Noch lange bevor die Frankenmetropole sich als „Stadt der Reichsparteitage“, als Verkündungsort übelster Rassegesetze, als Wirkungsort des „Stürmer“-Herausgebers Julius Streicher und schließlich als Hintergrund der nach ihr benannten NS-Prozesse einen ganz besonderen Platz in der Geschichte des deutschen Antisemitismus erobern und dadurch geradezu notorische Berühmtheit erlangen sollte, gab es in ihren Mauern jüdisches Leben. In seinem Werk „Die Juden in Deutschland während des Mittelalters“ von 1866 widmete sich der Rechtshistoriker Otto Stobbe u. a. der Geschichte der Nürnberger Juden…
Von Robert Schlickewitz
Otto Stobbe kam am 28. Juni 1831 im ostpreußischen Königsberg zur Welt, studierte in seiner Geburtsstadt Philologie und Geschichte sowie später Rechtswissenschaften; seiner Habilitation 1855 schloß sich schon bald die Berufung zum Professor ebenfalls in Königsberg an. In den kommenden Jahren lehrte er auch noch an den Universitäten von Breslau und Leipzig. Gleichzeitig trat er als Autor von bedeutenden Werken zur Rechtsgeschichte hervor und er gehörte (seit 1857) dem Redaktionskollegium der „Zeitschrift für deutsches Recht an“. Ferner war Stobbe einer der Herausgeber des „Jahrbuches des gemeinen deutschen Rechtes“. Am 19. Mai 1887 ist er in Leipzig verstorben.
Stobbes Rechtsgeschichte der Juden aus dem Jahre 1866 erwarb sich den Ruf eines klassischen Werkes und wurde auch noch mehr als einhundert Jahre nach ihrem erstmaligen Erscheinen von dem auf wissenschaftliche Publikationen spezialisierten Amsterdamer Verlag B. R. Grüner als unveränderte Reprintausgabe mit einem informativen und engagierten Vorwort des Baseler Prof. Dr. Guido Kisch versehen, neuaufgelegt. Letzterer merkt zu Stobbes Buch u. a. an: “Der Verfasser bietet darin eine Gesamtschau der Lage der Juden im römischen und fränkischen Reich sowie im heiligen römischen Reich deutscher Nation, daneben Einzeldarstellungen zur Rechtsgeschichte der Juden in den Städten, die im Mittelalter die bedeutendsten Judengemeinden beherbergten, Nürnberg, Regensburg, Augsburg, Köln, Frankfurt. Andere Kapitel handeln von ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit und sozialen Lage, schließlich von den Judenverfolgungen und ihren Motiven. Das große Quellenmaterial für seine Darstellung hatte Stobbe viele Jahre hindurch bei seinen allgemeinrechtshistorischen Arbeiten gesammelt. In Breslau fand er Hilfe bei den bedeutenden Lehrern, die an dem … dort gegründeten Jüdisch-theologischen Seminar wirkten, bei dem Talmudgelehrten Zacharias Frankel und dem Historiker Heinrich Graetz.“
Kisch stellt ferner fest, dass Stobbes Buch von jüdischer Seite „ebenso enthusiastisch wie kritiklos begrüsst worden ist.“ und er zitiert mehrere jüdische Rezensenten, darunter den oben genannten Graetz. Ganz anders scheinen, ebenfalls gemäß Kisch, die Reaktionen auf christlicher Seite ausgefallen zu sein. Ein Beleg dafür, wie vergiftet die Haltung gegenüber den Juden damals, nur wenige Generationen vor Hitler, in gewissen deutschen Kreisen bereits war.
Während Stobbe eine geradezu ausgesprochene Judenfreundlichkeit bescheinigt werden muss, war die Epoche, in der sein Buch erschien, stark von dem mit der Emanzipation der Juden in Deutschland einhergehenden Aufkeimen neuer antijüdischer Strömungen verbunden. Unverbesserliche und bösartige Antisemiten wie Heinrich von Treitschke und Adolf Stöcker sprachen mit ihren populistischen und auf alten christlichen Traditionen wurzelnden ‚Argumenten‘ zahlreiche Deutsche des bessergestellten Bürgertums und der Intelligenz an und halfen, gewiss mit Billigung und Wohlwollen der jeweiligen deutschen Administrationen bzw. Regierungen, mit, von gravierenderen sozialen Problemen abzulenken.
Laut Kisch übte die Judenrechtsgeschichte von Stobbe auch noch Jahre nach ihrem Erscheinen einen großen Einfluss auf die Nachwelt aus, wofür er die Existenz einer Reihe von Neu- und Nachdrucken (bis 1923) anführt. Stobbe wurde auch im „Dritten Reich“ von Rechtswissenschaftlern diskutiert und die Tatsache, dass es noch 1968 zu einem Reprint seines Buches durch einen seriösen Verlag kam, demonstriert dessen besonderen Wert.
Die Geschichte der Nürnberger Juden beginnt offiziell mit dem Jahr 1146, für das eine jüdische Ansiedlung nachgewiesen ist. Angehörige der Minderheit lebten vom Verkauf von Waren und vom Geldverleih. Der sich bald einstellende Wohlstand erlaubte ihnen den Besitz sowohl einer Frauensynagoge, als einer Mikwe und später von Talmudschulen. 1298 forderten die sog. Rindfleisch-Unruhen fanatischer christlicher Verbrecherbanden allein in Nürnberg 600 (jüdische) Opfer. Bis 1338 regenerierte sich die Gemeinde zwar wieder und wies nun über 1000 Mitglieder auf, aber bereits 1349 veranlassten, wie anderswo in Bayern ebenfalls, die Stadtbehörden neue blutige Judenverfolgungen, die einem Drittel der Juden das Leben kosteten, während man die Überlebenden vertrieb. Damit einher ging die Tilgung aller Schulden bei Juden und eine ersatzlose Enteignung von deren Grundbesitz.
Als eine Neuansiedlung von Juden wieder erlaubt wurde, geschah dies nicht ohne vorher repressive und restriktive Regelungen festgelegt zu haben. Bis zu den Jahren 1498/99 als alle Juden für drei Jahrhunderte vertrieben wurden und blieben, konnte sich die jüdische Gemeinde Nürnbergs nicht wieder soweit erholen, dass sie an ihre alte Bedeutung hätte anknüpfen können.
Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts räumte die Stadt wieder Juden das Wohnrecht ein und ein erstaunlicher Aufschwung konnte einsetzen, mit folgenden Eckdaten: 1862 Einrichtung einer Kultusgemeinde, 1864 und 1910 Anlage des ersten und zweiten eigenen Friedhofs, 1867 lebten 1254 Juden in der Stadt, 1869-74 Bau der ersten großen Synagoge, 1872 Berufung eines Rabbiners, ab der Jahrhundertwende nach München zweitgrößte jüdische Gemeinde in Bayern mit im Jahre 1922 über 9000 Mitgliedern.
Bereits ab Ende des Ersten Weltkrieges gehörte die immer nur vorübergehend Bestand habende christlich-bayerisch-fränkische Toleranz, ganz besonders in Nürnberg, der Vergangenheit an und es zogen erneut gewalttätige, judenfeindliche, von manchen nachträglich verharmlosend „neuheidnisch“ bezeichnete, Zeiten auf. Die ab 1923 in Nürnberg erscheinende Antijudenzeitschrift „Der Stürmer“ spielte bei diesem sich allmählich abzeichnenden deutschen Rückfall in die Barbarei voraufklärerischer Zeiten eine gewichtige, in erster Linie hetzerische, Rolle. Auf niemand anderen als den Herausgeber dieses Blattes, Julius Streicher, gingen die Anweisungen zur Zerstörung der großen Nürnberger Synagoge und des angrenzenden Gemeindehauses am 10. 8. 1938 zurück. Bis 1939 gelang es 2539 Nürnberger Juden durch rechtzeitige Auswanderung oder Flucht ihr Leben zu retten, während auf die Mehrheit von ihnen das aus dem Mittelalter bereits wohlbekannte Schicksal unter den mordlustigen Händen ihrer christlichen Mitbürger lauerte.
Nach 1945 kamen nur 65 Juden wieder in die Stadt zurück. Auch gegen Ende des 20. Jahrhunderts hatte ihre Zahl (1998 etwa 360) noch nicht die frühere Stärke erreicht.
Nur sehr wenige der zahlreichen Nürnberger Täter der NS-braunen Jahre mussten sich je vor Gericht für ihre Untaten verantworten; entsprechend spiegelten Freisprüche, milde Haftstrafen, erlassene Resthaftzeiten das deutschlandweite, christliche Desinteresse an einer ehrlichen Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, die ja dazu gezwungen hätte, sich endlich einmal ernsthaft mit dem Sinn (und Unsinn) der eigenen christlichen Kultur auseinanderzusetzen, was doch niemand wirklich wollte, wider. Auch bekümmerte es nur sehr wenige christliche Nürnberger Bürger oder Politiker ernstlich, dass schon sehr bald nach 1945 wieder die beiden jüdischen Friedhöfe ihrer Stadt mehrfach geschändet wurden. Die beschmierten und demolierten Grabsteine sprechen bis in die Gegenwart eine nur zu deutliche Sprache.
Zu dieser feigen bzw. gleichgültig-indifferenten Einstellung passen bestens die Wortlaute der Inschriften an den Mahnmalen für die beiden 1938 zerstörten Nürnberger Synagogen, die für jeden Sensibilisierten oder Nachkommen der Opfer von einst ein absolutes Ärgernis darstellen müssen. Denn sie verharmlosen, sie entschulden, sie lenken ab. Nicht von Nürnberger Tätern, nicht von bayerisch-fränkischen Tätern und auch nicht von deutschen Tätern künden ihre in Stein verewigten Worte, nein, vielmehr bedienten sich die zuständigen Verantwortlichen des Nürnberger Stadtrates jener ‚populär‘ gewordenen Stellvertreter „NS-Machthaber“ bzw. „Nationalsozialisten“ als bequemer Sündenböcke. Kein Bürger der Stadt, kein Franke, kein Kind oder Enkel eines der unmittelbar beteiligten Täter von einst muss sich auf diese elegante Weise persönlich oder direkt angesprochen fühlen.
Entsprechend wenige Gedanken macht sich (leider) die große und ganz offensichtlich desinteressierte Mehrheit der heutigen Nürnberger über das, was seit 1988 an einer Mauer bei der Mahntafel für die alte große Synagoge am Hans-Sachs-Platz in Hebräisch und Deutsch zu lesen ist:
UND WENN MAN SAGT: SIEH‘, WIR WUSSTEN NICHTS DAVON! GLAUBST DU NICHT, DASS ER, DER DAS HERZ DES MENSCHEN KENNT, IHN DURCHSCHAUT? ER VERGILT DEM MENSCHEN NACH SEINEN TATEN. (Sprüche 24/12)
Der erste Abschnitt des hier wiedergegebenen Textes Stobbes enthält quellenkritische Anmerkungen und kann daher vom Durchschnittsleser übergangen werden. Die sich daran anschließenden Ausführungen beginnen mit den ersten Urkunden, die von jüdischem Leben zeugen, aus dem 12. Jahrhundert, und untersuchen die spezifisch Nürnbergische Geschichte der Minderheit bis ins ausgehende 15. Jahrhundert.
Beschämend und bestürzend wirken auf den heutigen Leser nicht nur die Schilderungen der zahlreichen brutalen Morde an großen Gruppen von Juden, sondern auch die Aufzählung von maffiaartigen Schutzgelderpressungen, von schäbigen Lösegeldforderungen, von diskriminierenden Regelungen des Alltags der, wie des Umgangs mit, Juden sowie die Beschreibung der moralisch wie menschlich ‚durch und durch‘ verkrüppelten Haltung unserer christlichen Vorfahren den jüdischen Mitbürgern gegenüber. Möge dieser Text möglichst viele unserer Zeitgenossen zum Nachdenken, und mehr noch, zum Überdenken unseres so erbärmlich übersteigerten und ungerechtfertigt idealisierten bayerischen bzw. deutschen Eigenbildes anregen! Denn, wie minderwertig muss eine Gesellschaft sein, die sich einerseits aufgrund ihrer (christlichen) Religion (und ihres Deutschseins) als das Nonplusultra in Sachen Moral, menschlicher Güte und sittlicher Vollkommenheit versteht und andererseits so häufig und so schwerwiegend bis in die Gegenwart gegen die fundamentalsten Gebote ihres Ideals, des „Gottessohns“, des christlichen Messias‘ verstößt.
„Die Juden zu Nürnberg.
Außer sehr zahlreichen Urkunden der Kaiser und anderer Personen und außer den gelegentlichen Nachrichten der Geschichtsquellen besitzen wir für die Geschichte der Juden Nürnbergs auch eine Anzahl von Bestimmungen der Stadt über die Stellung, welche die einzelnen zu Nürnberg angesessenen Juden haben sollen, und über die Rechte ihrer Gemeinde im Ganzen. Leider sind wir über das Alter dieser statutarischen Festsetzungen und insbesondere auch darüber, in wiefern die einzelnen Sätze successive entstanden sind, nur sehr ungenügend unterrichtet. Und doch ist die Frage nach dem Alter von sehr großer Bedeutung, da die Gemeinde hier ebenso wie überall sonst zahlreichen Verfolgungen ausgesetzt war und zu verschiedenen Zeiten eine sehr verschiedene Stellung gehabt hat.
Zuerst wurde diese Judenordnung von dem Monographen der Nürnberger Judengemeinde bekannt gemacht, von Würfel in seinen historischen Nachrichten von der Judengemeinde, welche ehehin in der Reichsstadt Nürnberg angericht gewesen, aber anno 1499 aus geschaffet worden (…), in seinem Buche, welches manches Material enthält, aber heut zu Tage aus anderen Werken, besonders aus Hegel’s vortrefflicher Bearbeitung der Nürnberger Chroniken, sehr wesentliche Berichtigungen und Ergänzungen erfahren kann. Würfel bemerkt, daß die Gesetze in zwei alten pergamentenen, im Nürnberger Stadtarchiv aufbewahrten Statutenbüchern enthalten seien; das eine Buch beginne überhaupt mit Verordnungen aus dem Jahre 1290, das andere sei später und enthalte dieselben Gesetze vermehrt; leider hat der Herausgeber es unterlassen, genauer anzugeben, was sich als späterer Zusatz herausstelle.
Sodann hat Baader Nürnberger Judengesetze herausgegeben, ohne dabei des Würfel’schen Abdrucks auch nur zu erwähnen; auch er hat zwei Pergamenthandschriften benützt. Der ältere Codex enthalte Verordnungen bis zum Jahre 1350; die den Jahren 1325-1350 angehörigen habe er bei seiner Ausgabe in Klammern gesetzt; der andere Codex enthalte nur Verordnungen des 15. Jahrhunderts. Durch diese Ausgabe erhalten wir also drei Massen: bis zum Jahre 1325, von 1325 bis 1350, und aus dem 15. Jahrhundert. Aus dem Umstande, daß von den aus dem 15. Jahrhundert mitgetheilten Sätzen sich nichts bei Würfel findet, und daß auch die dem 13. und 14. Jahrhundert angehörigen Sätze, welche Baader mittheilt, Manches nicht enthalten, was bei Würfel abgedruckt ist, ergiebt sich mit Sicherheit, daß der Würfel’sche neuere Codex nicht derselbe ist, wie der von Baader für das 15. Jahrhundert benützte.
Obgleich die Juden sehr geneigt sind, ihren Aufenthalt in Deutschland in sehr alte Zeiten zurückzuversetzen, können wir sie doch in Nürnberg nicht bis in die weite Vergangenheit verfolgen. Durchaus unverbürgt ist die spätere Nachricht, daß sie dem König Heinrich V. in dem Kriege mit seinem Vater die Stadt durch Verrath ausgeliefert hätten. Die erste beglaubigte Nachricht ist, daß während der Verfolgung zur Zeit des zweiten Kreuzzuges sich viele Juden unter den Schutz König Conrads III. im Jahre 1146 stellten und von ihm nach Nürnberg aufgenommen wurden; urkundlich erwähnt werden Juden daselbst erst im Jahre 1288.
Bei der durch ganz Franken wüthenden Verfolgung unter Rindfleisch im Jahre 1298, in welcher 100 000 Juden erschlagen sein sollen, wurden auch die Juden Nürnbergs auf das Schwerste betroffen. Manche mögen sich beim Herannahen des Sturmes geflüchtet und so ihr Leben gerettet haben; wenigstens wird schon im Jahre 1303 ein Streit erwähnt, welchen einige Juden mit einem Ritter über eine zwischen ihren Häusern aufgeführte Mauer hatten, und im Jahre 1310 erließ König Heinrich VII. eine Verordnung, daß die Juden ihr Fleisch in besonderen Fleischbanken verkaufen, den Zinsfuß innehalten und an Fasttagen keine Fische kaufen sollen. Derselbe gestattete im Jahre 1313 dem Schultheiß von Nürnberg, noch andere Juden in die Stadt aufzunehmen, ohne Rücksicht auf den etwaigen Widerspruch der bisherigen Gemeinde, und befahl ihm, dieselbe gegen ihre Unterdrücker zu schützen. Ludwig der Baier bestimmte dann im Jahre 1315, daß die Bürgschaft die Vorbauten vor den Judenhäusern, durch welche die Straße beengt würde, niederreißen lassen dürfe. Bei der Aufnahme einzelner Juden mußten sie zwei Bürger als Garanten für sich stellen und eine Abgabe als Bürgergeld entrichten, welche besonders verabredet wurde und sich wohl nach den Vermögensverhältnissen richtete.
Im Anfange des 14. Jahrhunderts saß also zu Nürnberg eine zahlreiche Judengemeinde, welche eigene Häuser besaß und von Geldgeschäften lebte. Würfel (…) theilt ein Verzeichnis der innerhalb der Jahre 1321 bis 1359 aufgenommenen Juden mit, nach welchem das Bürgergeld zwischen 6 und 22 Pfund Heller schwankte, einmal im Jahre 1360 kommt als Aufnahmegeld 50 Gulden vor, d.h. die beträchtliche Summe von etwa 162 ½ Thaler. Ihre Zahl soll im Jahre 1338 sich auf 2006 belaufen haben.
Ueber ihre Stellung zum Kaiser und zu dem Burggrafen, welchem sie wohl verpfändet waren, sind wir nur ungenügend unterrichtet. Im Jahre 1322 versprach ihnen König Ludwig, die Gnaden, welche er ihnen auf Bitte des Burggrafen, dem wir si gesezet haben, ertheilt habe, binnen eines Jahres nicht widerrufen zu wollen. Würde er später ihre Privilegien aufheben, so sollten sie noch ein Jahr nach dem Widerruf an Leib und Gut unbeschwert bleiben und einzelne, namentlich aufgeführte Schiedsleute sollten bestimmen, was der König von ihnen verlangen dürfe.
Derselbe König ertheilte ihnen im Jahre 1331 ein Privileg auf drei Jahre: ‚Wir erklären, daß wir angesehen haben den treuen und nützlichen Dienst, den uns unsere lieben Juden zu Nürnberg gethan haben, und darum so sagen wir sie frei und geben ihnen die Freiheit, daß sie da sitzen sollen ledig und frei an aller Steuer und Bede und auch an aller Beschwerniß und an Gefängniß von uns;‘ die Juden sollen ihm für dieses Privileg jährlich 400 Gulden zahlen; ‚und wenn es auch die Bürger zu Nürnberg von dem Rath deuchte, daß sie sich gelezzet (d. h. erholt) hätten, daß sie mehr dienen möchten, dessen sollen sie gehorsam sein nach derselben Bürger Rath‘. Es ist nicht undeutlich in der Urkunde angegeben, was für ein Dienst es war, für welchen die ‚lieben Juden‘ dies Privileg erhielten; durch Beschwerniß und Gefängniß, von welchem sie in den nächsten drei Jahren frei sein sollen sie jetzt nur jährlich 400 Gulden Steuern zahlen; sobald sie sich erholt haben, soll diese Steuer nach dem Gutachten des Stadtraths erhöht werden.
Aber noch vor Ablauf jener drei Jahre kam neue Drangsal über sie, und viele von ihnen sahen sich zur Flucht genöthigt; wahrscheinlich war es wieder der König gewesen, welcher sie einer Schatzung unterwarf. Wir wissen darüber nichts Genaueres und können auf solche Vorgänge nur schließen aus einem Befehl des Königs vom Jahre 1333: da er zum Nutzen und zur Ehre des Reiches die flüchtigen Juden wieder an das Reich zu bringen beabsichtige, sollte die Stadt die ansässigen und später hereinziehenden Juden schützen ‚vor uns und vor allen unsern Amtleuten und Dienern‘. Der König giebt also der Stadt den Schutz über sie und gebietet denselben auch ihm gegenüber auszuüben, wenn er etwas gegen sie sollte unternehmen wollen. Des Burggrafen, welchem sie im Jahre 1322 verpfändet waren, wird hier gar nicht gedacht; dagegen erhält derselbe den Schutz im Jahre 1336, und zwar nicht bloß über die Juden zu Nürnberg, sondern auch über die von Rotenburg und die dazwischen gesessenen.
Innerhalb des nächsten Decenniums steigerten sich die fiscalischen Einnahmen ganz außerordentlich. Unzweifelhaft schreibt sich diese Mehreinnahme davon her, daß der Kaiser im Jahre 1342 eine neue laufende jährliche Steuer von der Judenschaft im ganzen Reich erhob, den goldenen Opferpfenning; wie oben ausgeführt wurde, mußte jeder Jude und jede Jüdin, wenn sie das Alter von 12 jahren erreicht haben und mindestens 20 Gulden Vermögen besitzen, dem Könige jährlich einen Leibzins von einem Gulden zahlen. Bedenken wir nun, daß, wie bemerkt, im Jahre 1338 zu Nürnberg mehr als 2000 Juden wohnten, so erklärt es sich, wie die Juden in den vierziger Jahren eine so unverhältnismäßig hohe Steuer gegen früher zu entrichten hatten. Im Jahre 1347 forderte sie der König auf, von ihrer Steuer jährlich 1000 Pfund Heller an den Burggrafen zu zahlen, und 200 Pfund Heller der Stadt zum Ankauf von Brennholz für die Burg zu entrichten. Am 25. Juni 1349 wurde die Abgabe an die Burggrafen noch um 100 Pfund Heller erhöht; außerdem wurden in demselben Jahre die Gerechtsame über die Nürnberger und Rotenburger Judenschaft dem Bischofe von Würzburg für 1200 Mark verpfändet, so daß er also von den Juden beider Städte 120 Mark zu beziehen hatte.
Nehmen wir nun an, daß um die Mitte des 14. Jahrhunderts in Nürnberg 1 Pfund Heller ungefähr so viel wie 1 Gulden, und dieser, ohne auf die Veränderung in dem Preisverhältnis von damals und heute Rücksicht zu nehmen, etwa 3 ¼ Thaler war, so bezog der Burggraf von der Reichssteuer jährlich über 4000 Thaler, und außerdem sollte noch der Bischof von Würzburg weitere Einkünfte haben. Es erscheint diese Steuerlast noch bedeutender, wenn wie berücksichtigen, daß die Stadt Nürnberg in den dreißiger und vierziger Jahren dem Könige jährlich nur 2000 Pfund Heller als Steuer entrichtete. An die Stadt scheinen die Juden keine anderen Abgaben gezahlt zu haben, als das Bürgergeld bei ihrer Aufnahme.
Trotz aller Steuern und Lasten waren die Juden reich und besaßen mehrere Straßen in der Mitte der Stadt. Meisterlin sagt in seiner Chronik: ‚es warent auch hie gar mechtig juden und der gar vil, die gaben dem Kaiser groß gut, daß er sie ließ mit dem versuchten wucher nit allein die burger, sonder auch die edlen schinden. Die hetten innen den schönsten flecken, da nun der markt ist.‘ Sie breiteten sich in ihrem Viertel immer weiter aus, und König Ludwig mußte, nachdem er ihnen den Erwerb des Holzschuherschen Hauses gestattet hatte, der Stadt im Jahre 1344 das Versprechen ertheilen, niemals mehr dazu mitwirken zu wollen, daß Christenhäuser in die Hände der Juden kämen.
Um die Mitte des 14. Jahrhunderts drohte den Juden neues Verderben. Die Pest, welche im Jahre 1348 und 1349 in ganz Europa wüthete, hatte auch Deutschland und Nürnberg nicht verschont; überall schrieb man diese Krankheit der Brunnenvergiftung durch die Juden zu, überall wurden sie auf das Unbarmherzigste verfolgt und zu Tausenden hingeschlachtet.
Schon vor der eigentlichen Verfolgung, während der zuchtlosen Herrschaft der Zünfte (in den Jahren 1348 und 1349), welche die Patrizier und den Rath aus der Stadt getrieben hatten, wurden die Juden ihrer Habe beraubt, um die schnell leer gewordene Kämmereicasse zu füllen. Meisterlin erzählt: ‚do nun der burger des rats gut verzert was, do kerten sie sich zu einem andern raub; es warent zu mal vil reicher juden in der stat und hetten die heuser an dem flecken inne da jetzt der Markt ist, und ir heuser waren voll köstlicher pfant; … auch hetten sie vil schultbrief; do fielen sie zu dem ersten in die heuser mit den haubtmennern, und solt ein ietlicher nur sein pfant nemen. Do sie aber sahen solichen schatz, do machten sie sackman über das unselig geschlecht und namen alles das da was; … es ist nit glaublich, wie groß hab da gefunden ward; also hetten sie aber über ein kleine zeit zu zeren‘ Da die Aufrührer auf diese Weise das kaiserliche Gut angegriffen und sich an den kaiserlichen Kammerknechten versündigt hatten, befahl Karl IV. im Mai 1349 dem Burggrafen von Nürnberg, das den Juden abgenommene Geld von der Bürgerschaft wieder einzutreiben.
Aber der eigentliche Sturm brach gegen sie erst später los, nachdem die Geschlechter (September und October 1349) zurückgekehrt und das alte Regiment wieder eingesetzt war. Man sah es als selbstverständlich an, daß in jeder Stadt, wo Juden ihren Wohnsitz hatten, die Verzweiflung des Volks über die Pest zu blutiger Grausamkeit führen würde; so wie in Betreff von anderen Judengemeinden, so traf Karl IV. auch mit Bezug auf Nürnberg schon frühzeitig Verabredungen, wie es zu halten sei, wenn auch hier die Juden getödtet oder vertrieben würden. Im Juni 1349 verschrieb Karl IV. dem Burggrafen jene hohen Steuersummen, aber schon im April hatte er bestimmt, daß, falls es zur Verfolgung käme, ein großer Theil der Judenhäuser dem Arnold von Seckendorf zufallen solle, und in der eben angeführten Verschreibung aus dem Juni heißt es auch, daß, falls wegen einer etwaigen Vertreibung (wer auch daz die vorgenanten Juden abgiengen oder vertriben würden) die Zahlung der Steuern nicht erfolgen könnte, der Burggraf von Nürnberg und der Bischof von Bamberg als Entschädigung sich in den Nachlaß der Juden, Mobilien und Immobilien theilen sollten. Am 2. October stellte der Kaiser dem Rath einen Brief aus, daß derselbe, falls er nicht im Stande sei, der Verfolgung zu begegnen, von aller Verantwortlichkeit frei sein solle.
Mit solcher Sicherheit sah man bei der Katastrophe entgegen; ohne dem wüthenden Pöbel mit Ernst entgegenzutreten und wirksame Vorsichtsmaßregeln zu veranstalten, trafen der Kaiser, der Rath der Stadt und die sonstigen Interessenten ruhig ihre Verabredungen, wie sie sich in das Vermögen der Juden theilen wollten, wenn man sich dieser verachteten und verhaßten, wegen ihrer Forderungen lästigen und um ihrer Reichthümer willen beneideten Mitbürger entledigt haben würde.
Am 6. December 1349 ereilte sie das Verderben: an diesem Tage wurden alle Juden, die sich nicht etwa bereits aus der Stadt gerettet hatten, verbrannt. Die thatsächliche Beraubung begann schon früher: am 3. November gestattete der Kaiser der Stadt, welche deswegen Ulrich Stromer als Gesandten an ihn nach Prag geschickt hatte, einen großen Theil der Judenhäuser niederzureißen, um zwei große Marktplätze zu gewinnen, und an der Stelle der Synagoge eine Marienkirche, die jetzige Frauenkirche, zu erbauen; dem Ulrich Stromer schenkte er ein Judenhaus. Es folgten dann bis zum Jahre 1355 weitere kaiserliche Dispositionen, durch die er das ihm heimgefallene Gut seiner Kammerknechte verschenkte oder veräußerte.
Doch schon bald nach der blutigen Katastrophe finden wir wieder Juden in der Stadt; mancher mag, nachdem der Sturm vorüber war, sich an sein Domicil zurückbegeben und gegen ein Lösegeld sein Eigenthum gerettet haben. Vielleicht ist es so auch zu erklären, daß in dem Verzeichniß der von der Stadt aufgenommenen Juden beim Jahre 1349 ein Samuel Juder und ein Semmelkind erwähnt werden, welche in diesem Jahre kurz vor Weihnachten das Bürgerrecht erhielten. Es ist kaum denkbar, daß fremde Juden wirklich Neigung gehabt haben sollten, so bald nach den Greueln einen so gefährlichen Wohnsitz zu wählen. Beim Jahre 1350 wird ein anderer Jude erwähnt, welcher gegen die hohe Abgabe von 50 Gulden sich niederließ.
Da aber die Zahl der Juden jetzt nur klein war und sich bald wieder die Auffassung geltend machte, daß eine zahlreiche Ansiedlung den kaiserlichen Interessen entspräche, gestattete Karl IV. schon am Ende des Jahres 1351 den Burggrafen, Juden in ihren Schutz zu nehmen, und gebot aller Welt, solchen Juden beizustehen und ihre Angelegenheiten zu fördern. Auch schloß die Stadt unter kaiserlicher Genehmigung am 2. Mai 1352 mit ihrer Gemeinde, welche durch drei Juden vertreten wurde, folgenden merkwürdigen Vertrag ab: die Juden wollen sich in der Stadt da niederlassen, wo es der Bürgerschaft am besten dünkt. Die Bürger und ihre Angehörigen sollen von Schulden oder Bürgschaften befreit sein, zu welchen sie sich durch Urkunden oder ohne dieselben gegenüber den Juden verpflichtet hätten. Wenn einzelne Juden, die ihnen früher gehörigen Häuser wieder in ihren Besitz brächten, wollten sie dieselben binnen Jahresfrist verkaufen oder vertauschen, oder, falls ihnen dies nicht möglich wäre, gegen den von einer aus drei Bürgern bestehenden Commission festgesetzten Preis aufgeben. Sie wollen sich beim Kaiser darum bewerben, daß sie mit Steuerpflichten gegen andere Fürsten unbeschwert blieben, um dem Reiche um so besser dienen zu können. Alle Briefe, welche die Juden zum Nachtheil der Stadt besäßen oder einmal erwerben würden, sollten völlig kraftlos sein. Später etwa aufzunehmenden Juden werden dieselben Rechte und der Schutz der Bürgerschaft versprochen.
Dem Wunsche der Stadt gemäß ertheilte ihr wenige Tage darauf (26. Mai 1352) Kaiser Karl das Privileg, Juden aufzunehmen; die Zinsen und Nutzungen, welche ihm von den Juden zufallen würden, wolle er Niemandem verpfänden oder sonst übertragen, sondern bei des Reichs Kammer erhalten; alle dagegen verstoßenden Dispositionen sollten null und nichtig sein.
Wie groß des Kaisers Revenüen waren, läßt sich nicht angeben; im Jahre 1360 nahm er die Juden von Neuem in seinen Schutz und übertrug die Ausübung desselben auf 15 Jahre der Stadt; während bisher von Nutzungen der Gemeinde keine Rede gewesen war, sollen jetzt zwei Drittel der Einkünfte dem Kaiser, das letzte Drittel der Stadt zufallen. Dieser Schutz wurde dann noch mehrmals auf weitere Jahre verlängert. Außer ihren ordentlichen Abgaben mußten die Juden auch außerordentliche Beisteuern leisten; als z. B. a. 1377 die Stadt dem Burggrafen von Nürnberg 5000 Gulden zahlen sollte, weil sie eine Mauer bei der Burg aufgeführt hatte, mußten die Juden auch ihren Theil bezahlen: die Judengemeinde übernahm 800 Gulden, der Jude Rapp zahlte 100 Gulden und streckte außerdem der Stadt noch 2000 Gulden vor, um jene Zahlung zu ermöglichen.
Im Jahre 1384, wo andernwärts in Franken viel Judenblut floß, suchten sich die Juden Nürnbergs durch Geld loszukaufen; nach den Rechnungen zahlten sie ‚unbetwungelichen, do es als ubel von der juden wegen in den landen stunde‘ 4000 Gulden, und zwar die Gemeinde 2200 Gulden, die Jüdin Reppin (die Witwe des Rapp) 1000 Gulden, ein anderer Jude 800 Gulden. (Dazu gehört die Notiz bei Würfel S. 93: ‚Anno 1384 haben die Burggrafen zu Nürnberg die reichen Juden auf die Burg des Reichs, die armen aber in den Keller des neuen Rathhauses gefangen gesetzet. Die mußten sich alle mit Geld loskaufen.‘ Man sieht, was es bedeutet, daß sie ungezwungen zahlten.)
Das Jahr 1385 war noch unheilvoller für sie. Wie in einem anderen Zusammenhange ausgeführt werden soll, wurden gemäß dem Vertrage, welchen die Vertreter der schwäbischen Städte auf dem Städtetage zu Ulm mit den kaiserlichen Gesandten abschlossen, die Juden in allen diesen Städten ihrer Forderungen beraubt, von denen ein großer Theil auf die Städte selbst übergehen sollte. Auch zu Nürnberg wurde mit Gewalt dieser Rechtsbruch durchgeführt. Ulman Stromer sagt in seiner Nürnbergischen Chronik: ‚Anno domini 1385 do burden die juden hi zu Nurmberg gevangen und auf denselben tag in Swoben in allez reichs steten‘.
Das Nürnberger Rechnungsbuch führt 782 Pfund Heller als Ausgaben auf für ihre Bewachung in der Stadt, auf der Burg, an den Thoren und in den Judenhäusern. Eine Commission setzte fest, wie viel Capitalien jeder Jude der Stadt zu überlassen habe. Nach dem uns noch erhaltenen Verzeichniß der abzuliefernden Summen zahlten Einzelne 13 000 Gulden, Jekel von Ulm und seine zwei Söhne sogar 15 000 Gulden. Gegen so hohe Summen mag es ihnen gestattet gewesen sein, ihre Forderungen, so weit sie nicht bereits durch den Beschluß des Städtetages getilgt waren, im Uebrigen noch geltend zu machen. Im Ganzen hatte die Stadt Nürnberg auf diese Weise den kolossalen Gewinn von mehr als 80 000 Gulden, eingerechnet die 7000 Gulden, welche sie selbst den Juden schuldete und welche jetzt durch Cassirung der Schuldbriefe getilgt wurden, und die 8000 Gulden, welche der Burggraf den Juden schuldete; um von dieser Schuld befreit zu werden, versetzte er der Stadt sein Gericht und seinen Zoll. Für die Erlaubniß zu dieser Erpressung zahlte Nürnberg dem König Wenzel von den 40 000 Gulden, zu welchen sich die schwäbischen Städte verpflichtet hatten, auf ihren Antheil 15 000 Gulden; den Gesandten des Königs, welche den Vertrag mit den schwäbischen Städten vermittelt hatten, schenkte die Stadt 4000 Gulden. Als Reinertrag blieben ihr nach der Berechnung Hegel‘s gegen 60 000 Gulden, d.h. etwa über 190 000 Thaler, also mehr als sonst die gesammten jährlichen Einnahmen der Commune betrugen.
Es ist oben (…) erzählt worden, wie zugleich im Jahre 1385 zwischen dem Kaiser und den schwäbischen Städten vereinbart wurde, daß vom Jahre 1388 ab die Einkünfte von den Juden zwischen ihnen nach Hälften getheilt werden sollten; diejenigen Städte, welche für eine längere Reihe von Jahren den Judenschutz erhalten hatten, sollten wählen dürfen, ob sie für die folgenden Jahre von ihrem besonderen Privileg oder von den in dem allgemeinen Vertrage aufgestellten Bedingungen Gebrauch machen wollten.
Nürnberg hatte im Jahre 1382 das Privileg erworben, Juden in den nächsten 19 Jahren gegen eine jährliche Abgabe von 400 Gulden zu halten (…). Wahrscheinlich wird die Stadt es für vortheilhafter erachtet haben, auch ferner jährlich 400 Gulden zu zahlen, als auf die Theilung nach Hälften einzugehen. Doch noch bevor die 19 Jahre vergangen waren, schon am 16. September 1390 trat das Privileg außer Kraft und wurde unter Aufhebung jener Steuer von 400 Gulden bestimmt, daß der Rath die Hälfte der Judengefälle jährlich an den König abliefern und daß außerdem jeder Jude und jede Jüdin den Opferpfenning erlegen solle. Unzweifelhaft hängt diese Verordnung mit der an demselben Tage verfügten Maßregel zusammen, daß in einem großen Theile Deutschlands, und auch in Nürnberg alle Forderungen der Juden als getilgt erscheinen sollten; gegen eine solche Gnade war die Stadt bereit, auf die Halbtheilung einzugehen. Trotz der Schatzung von 1385 verloren die Juden durch diese neue Schuldentilgung etwa die Summe von 80 000 Thalern und gewann die Stadt, welche die Regulirung der Verhältnisse übernommen hatte, einen Ueberschuß von etwa 7800 Thalern.
All diese schweren Erfahrungen über die völlige Unsicherheit ihrer Vertragsverhältnisse und alle Schläge, welche ihren Reichthum nothwendigerweise stark beschädigt haben müssen, hinderten die Juden doch nicht, auch noch fernerhin Credit zu ertheilen. Schon im folgenden Jahre, am 15. März 1391 vereinbarte die Bürgerschaft mit ihnen ein Statut über den Zinsfuß. Während ein Gesetz König Heinrichs vom Jahre 1310 43 ⅓ resp. 70 Procent gestattet hatte, wird jetzt der Zinsfuß sehr viel niedriger normirt. Er soll sich richten nach der Größe des Darlehns und nach der Zeit, für welche es gegeben ist: bei Darlehen über 100 Gulden werden jährlich 10 Procent festgesetzt; bei einem Capital von 1 bis 100 Gulden wird der Gulden wöchentlich mit einem neuen Heller verzinst (d. h. für das Jahr 13 ⅔ Procent); bei noch kleineren Darlehen ist für ein Pfund Pfenninge wöchentlich ein Pfenning zu zahlen, d. h. jährlich 21 ⅔ Procent. Wer mehr verlangt, verliert seinen Anspruch auf die Zinsen und wird arbiträr bestraft.
Die Steuerverhältnisse blieben unter den folgenden Königen zunächst unverändert; Stadt und Kaiser theilen sich nach Hälften und außerdem erhob der letztere noch den goldenen Opferpfenning. Selbstverständlich ist die Modification, daß, wenn man außerordentlicher Weise Geld brauchte, man es von den Juden erhob. Nachdem im Jahre 1412 König Sigismund seine Hälfte dem Burggrafen bis auf Weiteres angewiesen hatte, gab er im folgenden Jahre den Juden das Privileg, daß er sie, abgesehen von dem Opfergulden, mit allen weiteren Steuern, d.h. also mit außerordentlichen Steuern und zwangsweisen Anleihen verschonen wolle.
Doch schon im nächsten Jahre wurde er wortbrüchig; denn als er von der Judenschaft im ganzen Reiche zur Bezahlung der Kosten des Costnitzer Concils Geld erpreßte, mußten ihm auch die Nürnberger Juden 12 000 Gulden erlegen.
Noch härter verfuhr Sigismund mit ihnen im Jahre 1416 (…): in einem Privileg, in welchem er ihnen für 3 Jahre die schönsten Freiheiten zusagt, daß Niemand von ihnen außer der gewöhnlichen Steuer etwas gegen ihren guten Willen verlangen, daß ihre Abgaben nicht erhöht werden, ihr Vermögen unberührt bleiben soll, bestimmt er, daß alle Juden und alle Jüdinnen, welche ein eigenes Gewerbe betreiben oder eigene Einkünfte haben, ihm bei Verlust ihrer Landesfreiheiten in jedem der folgenden drei Jahre den 10. Theil von all ihrer fahrenden Habe, mit Ausnahme von Kleidern, Schmuck und Hausgeräth, in seine Kammer liefern sollen. Darum also jene Freiheiten, die durch diesen Nachsatz eigentlich vollkommen aufgehoben werden; sie sollen keine höheren Steuern zahlen, mit der Ausnahme, daß sie jährlich 10 Procent von ihrem Vermögen – denn der Jude besaß doch wesentlich nur Mobilien – dem Könige opfern; ob daneben noch der goldene Opferpfenning bestehen blieb, oder ob diese neue Steuer an seine Stelle trat, wissen wir nicht; es ist auch gleichgültig, da die Abgabe von einem Gulden in gar keinem Verhältniß zu der Vermögenssteuer steht.
Als Friedrich III. König geworden war und im Frühjahr 1442 nach Nürnberg kam, um sich von der Reichsstadt huldigen zu lassen, mußte ihm die Judenschaft wieder eine große ‚Ehrung‘ thun. Er hatte gehofft, mehr Geld zu erpressen, und die Absicht gehegt, durch Gefangennehmung der Juden zu ihrem Gut und Gelde zu kommen; aber der Rath setzte sich dem königlichen Willen entgegen. Friedrich verlangte zuerst 20 000 Gulden, nachher setzte er seine Forderung auf 10 000 Gulden herunter; der Rath aber schickte zur Judenschaft einige Deputirte aus seiner Mitte, ihr ‚darinnen berentlich zu sein gen sein gnaden, daz sie nach zymlichen und billichen dingen abdingen mochte‘. Ueber den weiteren Verlauf sagt ein officielles Actenstück: ‚Als unser Herr der Konig durch Hern Hansen Ungnaden camermeister an einen burgermeister werben ließ, daz man die juden bei uns wonhafftig alle, junck und alt, in ein hawß vahen und versperren und sie bewaren sollte, auch ir hewser besetzen, daß sie nichts von hynnen verrücken mochten, und der rat darnach daran kam, daz die juden, die regis weren, sweren sollten, ir leibe, gut und habe nit zu verrucken on eins rates gunst und willen, daß haben sie also gesworen, das denn der gerichtschreiber clerlich verzeichent.‘ Der Rath bewog also den König, von seinem ursprünglichen Vorhaben abzustehen und sich mit dem Eide der Juden zufrieden zu erklären, daß sie nichts von ihrem Vermögen bei Seite bringen wollten. Auch spannte der König seine Forderungen in der Folge sehr stark herunter. Denn in dem Verzeichniß der Geschenke, welche ihm, den Fürsten und der Dienerschaft bei dem Aufenthalt zu Nürnberg gemacht wurden, heißt es: ‚Auch haben die Judischeit hie zu demselben mal unsern gnedigisten herren, den romischen kunig geert mit 400 guldein; sie haben auch unsers herrn kunigs diener geert ein mit 10, mit 8, mit 6, 4 guldein, darnach und sie gewest sein‘.
Nachdem Friedrich Nünberg verlassen und am 17. Juni zu Aachen gekrönt worden war, stellte er der Judenschaft im Juli ein Privileg aus, daß, da sie sich mit ihm einer Ehrung wegen geeinigt und ihm deswegen genügenden Austrag gethan habe, sie für die folgenden 5 Jahre von allen außerordentlichen Auflagen frei sein solle, es sei denn, daß er in der Zwischenzeit die Kaiserkrone erlange.
Waren die Juden im Jahre 1442 der Gefahr von Seiten des Königs entgangen, so wurden sie im Jahre 1463 in der That durch die Bürger gefangen gesetzt und ihrer Güter beraubt. Genaueres ist nicht bekannt. – 1467 wurden 18 Juden verbrannt wegen des Gerüchts, daß sie vier Christenkinder ermordet hätten. Im Jahre 1470 ertheilte ihnen Friedrich III. ein Privileg auf 6 Jahre, in welchem er ihnen Wucher zu treiben erlaubte; er motivirt dies damit, daß ohne die Möglichkeit, zinsbare Darlehen zu erhalten, Mancher sein Vermögen verlieren würde und daß, wenn die Juden in ihren Geldgeschäften behindert würden, die Wahrscheinlichkeit einträte, daß Christen selbst wucherliche Darlehen gäben. Nürnberg liege auf sandigem, dürrem, unfruchtbarem Boden; Handel und Gewerbe könnten in der Stadt nicht ohne Wucher und Zinsen bestehen; daher sei das kleinere Uebel zu wählen und den außerhalb der christlichen Gemeinschaft stehenden Juden der Wucher zu gestatten.
Doch dauerte ihr Aufenthalt zu Nürnberg keine lange Zeit mehr. Schon 1473, bevor der Zeitraum jenes Privilegs abgelaufen war, verlangte der Stadtrath beim Kaiser ihre Vertreibung. Das im Jahre 1479 ausgearbeitete Nürnberger Stadtrecht nahm eine feindselige Stellung gegen sie ein; sie weigerten sich daher 1480, sich demselben zu unterwerfen, wahrscheinlich in Rücksicht auf den mit Raffinement ausgebildeten Judeneid und darauf, daß in diesem neuen Stadtrecht überhaupt jeder Zinswucher verboten war.
Endlich im Jahre 1498 (am 21. Juli) willigte Kaiser Maximilian in ihre völlige Austreibung: ihre Zahl habe zu sehr überhand genommen, mit ihren Darlehen hätten sie gefährliche und böse wucherliche Händel betrieben und viele ehrsame Bürger von ihrer Nahrung und häuslichen Ehre und Wohnung gedrungen. Da dem Kaiser an der Wohlfahrt seiner Stadt viel gelegen und ihm die Juden unmittelbar unterworfen seien, so befehle er dem Rath und der Gemeinde, sie alle mit ihren beweglichen Gütern zu vertreiben und ihnen eine bestimmte Frist zu stecken, innerhalb deren sie die Stadt zu verlassen hätten. Ihre Häuser, die Synagoge, den Kirchhof und ihre übrigen Liegenschaften soll der Reichsschultheiß in Besitz nehmen. Niemals sollen wieder Juden in der Stadt wohnen, ein Befehl, der bis in die neueste Zeit hinein aufrecht erhalten ist.
Am 26. Juli übertrug der Kaiser seine Ansprüche auf die Immobilien gegen die Zahlung von 8000 rheinischen Gulden vollständig auf die Stadt. Man ließ den Juden noch eine Frist von wenigen Monaten, schließlich bis zum 10. März 1499, um ihre Forderungen einzucassiren und ihre Pfänder auslösen zu lassen; dann mußten sie die Stadt verlassen, um Jahrhunderte nicht mehr zurückzukehren.
Doch bevor wir die Juden Nürnbergs verlassen, holen wir noch Einiges über ihre Stellung in der Stadt und über die Organisation ihrer Gemeinde nach, wobei wir uns besonders an die im Eingange erwähnten Judenordnungen anschließen.
Sie hatten das Recht, in der Stadt Häuser zu Eigenthum zu besitzen; beide Male, daß sie aus Nürnberg vertrieben werden, 1349 und 1498 wird die Confiscation ihrer Häuser verhängt. In den Nürnberger Polizeivorschriften des 14. Jahrhunderts findet sich freilich die Vorschrift, daß keiner von den ‚Genannten‘, d. h. etwa von den Rathspersonen, bei einem Verkauf von Grundstücken oder Gülten an Klöster, Fremde oder Juden zugegen sein solle. Doch läßt dies Verbot, neues Grundeigenthum zu erwerben, es noch immer zu, daß sie im bisherigen Besitz verblieben. Die Stadt befürchtete, daß die reichen Juden nicht bloß die für ihre Wohnung und ihren Gottesdienst erforderlichen Häuser, sondern auch andere Grundstücke erwerben würden, und suchte diesem Umsichgreifen in ähnlicher Weise zu begegnen, wie König Ludwig, welcher im Jahre 1344 bestimmt hatte, daß fernerhin nicht mehr Christenhäuser in das Eigenthum der Juden übergehen sollten; wahrscheinlich gehört die Polizeiverordnung in dieselbe Zeit.
Als ihnen nach dem Jahre 1349 wieder der Aufenthalt in der Stadt erlaubt wurde, wies man ihnen einen besonderen Bezirk zur Ansiedlung an; doch sah man sich genöthigt, da ihre Zahl im Laufe der Zeit stark wuchs, ihnen auch die Möglichkeit weiteren Erwerbes zu gestatten. Es wurden ihnen einige Straßen bezeichnet, in welchen sie Häuser kaufen dürften. ‚Doch alzo, waz sie kauffen, daz sie den burgern geben sullen von dem 100 12 Guldein, als von alter vor herkomen ist‘; sie mußten also in jedem Falle eines weiteren Erwerbs die Berechtigung dazu durch eine bedeutende Zahlung erkaufen.
Bei ihrer Aufnahme in die Stadt mußten die einzelnen, wie oben bemerkt, eine Abgabe zahlen, aus der Bürgerschaft zwei Bürgen stellen und einen Eid schwören, für den wir zwei Formulare besitzen: daß sie sich an dem Christenrecht nach dem Stadtrecht zu Nürnberg genügen lassen, und in Sachen, welche den jüdischen Glauben und das jüdische Recht betreffen, ‚ an ainen slechten Jueden recht‘, bei Streitigkeiten mit Christen ist das Gericht des Reichsrichters, bei solchen unter einander der Judenrath (Judenmeister und die dazu von den Bürgern bestimmten Juden) oder der Reichsrichter competent.
Verheiratheten sich Kinder von zu Nürnberg angesessenen Juden, so hatten die Neuvermählten nur vier Wochen das Recht in der Stadt zu bleiben und mußten mit dem Rath in dieser Zeit über ihre specielle Aufnahme in Verhandlung treten. Wollte ein Jude die Stadt verlassen und sein Bürgerrecht aufgeben, so mußte er dies dem Rath anzeigen und noch ein Jahr seine Steuern bezahlen; das heimliche Verlassen der Stadt war mit einer Buße und dem Verlust und dem Verlust sämmtlicher Forderungen und aller Habe bedroht, welche er in der Stadt besaß. Wer sein Bürgerrecht aufgiebt, muß einen jüdischen Eid schwören, daß er etwaige Streitigkeiten mit Nürnberger Bürgern vor dem Reichsrichter in der Stadt zur Entscheidung kommen lassen, Pfänder, welche ihm übergeben sind, bei einem Juden daselbst deponieren und seine Grundstücke binnen Jahresfrist einem Nürnberger Bürger verkaufen wolle.
Die Juden standen im Allgemeinen unter der städtischen Gerichtsbarkeit und sollten vor keinem anderen weltlichen oder vor geistlichem Gerichte belangt, insbesondere nicht vor des Reichs Hof- oder Landgerichte geladen werden. In beschränkter Weise, in Sachen, welche ‚iren Jüdischen glauben und Jüdisch recht getreffen‘, ohne daß genauer bestimmt wäre, wie weit dies jüdische Recht anerkannt wird, waren sie dem Judenmeister unterworfen. Der Stadtrath setzte ihnen jährlich, wie es in den Judenrechten heißt, ‚ainen rat und auch rechner, daz die dezto baz mit gemach und mit frid pleiben unter ainander‘; dieser Judenrath hatte außer der beschränkten Gerichtsbarkeit auch das Recht, die Steuer auf die einzelnen Juden umzulegen. Der Haupt- oder sogenannte Stadtrabbi blieb bei dem jährlichen Wechsel des Raths immer derselbe. Im Jahre 1406 traf der Stadtrath aus unbekannten Gründen die Bestimmung, daß in Nürnberg ferner keine Judenschule bestehen, sondern jeder seine Kinder zu Hause unterrichten lassen solle, und daß der Rabbiner zu entlassen sei. Als im Jahre 1407 König Ruprecht allen Juden im Reich den Juden Israel zum obersten Hochmeister über alle jüdischen Hochmeister bestellt hatte, wollte sich die Nürnberger Gemeinde diesem Befehl nicht fügen und mußte der König seine Anordnungen von Neuem einschärfen.
Durch die Judenordnung wurden die allgemeinen canonischen Bestimmungen auch für Nürnberg wiederholt: an christlichen Feiertagen sollen sie sich zurückgezogen halten und keinen Handel und Kauf betreiben; damit sie nicht mit den Christen zusammen badeten, erhielten sie ein besonderes Badehaus, dessen Benutzung Christen bei Strafe untersagt war; auch hatten sie ihren besonderen Schlachthof und ihre eigenen Fleischbanken; sie sollen kein Fleisch von Thieren, welche sie geschlachtet hatten, an Christen verkaufen und ihr Vieh auf dem Viehmarkt zur gewöhnlichen Zeit einkaufen.
In Betreff ihrer Kleidung finden sich Vorschriften, welche nicht völlig verständlich sind: sie sollen keine Kappen tragen und die fremden, in der Stadt verweilenden Juden sollen ‚die gugeln über den Mantel legen‘. Gemäß dem Wiener Concil von 1267 trugen sie einen gethürmten Hut von rother Farbe, später trat an seine Stelle ein Barett oder platter Hut. Seit 1451 mußten sie gelbe Ringe an ihren Kleidern und die Frauen hellblaue Einfassungen an ihren Schleiern tragen. Auch wurde ihnen im Jahre 1343 geboten, alle vier Wochen ihre Bärte zu kürzen.
Das canonische Verbot, christliche Dienstboten zu halten, wurde zu Nürnberg nicht beachtet; denn es werden in der Judenordnung von der Bestimmung, daß sie keine Christen die Nacht über bei sich beherbergen sollen, ausdrücklich die Dientsboten (ehalten) ausgenommen und in einem anderen Gesetz aus dem 15. Jahrhundert wird das Gesinde verpflichtet, sich allein dem Dienst der Juden zu widmen und sich keinen Wucher zu Schulden kommen zu lassen.
Gewaltsame Taufen waren, wie überall, so auch zu Nürnberg untersagt, doch zwang man die Juden gelegentlich, christliche Bekehrungspredigten anzuhören, so im Jahre 1454 die des Johannes Capistrano, im Jahre 1478 die des Predigermönchs Schwarz.
In ihrem Handel waren sie beschränkt: sie sollen keine Kaufmannschaft treiben, außer daß sie Fleisch und Pferde kaufen und verkaufen, sie sollen weder Wein noch Bier den Christen ausschenken, noch Gewürz nach dem Gewicht verkaufen. Wesentlich waren sie auf Geldgeschäfte angewiesen, für welche der Zinsfuß zu verschiedenen Zeiten verschieden geregelt war (…). Verboten waren Darlehen in Getreide, überhaupt in anderen Dingen, als gemünztem Gelde; sie sollen auf Pfänder nur bei hellem Tage leihen und keine Waffen, städtisches Geräth, blutige oder nasse Kleider, keine Meßgewänder, Kelche, Kreuze, Monstranzen oder sonstiges Kirchengut als Pfand annehmen. Außerdem kehrt auch die sonst sehr häufige Bestimmung wieder, daß Handwerker, die von ihnen zu verarbeitenden Gegenstände nicht höher den Juden verpfänden dürfen, als um den Lohn, welcher ihnen für ihre Arbeit gebührt. Verpflichtet sich ein Schuldner im Falle der Nichtzahlung zum Personalarrest, so soll er nicht im Hause des Juden, sondern nur bei einem Christen in Haft gehalten werden und nur unter der Voraussetzung, daß der Jude die Kost bezahlt. Wollen sie ihre Pfänder verkaufen, so müssen sie vor dem christlichen Richter eidlich erhärten, daß bereits so viel Zinsen aufgelaufen seien, daß das Pfand nicht mehr genügende Sicherheit leiste. Hat der Schuldner bezahlt, so soll der Jude innerhalb acht Tagen es den Bürgen mittheilen. Will der Jude mit dem Schuldner eine besondere neue Verabredung treffen oder mit ihm abrechnen, so soll es in Gegenwart des Bürgen geschehen. Nürnberger Kaufleute dürfen sich nicht für Fremde bei den Juden verbürgen.
Ihr Reichthum, welcher der Stadt manche Vortheile brachte und den Bürgern die Möglichkeit gab, kleine und große Darlehen aufzunehmen, machte sie unentbehrlich und veranlaßte die Obrigkeit sehr bald nach den Vertreibungen sie wieder heranzuziehen und durch lockende Versprechungen zur Rückkehr zu bewegen. Als daher im Jahre 1498 vom Rath und Kaiser ihre Vertreibung für ewige Zeit beschlossen war, konnte man sich nicht der Erfahrung verschließen, daß ohne Darlehen und ohne Gebrauch fremden Geldes kein Handel bestehen könne. Es bestimmte daher Maximilian in seinem Patent von 1498, daß in der Stadt an gelegenen Orten Wechselbänke für Darlehen errichtet würden, mit dem Recht geringe Zinsen zu nehmen, aus denen die Anstalt und ihre Beamten zu unterhalten seien; ein etwaiger Ueberschuß sollte der Stadt selbst zu Gute kommen.“
Quelle:
O. Stobbe, Die Juden in Deutschland während des Mittelalters, Braunschweig 1866 und Amsterdam 1968 (Nachdruck), S. 49-66
Anmerkungen:
Der Text von Otto Stobbe wurde in seiner Originalschreibweise wiedergegeben, auf die meist nur Literaturhinweise enthaltenden Fußnoten dabei verzichtet. Hervorhebungen des Autors (Stobbe) erscheinen hier in Kursivschreibweise.
Folgende der im Literaturteil aufgeführten, mehrbändigen, deutschen Nachschlagewerke verschweigen unter ihrem jeweiligen Stichwort Nürnberg, die Judengeschichte der Stadt von vor 1933 vollständig: Der Grosse Herder (1955), Meyers Enzyklopädisches Lexikon (1976/1978) sowie die Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden (2006). Lediglich in Meyers Großem Konversations-Lexikon (1907) erfährt man, dass auch schon früher jüdisches Leben in der Frankenhauptstadt existierte. So werden darin u. a. die beiden Synagogen erwähnt, von denen die eine 1869-1874 von einem Baurat Wolf in byzantinisch-maurischem Stil erbaut worden ist und es wird für die Zeit des Erscheinens des Lexikons die Anzahl der Juden Nürnbergs mit 6819 (von insgesamt 294 431 Einw.) angegeben.
Literatur:
Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, 21. Aufl., Leipzig u. Mannheim 2006; Stichworte: Nürnberg, Nürnberger Gesetze, Nürnberger Parteitage, Nürnberger Prozesse
Der Grosse Herder, 5. Aufl., Freiburg 1955, Stichworte: Nürnberg, Nürnberger Gesetze, Nürnberger Prozesse
Enzyklopädie des Holocaust, (Hg.) Israel Gutman, Tel Aviv und Berlin 1990/1993; Stichworte: Nürnberg, Nürnberger Folgeprozesse, Nürnberger Gesetze, Nürnberger Militär-Tribunale, Nürnberger Militärprozesse, Nürnberger Prozess.
Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 9. Aufl., Mannheim u.a. 1976/korrigierter Nachdruck 1978, Stichworte: Nürnberg, Nürnberger Gesetze, Nürnberger Parteitage, Nürnberger Prozesse
Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Aufl., Leipzig und Wien 1907, Stichworte: Nürnberg; Stobbe, Otto
Neues Lexikon des Judentums, (Hg.) J. H. Schoeps, Gütersloh/München 1998, Stichwort: Nürnberg
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern, München 1992, (2. Aufl.) zugleich: Publikation A 85 der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, S. 177-183