Spott-Light: Oh Zeit

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Wichern-Adventskranz, Quelle: Rauhes Haus, Hamburg, CC BY 2.5

Oh Zeit, gib mir Deinen Murmeltier-Journalismus bitte nicht auch nächste Woche, sondern stärke jene Krähen, die der anderen zur Not auch ein Auge aushacken können

Um im Folgenden mit dieser lieblichen Dritte-Advent-Geschichte aus meiner Folge „Schiffe versenken!“, diesmal das Flaggschiff des deutschen Qualitätsjournalismus mit einer Reichweite von 1,95 Millionen Lesern betreffend und mittels der Überschrift auf Hitchcocks Schocker Die Vögel (1963) nach Daphne du Maurier anspielend, ganz verständlich zu sein, trage ich vor dem Hauptgang, selbstredende eine (Zeitungs-) Ente süß-sauer, besser erst einmal die Vorspeise auf, basierend auf einer hier neu aufbereiteten Kolumne vom November 2019 aus der von mir begründeten und redigierten Zeitschrift für Sozialpädagogik (Beltz Juventa)

von Christian Niemeyer

Manchmal, zumal nach dem antisemitischen und rechtsterroristischen Anschlag auf die Synagoge in Halle vom 9. Oktober 2019, träume ich schwer und denke ich wäre – Rolf-Peter Sieferle, der „bedeutende Umwelthistoriker“ (so Gerd Koenen, vormals Kommunistischer Bund Westdeutschland (KBW), im Spiegel Nr. 38 vom 16. 9. 2017, S. 135), der 2016 den Freitod gewählt hat und dem der Nietzsche-Biograph Rüdiger Safranski 2017 ein großes Heldenepos sang. Denn dieser Sieferle ist inzwischen ein veritabler Bestsellerautor mit in Aussicht stehender Gesamtausgabe. Und ich? Wenngleich, und dies ließ mich beim Erwachen dann wieder erleichtert aufatmen: Er war tot, ich hingegen lebte, jedenfalls nach dem ersten Morgenkaffee. (Wenngleich: von Netto!)

Schlimmer, mit Sieferle, selbstredend: Hier und da gilt Sieferle, zumal nach Halle, gar als eine Art ‚Märtyrer der Bewegung‘ namens AfD. Jedenfalls – aber dies kann auch ein Gerücht sein – im Antaios-Leserkreis in Schnellroda. Wenngleich: Eine Glatze, hier, in Schnellroda, lästerte letzte Woche (keine Gewähr: Fake News und ‚Lügenpresse‘ vorbehalten!), ein Telefonbuch sei im Kampf mit Volksverrätern sehr viel hilfreicher als dieser 100-Seiten-Winzling Sieferles mit dem Titel Finis Germania (Schnellroda: Antaios 2017). Ein anderer, ohne Glatze, wandte ein, Koenen habe 2017 im Spiegel über Sieferle gesagt, in seinen letzten Schriften hätte er „in den Migrationen unseres Zeitalters den Tod unserer Kultur heraufziehen sehen“ – und dann, erneut wörtlich: „Damit kann ich mich auseinandersetzen – muss ich aber auch nicht.“ Mir ist, ehrlich gesagt, dieses Entgegenkommen schon zu viel. Ich kann und will nicht. (Was, fragte mein Traum in der nächsten Nacht dazwischen, wenn Du eines Tages musst und die Sieferle-Bibel statt der echten in jedem Hotelzimmer liegt?!)

Ich jagte daraufhin auch diesen Traum davon und fragte anderntags in unserem Leserkreis in Schnellroda b. Halle (keine Gewähr: Fake News und ‚Lügenpresse‘ vorbehalten!):

„Was soll das?“

Darauf die Nichtglatze, laut:

„Sie fragen sich, was an Sieferle so spannend ist!? Meine Antwort: Eigentlich nichts, abgesehen von der Reaktion der Spiegel-Redakteure Sebastian Hammelehle und Tobias Becker seinerzeit. Sie merkten nämlich lediglich an, um Sieferles Büchlein Finis Germania habe es auch im Spiegel eine „große Debatte“ gegeben. Leider blieb dabei unerwähnt, dass diese Debatte weniger dem Buch denn der Entscheidung ihres Johannes Saltzwedel gegolten habe, dieses Machwerk für eine Sachbuch-Bestenliste zu empfehlen – eine vergleichbar skandalöse, weil bagatellisierende Entscheidung also wie jenes Urteil Koenens.“

Darauf ich, noch lauter:

„Und jetzt haben wir den Salat: Der Spiegel muss, weil Jan Fleischhauer im März 2019 auf der falschen, aber für ihn richtigen Party gewesen war, jener Matthias Matusseks, ohne seinen neu-rechten Vorredner auskommen (Fokus-Leser freuen sich diebisch, ha ha!). Fleischhauers Abgang war, wenn ich mich richtig erinnere, Folge des Umstandes, dass das Editorial dieser Zeitschrift die Sache an ihre, zugegebenermaßen, ziemlich kleine Glocke hängte.“

Die Nicht-Glatze nickte zum ersten Satzteil; beim zweiten kam nichts; wahscheinlich war ihm die Zeitschrift für Sozialpädagogik eine große Unbekannte. Schlimmer: In der Antaios- Szene war kein Kamerad weit und breit zu erkennen, der jenem mit der Frisur beisprang. Und sei es mit einer Stegreifrede in erzieherische Absicht an die Adresse der vormaligen Rotchina- und jetzigen Sieferle-Freunde Gerd Koenen und Rüdiger Safranski der Art (gesetzt, man glaube mir, dass sie dabei waren, bei diesen braunen Kameraden):

„Herr Koenen, Herr Safranski: Haben Sie es denn noch immer nicht gemerkt? Sieferle bot 2017 in Finis Germania völkisches Geraune vom Typ Bückware, garniert mit ‚Auschwitzchen‘ unterster Schublade! Etwa dem, die Auschwitz-Opfer, ‚die ominösen sechs Millionen, stünden für einen Rekord‘ – und fortgesetzt mit: ‚Aber Vorsicht, Rekorde sind dazu da, gebrochen zu werden!‘“ (Sieferle 2017, S. 78) Damit schaffte es Sieferle zum Idol aller auf Rekordbrechen orientierten Assholes in der Welt. Zuletzt zum Idol jenes Deppen alias Stephan B. vor der Synagoge in Halle! Der statt nach Halle in die Hölle gehört. Zwecks Unterhaltung der dort recht gut aufgehobenen Freunde des Sieferle-Buches. Denen, Peter Sloterdijks Freund Safranski inklusive, offenbar beides fehlt: Herz und Hirn! Bei Höcke, sorry, werden sie, die erkennbar in beiden Hinsichten Bedürftigen, bei Fragen wie diesen nicht fündig!“

An dieser Stelle meiner fürwahr fantastisch-fanatischen Rede erklang ein leicht unterdrücktes Prusten aus der Glatzen-Ecke. Meine tollkühne Antwort:

„Was ist das, ja, Sie mit der Glatze, der Sie mir fast den Eindruck machen, Ihnen habe einer von der Antifa soeben ein Telefonbuch über den Schädel gezogen! Sie wagen zu lachen! Ihnen kann geholfen werden!“

Und ehe auch nur der erste Protest anheben konnte, wurden beide Monitore in unserem Versammlungssaal in Schnellroda geflutet mit unerträglichen Fotos der Leichenberge rund um die Krematorien in Ausschwitz und anderswo gleich nach der Befreiung. Die Wirkung war beachtlich – und hemmte wie von Zauberhand den hier und da aufkommenden Protest wegen dieser krassen Kritik an Sieferle, sorry: Safranski. Also konnte ich ungestört fortfahren, während aus den allmählich ausgeblendeten Leichenbergen sich das Buchcover von Sieferles Besteller erhob, im Wechsel mit jenen der Sarrazin-Bestseller Deutschland schafft sich ab (2010) sowie Feindliche Übernahme (2018):

„Ja, junge Freunde, ihr habt schon richtig kombiniert: Deutschland schafft sich ab – es sei denn, es schaffe vorher die Juden und alle anderen ‚Fremdrassigen‘ ab, nicht wahr? Dies ist letztlich das Credo des perversen Witzemachers Sieferle. Angetrieben wird er in Finis Germania von der Idee, Nietzsches Wort von der Herde resp. Schafherde müsse man heutzutage wohl eher durch die Diagnose: ‚deutsches Volk = Hühnervolk‘ (Sieferle 2017, S. 57) ersetzen. Ha! Ha! Ha!, Herr Koenen, aber auch Herr Safranski, nicht wahr? Obgleich: Auch dieses Lachen hätte ihnen beiden eigentlich im Hals stecken bleiben müssen angesichts von Sieferles Therapeutikum: Nach der Prämisse: ‚Der Antifaschismus ist in starkem Maße Antigermanismus‘ offeriert er die Folgerungskette: Ergo führt Anti-Antifaschismus zu Pro-Germanismus. Und aus Letzterem folgt, in the long run und die Volkserziehung herzhaft angepackt: Das pro-germanische deutsche Volk = das Übervolk!“

Im Saal herrschte nun so etwas wie eine raschelnde resp. flüsternde Aufmerksamkeit: Einige aus dem ‚Antaios‘-Leserkreis blätterten in ihrer Sieferle-Bibel von 2017, konnten aber nicht wirklich einen Zitatfehler entdecken.

Da, endlich, wachte ich auf – ich hatte erneut nur geträumt, von Deutschland in der Nacht!

Und Sie, liebe Leserin. lieber Leser? Wieder auf Erden und nicht in der Hölle, wie ich doch hoffen will!? Meint: Der Schreiber dieser Zeilen, dessen Traum im Schwarzbuch Neue / Alte Rechte (Beltz Juventa: Weinheim Basel 2021, S. 685 ff.) nachlesbar ist sowie, im erweiterten Kontext, in seinem Roman: 2029: Game over, AFD! (= kostenlose E-Book-Beigabe zu meinem Buch Sozialpädagogik als Sexualpädagogik, Beltz Juventa: Weinheim Basel 2019, S. 235 ff.)

„Stopp!“, kam es jetzt aus dem Off, „keine Schleichwerbung!“

„Werde ich dann, zum Ausgleich, in Festanstellung übernommen, etwa wie die Kolleg*innen in der Zeit!“

„Apropos Zeit. Sie haben bisher nur über den Spiegel gelästert! Nicht über die Zeit!“

„Kommt noch. Vorerst nur: Wer lobte ein Buch, in welchem Sieferle gelobt wurde?“

Schweigen.

„Die richtige Antwort lautet: Iljoma Mangold! Und der ist nun einmal Kulturkorrespondent im Ressort Feuilleton der Zeit. Und schnitt schon in meinem Schwarzbuch Neue / Alte Rechte nicht wirklich gut ab.“

„Hoppla, Herr Niemeyer! Und da wundern Sie sich, dass Sie in der Zeit noch nie besprochen oder gar gedruckt wurden? Bitte nicht falsch verstehen: Sie sind Wissenschaftler und müssen der Wahrheit wegen zur Not auch einmal der anderen Krähe ein Auge aushacken, in Verfremdung einer Grundidee aus Hitchcocks Thriller gesprochen. Haben Sie mir dereinst gesagt!“

„Richtig. Und deswegen wundere ich mich nicht wirklich über Ersteres! Und über Letzteres allenfalls seit gestern ein bisschen!“

„Erzählen Sie! Aber bitte ohne – na gut: mit einer weiteren Vorspeise!“

**

Mangold, süß-sauer? – das wäre vielleicht in diesem Kontext eine gute Überschrift für dasjenige, was ich im Juni 2016 dem Editorial der Zeitschrift für Sozialpädagogik anvertraute, nämlich eine Art Offener Brief an Marc Jongen des Inhalts:

Sehr geehrter Herr Dr. Jongen, bitte: Geben Sie doch uns einmal ein Interview, ich verspreche Ihnen, hier werden Sie nicht Fragen auf Schülerzeitungsniveau (Kostprobe aus dem Fundus der Zeit-Journalisten Jens Jessen und Ijoma Mangold: „Wen haben Sie vorher gewählt?“) zu befürchten haben, und wir werden Ihnen auch nicht, wie Jessen/Mangold, jeden Unsinn kommentarlos durchgehen lassen, wie etwa den folgenden: „Von dem, was Nietzsche in der Genealogie der Moral über das Ressentiment schreibt, lässt sich eine direkte Linie zum Gutmenschentum ziehen, dem sich die AfD entgegenstellt.“ Da ich – und das will für einen Nietzschespezialisten schon etwas heißen – indes nicht wirklich weiß, wovon Sie hier reden (deswegen ja auch das zugegebenermaßen wenig eloquente Hilfssubstantiv ‚Unsinn‘), darf ich vielleicht ersatzweise meine ‚direkte Linie‘ ziehen, die Sie gerne auch als (im doppelten Sinn) ‚rote Linie‘ begreifen dürfen: Sehr geehrter Herr Dr. Jongen, die Not der AfD in Sachen geistiger Beistand in allen Ehren, aber bitte, bitte – beinahe hätte ich, für einen Nietzscheaner eigentlich unerlaubt, gesagt: um Gotteswillen –, lernen Sie, in diesem Punkt wenigstens, von dem diesbezüglichen Fehlgriff der NSDAP und lassen Sie Nietzsche in Ruhe! Er nämlich kannte tatsächlich – auch wenn Ihnen Ihr akademischer Lehrer (von Ihnen, wie Sie am besten wissen, auch „Meister“ geheißen) Peter Sloterdijk möglicherweise anderes zu erzählen versuchte und versucht – nur die von Ihnen in ihrem Zeit-Interview angeführten giftigen (thymotischen) Register „wie Neid und Ressentiment“, nicht die von Ihnen hoffnungsfroh angeführten edleren „wie Selbstbewusstsein und Stolz“, über die Nietzsche wohl nur gespottet hätte nach dem Muster seines Bonmot: „Deutsch denken, deutsch fühlen, ich kann Alles – aber das geht über meine Kräfte.“ Aber es kommt noch schlimmer für Sie und ihre groteske Partei: Nietzsche hätte, würde er heute noch leben, jene erstgenannten giftigen Register wohl vor allem bei Ihnen und bei Ihresgleichen diagnostiziert und sie alle als „Menschen des Ressentiment“ rubriziert und einzelne vermutlich als Steigerungsform desselben, nämlich als „antisemitische Schreihälse“ schon längst – wie im „ZfSp-Kommentar“ von Heft 2/2016 erläutert – via Paraguay oder Chile expediert, so „kriegerisch“, wie er, seiner Selbsteinschätzung zufolge und durchaus nicht im Widerspruch zu seinem Pazifismus (dem man ja auch ‚kriegerisch‘ huldigen kann), war. So betrachtet, sehr geehrter Herr Dr. Jongen: Freuen Sie sich einfach, dass ich nicht Nietzsche bin und in speziell dieser Frage eher die klammheimliche Vorfreude darauf bevorzuge, dass Sie sich demnächst erneut irgendwo (wie gesagt: gerne auch bei uns) hoffnungslos im Nietzsche-Dschungel verfangen, ausgestattet mit Ihrem Navi made by Sloterdijk.

Wenn Ijoma Mangold, den ich an sich als, wie mir scheint, Linken sehr schätze, jetzt unter den Lesern sein sollte, wird er vielleicht süß-zustimmend lächeln zu dieser Jongen-Kritik und nur noch sauer sein wegen des Beginns, indes: Die Sache, um die es mir geht, bitte ich dabei nicht zu vergessen: Rezensionen, einer Sammlung Mangolds („Meine wichtigsten Artikel“) zufolge[1] nicht gerade ein Nebenerwerb, gehe es nun um Bücher oder Kabarett oder Bücher von Kabarettistinnen wie Lisa Eckardt, sein wichtigstes Gewerbe seit 2009, verlangen mitunter nach Experten, wenn es nicht peinlich werden soll, wie am 29. Dezember 2020 bei Mangold über Charles Baudelaire („Wüstling an einer Hure Brust“) zu besichtigen in der Zeit Nr. 1/2021. Deswegen mein Vorschlag hier an die Zeit: Geben Sie ab und zumal bei schwierigen Autoren (Nietzsche etwa) dem Affen von außen, etwa in Gestalt der selbstbewussten Uni-Krähe, etwas Zucker, anstatt Ihre Generalisten (im Haus) zu bedenken. Der Leserschaft, da bin ich sicher, wird es gefallen, weil immer weniger Seiten, mit wohlgestaltetem Müll gefüllt, ungelesen im Papierkorb verfallen. Womit ich nun endlich den Hauptgang, die (Zeitungs-) Ente süß-sauer, auftragen lassen kann.

***

Süß waren vor allem die Träume künftiger Größe, die mich ab dem Moment heimsuchten, als ich mein hier am 29. September 2022 eingestelltes Spott-Light: „Oh BamS, gib mir Deine sonntägliche Hate Speech auch heute!“[2] in alle Welt verschickte mit dem Angebot, ich würde den Text für einen eventuellen Nachdruck gegebenenfalls neu einrichten. Um den profanen, nämlich pekuniären Hintergrund meines Begehrens in ein edles Gewand zu hüllen, entwarf ich ein wissenschaftliches Setting, getragen von der Idee: Warum soll man nicht diese Glosse als Teil eines, mit Nietzsche geredet, „Experiments des Erkennenden“ (III: 352) einrichten, also als – vom Versuchsleiter (= VL) zu manipulierende – Unabhängige Variable (= UV) bestimmen und als solche an ausgewählte Empfänger (= VP) schicken. Um dann die Anhängige Varianle (= AV) zu messen? An einem leicht leicht fasslichen Beispiel geredet: Wenn VP Christian (Deckname!) ein Fass Bier trinkt, fällt er bei 99 von 100 Versuchen, also mit einer Wahrscheinlichkeit von 99%, um. Am hier in Rede stehenden Beispiel geredet: Die Glosse, als UV x-Redaktionen zum Nachdruck angeboten, sind bis zum heutigen Tag (10.12.2022) als AV, Nachzügler noch außer Betracht gelassen, zwei Reaktionen zu verzeichnen: „kein Interesse!“ (Der Spiegel) sowie, von der taz: „Herzlichen Glückwunsch“ (dass Sie den Text bei hagalil.com veröffentlichen konnten). Der Rest ist bzw. war (den Nachzügler betreffenden) Schweigen, an einigen Beispielen geredet: Giovanni di Lorenzo von der Zeit (30.09, 01:33), Anna-Beeke Gretemeier vom Stern (30.09., 02:19), die FAZ (30.09, 02:04), die SZ (30.09., 1:58), Focus (30.09., 01:10) und das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) (30.09., 01:43) antworteten nicht.

Was muss man daraus folgen? Nichts, vielleicht besser: „alles Nichts“, zu übersetzen mit: Es ist alles nichts mit unserem Job, man hat einfach nicht genug Zeit, alles zu lesen.

Lohnt es, darüber zu schreiben? Nein – es sei denn, man arbeite für eine Gewerkschaft.

Lohnt es, über eine Mitte Oktober eingetroffene Mitteilung der Zeit zu AV 2 zu schreiben des Inhalts: „Leider sehen wir keine Möglichkeit“ etc. pp.? Nein, denn vielleicht ist mein Text ja tatsächlich so schlecht, dass er nur für Tel Aviv taugte, nicht für Hamburg.

Schließlich: Muss man viel Aufhebens machen um den Umstand, dass ein Mann vom Springer-Verlag nach Erläuterung der Planskizze von UV 2 „schnellstmögliche“ Aufklärung versprach und 24 Stunden später abgetaucht ist? Nein, es sei denn, man schreibe doch für eine Gewerkschaft und solle in deren Auftrag die Arbeitshetze beim Springer-Verlag skandalisieren, die gewiss schuld daran ist, dass Leute über 40 radikal abbauen, also einer Vorruhestandsregelung bedürften.

Schon wollte ich mit diesem Befund schließen, als jener einleitend erwähnte Nachzügler eintraf, will sagen: Giovanni di Lorenzo ließ am 5.12., neun Wochen nach Erhalt von UV 1, grüßen; meine „Glosse über die BamS“ klinge „interessant“, nur könne das die Chefredaktion nicht allein entscheiden, ich möge mich also etc. pp., kurz: Ich spazierte die nächsten Tage wie ein Pfau durch die angesagten Clubs der Stadt, etwa jene des Kuba-Fans Wolfgang im weltberühmten ITC vis à vis vom voll angesagten Flughafen Tegel (ha! ha!).

Bis sich die Sache als Sturm im Wasserglas entpuppte, „weil“, wie ich die Sache am 9.12. um 19.15 per Mail an die Assistenz Wirtschaftsredaktion der Zeit erläuterte, die mich um 16.52 im Gewerkschaftsdeutsch über die Absagegründe informiert hatte, „die 12-köpfigen Kolleg*innen auch gerne ins Blatt wollen. Und dieser Entdeckung wegen – eine Zeitungsredaktion redet wie eine Gewerkschaft, dem wird die Bestenauswahl geopfert (Stoff für eine Glosse!) –, für die Sie fast eine Woche brauchten, habe ich, im Vertrauen auf die Chefredaktion, drei Stunden Arbeit geopfert…“ Klingt ziemlich sauer – aber eigentlich nur, weil es das Drehbuch verlangt, als Komplementärempfindung zur „süßen“ (Zeitungs-) Ente. Ich persönlich bin nicht mehr sauer, denn die „Glosse“, die ich eben in Parenthese erwähnte, ist hiermit fertig, und ihr Meta-Titel könnte lauten: Die Rache ist süß!

Und wie könnte die Quintessenz lauten, als medienkritische? Nun, vielleicht etwas pathetisch, also mit Ernst Reuter:

„Völker der Welt, schaut auf eure Medien, und lasst hin und wieder, bei verzwickten Problemen, die Professor*innen ran! Zumindest jene aus Nietzsches Gruppe ‚Wir Furchtlosen‘. Man erkennt sie im Idealfall bei Ihren wenigen Versammlungen, wenn sie aufgereiht dasitzen als Krähen, wie bei Hitchcock. Nur dass sie nicht die Anderen eifersüchtig wegbeißen, weil sie ihrem Futtertrog zu nahekommen, und dies auch noch mit dem Ansinnen, dies und das gelte es noch zu erforschen und jenes sei längst Old School. Nein, über solche anregungsreichen Gesellen freuen sich diese ‚furchtlosen‘ Krähen. Den anderen aber, den Faulen und Ideenlosen, für die der akademische Ehrgeiz mit Erwerb der venia legendi erloschen ist und die ab da an voller Gram auf die Höherfliegenden blicken, hacken sie zur Not auch einmal ein Auge aus. Diesen gilt es, die Feuilletons zu öffnen, zur Not auf Kosten der Festangestellten.“

„Das war’s, Herr Niemeyer?“

„Ja, das war’s!“

„Moment: Was ist mit Ijoma Mangold?“

„Ach ja, beinahe vergessen: Er hat, als Rezensent, einen Scherz zu viel gemacht, in der Zeit vom 19.10.2017 und seitdem bis auf den heutigen Tag zu besichtigen auf der webside bei Klett-Cotta. Voller Stolz, weil der Scherz von einem Ihrer Lomgseller handelt, inzwischen in 5. Druckauflage vorliegend: Mit Rechten reden von Per Leo, Maximilian Steinbeis & Daniel-Pascal Zorn. Die allerdings teilweise wie Rechte reden. Zumal Leo in seinem neuen Buch Tränen ohne Trauer (2021), erneut Klett-Cotta, Sätze anbietet wie: ‚Was wäre, […] [w]enn wir […] das Sprechen über den Holocaust mäßigten?‘“

„Herr Niemeyer, nicht alles durcheinander, erst einmal: Wie lautet Mangolds Satz bezogen auf Von Rechten reden?“

„Dieses Buch sprüht förmlich vor Geist und Witz.“

„Eifersüchtig? Weil Ihrer Meinung nach dieses Lob viel besser auf Ihre Bücher, namentlich auf Sex, Tod, Hitler (Universitätsbuchhandlung Winter: Heidelberg 2022), gepasst hätte?“

Schweigen meinerseits.

„Okay, dann nur: Was spricht gegen Mangolds Lob?“

„Alles. Vor allem Stephan Lessenichs Einspruch: ‚Dies Buch ist nicht lustig, es ist altklug.‘ Lessenich ist übrigens Professor, nicht Journalist. Und das ist auch gut so. Vor allem aber ist Mangolds Witz geschmacklos im Blick auf S. 104: Die Autoren geben dort eine Leseempfehlung ab für das von Johanna Jung am 21. Februar 2020 auf Amazon mit der Vokabel Rechtsextremer Irrsinn! ad acta gelegtes, bei Antaios erschienenes und  inzwischen vom Verlag sicherheitshalber aus dem Verkehr gezogenes Mein-Kampf-Äquivalent Tristesse Droite, nennen dieses Buch ‚besser als Sieferle‘.“

„Oha! Sie meinen den einleitend Ihrer Glosse behandelten „Auschwitzchen“-Sieferle? Und dass ‚besser‘ eine Steigerungsform von ‚gut‘ ist?“

„Richtig!“

„Aber warum haben Sie bloß Klett-Cotta nicht Bescheid gesagt! Denn dies könnte sich ja zu einem Riesenskandal auswachen!“

„Habe ich ja! Habe mir vor drei Tagen fast die Finger wundtelefoniert! Fand‘ auch auf der Chefetage Aufmerksamkeit bei einer sehr netten und kompetenten Dame. Nicht aber beim zuständigen Lektor. Den vor allem interessierte, woher ich seine Nummer hätte. Sich aber weigerte, auch nur die Seite zu notieren, die ich beanstandete. Nun, jetzt, ein paar Tage später, pünktlich zum Dritten Advent, ist er wohl schlauer, so er dies liest. Und nicht wieder, aus Angst vor zu viel Arbeit, den Kopf in den Sand steckt. Eine Milchmädchenrechnung, wie ihm über Weihnachten aufgehen dürfte. Wenn er weiß, wo er sich’s, am besten mit Schlafsack, gemütlich machen kann: in der Rothebühlstrasse 77 in Stuttgart, Chefetage.“

„Das war’s?“

„Ja, für’s Erste. Denn dieser Stoff schreit förmlich nach einem weiteren Spott-Light vom Typ ‚Schiffe-Versenken‘!“

Autor:

Prof. Dr. Christian Niemeyer, Berlin

Text:

Auch hier der Hinweis: Genauere Literaturangaben demnächst in meinem neuen Buch: Die AfD und ihr Think Tank im Sog von Trumps & Putins Untergang. Eine kritische Analyse mit Denk- und Stilmitteln Nietzsches (2023)

Bild oben: Wichern-Adventskranz, Quelle: Rauhes Haus, Hamburg, CC BY 2.5

[1] www.zeit.de/autoren/M/Ijoma_Mangold/index.xml
[2] www.hagalil.com/2022/09/spott-light/