Mit einem Spruch dieser Art im Kopf betreten, so will es mir in letzter Zeit scheinen, Tausende zeugungsfähiger, muskelbepackter, solventer Männer um die 40 in Deutschland und Österreich Sonntag für Sonntag ihren, wie es in Wien so nett heißt, „Trafic“, etwa jenen unweit der Wohnung des Ehepaares Caroline Sommerfeld/Helmut Lethen gelegenen. So wie auch ich, allerdings ohne diesen Spruch und fast auch alles andere, namentlich die Muckis, die Heimstatt meiner „Brötchengeberin“ in Berlin betrat, etwa auch vor gut zwei Wochen, am 18. September 2022.
Von Christian Niemeyer
Das Erste, was mir an diesem Morgen auffiel: Meine durchaus etwas rustikale, von mir jeden Sonntag aufgesuchte Bäckersfrau namens Saschia rückte zwar die Bäckerblume widerstandslos heraus, machte aber Schwierigkeiten bei der Bild am Sonntag. „Dette ist doch Springer, der Juden- und Israelfreund!“, brachte sie vor. Ich, groß geworden (aber nicht geistig, wie mein Vater, ein Zeitungsverleger im Heimatzeitungssegment, immer lästerte) mit der Parole „Enteignet Springer!“, die mir seit Gründonnerstag 1967 im Kopf herumschwirrte, wusste erst nicht recht, was ich sagen sollte zu diesem Unsinn. Ich beschloss, meinen privaten Lügendedektor einzuschalten: „Ich meine so etwas ähnliches neulich gelesen zu haben, in den ‚alternativen Medien‘. Auch, dass ein Professor aus Dresden eine Parallele zieht zwischen dem später bei den Stürmer-Nazis Furore machenden 1879er Stammtisch-Spruch ‚Die Juden sind unser Unglück!‘ sowie der AfD-Parole ‚Die Flüchtlinge sind unser Unglück!‘“ Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass Saschia – ein ‚Künstlername‘, wie sie mir mal im Frühjahr verraten hatte, genannt nach dem gleichnamigen spritzigen Mineralwasser aus dem Osten – nicht recht folgen konnte, sprich: Sie lief erst rot an, ein Farbton, der zum Ende hin einem zarten grün Platz machte – ehe Sie schließlich die Sprache wiederfand, was bei waschechten Berlinern und nicht selbernannten aus Brandenburg in der Regel nicht so lange dauert: „Was reden Sie da, junger Mann?“ – eine schwere Anmache, wie ich angesichts meines wahren Alters fand. „Ick les‘ zwar schon lange nicht mehr Print, sondern nur noch Internet! Aber so’n Quatsch hab‘ ich da noch nicht gefunden!“ Entsetzt, auch ob der durchlittenen Optik, sucht ich mit meiner BamS das Weite, wild entschlossen, aus Gründen der geistigen Hygiene auch diesmal nur den einfach tollen Sportteil zu lesen. Er war zum Herausnehmen, aber leider nicht separat erhältlich.
Zu Hause angekommen, entdeckte ich dann, da der Sportteil durch meinen Sohn okkupiert war und natürlich erst nach dem obligatorischen Kirchgang (ha! ha!), der mich frisch gepudert hatte für die nächste Sünde, doch das Ganze, deutlicher: das wohl im Trafic in Wien heiß Ersehnte in der Logik der Überschrift dieses Spott-Lights, diesmal auf S. 30 und nach der BamS-Headline „91 Fälle. 12 Namen. O Konsequenzen“. Hätte da gestanden: „91 Tore. 11 Freunde. O Konsequenzen“ wäre die Seite, als zum Sportteil gehörend, wohl zurückgewandert zu meinem Sohn. Das verpixelte Foto belehrte mich aber eines Besseren: Das war kein Fußballspieler aus dem Stamme derer, wie Alexander Gauland witzeln würde, „von Boateng!“ Das war, mindestens doch und seiner Physiognomie nach, ein Massenmörder aus der Gruppe der People of Colour! Entsetzt wandte ich mich, nach nur knapper Lektüre, Sammy zu: „Nicht schon wieder!“ – keine gute Idee, denn unser pantherschwarzer Rüde aus dem Stamme Schäferhund/Labrador & Co. verstand diese Worte als Ablehnung seines Wunsches nach einem weiteren Leckerli und schaute traurig auf den Teppich. Oh weh, der arme Hund, der, wie meine Frau neulich meinte, ohnehin schon schwer unter dem Rassismusverdacht leiden musste; also darunter, als Promenadenmischung nicht als Deckrüde in Betracht zu kommen. Also versuchte ich dem Beleidigten und Erniedrigten beizustehen: „Sammy, ich meinte nicht ‚Nie wieder Leckerli‘, ich meinte: ‚Nicht schon wieder dieses primitive Ausländerbashing!‘“ Kein wirklich gelungener Versuch, denn Sammy schaute mich so treudoof an wie Bodo sein Herrchen Loriot. Und kratzte gleich darauf, wie auf einen Glockenton hin, an der Balkontür unserer Dienstwohnung. Hatte wohl, wie sein empörter Blick vom Typ „Katze raus!“ erkennen ließ, seine Erbfeindin entdeckt. Und gab dadurch zu erkennen, dass er ein hoffnungsloser Fall war in Sachen der an sich naheliegenden Kampagne „All animals are equal!“
Also las ich weiter und fand meinen Verdacht bestätigt, der mich schon am 13. Februar 2022 umgetrieben hatte bei der Lektüre der BamS-Headline „Mädchen (11) vergewaltig – Afghane in U-Haft“. Als ich angesichts des Alters (16) des zu dieser Zeit bloß mutmaßlichen Täters Beschwerde einlegte beim Bundespresserat, allererst den Ausdruck „Afghane“ betreffend, denn die Nationalität hätte in diesem Stadium des Verfahrens nicht genannt werden dürfen. Sammy, von der Balkontür weg und zur Ruhe gekommen, hatte ich diesen komplexen Sachverhalt seinerzeit hundegerecht zu erklären versucht. Anknüpfend daran, dass er beim lauten Vorlesen des Artikels mit dem Schwanz gewedelt hatte, weil er dachte, es gehe um eine Hunderasse, etwa seinen Freund, den Windhund „Hilton“, der womöglich etwas ausgefressen hatte und deswegen in U-Haft – was immer das sei! – saß. Doch der Mensch, so fuhr ich fort, sei laut Nietzsche schlechter als jedes Tier, der Affe beispielsweise sei viel „zu guthmüthig, als dass der Mensch von ihm abstammen könnte“ (KSA 11: 74). Sammy schaute nachdenklich vor sich hin. So fuhr ich arglos fort, während im Radio zufällig die Ärzte aufspielten: Anders der Mensch in Springerstiefeln. Bei dem es keine große Sache zu sein scheint, ihn, wie Nietzsche für den Menschen schlechthin vorschlug, „unter die Thiere“ (KSA 6: 180) zurückzustellen. Unter die Pawloschen Hunde beispielsweise. Die reflexartig die Vokabel „Afghane“ ergänzen um „Ausländer!“ sowie diese sogleich um „Ausländer raus!“ – und dies natürlich vor allem dann, wenn auch noch das „Kinderschänder!“-Motiv bedient wird – wie in der in Rede stehenden Headlinie („Mädchen (11) vergewaltigt – Afghane in U-Haft!“) in Reinkultur zu besichtigen. Dass die BamS-Headline – Sammy war jetzt erkennbar überfordert und schlief ein – für ein absolutes NO GO! stünde, lasse sich aus nur oberflächlicher Grundgesetzlektüre auf Realschulniveau extrapolieren. Und da mir an einer Beleidigungsklage der BamS, ich hätte Ihren Mitarbeiter*innen bösartigerweise einen IQ unterhalb von Realschulniveau attestiert, nicht gelegen war, blieb mir nur die Option, BamS zu verklagen wg. gezieltem Tabubruch in Gestalt des Versuchs der Ausweitung der Zone des Sagbaren. Dass ich recht bekam, sei hier nur in aller Bescheidenheit notiert.
Aber wie lagen die Dinge jetzt, am 18. September 2022? Ab Montag, in meinem Homeoffice bei der Kripo als Gantenbein tätig (kleiner Scherz!), wusste ich mehr: Die BamS-Story um diesen verpixelten „Mann aus Togo“ mit seinen angeblich 91 Straftaten, begangen unter angeblich 12 Alias-Namen, seit 1999 als Asylbewerber in Deutschland und trotz abgelehnten Asylantrags (2006) noch immer nicht abgeschoben, ging, wie wir Profis sagen, „viral“ (wobei ich einräumen muss, dass ich noch keine Zeit fand, die wirklich Bedeutung dieser Vokabel nachzuschlagen, ebenso wie jene vielgehörten Modeworte wie „eratisch“ oder „klandestin“). Fakt (und keineswegs Fiktion) war jedenfalls das Folgende: „Na ja, geht nur im Dummland“, meldete beispielsweise ein gewisser Blaumann10 am 18.9. um 5:36 nachm. per Twitter, damit nur den Auftakt gebend für Headlines wie: „… bissiger Afrikaner noch immer da“ (Unser Mitteleuropa v. 19.9.). Derlei als Kommentar zu einem den BamS-Artikel paraphrasierenden Text, insonderheit jenes Schreckensfoto, was den lustigen Lesern dieses neu-rechten Internet-Periodikums zu Danksagungen veranlasste wie: „Danke, daß das Bild verpixelt wurde – ich hatte noch nicht gefrühstückt“ (aculeus, 19.9., 13:20) – mit der Folge von weiteren Witzeleien wie. „Wenn der Papst beim Ölwechsel ungünstig gelegen hat, sieht er genau aus wie Koffi G.“ (Meines Erachtens, 19.9, 15: 15) sowie: „Bei der Kappe fehlt aber noch der Docht“ (aculeus, 19.9., 16: 58) – eine kaum verhüllte Aufforderung, diesen „Neger“, der halt „negert“ (Himmel, 20.9., 15:21), bei nächster Gelegenheit abzufackeln. So also, derart volksverhetzend, sieht es aus, das vom Ur-Hetzer Udo Ulfkotte herbeigeschriebene, der schweigenden Mehrheit gänzlich unbekannte Paralleluniversum namens (mein Vorschlag!) „Schwarzbraun-Deutschland-plus-Österreich“ mit inzwischen gut fünfzig „Alternativen Medien“ dieser (braunen) Couleur, in der unbeschwert der Mist als Kompost für Anschläge aller Art gedeihen kann. Nicht absehen kann man in diesem Zusammenhang vom nur unwesentlich gesitteterem Deutschland-Kurier: „Unfassbar: Krimineller Schwarzafrikaner immer noch in Haft!“, bekam man hier am nämlichen Tag, dargeboten für 137.274 Abonnenten, zu lesen selbstredend mit jenem grimmigen Foto des Koffi G. Mit dabei, als Gast-Kolumnist dieses Periodikums: der frühere CDU- und jetzige AfD-Politiker Maximilian Krah, der zusammen mit Michael Klonovsky als Agitator in Sachen der Sexualverbrechen in Freiburg 2016 und Kandel 2017 negativ aufgefallen ist (vgl. Niemeyer 2021, Prolog Nr. 11) und der jetzt für ein alternative Medium arbeitet, das mit dem Spruch Werbung macht: „Sie haben die Nase voll vom Einheitsbrei, der Ihnen von den Mainstream-Medien vorgesetzt wird?“ – und, wie anhand dieses Artikel aufweisbar, aber auch am vorgenannten aus Unser Mitteleuropa, nichts weiter ist als eine in zwei Minuten erstellte Terrine, will sagen: Paraphrase jenes Artikels der BamS, der im Übrigen auch schon die zentrale Parole aller nachfolgenden Hetzer*innen bis hin zu „aculeus“ in Umlauf brachte: „Solche gemeingefährlichen Straftäter gehören sofort aus dem Verkehr gezogen.“ (BamS v. 18.9.2022; S. 30)
Aber es kommt noch schlimmer, so man den Namen ins Spiel bringt, den BamS, offenbar inzwischen die Mutter aller Schlachten, welche die alternativen Medien brauner Couleur auszufechten anregen, als Urheberin dieses Zitats anführt: Andrea Lindholz (CSU), stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die mir auf meine erstaunte Nachfrage vom 19.09. drei Tage später mitteilte, das Zitat sei korrekt und sie stehe uneingeschränkt dazu, bitte (mich) aber darum, den Kontext zu berücksichtigen. Was ich natürlich sofort tat, mit folgendem Ergebnis, welches ich ihr am 24.09. per mail übersandte und das hier, als unverändertes Dokument, hingesetzt sei:
Sehr geehrte Frau Lindholz,
umso länger ich über die unsägliche S. 30 der BamS und Ihre Rolle auf selbiger nachdenke, und dies tue ich nun schon den ganzen Tag, umso stärker drängen sich zwei Fragen in den Vordergrund:
Warum legen Sie eigentlich nicht selbst beim Presserat Beschwerde ein gegen diese Seite im Ganzen? Denn es ist doch offensichtlich, dass BamS hier einem Journalismus frönt, der dem durch das GG gedeckten Pressekodex absichtsvoll Hohn spricht, im Interesse, die Grenzen des Sagbaren auszudehnen – eine AfD-Strategie, bei welcher Sie als nützliche Idiotin fungieren, die, wie Ihre Verweise auf die Äußerungen von Nancy Fraeser und andere offenbart, noch nicht einmal gemerkt hat, dass auch diese Passagen absichtsvoll in diesen Bericht hineingeschnitten wurden, um Ihnen zu suggerieren, was Sie sagten, sei normal. Nein, ist es nicht: Ihre Vokabel „gemeingefährlicher Straftäter“, der „sofort aus dem Verkehr gezogen gehört“, ist Stammtisch der 1950er Jahre unterster Stufe und erfährt allenfalls Deckung durch das von BamS in Demagogenmanier ausgewählte und kommentierte Bild des Koffi G., nicht aber durch den Text, der erkennbar werden lässt, dass „der Mann aus Togo“ offenbar ein psychiatrisch anzugehendes Problem hat, von Ihnen aber mittels vor-sozialpädagogischer Denke nur als jemand gesehen wird, der Schwierigkeiten macht. Christlich? Weiß Gott (und Nietzsche) nicht! Bajuwarisch? Hoffe ich, der gleich zum Oktoberfest seines Tennisclubs geht, gleichfalls nicht!
Die andere Frage, aus CDU-Sicht: Merken Sie eigentlich gar nicht, dass Sie mit diesem Support für S. 30 Positionen räumen, für die sich Angela Merkel 2015 in Heidenau als Volksverräterin beschimpfen lassen musste durch einen dumpfen, AFD-nahe gebauten Mob? (In einer dieser Positionsverteidigungen Merkels tauchte übrigens das Wort „Menschlichkeit“ auf, für die Sie sich hoffentlich nicht verteidigen müsse, dann nämlich sei dies nicht mehr Ihre Partei). Und antworten Sie jetzt bitte nicht, dass sei doch konsequent für die CSU in den Fußstapfen Seehofers. Denn dann müssten Sie mir auch noch erklären, ob Sie womöglich auch noch in jener Sackgasse laufen, deren fatale Pointe der Fall Kabuls offenbart, der von Rechts wegen schon längst schon zu einem Fall Seehofers hätten werden müssen. Und Sie müssten mir zusätzlich erklären, wie man Profil gewinnen will, wenn man den ausgelatschten Spuren eines grotesken Witzboldes folgt.
Wie angedeutet: Nur zwei Fragen, die mich umtreiben und die mich erneut fragen lassen nach dem Sinn des „C“ in ihrem Parteinamen.
Andere Fragen sind derart kompliziert, dass Sie leider (oder zum Glück?) noch ein wenig warten müssen auf eine Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Christian Niemeyer
Die Wartezeit bis zu einer Antwort verkürzte ich mir mit der Einreichung einer weiteren Beschwerde gegen BamS beim Bundespresserat, mir eine Anzeige gegen die Politikerin und Bundestagsabgeordneten Andrea Lindholz (CSU) wg. Volksverhetzung vorbehaltend. Zentraler Zielpunkt: Die erste Zeile Ihres der BamS zu Verfügung gestellten Satzteils „Solche gemeingefährlichen Straftäter gehören sofort aus dem Verkehr gezogen.“ Denn Sätze wie diese sind geeignet, Tat nah gebaute Hetzer wie den oben angeführten „aculeus“ zu animieren; außerdem ist in ihnen ein unausgesprochener Tadel der am Fall „Koffi G.“ beteiligten Justizbehörden angelegt, der einer derart ranghohen Politikerin und damit einer führenden Repräsentantin des Parlamentarismus qua Amt eigentlich untersagt ist. Sollte es nicht zuletzt aufgrund dieser Beschwerde und der Berichterstattung über sie zu einer – wie schon einmal 1967 – (erneuerten) „Enteignet-Springer!“-Kampagne kommen, wasche ich jedenfalls meine Hände in Unschuld.
War‘s das jetzt, Doc? Nein, denn um auf den Anfang und meine ‚Bäckerblume‘ Saschia zurückzukommen und Ihren Satz in die korrekte Richtung zu drehen: Axel Springer (post mortem) und jene bei Bild und BamS, die mutig gegen den Antisemitismus und für Israel streiten, seien auf ewige Zeiten gelobt, im Gegensatz zu den anderen bei diesem Pressekonzern, wie namentlich die für den Artikel vom 18.9. verantwortlich zeichnenden Reporter Burkhard Uhlenbroich & Celal Cakar. Die offenbar kein dringlicheres Anliegen kennen, als Ex-Leser*innen wie Saschia zurückzugewinnen und sich als Wunscherfüller jener eingangs aufgerufenen 40-Jährigen Muskelpakete zu erweisen, die, aus welchen Gründen auch immer, ihre Visionen von einem rassereinen Deutsch-Österreich bedient wissen wollen. Bei Visionen dieser Art halte ich es ausnahmsweise mit Helmut Schmidt: Bitte dringend den Arzt aufsuchen! Ersatzweise Die Ärzte fraglos noch ein „Arschloch!“ in Vorrat halten…
Autor: Prof. Dr. Christian Niemeyer, Berlin. Wichtige Veröffentlichung zum Thema, im Text angeführt: Schwarzbuch Neue/Alte Rechte. Glossen, Essays, Lexikon. Beltz Juventa: Weinheim Basel 2021. Im nämlichen Verlag erscheint demnächst: Schwarzbuch AfD 2021/22 (Arbeitstitel).