leuten rumschlagen,die allen ernstes glauben das Israel in Gaza Menschen verhungern lässt(ganz nebenbei frage ich mich wer den Leuten sowas glaubhaft macht).

  5. Israel auflösen = indiskutabel.
    Wie oft dient Israel als Projektionsfläche für niedere Emotionen bzw. kollektive Wahnvorstellungen (vergl. Adorno, Fromm, Richter u.a.). Negative Schlagzeilen aus Israel werden von einigen um ein vielfaches höher gewichtet wie woanders. Der Gehängte irgendwo in einer Diktatur – naja ist eben passiert, hat sich halt nicht integriert, aber ein Gehängter in Israel, ja das wäre was. Und….es hört doch nicht auf, wenn die Bürger Israel verlassen würden und sich versuchen würden in einige Gesellschaften besonders Europa wo es in bestimmten Regionen an jeder Strassenecke wie nach einem Waldbrand „geistig“ immer noch vor sich hin „kokelt“ (vergl. akt. polit. Entwicklungen, Ausgrenzung Minderheiten usw.), zu integrieren. So zumindest meine Meinung.

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