Fritz Grünbaum (1880-1941) war ein bekannter österreichischer Kabarettist. Er wurde von den Nationalsozialisten in Dachau und Buchenwald eingesperrt; am 14.1.1941 verstarb er entkräftet in Dachau an Tuberkulose. Ernst Federn gehörte in Buchenwald zum Freundeskreis um Fritz Grünbaum. Gemeinsam feierten sie am 7. April 1940 in Block 17 heimlich in einer denkwürdigen Feier Fritz Grünbaums 60. Geburtstag. Unmittelbar nach seiner Befreiung aus Buchenwald verfasste Ernst Federn einen Erinnerungstext an diese berührende Geburtstagsfeier…
Von Roland Kaufhold
Ernst Federn, der wegen seiner anfänglich trotzkistischen Orientierung nach seiner Befreiung durch amerikanische Truppen nicht nach Wien zurückgekehrt, sondern nach Brüssel gegangen war, versuchte von dort aus Kontakt zu der Witwe Fritz Grünbaum, Lilly Grünbaum, aufzunehmen. Lilly Grünbaum war eine Nichte von Theodor Herzl. Da er deren Anschrift nicht kannte schickte er seinen Brief an Mathilde Lukacs, die Schwägerin Grünbaums, die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in Brüssel lebte.
Lilly Grünbaum hatte in Wien auf ihren Mann gewartet, war jedoch im Oktober 1942 ins Generalgouvernement und anschließend nach Minsk deportiert worden und ist dort höchstwahrscheinlich ermordet worden.
Mathilde Lukacs stellte den tief berührenden Brief Federns, in welchem er seines Freundes und Mithäftlings Fritz Grünbaum erinnernd gedachte, dem „Aufbau“ zur Verfügung. Die Zeitung der New Yorker deutschsprachigen Emigranten veröffentlichte ihn am 17. August 1945.
Bild: Autogrammkarte von Fritz Grünbaum, 1924
Fritz Grünbaum hatte von 1899-1903 in Wien Jura studiert. Er schrieb erste Libretti, ab 1910 folgten Kabarettauftritte in den Kabaretts Chat Noir, die Hölle und Simpl. Ab 1920 war er Autor von Revuen, Operetten, Singspielen und Kabarettstücken. Am 10. März 1938, dem Tag vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich, spielte er mit Karl Farkas noch ein letztes Mal im Simplicissimus. Im Mai 1938 wurde er nach einem gescheiterten Fluchtversuch in Wien verhaftet nach Dachau verbracht. Von September 1938 bis Oktober 1940 lebte Grünbaum im Konzentrationslager Buchenwald, wo er gemeinsam mit Paul Morgan und Hermann Leopoldi Kabarettvorstellungen im Lager darbot. Im Oktober 1940 wurde er nach Dachau zurück gebracht, unternahm nach seinem letzten Kabarettauftritt Sylvester 1940 einen Selbstmordversuch und verstarb in Dachau laut Totenschein am 14.1.1941 an der TBC, die er sich in Buchenwald zugezogen hatte.
Bei der Lektüre dieses Textes bin ich gerührt und erschüttert ob der menschlichen Fähigkeit, inmitten des absoluten nationalsozialistischen Terrors zwischen den wehrlosen, am Rande des Abgrunds stehenden Gefangenen dennoch kleine Inseln der unverstellten Anteilnahme, Freundschaft und Solidarität entstehen zu lassen. Fritz Grünbaum – der im Konzentrationslager, als ihm ein Stück Seife verweigert wurde, dies mit den Worten kommentierte: „Wer für Seife kein Geld hat, soll sich kein KZ halten“ – vermochte nicht am Glück teilzuhaben, das Ernst Federn beschieden war. Federns Erinnerungen sind seinem Gedenken gewidmet.
Ernst Federn schrieb im August 1945 über Fritz Grünbaum:
„… welch ein großer Künstler Ihr Fritz war, liebe Frau Lilly, das wissen nur mehr Wenige. Denn nur Wenige haben das KZ überlebt, die ihn noch im Lager auftreten gesehen haben.
Das ist eine große Kunst, die in einer überfüllten Stube, als Bühne einen Tisch, ohne alle Utensilien, von schrecklichen Strapazen ermüdete Menschen in ein Meer von Heiterkeit zu tauchen versteht. Eine Heiterkeit ohne Konzessionen an die Instinkte, immer auf dem Boden feiner Geistigkeit stehend, eine Philosophie, die einen vor Lachen hat beinahe bersten lassen und doch voller Tiefe war.
Es ist mir noch gut in Erinnerung, dass ich in Dachau meinte, ich werde nie mehr in meinem Leben lachen können. Aber Fritz Grünbaum hat es mich wieder gelehrt, als er, das erste Mal in einem deutschen KZ, eine Kabarettvorstellung inszenierte. Er wusste genau, welche ungeheure Hilfe er mit seiner Kunst seinen Leidensgefährten brachte, und nie hat er nein gesagt, wenn man ihn um seine Mitwirkung bat, es konnte ihm noch so beschwerlich fallen. Müde oft und deprimiert stieg er auf das improvisierte Podium; aber kaum sprach er die ersten Worte, machte er die ersten Gesten, da sprang sein Fluidum auf die Zuhörer über, und er hob sie hoch, diese Unglücklichen aller Klassen und Konfessionen, aller Berufe und Bildungsgrade, zu seiner hohen und reinen Kunst. Ja, Fritz Grünbaum brauchte nie hinabsteigen zu seinen Zuhörern, um zu werben; denn er wusste immer sie sich nahezubringen.
Aber sich selbst übertroffen als Mensch und formvollendeter Sprecher hat sich Fritz Grünbaum zur Feier seines 60. Geburtstages. Glückliche Umstände hatten es uns erlaubt, ihn feiern zu können mit allem, was zu einem richtigen Geburtstagsfest gehört. Manchmal gab es solche Zeiten des Friedens im Lager. Hinter Blumen hob sich ein kleiner Berg von guten Sachen, mit für seine Gefäßkrämpfe viel zu viel Zigaretten und einer großen Schüssel Quark, den Fritz über alles gern mochte. Beda-Löhner ((Fritz Beda-Löhner (1863-1942) war ein Schriftsteller und Mitarbeiter von Zeitschriften und Zeitungen. Als Verfasser von Libretti zu den Operetten F. Lehárs und P. Abrahams sowie als Schlagertexter in den 20er Jahren war er in Österreich sehr erfolgreich. Er verstarb am 4.12.1942 im KZ Auschwitz; RK.)) hielt eine warmempfundene und natürlich formvollendete Geburtstagsrede, unser damaliger Blockältester, der Fritz ehrlich zugetan war, gratulierte ihm mit wenigen einfachen aber herzlichen Worten im Namen seiner Mithäftlinge, und am Ende antwortete Fritz in einer unvergleichlichen Rede. Er sprach von der geringen Aussicht, die für ihn bestehe, lebend das Lager zu verlassen. Aber er werde mit dem Bewusstsein zu seiner Zeit abtreten, seine Pflicht getan zu haben. Als er geendet hatte, da fühlte jeder, der nur eine Spur von Seele im Leibe hatte: „Voilà un homme, un grand homme!“
Dieser Beitrag wurde erstmals 1945 im „Aufbau“ veröffentlicht und 1998 in dem Band: Roland Kaufhold (Hg.) (1998): Ernst Federn – Versuche zur Psychologie des Terrors. Material zum Leben und Werk von Ernst Federn. Gießen (Psychosozial-Verlag), S. 95-97 publiziert. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Psychosozial-Verlages, Prof. Hans-Jürgen Wirth.
Links:
Kaufhold, R. (Hg.) (1998): Ernst Federn: Versuche zur Psychologie des Terrors. Material zum Leben und Werk von Ernst Federn. Gießen.
Erinnerung an einen Pionier der psychoanalytischen Pädagogik und Sozialarbeiter: Ernst Federn (26.8.1914 – 24.6.2007)
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Roland Kaufhold (Hg.) (1998): Ernst Federn – Versuche zur Psychologie des Terrors. Material zum Leben und Werk von Ernst Federn. Gießen (Psychosozial-Verlag)
Inhaltsverzeichnis:
Inhalt
Vorwort (Ernst Federn)
Teil 1: Versuche zur Psychologie des Terrors
Ernst Federn: Versuch einer Psychologie des Terrors (1946/1989)
Ernst Federn: Einige klinische Bemerkungen zur Psychopathologie des Völkermords (1960/1969)
Ernst Federn: Mechanismen des Terrors (1996)
Teil 2: Ernst Federns Erinnerungen an Mithäftlinge
Ernst Federn: Fritz Grünbaums 60. Geburtstag im Konzentrationslager (1945)
Ernst Federn: Gemeinsam mit Robert Danneberg im KZ (1973)
Ernst Federn: Bruno Bettelheim und das Überleben im Konzentrationslager (1994)
Teil 3: Studien über Ernst Federns Versuche zur Psychologie des Terrors
Bernhard Kuschey: Das Leben Ernst Federns im absoluten Terror des nationalsozialistischen Lagersystems
Wilhelm Rösing/Maritha Barthel-Rösing: Überleben im Terror – Ernst Federns Geschichte.
Zur Entstehung des Filmes mit Ernst Federn und Hilde Federn
Roland Kaufhold: Material zur Geschichte der Psychoanalyse und der Psychoanalytischen Pädagogik: Zum Briefwechsel zwischen Bruno Bettelheim und Ernst Federn
Anhang
Ernst Federn: Der Terror als System: Das Konzentrationslager (1945) (Mit einer Einführung von W. Rösing)
Dokumentation des Briefwechsels Bruno Bettelheim – Ernst Federn
Literatur:
Kaufhold, R. (2001): Bettelheim, Ekstein, Federn: Impulse für die psychoanalytisch-pädagogische Bewegung, Psychosozial-Verlag, Gießen.
Kaufhold, R. (Mthg.) (2003): “So können sie nicht leben” – Bruno Bettelheim (1903 – 1990). Zeitschrift für Politische Psychologie 1-3/2003.
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