Die Gerüchteküche brodelt

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Wieder einmal wird über die Inhalte des Friedensplans der Vereinigten Staaten für den Nahen Osten munter spekuliert. Von US-Präsident Donald Trump bereits 2016 als „ultimativem Deal“ angekündigt, wollte das ambitionierte Projekt nie so richtig an Fahrt gewinnen…

Von Ralf Balke

Ein Gespenst geht um im Nahen Osten. Es heißt amerikanischer Friedensplan für den Nahen Osten und geistert seit Jahren wahlweise durch die Hauptstädte der Region oder ist in den internationalen Medien unterwegs. Denn angeblich hat US-Präsidenten Donald Trump den „ultimativen Deal“ zur Lösung des über hundert Jahre alten Konflikts, an dem sich bereits viele seiner Vorgänger im Amt die Zähne ausgebissen hatten, längst in der Schublade. Genauere Informationen über den detailliertesten und durchdachtesten Plan aller Zeit, wie er ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit bezeichnete, gibt es jedoch keine. Mehrfach schon wurde seine Veröffentlichung angekündigt und dann wieder im letzten Moment abgesagt. Mal waren es anstehende Neuwahlen in Israel, die als Grund dafür erhalten mussten, mal gab es Probleme mit Saudi Arabien, dem in den Vorstellungen der amerikanischen Administration eine Schlüsselrolle zukommen soll. Kein Wunder, dass von einigen Politikern und Journalisten daher bereits des öfteren die Vermutung ins Spiel gebracht wurde, dieser Friedensplan für den Nahen Osten würde gar nicht existieren und sei bloß eine Schimäre. Trotzdem – oder vielleicht auch genau deshalb – kursieren immer wieder neue Gerüchte über das Konzept. So auch dieser Tage in den libanesischen Medien.

Der eigentlich pro-Hisbollah eingestellte TV-Sender hatte angeblich eine Kopie des amerikanischen Friedensplans erhalten und nun Details daraus veröffentlicht. Die darin beschriebenen Ziele und Richtlinien stehen in einem deutlichen Widerspruch zu dem, was die US-Administration ansonsten als Positionen zur Lösung des Konflikts nach außen kommuniziert, stellten Beobachter fest. So würden die Vereinigten Staaten Israel jede weitere wirtschaftliche Unterstützung verweigern, wenn Jerusalem bei der Umsetzung dieses Friedensplans nicht mitspiele. Und dieser soll folgende Kernpunkte beinhalten: Vorgesehen ist die Gründung eines arabischen Staates, bestehend aus Teilen des Westjordanlandes sowie dem Gazastreifen, unter dem Namen „Neu-Palästina“. Damit dieser auch in die Realität umgesetzt werden kann, sollen sowohl die Hamas, als auch der Islamische Jihad und die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO sich endlich zusammenraufen und ihre Dauerfehden einstellen – anderenfalls werde man dafür sorgen, dass keinerlei internationale Hilfsgelder mehr fließen. Ihre Waffenarsenale müssten alle weitestgehend abgeben, kurzum „Neu-Palästina“ wäre ein entmilitarisiertes Gemeinwesen ohne eigene Armee. Für die Sicherheit seiner Außengrenzen könnten ja Israels Streitkräfte zuständig sein – selbstverständlich für eine kleine Schutzgebühr. Und sollte trotzdem eine der beiden islamistischen Terrororganisationen auf die dumme Idee kommen, Israel wieder einmal mit Raketen anzugreifen, würden die Vereinigten Staaten Israel sofort eine Carte blanche erteilen, das Führungspersonal von Hamas und Islamischem Jihad unschädlich zu machen.

Auch Israel müsste einige Kröten schlucken. Zwar würde man die jüdischen Siedlungsblocks auf dem Westjordanland dem geleakten Friedensplan zufolge weitestgehend dem Staatsgebiet Israels zuschlagen. Sogar das Jordantal könnte unter israelischer Kontrolle verbleiben. Aber beim Thema Jerusalem gäbe es durchaus einige einschneidende Veränderungen. Obwohl eine erneute Teilung nicht geplant sei, soll die Stadt ebenfalls die Kapitale von „Neu-Palästina“ werden und ihre Bewohner im Osten Staatsbürger des so entstehenden Gemeinwesens werden. Wie das in der Realität funktionieren kann, bleibt offen. Zugleich würde die Kontrolle über die islamischen Heiligen Stätten neu geregelt. Während weiterhin die gesamte Stadt politisch von Israel verwaltet werden soll, käme ein neuer Player hinzu, nämlich Saudi Arabien. Die Herrscher des Wüstenkönigreichs wären damit nicht nur Wächter von Mekka und Medina, sondern ebenfalls über den Felsendom und die al-Aksa-Moschee, was durchaus eine Steigerung ihres Ansehens mit sich brächte. Die Absichten hinter dieser Idee sind schnell erkannt: Auf diese Weise wäre Saudi Arabien wohl eher geneigt, einen Teil der gewaltigen Kosten zu übernehmen, die mit der Umsetzung des Friedensplans verbunden sind. Das Nachsehen hätten die Palästinenser, die gerne die drittheiligsten Stätten des Islams kontrollieren würden und natürlich die Jordanier, deren Königshaus als Hüter bis dato diese Rolle innehat.

Über das Territorium von „Neu-Palästina“ und seine geplante Gründung stand ebenfalls einiges geschrieben: Zwischen Westjordanland und dem Gazastreifen soll über israelischem Staatsgebiet in 30 Meter Höhe eine Autobahn gebaut werden, die beide Teile des neuen Gemeinwesens miteinander verbindet. Angeblich stehe ein chinesischen Unternehmen bereits in den Startlöchern. Auch soll „Neu-Palästina“ für die Siedlungsblocks, die Israel zugeschlagen werden, mit ägyptischen Gebieten auf dem Sinai kompensiert werden, die in unmittelbarer Nachbarschaft zum Gazastreifen liegen. Doch Palästinenser dürften darin nicht leben, allenfalls landwirtschaftliche Nutzflächen, Fabrikgelände und ähnliches sollen darauf entstehen können. Kairo, das sowieso bereits einer der größten Empfänger amerikanischer Hilfsgelder ist und von diesen sehr abhängig ist, würde dafür als Gegenleistung eine Aufstockung der Zahlungen erhalten. Auch einen Zeitplan gäbe es angeblich bereits: Als erster Schritt steht die Abrüstung der Hamas an, die alle ihre Waffen Ägypten übergeben soll. Daraufhin würden alle ihre Führungskader ein monatliches Gehalt erhalten, das einige arabische Staaten aufbringen. Im Gegenzug beenden Israel und Ägypten die Blockade des Gazastreifens, weshalb dieser sich wieder dem internationalen Handel öffnen könnte. Nach einem Jahr soll es freie und demokratische Wahlen geben. Sukzessiv werden über den Zeitraum von drei Jahren alle in israelischer Haft einsitzende Palästinenser auf freien Fuß gesetzt. Auch sollen möglichst rasch wichtige Infrastrukturprojekte wie Airports und Häfen verwirklicht werden. Natürlich kostet das Ganze auch Geld, und zwar recht viel: Von 30 Milliarden Dollar in den ersten fünf Jahren ist die Rede, aufkommen sollen zu 20 Prozent die Vereinigten Staaten, zu zehn Prozent die Europäische Union und zu 70 Prozent die reichen Golf-Araber.

So weit, so gut. Offizielle und nichtoffizielle Friedenspläne für den Nahen Osten gab es schon einige. Und dieser klingt nach einem Potpourri bekannter Ideen. Fast alle darin genannten Punkte und Schritte sind irgendwo schon einmal aufgetaucht, weshalb man ihn eigentlich auch getrost als Phantasieprodukt ignorieren könnte. Neu ist an ihm allenfalls die angebliche Bereitschaft der Amerikaner, auch die Hamas in ein Konzept miteinzubeziehen – genau das hat es niemals zuvor gegeben. Doch was in diesem Fall doch ungewöhnlich ist: Die angeblich geleakten Inhalte wurden von den israelischen Medien sofort aufgegriffen und recht ausführlich diskutiert. Auch aus Washington kamen Dementi. „Die Gerüchte über den Inhalt des Friedensplans der Trump Administration sind falsch“, hieß es von dort gegenüber einer Anfrage der Times of Israel. „Wir sind sehr sicher, dass die darin genannte Quelle den Plan niemals zu Gesicht bekommen hat.“ Es würden von amerikanischer Seite ohnehin keine Details veröffentlicht, so lange Israel nicht über neue und funktionierende Regierung verfügt. Genau diesen Satz kann man seit bereits bald einem Jahr hören, als die Israelis zum ersten Mal für den April zu den Wahlurnen gerufen wurden. Aber da keine funktionierende Koalition auf die Beine gestellt werden konnte, erfolgte ein zweiter Wahlgang im September und weil sich das Spiel wiederholte, wird ein dritter im März stattfinden.

Ägypten meldete sich ebenfalls zu Wort. Es gäbe keinerlei Pläne, die eine Abtretung von Territorien vorsehen oder einen sonstigen Verzicht auf ihre Kontrolle beinhalten. Auch würde man diesen sofort eine Abfuhr erteilen, hieß es dazu aus Kairo. Aus Jordanien war bis dato noch nichts zu hören. Dass der amerikanische Plan, der eine Abtretung der Wächterrolle über die heiligen Stätten des Islams in Jerusalem an Saudi Arabien vorsieht, dort auf Begeisterung stoßen könnte, darf bezweifelt werden. „Weder die US-Regierung, noch die eines anderen Landes haben uns einen irgendeinen Vorschlag gemacht, der mit dem Deal des Jahrhunderts zu tun hat“, hieß es dagegen aus Politbüro der Hamas. Sowieso würde man allen amerikanischen Plänen eine Abfuhr erteilen und weiterkämpfen.

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des ominösen Plans ist ebenfalls nicht ohne Bedeutung. Denn während die Trump-Administration ihre finanziellen Hilfen für die Palästinenser gerne auf Null runterfahren wollte, hat der Kongress vor wenigen Tagen Gelder in Höhe von 150 Millionen Dollar für humanitäre Projekte und die Sicherheit der Palästinenser im Haushaltsplan der Vereinigten Staaten für das Jahr 2020 bewilligt. Die vom Präsidenten geforderten 175 Millionen Dollar im Rahmen eines sogenannten Diplomatic Progress Fund, wodurch entsprechende Friedensinitiativen für die Region Nahost finanziert werden sollen, wurden dagegen nicht freigegeben. Der Entschluss sei allein eine haushaltspolitische Entscheidung gewesen, hieß es dazu auf eine Anfrage der Tageszeitung Haaretz aus Washington. Aber im Kongress glaube derzeit ohnehin auch kaum jemand daran, dass in naher Zukunft ein Friedensplan vorgestellt werde. Sowohl die geleakten Details als auch die im Anschluss an ihre Veröffentlich zu beobachtenden Reaktionen lassen eher eines vermuten: Die Wahrscheinlichkeit, dass diejenigen Recht behalten, die immer schon die These von der Nicht-Existenz eines Friedensplans für den Nahen Osten vertraten, dürfte jetzt größer als jemals zuvor sein. Denn selbst wenn im Frühjahr endlich eine funktionierende Regierung in Jerusalem das Ruder übernehmen sollte, dürfte die Trump-Administration etwas ganz anderes beschäftigen als mit eine Friedensinitiative, nämlich ihre Wiederwahl.

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