„Es ist ein Seiltanz, im Iran zu drehen“

0
19

Am 13. August läuft Arash T. Riahis Flücht­lings­drama »Ein Augenblick Freiheit« in den deutschen Kinos an, nachdem er bereits 22 internationale Filmpreise erhalten hat. Riahi sprach mit der Jungle World über den entwaffnenden Galgenhumor der Flüchtlinge, realitätsferne Kritiker, die Beziehung zwischen iranischen und exil­iranischen Filmemachern und die Hoffnung auf die Trennung von Religion und Politik im Iran…

Interview: Mary Kreutzer und Thomas Schmidinger
Jungle World 33 v. 13. August 2009

Nach der preisgekrönten Dokumentation über Ihre Familie, »Family Exile Movie«, folgt nun Ihr Spielfilmdebüt »Ein Augenblick Freiheit«. Erzählt der Film die Geschichte Ihrer eigenen Flucht aus dem Iran?

Teilweise. Ich bin als Neunjähriger mit meinen El­tern aus dem Iran mit der Hilfe kurdischer Schlepper in die Türkei geflüchtet und kann mich daran sehr gut erinnern. Dort blieben wir einige Monate, bis wir es nach Österreich schafften. Ich bin damals in den Bergen fast erfroren, und ich bedaure heute noch den Verlust meiner schönen neuen Lederstiefel, die bei der Flucht völlig kaputtgingen. Meine beiden jüngeren Geschwister waren damals zu jung für die Flucht und mussten zunächst bei den Großeltern im Iran bleiben. Sie wurden später aus dem Land geschmuggelt. Meine Schwester, sie war damals vier Jahre alt, kann sich nur noch an eine Anekdote erinnern. Bei ihrer nächtlichen Flucht über die Berge hat sie meinen kleinen Bruder ermahnt, er solle endlich still sein, »sonst holt dich der Khomeini!« Ein legendärer Satz im Familiengedächtnis.

Eine der drei Geschichten im Film ist jene der Flucht meiner Geschwister, die anderen zwei habe ich ausführlich recherchiert. Es sind exemplarische Geschichten, die Tausenden Flüchtlingen aus dem Iran und anderen Ländern passiert sind. Es ging mir in dem Film nicht nur um eine autobiografische Aufarbeitung des Themas, sondern darum, ein universelles Bild dieser ungewissen Zeit der Flucht zu entwerfen. »Ein Augenblick Freiheit« ist für mich mehr als ein Film, er ist eine Hommage an Menschen, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, und er ist auch mein Beitrag zum iranischen Widerstand.

Sie haben zum Teil mit echten Asylbewerberinnen und Asylbewerbern in der Türkei gedreht?

Während der Recherchen sprachen wir dort unzäh­lige Flüchtlinge an. Einige übernahmen dann diverse Klein- und Komparsenrollen. Mich faszinierte die entwaffnende Komik, der unglaubliche Humor, mit dem diese illegalisierten und stets an der Kippe zur Deportation stehenden Menschen ihr Leben meistern. Immer wieder schaffen sie es, die Realität durch ihren Witz zu verändern und sie dadurch erträglicher zu machen. Deshalb ärgern mich Kritiker, die ein Problem damit haben, dass ich ein ernstes Thema zum Teil auch hu­morvoll behandle. Die haben leider keinen blassen Schimmer vom Leben der Flüchtlinge und glauben, dass das ein Haufen wandelnder Depressiver ist. Das sehen ich und auch die NGO, die mich beraten haben, anders. Die meisten Flüchtlinge sind stolze, würdevolle Menschen, die voller Hoffnung und Lebensfreude sind. Dass ihnen bei der heutigen Flüchtlingspolitik einiges davon ver­geht, ist eine andere Sache.

Wie wurde der Film in Kreisen der iranischen Diaspora aufgenommen?

Erstaunlich gut. Einige sagten mir, sie warten seit 30 Jahren auf diesen Film. Nach »Persepolis« von Marjane Satrapi war es der erste Film, der von verschiedensten Gruppen der Exiliraner positiv aufgenommen wurde und dem es gelang, sie zu vereinen. »Ein Augenblick Freiheit« erhielt z.B. eine sehr gute Kritik vom weit links stehenden Kritiker Basir Nasibi, einem Mitbegründer der Experimental- und Undergroundfilmszene im Iran. Erstaunlicherweise wurde seine Kritik dann von Keyhan London, einer den Monarchisten nahestehenden Zeitung, nachgedruckt. Selbst »Voice of America« lud mich für mehrere Interviews ein. Dass der Film von links bis rechts rezipiert wur­de, hat mich gefreut, denn es ging mir nicht um politische Propaganda, sondern um die Vermittlung von demokratischen und humanistischen Werten. Am meisten berührte mich die E-Mail eines iranischen Asylbewerbers aus Wien. Er schrieb mir, er sei seit drei Monaten hier und die Isolation mache ihm schwer zu schaffen. Als er den Film im Kino sah und neben ihm die Öster­reicher lachten und weinten, am Ende aufstanden und klatschten, fühlte er sich zum ersten Mal verstanden und dadurch auch weniger einsam.

Die iranische Diaspora in Europa und in den USA ist politisch in verschiedenste Fraktionen aufgespalten und zerstritten und hat in den vergangenen 30 Jahren wenig zustande gebracht. Ändert sich das durch die gegenwärtige Protestbewegung?

Ja, ich denke schon, aber es ist ein langsamer Pro­zess. Vor allem die Aktivisten der älteren Generation können sich gegenseitig nicht verzeihen. Jemandem, der in der Schahzeit jahrelang gefoltert wurde, fällt es verständlicherweise nicht leicht, auf Demonstrationen zu gehen, auf denen Schah-Anhänger anwesend sind. Fakt ist, dass sich derzeit viele Kinder von Exilanten zu politisieren beginnen, und das ist ein gutes Zeichen. End­lich hat sich auch das Bild des »Schurkenstaats Iran« gewandelt. Wir wussten ja immer schon, dass die Menschen im Iran ein anderes politisches System und mehr Demokratie wollen, aber die westliche Öffentlichkeit und einige politische Grup­pen haben das Land lange Zeit dämonisiert. Damit ist jetzt wohl Schluss.

Wie schätzen Sie die aktuellen Entwicklungen und die Protestbewegung im Iran ein?

Ich finde es zunächst sensationell, dass es die Men­schen im Iran nun zu Hunderttausenden wagen, auf die Straße zu gehen. Sie haben eine friedliche Form des Protestes gewählt, und das Regime reagiert mit brutaler Repression. Am 40. Tag nach dem Tod von Neda wurde es den Menschen verboten, aus dem Koran zu zitieren. Da fragen sich selbst die Muslime im Land, was das für eine islamische Regierung sein soll. Neulich sprach ich mit einer Regisseurin, die vor kurzem im Iran war. Sie ist überzeugt, dass die »Velayat-e Faqih«, die »Herrschaft der Gelehrten«, früher oder später fallen wird. Sogar fragwürdige Leute wie Rafsanjani arbeiten ihrer Meinung nach hinter den Kulissen daran. Und sollte das tatsächlich passieren, wäre ein Riesenschritt getan: die Trennung von Religion und Politik.

Das iranische Kino ist in den vergangenen Jahren unter europäischen Cineasten sehr beliebt geworden und wird vom Regime teilweise auch zur Außendarstellung benutzt. Welche Rolle spielen dabei Filmemacher wie z.B. Mohsen Makhmalbaf, der heute eine Stimme der Oppo­sition ist, aber nach der Revolution auch mit Gefangenen drehte und Propagandafilme für das Regime produzierte?

Zunächst ist es auffällig, dass das iranische Kino trotz der Diktatur die einzigartigsten Filme im gesamten Nahen Osten hervorgebracht hat. Ich bin dagegen, dass manche Exiliraner alle Filme, die aus dem Iran kommen, grundsätzlich als Propagandawerke verurteilen. Oft haben sie die Filme, die sie kritisieren, nicht einmal gesehen. Da kann es schon passieren, dass man iranischen Regisseuren, die unter den Bedingungen einer Diktatur versuchen, ihre kritische Stimme zu erheben, Unrecht tut. Manchen tut man aber nicht Unrecht. »Gabbeh« von Mohsen Makhmalbaf wurde von der Teppichindustrie gesponsert! Das steht auf Persisch im Abspann, und das wirft natürlich ein anderes Bild auf den Film, der oberflächlich sehr poetisch daherkommt. Des Weiteren gibt es eine Szene, in der ein alter Mann mit einem minderjährigen Mädchen flirtet. Die Filmszene mag für Menschen, die den Iran nicht kennen, ganz nett wirken. Doch in Wahrheit verharmlost sie die tagtägliche Gewalt gegen Mädchen im Iran, die spe­ziell in weniger gebildeten Schichten gezwungen werden, viel ältere Männer zu heiraten.

Makhmalbaf ist insgesamt eine sehr komplexe Person. Er hat nicht nur problematische, sondern auch spannende und wichtige Filme gemacht. Er war es, der in seinem Film »Die Hochzeit der Auserwählten« das Scheitern diverser revolutionärer Ideale ansprach. In diesem Film sieht man auch erstmals dokumentarische Aufnahmen von Drogenabhängigen in den Straßen Teherans. Das durfte außer ihm, einem Mann des Regimes, niemand thematisieren. Gemeinsam mit meiner Mutter interviewten wir ihn einmal in Wien und fragten ihn nach seiner Meinung über exil­iranische Filme. Er antwortete, dass ihn das über­haupt nicht interessiere, da die Leute, die den Iran verließen, nur auf Spaß, Sex und Partys fixiert seien. Dass er das meiner Mutter, die aus politischen Gründen flüchten musste, um ihr Leben zu retten, ins Gesicht sagte, war wirklich unglaub­lich. Andererseits hat er sich jetzt aber weit vorgewagt, und es wird für ihn auch kein Zurück mehr geben, nachdem er sich mit Marjane Satrapi im Europa-Parlament so eindeutig gegen das Regime geäußert hat.

Filme aus dem Iran, die das europäische Publikum begeistern, wie z.B. »Der Kreis« von Jafar Panahi über acht inhaftierte Frauen in Te­heran, dürfen teilweise im Iran selbst nicht gezeigt werden.

Das ist ein Seiltanz. Als ich Panahi interviewte, sagte er mir, er mache eigentlich gar keine Filme über den Iran im engeren Sinn. Dass es Gewalt ge­gen Frauen auch in Europa gibt, ist mir klar. Aber die hiesige Situation mit der systematischen und massiven Benachteiligung von Frauen im Iran zu vergleichen, ist absurd. Er muss das wohl so be­haupten, um im Iran weiterarbeiten zu können. Aber sogar er ist in den vergangenen Tagen verhaftet worden.

Beziehen sich exiliranische und iranische Filme aufeinander?

Nein, eigentlich gar nicht. Exiliranische Filmemacherinnen und -macher behandeln aus naheliegenden Gründen vor allem das Thema Exil, oder sie vermeiden das Thema ganz bewusst und können in den seltensten Fällen zurück, um im Land zu drehen. Die Regisseure im Land wiederum kollaborieren entweder, oder sie versuchen den vorhin beschriebenen Seiltanz einer Regimekritik. Die ältere Generation iranischer Regisseure, die geflohen sind, war wiederum zu traumatisiert und nach der Flucht zu sehr mit den bürokratischen, sprachlichen und finanziellen Hürden beschäftigt, um künstlerisch weiter arbeiten zu können. Ich sehe es nun als Aufgabe der jungen Generation exiliranischer Filmemacher, jene Filme zu drehen, die weder die älteren Exiliraner noch die iranischen Filmemacher machen können.