Israelischer Film in Cannes 2009: Eyes Wide Open

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Das europäische Kinopublikum hat eher selten das Vergnügen, israelische Filme zu sehen, mit Ausnahme großer Kinoereignisse, wie den Internationalen Filmfestspielen in Cannes. Hier präsentierte Israel dieses Jahr einen einzigen Film – „Eyes Wide Open“…

Interview / Text: Tatiana Rosenstein / Anne Kathrin Grünhoff

Chaim Tabakman (geb. 1974), Absolvent des Kino und TV Lehrstuhls der Universität in Tel Aviv, ist kein Unbekannter mehr in Cannes. 2003 und 2004 wurden seine Kurzfilme bereits für das Programm junger Talente („Cinefondation“) nominiert. Mit „Eyes Wide Open“ feierte der israelische Regisseur sein Kinospieldebüt.

Eine ungewöhnliche Liebesgeschichte im jüdisch-religiösen Milieu. Der verheiratete Familienvater Aaron (Zohar Strauss) verliebt sich in den attraktiven Talmudstudenten Ezri (Ran Danker). Beide sehen sich fortan mit dem absoluten Tabuthema der Homosexualität in der orthodoxen Welt wie auch mit dem eigenen inneren Kampf konfrontiert.

Herr Tabakman, wie kamen sie zu dieser Geschichte?

Das Projekt existierte bereits seit sieben Jahren, nachdem die Drehbuchautorin Merav Doster ihre erste Version des Skriptes verfasst hatte. Die Geschichte weckte die Aufmerksamkeit des Produzenten Rafael Katz und er wollte zuerst eine kurze TV-Produktion daraus machen. Später aber kamen deutsche und französische Produktionen wie „Riva Film“ und „Totally“ hinzu. Das Konzept wurde größer und man entschied sich, aus dem Stoff einen Spielfilm zu drehen. Ich wurde dann geholt, als die Drehvorbereitungen schon auf Hochtouren liefen.

Man muss sicherlich viel Glück haben, um seinen ersten Spielfilm gleich in Cannes zu präsentieren?

Wenn sie es Glück nennen (lacht)- selbstverständlich gehört auch Glück dazu, aber noch mehr die Fähigkeit, die wichtigen Leute zu kennen oder ständig präsent zu sein… Ich glaube darüber hinaus, dass ich sehr passend für dieses Projekt war. Man wollte international auftreten und ich war bereits zweimal in Cannes. Außerdem war ein junger, offener Regisseur für diese eher unkonventionelle Geschichte erforderlich.

Glauben sie an die Authentizität solcher Geschichten?

Ich verrate Ihnen noch mehr (lacht), die Story mag fiktiv sein, doch während meiner Recherche sprach ich mit vielen Menschen in Jerusalem. Sie haben mir über ähnliche Geschichten in der eigenen Gemeinde berichtet. Natürlich wollten diese Erzähler anonym bleiben und die eigenen Familien nicht blamieren, aber sie waren durchaus hilfsbereit und beschrieben uns sehr genau, welche Emotionen und Gedanken unsere Hauptprotagonisten haben könnten.

Verraten sie uns noch mehr von diesen Berichten?

Nun, wenn sie sich mit der Religion auskennen, dann wissen sie, wie gefangen die Mitglieder der jüdisch-orthodoxen Gemeinde sind. Der ganze Tagesablauf erfolgt nach festgelegten Regeln und Ritualen. Man verordnet, wie man trinkt und was man isst, auf welche Weise man sich wäscht, welche Socken man anzieht und zur welcher Uhrzeit man am besten seine Haare kämmt. Es bietet sich kaum Gelegenheit, Fragen zu stellen oder an sich selbst oder an seinem Glauben zu zweifeln. Man ist längst nicht mehr ein Individuum, sondern löst sich gänzlich in der Gemeinde auf. Die plötzliche Liebe, welche Aaron für den Jüngling Ezri empfindet, dreht für ihn alles auf den Kopf. Er fragt sich, was Gottes Wunsch ist? Warum, um Gottes Willen, lässt er in mir diese Liebe aufkommen? Will er, dass ich dagegen ankämpfe oder soll ich diese Liebe als Gabe betrachten?

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Was könnten diese Fragen im israelischen Publikum auslösen? Und was möchten Sie mit ihrem Film erreichen, können Sie „die Augen weit öffnen“?!

Zuerst möchte ich behaupten, dass die orthodoxen jüdischen Gemeinden nicht immer so festgefahren waren, wie heute. Früher stellten sie gesellschaftliche Zentren der Kultur und Wissenschaft dar. Sie waren viel offener und für neue Ideen empfänglicher. Heute sind sie reaktionär und geschlossen. Und warum? Weil sie die Veränderungen ihrer eigenen Tradition spüren, weil sie gegen diese Entwicklung und Veränderung kämpfen und weil sie sich durch diese reaktionäre Lebensweise eine Erhaltung ihrer religiösen Welt versprechen – in der Tat aber nur für ihre eigene Zerstörung sorgen. Mein bescheidendes Ziel ist, mit diesem Film Aufmerksamkeit zu wecken und zu zeigen, dass man nicht die Tradition vergewaltigen muss, um gläubig zu bleiben, sondern sich für die Welt öffnen muss.

Die meisten israelischen Filme, zumindest die wir in Europa sehen, werden als Co-Produktionen gedreht. Im Fall von „Eyes Wide Open“ handelt es sich um eine deutsch-israelisch-französische Produktion …

In Israel gibt es viele eigene Produktionen. Man produziert ca. 13 Filme jährlich. Aber die Co-Produktionen sind viel spannender, nicht nur weil sie bessere Finanzierungsmodelle bieten und somit mehr Möglichkeiten für einen gelungenen Dreh, sondern weil auf diese Weise verschiedene Sichtweisen verschiedener Themen bearbeitet werden können. Und gerade unsere Geschichte – die Liebe zweier religiöser Männer zueinander – hatte es wirklich nötig verfilmt zu werden – gerade in Israel!

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