Wohltuender Eklat im Pariser Prozess um den Foltermord an Ilan Halimi: Daouda Fofana, der Bruder des Hauptangeklagten, Youssouf Fofana, richtete einen moralischen Bannstrahl gegen den bekennenden Judenhasser und Mörder von Halimi. Gleichzeitig erlitt die „Anti-zionistische Liste“, die bei den EU-Wahlen im Raum Paris kandidierte, eine deutliche Abfuhr…
Von Danny Leder, Paris
Daouda Fofana, der zum Lebenslauf seines Bruders, Youssouf Fofana, befragt wurde, trat sichtlich erregt in den Zeugenstand und rief: „Was kann ich sagen? Es ist eine Schande, es ist eine Schande für unsere Familie, es ist eine Schande für alle Menschen, die den Namen Fofana tragen.“ Dabei schaute Dauouda Fofana geradewegs seinem Bruder Youssouf in die Augen (weshalb die Richterin ihn ermahnte, sich dem Gericht und nicht dem Angeklagten während seiner Aussage zuzuwenden).
Die Aussage von Daouda Fofana, am 2.Juni, stellte einen symbolischen Wendepunkt im Prozess um den Foltermord an dem jungen Juden, Ilan Halimi, dar. In dem Ende April begonnenen und bis Anfang Juli anberaumten Prozess vor einem Pariser Geschworenengericht sitzen 27 junge Vorstädter auf der Anklagebank. Der 23 jährige Halimi, der als Angestellter in einem Pariser Telefonladen gearbeitet hatte, war von ihnen im Januar 2006 entführt worden, weil sie von „den reichen Juden“ Lösegeld erpressen wollten. Doch Halimis Familie war nicht wohlhabend. Die Lösegeldverhandlungen zogen sich in die Länge. Unterdessen quälten die Geiselnehmer ihr Opfer, das im Keller eines Plattenbaus in der Vorstadt Bagneux festgehalten wurde. Schließlich tötete der Chef der Bande, Youssouf Fofana, seinen Gefangenen, indem er ihn, bei lebendigem Leib mit Benzin übergoss, anzündete und obendrein erstach.
Der 28 jährige Youssouf Fofana, der aus einer Einwandererfamilie aus der Elfenbeinküste stammt, präsentierte sich gleich zu Prozessbeginn als „afrikanischer und arabischer Islamist“, bekannte sich zu seinem Verbrechen, das er als religiöse Wohltat darstellte („Allah mag die Juden nicht“), und verhöhnte die Hinterbliebenen des Opfers („Ihr hätte ja nur zahlen brauchen“). Das führte zu Spannungen mit mehreren der übrigen Angeklagten. Einige reagierten mit Drohgebärden gegen Fofana, eine beginnende Schlägerei zwischen den Angeklagten wurde von Wachebeamten gestoppt.
Diese Komplizen von Fofana, überwiegend labile junge Menschen, die sich an der Schnittstelle zwischen Kriminalität, radikalem Islam und Judenhass bewegten, sind jetzt, vor Gericht, möglichst um Distanz gegenüber Fofana bemüht, um so ihre eigene Verantwortung zu mindern. Ihre geläufigste Rechtfertigung lautet, sie seien gegen ihren Willen von Fofana, der ihnen Angst einflößte, in die Entführung verwickelt worden. Aus dieser Verwicklung heraus und eben aus der Furcht vor Fofana hätten sie, trotz Gewissensbisse, nichts zur Rettung von Halimi unternommen. Einige haben Reue bekundet, ein paar brachen bei ihrer Einvernahme vor Gericht in Tränen aus, wofür sie von Youssouf Fofana verhöhnt wurden.
Der Auftritt des (in keiner Weise in den Fall verwickelten) Bruders von Youssouf Fofana war aber von einer anderen Qualität. Dabei entspannte sich ein rabiates Wortgefecht zwischen den beiden Brüdern. Nach den Eingangs zitierten Worten der Scham von Daouda für die Tat von Youssouf, erwiderte letzterer: „Ich bin stolz. Ich haben einen Juden getötet“.
Später schrie Daouda, wiederum seinem Bruder zugewandt: „Du wirst in der Hölle verbrennen, so wie du diesen armen Unschuldigen verbrannt hast. Du bist ein Mörder, verrecke…“ Youssouf drohte daraufhin seinem Bruder: „Ich werde dein Foto ins Internet stellen, und du wirst auch verrecken“ (bereits zu Prozessbeginn hatte Youssouf Fofana den Geschworenen gedroht, ihre Fotos würden per Internet verbreitet werden, je nach Urteilsspruch könnte ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt werden).
Eine Woche nach dem Auftritt seines Bruders versuchte Youssouf Fofana wieder auf seine Weise den Prozessverlauf an sich zu reißen. Während der Einvernahme eines Mitangeklagten schmiss er einen Schuh in Richtung der Anwälte der Familie Halimi und rief dazu „Allah Akbar“. Die Richterin unterbrach die Verhandlung für fünf Minuten. Bei Wiederaufnahme der Sitzung warf Youssouf Fofana seinen zweiten Schuh auf die Anwälte, die ihre Köpfe rechtzeitig senkten. Dazu schrie Fofana: „Alle meine Feinde, die Juden der Welt, sind da versammelt. Das ist ein arabisches Attentat mit einer Schuh-Bombe.“ Der Angeklagte, ein Grinsen auf den Lippen, wurde daraufhin aus dem Gerichtssaal abgeführt.
Aber der starke Eindruck, den der Bruder von Youssouf Fofana hinterlassen hatte, blieb bestehen. Die unerbittlichen Worte von Daouda Fofana gegen den bekennenden Mörder Youssouf Fofana mögen selbstverständlich erscheinen, sie haben nicht desto trotz ihr Gewicht, weil sie eine besonders scharfe Grenze innerhalb der Familie Fofana und in weiterer Hinsicht im afrikanisch-muslimischen Migrantenmilieu gegenüber dem mörderischen Judenhasser ziehen, der sein Verbrechen unter Berufung auf „das Leiden der Afrikaner“ zu rechtfertigen versucht – und dass zu einem Zeitpunkt, da bei einen kleinen aber rührigen Teil der muslimischen Jugendlichen aus nord- und schwarzafrikanischen Familien in den städtischen Randvierteln die Juden-Feindschaft spürbar wächst.
Gefängnisse als Lehranstalten für Judenhass
Insofern ist es bedauerlich, dass der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet – gegen den Willen der Familie Halimi, aber auf Verlangen von zwei der Angeklagten, die zur Tatzeit minderjährig waren, und die deswegen, laut französischem Recht, ein Verfahren hinter verschlossenen Türen beanspruchen konnten. Deshalb berichten die französischen Medien auch kaum über den Prozess. Dass trotzdem aufschlussreiche Details bekannt werden, ist hauptsächlich das Verdienst einer jungen Journalistin, Elsa Vigoureux, die auf einem Blog im Rahmen der Website des Magazins „Le Nouvel Observateur“ den Prozessverlauf, gestützt auf Informationen der Anwälte, tagtäglich dokumentiert (http://elsa-vigoureux.blogs.nouvelobs.com/).
Die Aussage von Daouda Fofana bestätigte auch die Verbreitung dschihadistischer Ideologien und des dazugehörigen antijüdischen Wahns unter den jungen Insassen von Haftanstalten. Dabei wird kurioser Weise „das Judentum“, unter anderem, für die schwierige Situation Schwarzafrikas und die Diskriminierung der Nord- und Schwarzafrikaner in Frankreich verantwortlich gemacht. So erzählte Daouda Fofana vor Gericht, dass sein Bruder Youssouf ursprünglich in der Familie „nie durch antisemitische Sprüche aufgefallen war“, dass er aber nach seinem letzten Gefängnisaufenthalt (wegen eines Raubüberfalls), 2001, „völlig verändert“ gewirkt habe: „Da war er nicht mehr wieder zu erkennen“.
Genau diese Aufladung der labilsten und bereits in Gewalttaten abgeglittenen Vorstadtjugend mit einer Art antijüdischen „Weltanschauung“ macht die Situation der jüdischen Minderheit an den Rändern der französischen Städte potentiell so gefährlich. Von den annähernd 600.000 Juden Frankreichs, die so wie die Muslime (rund fünf Millionen) familiengeschichtlich großteils aus Nordafrika stammen, leben noch verhältnismäßig viele in den Vorstädten. Es ist nicht die muslimische Mehrheit als solche in diesen Vierteln, sondern eine gewaltbereite und sozial besonders verwahrloste Minderheit unter den muslimischen Jugendlichen, die in den letzten Jahren ihre jüdischen Nachbarn stellen- und phasenweise beschimpft, bedroht und auch tätlich attackiert haben.
Wie weit das gehen kann, veranschaulicht ein anderer, älterer Mordfall, der ursprünglich von der Öffentlichkeit kaum registriert wurde: im November 2003 war in einem volkstümlichen Pariser Bezirk, ein damals 23 jähriger Jude, Sébastien Selam, von einem muslimischen Schulfreund, in die Kellergarage ihres gemeinsamen Wohnblocks gelockt, dort erstochen und verstümmelt worden. Der Täter war im Viertel als eine Art Bandenboss bekannt, das Opfer hatte als Diskjockey bei einem Radiosender eine gewisse Prominenz erlangt. Nach der Tat schrie der Mörder vor Zeugen: „Ich habe einen Juden getötet. Ich komme ins Paradies“. Bei dem anschließenden Justizverfahren war der Täter für unzurechnungsfähig erklärt und nicht verurteilt worden.
Jetzt bemüht sich der Anwalt der Familie Selam um eine Neuaufnahme des Verfahrens. Diese Bemühungen wurden mit Drohungen gegen die Juden in dieser Sozialbau-Siedlung quittiert. Es kam zu neuerlichen Übergriffen von muslimischen Jugendlichen, darunter einem Brandanschlag gegen die Wohnung einer jüdischen Rentnerin.
Der Wahlflop der „Anti-zionistischen Liste“
Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang das – schlechte – Abschneiden der „Anti-zionistischen Liste“, die bei den EU-Wahlen ausschließlich in der Pariser Großregion kandidierte und mit beachtlichem Propaganda-Aufwand de facto antijüdische Hetze („Die Zionisten kolonisieren Frankreich“) verbreitete. Insgesamt kam sie nur auf 1,3 Prozent der Stimmen.
Geführt wurde diese Liste von Dieudonné Mbala Mbala, einem schwarzen Bühnenkünstler. Der Sohn eines Kameruner und einer Bretonin erlangte ursprünglich, an der Seite eines jüdischen Partners, mit einer humoristischen Show beachtliche Popularität. In den letzten Jahren war aber Dieudonné (so sein Künstlername) zu monomanischen Kampagnen gegen Israel und schließlich zu kaum verhüllter anti-jüdischer Hetze übergegangen. Obendrein vollzog er einen Schulterschluss mit dem Rechtsaußen-Tribun Jean-Marie Le Pen und dem Holocaust-Leugner Robert Faurisson.
Bei den jüngsten Wahlen versammelte Dieudonné auf seiner Liste einen wirren Haufen, darunter einen rotbraunen Ideologen, traditionelle französische Rechtsradikale und den Chef einer pro-iranischen, schiitisch-fundamentalistischen Splittergruppe. Letzterer überraschte mit der Behauptungen: „Frankreichs Christen werden wie die Palästinenser von den Zionisten beherrscht“ und „Hinter jeder Scheidung stehen die Zionisten“.
Bei soviel Irrsinn ist es nur recht und billig, dass Dieudonné mit 1,3 Prozent der Stimmen im gesamten Pariser Großraum sein deklariertes Wahlziel von drei Prozent weit verfehlte (ab drei Prozent hätte Dieudonné die Ausgaben für seine Wahlwerbung zurückerstattet bekommen). In einem halben dutzend Städten des Pariser Vorortgürtels gelangte Dieudonné allerdings auf rund fünf Prozent, in ein paar Sozialsiedlungen erzielte seine Liste sogar zwischen 15 und 20 Prozent. Aber auch diese Durchbrüche müssen angesichts der massiven und überdurchschnittlichen Wahlenthaltung in den Vororten und städtischen Randsiedlungen relativiert werden. Beispiel: In einem Wahlkreis, der 959 Wahlberechtigte aufwies, gelangte die „Anti-zionistische Liste“ mit nur 31 von insgesamt 133 abgegeben Stimmen auf 23,3 Prozent.
Möglicherweise schadete Dieudonné auch seine Nähe zu Le Pen. Der rechtsrechte Senior hatte noch während der Wahlkampagne seine Sympathie für Dieudonné bekundet. In seiner eigenen Wahlkampagne zog zwar Le Pen wieder gegen die „Migranten-Invasion“ zu Felde, er wünschte aber gleichzeitig, im Sinne eines arbeitsteiligen Vorgehens, seinem „Freund Dieudonné ein gutes Abschneiden in den Cités“, also in den Stadtrand-Siedlungen, in denen muslimische Jugendlichen überwiegen. Le Pen, der bei Präsidentenwahlen auch schon mal auf 18 Prozent gekommen war, schrumpfte mit seiner „Front national“ diesmal auf 6,34 Prozent. Seine Partei verlor vier von sieben EU-Parlamentssitzen.
Dieudonnés nunmehr offensichtliches Zusammengehen mit Rechtsradikalen führte auch dazu, dass die allermeisten und aktivsten Teile der pro-palästinensischen Bewegung in Frankreich ihn diesmal nicht unterstützten. Noch bei den EU-Wahlen 2004 hatten die radikalsten Teile der pro-palästinensischen Bewegung die Wahlliste „Euro-Palestine“ mit Dieudonné als Spitzenkandidaten
im Großraum Paris gebildet. „Euro-Palestine“ kam 2004 insgesamt auf 1,83 Prozent. In Vorstädten mit bedeutendem muslimischem Bevölkerungsanteil erlangte „Euro-Palestine“ damals um ein Drittel mehr Stimmen als Dieudonné dieses Mal.
Radikale Linke gegen die „Anti-zionistische Liste“
Erwähnenswert ist auch, dass sich Aktivisten der radikalen Linken als einzige der Wahlkampagne der „Anti-zionistischen Liste“ auf der Straße widersetzten. Bei Dieudonnés ersten Besuchen auf Freiluftmärkten in Migrantenvierteln hatte er noch freie Bahn. Einige wenige Marktbesucher auch aus dem afrikanischen Migrantenmilieu beschimpften ihn zwar, etliche Personen empfingen ihn aber mit Begeisterung. Seine Aktivisten verteilten Flugblätter, die „Massenentlassungen, Abbau des öffentlichen Dienstes, Weltfinanz, Nato und zionistische Mafia“ in einem Zug geißelten. Ein franko-arabischer Kleiderhändler auf dem Markt der Vorstadt Garges übersetzte: „Endlich jemand, der etwas gegen die Juden unternimmt. Dieudonné sagt doch nur laut, was wir uns alle denken“. Ähnlich reagierten die meisten arabischen Marktstandbetreiber, die Dieudonné bewarb.
Aber eine Woche später versammelten sich auf dem Pariser Markt der Rue des Pyrénées etwa 20 Aktivisten der linksautonomen Antifa-Bewegung „Scalp“ und traten Dieudonné mit Sprechchören („Nein zu den Antisemiten“) entgegen. Daraufhin stürzten sich die rund 50 Begleiter von Dieudonné auf die Antifaschisten, es kam zu einer Schlägerei, die Polizei schritt ein. Dieudonné konnte anschließend seine Propagandatour auf dem Markt ungestört fortsetzen.
In den Reihen der bedeutendsten Organisation der radikalen Linken, der „NPA“ (Nouveau Parti Anticapitaliste), entbrannte daraufhin eine Diskussion, ob auch sie Dieudonné in militanter Form entgegentreten sollte. Die NPA, die bei den EU-Wahlen auf 4,9 Prozent kam, hatte die Liste von Dieudonné vorweg als „zweite rechtsradikale Kandidatur neben der Front national“ eingestuft.
Die NPA, die selber in der pro-palästinensischen Bewegung äußerst aktiv ist und für einen „Boykott Israels“ eintritt, berief sich bei ihrer Verurteilung von Dieudonné auch auf palästinensische Persönlichkeiten, vor allem aus den Reihen der Fatah und FDLP. Während Dieudonné Unterstützung von der Hamas, der libanesischen Hizbullah und sogar vom Terrorsöldner „Carlos“ bekam. (Carlos, der aus Venezuela stammt und in Wirklichkeit Illich Ramirez Sanchez heißt, ist in Frankreich wegen mehrerer Anschläge, bei denen elf Menschen starben, zu lebenslanger Haft verurteilt worden).
In den letzten Tagen der Wahlkampagne versammelten sich jeweils an die hundert linke Gegner der „Anti-zionistischen Liste“ auf den Märkten, die Dieudonné besuchen wollte. Dieser verzichtete daraufhin auf seine Rundgänge und machte kehrt. Auch die Plakate der „Anti-zionistischen Liste“ wurden in den volkstümlichen Pariser Vierteln durchgehend überschmiert.
Es bleibt freilich ein Faktum, dass der Politologe Jean-Yves Camus in einer ersten Wahlanalyse hervor strich: Dieudonné erzielte prozentuell bedeutende Ergebnisse in Vorstädten, in denen auch jüdische Gemeinden über eine nennenswerte Präsenz verfügen. Dass bedeutet, dass gerade dort, wo man sich an Juden direkt vergreifen kann, Judenhasser durch die Kampagne der „Anti-zionistischen Liste“ bestärkt wurden. Etliche Phrasen, die Dieudonné und sein Umkreis dreschen, sind deckungsgleich mit den Worten, die der Mörder Youssouf Fofana bei seinem antijüdischen Delirium vor Gericht hervorstößt.
Vielen Dank für diesen informativen Bericht. Ich finde es sehr wichtig zu erfahren, was in den Nachbarstaaten passiert, insbesondere was antisemitische Themen angeht, da sie uns Europäer alle gleichermaßen angehen sollten.
Herr Leder, vielen Dank für die Berichterstattung zu diesem Prozess. Diese wichtigen Informationen gingen sonst unter. Merci.
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