Wenn Du Blumen liebst …

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Eine Erinnerung an Ruth Hadassah Herz…

Von Ramona Ambs

Mein Bruder, mein geliebter Rafael,                        13.3.38

Ich habe mich über den Brief gefreut, den Du mir geschrieben hast. Ich werde dafür sorgen, dass Du alles erhälst, was Du Dir von mir gewünscht hast. Wenn Du Blumen liebst, schicke ich Dir Samen, um Blumen zu säen. Auf den kleinen Tüten ist geschrieben, wie Du die Samen säen musst. (…) Ich hoffe, dass wir bald zu Euch kommen, kann Dir jedoch nicht sagen, wann dies sein wird. Wenn ich in Jerusalem bin, werden wir gemeinsam zur Nathan-Schule gehen.

Deine Schwester Ruth Hadassah, die Dich von ganzem Herzen liebt.

So lautet einer der ersten Briefe von Ruth, die man in den Bonner Geschichtsblättern Band 51/52, einer regelmäßigen Publikation des Bonner Heimat- und Geschichtsvereins, finden kann. Ruth, die gerade mal 13-jährige Absenderin des Briefes, hofft zu diesem Zeitpunkt noch mit ihren Eltern zur restlichen Familie nach Palästina auswandern zu können. Fleißig lernt sie deshalb hebräisch. Vier Jahre später schreibt sie :

Mein lieber Onkel Theo!                                  Bonn, den 22.2.1942

Wie sehr wir uns alle über Deine Post freuen, kannst Du Dir ja denken. Diese Woche bekamen wir 2 Karten und einen Brief. (…) Vor acht Monaten kamen wir hierhin und haben wir ein kleines Zimmer indem wir drei alleine wohnen. Wir haben es uns so gemütlich gemacht, wie es eben ging. Das Zimmer ist 4 m im Durchmesser, es stehen 2 Betten, eine Couch, ein Schrank, ein Tisch, 2 Stühle und ein Herd drin. (…) Wir sind hier zu 400 Personen. Alle alten Leute über 70 sind in die Altenheime nach Köln gekommen. Oma Herz ist im orthodoxen Heim untergebracht. (…) Und so arbeite ich jetzt schon 6 Monate in einer Wandplattenfabrik in Witterschlick. Es sind jetzt außer mir nur noch 3 Jüdinnen da, die anderen konnten die Arbeit nicht leisten. (…)
Die Arbeit ist recht anstrengend für mich, da ich um Viertel nach 5 aufstehen muss und um 7 abends erst zu Hause bin. Für einen 17 jährigen Menschen immerhin eine ziemliche Anstrengung. Du möchtest gerne Bilder von uns haben, da können wir Dir aber leider nur alte schicken. (…)

Die Historikerin Ruth Schlette stellt einen Briefwechsel vor, der so zuvor noch nirgends publiziert wurde und anhand dessen die Vernichtung einer jüdischen Familie aus Bonn nicht nur dokumentiert wird, sondern vielmehr ein Gesicht bekommt. Das Gesicht gehört der Tochter der Familie Herz aus Bonn Beuel: Ruth Hadassah Herz. Ihre Briefe an Onkel Theo und ihren Bruder Rafael zeigen wie die in Deutschand zurückgehaltene Familie Herz zwischen 1938 und 1942 mehr und mehr unter der Nazidiktatur zu leiden hatte. 1938 mussten sie ihr Geschäft aufgeben, 1940 wurden sie gezwungen aus ihrem Haus auszuziehen und ein weiteres Jahr später wurden sie in das Sammellager Endenich eingewiesen. Davon erzählt der obige Brief. Onkel Theo, der Empfänger der Briefe, war bereits 1933 mit seiner Familie nach Palästina ausgewandert, ebenso Rafael, der kleine Bruder von Ruth, der seit 1935 bei den Großeltern in Jerusalem lebte.


Das Bild zeigt die Plakette im Wald deutscher Länder in Israel in Erinnerung an Ruth Herz.
Darunter v.l.: Max Herz mit Eva und Theo Goldreich / Ruth auf ihrem Balkon in Beuel / Ruth und Bruder Raphael / Edith Herz geb. Goldreich

Die Briefe – und auch einige Photographien – sind alles was vom Leben der Ruth Hadassah Herz übrig blieb. Sie erzählen vom Leben, von den Wünschen und Hoffnungen eines jüdischen Teenagers in Hitlers Deutschland und von den Einschränkungen und Kränkungen, mir denen sich die junge Ruth abfinden musste. Während sie in den ersten Briefen noch voller Hoffnung war, auswandern zu können, wirken die letzten Briefe traurig, aber dennoch zuversichtlich. In ihrem letzten Briefe heißt es:

Mein lieber guter Onkel Theo!
Wenn ich auch jetzt im Augenblick sehr viel Arbeit habe, so will ich es nicht versäumen Dir das letzte Mal vor unserer Abreise (Deportation, Anm. R.A.) zu schreiben. Onkel Boleck geht, wie wir eben hörten auch mit. Von Onkel Alfred hatten eben Post. Er hatte noch Glück. Aber wer weiß was heute Glück ist!! (…)es wäre schön gewesen, bis Kriegsende in Verbindung zu bleiben, aber mit Gottes Hilfe dauert auch diese Zeit nicht mehr allzu lange. Es ist ein Glück, dass wir alle drei noch jung sind und uns vor keiner Arbeit scheuen. Auch werden wir uns in jeder Lebenslage zurechtfinden. Das haben wir ja auch bewiesen. Es ist eine harte Schule durch die ich gehen muss, meine schönsten Jugendjahre gehen hin, aber ich hoffe, es wird mir einmal noch zu gute kommen. Die Juden sind seid Jahrtausenden gewohnt ein schweres Schiksal zu tragen und zu meistern, und man wird unser Geschlecht auch nicht feige sehen. Leb wohl mein lieber Onkel Theo! (…)“

Am 20. Juli 1942 wird Ruth mit ihren Eltern und etwa 1000 anderen Juden aus Bonn und Köln nach Minsk deportiert. Dort werden Ruth und ihre Mutter direkt nach der Ankunft ermordet. Ihr Vater wird in Ausschwitz, Oma Herz in Theresienstadt ermordet.

Die Bonner Geschichtsblätter sind über den Bonner Geschichtsverein beziehbar. Die hier vorgestellten Briefausschnitte wurden original zitiert.

3 Kommentare

  1. Ganz wunderschöne Briefe, danke für den Hinweis!

    Ich kann immer wieder die Briefe (traurig, wie auch nicht, aber schön) von Gertrud Kolmar empfehlen. Der Kösel-Verlag hat glaube ich schon vor Jahrzehnten welche veröffentlicht, ich hab sie z.B. vor vielen Jahren in der Heidelberger Stadtbücherei gefunden. Bestimmt stehen sie da immer noch, und in vielen Uni-Bibliotheken müßte man sie leicht finden.

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