Dr. Moshe Wallach

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Der Stadt Köln liegt ein Antrag auf Straßenbenennung nach Dr. Moshe (Moritz) Wallach vor, die wir gerne unterstützen. Aus diesem Anlass dokumentieren wir eine Schrift zu Leben und Wirken des Mediziners, jüdischen Pioniers in Erez Israel und Ehrenbürger der Stadt Jerusalem…

Von Hans-Dieter Arntz

Bild oben: Moshe (Moritz) Wallach, Foto: Archiv Sharee Zedec Medical Center Jerusalem

Dass eine Persönlichkeit, deren genealogische Wurzeln in Euskirchen und Bad Münstereifel sind, bei einer historischen und weltweit beachteten Veranstaltung ganz besonders hervorgehoben wird, ist ungewöhnlich. Zur Eröffnung der Feierlichkeiten „3000 Jahre Jerusalem“ im Jahr 1995 begann der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin sein Grußwort mit einem unerwarteten persönlichen Bekenntnis darüber, was ihm Jerusalem bedeutet: „Mein Jerusalem: Das ist Dr. Mosche Wallach aus Deutschland …”

Wörtlich sagte er in der United States Capitol Rotunda:

„Jerusalem has a thousand faces – and each one of us has his own Jerusalem. My Jerusalem is Dr. Moshe Wallach of Germany, the doctor of the sick of Israel and Jerusalem, who built Sha’arei Zedek hospital and had his home in its courtyard so as to be close to his patients day and night. I was born in his hospital. I am a Jerusalemite“.[1]

Diese posthume Ehre galt einem jüdischen Arzt, dessen Wurzeln in der Voreifel waren, denn seine Mutter Marianne geb. Levy stammte aus Münstereifel und sein Vater Joseph aus Euskirchen.

Bis zum Erscheinen meines Buches „JUDAICA – Juden in der Voreifel“ [2] (1983), in dem ich die jüdische Familie Wallach als Mitbegründer der Euskirchener Tuchindustrie vorstellte, war offenbar der Name dieser Familie selbst in der Historie der deutschen Medizin kaum bekannt. Auch die Reisegruppe aus Euskirchen-Flamersheim, die ich im Frühjahr 1985 nach Jerusalem führte, konnte zuerst nichts mit dem Hinweis auf den „in Israel berühmten Mediziner“ anfangen.

Unser arabischer Reiseführer wies damals geflissentlich auf das jüdische Sha’are Zedek Krankenhaus (Sha’are Zedek) hin und resümierte sehr objektiv, dass dies, dank eines Deutschen, das traditionsreichste Krankenhaus des Nahen Ostens mit ausgezeichneter Reputation wäre.  Dieser Mann wäre nur mit Albert Schweitzer zu vergleichen.

Tatsächlich schien damals keiner zu wissen, dass der verdienstvolle Gründer dieser Institution ein gewisser Moritz Wallach (1866-1957) war, dessen Eltern aus Münstereifel und Euskirchen stammten. Die Lebensleistung ihres Sohnes, des berühmt gewordenen Dr. Moshe (Moritz) Wallach, weist ihn als eine herausragende Persönlichkeit des deutschen Judentums und als einen medizinischen Pionier des damaligen Palästina und heutigen Staates Israel aus.

Aus der Genealogie der Euskirchener Familie Wallach

Die Familie Wallach war zuerst in Hülchrath ansässig, bis dann 1788 der 39jährige Moses Wallach mit seiner vielköpfigen Familie erstmals in Euskirchen nachweisbar ist. Das o.a. Buch JUDAICA enthält einige Passagen (S.42-154), die darüber Aufschluss geben, wie engagiert die jüdische Familie Wallach in das soziale Leben der kleinen Kreisstadt eingebettet war.

Bereits im Jahre 1983 berichtete ich über den offenbar vergessenen Mediziner und ergänzte dies seit dem Jahre 2008 in mehreren Online-Beiträgen und News auf meiner regionalhistorischen Website[3]. Dies wurde auch möglich, weil im Jahre 1995 Gerd Friedt im „Gemeindeblatt der Kölner Synagogengemeinde“ wichtige Fakten zusammengetragen hatte und ich selber im Jahre 2007 die Bekanntschaft mit Dr. Josef Wallach (Rehovot/Israel) machte, einem Großneffen von Dr. Moshe Wallach, der einen Großteil des Familienarchivs verwaltet und mir für spätere Studien bisher noch unveröffentlichte Briefe, Fotos und Dokumente anvertraute. 

Daraufhin publizierte das Leo Baeck Institute in Jerusalem eine informative Schrift mit dem Titel „Dr. Mosche Wallach – Arzt im Sha’are Zedek Hospital“ (Nr.783). Dies alles motivierte schließlich im Jahre 2012 den Journalisten und Schriftsteller Gregor Brand [4] aus Aukrug zu einer kleinen Zusammenfassung in seinem regionalhistorischen Buch „Eifler Kinder“.

In meinem Buch „JUDAICA – Juden in der Voreifel“ (1983) hielt ich folgende Details zur jüdischen Familie Wallach fest:

Unter den 125 jüdischen Soldaten aus dem Rheinland, die an den Napoleonischen Feldzügen 1813-1815 teilnehmen mussten, war mit Simon Wallach ein Familienmitglied. Im Jahre 1848 standen Verwandte in den Reihen der Euskirchener Bürgerwehr. Später gehörten Angehörige zur Repräsentanz der Synagogengemeinde und zu speziellen städtischen Kommissionen. Simon Wallach war sogar der Mitbegründer der Euskirchener Tuchindustrie, die bis zum 1. Weltkrieg Stoffe in insgesamt 28 Länder exportierte. Sehr prominent war Andreas Wallach, der als Vorsteher am 30. November 1886 die Urkunde zur Grundsteinlegung der neuen Synagoge unterzeichnete.

Joseph Wallach (1841-1921), der Vater des später berühmten Dr. Moritz (Moshe) Wallach, stammte  ebenfalls aus Euskirchen und war als bekannter Tuchhändler Inhaber der Firma Wallach & Marx. Mit 22 Jahren heirate er 1863 Marianne Levy aus Münstereifel, mit der er dann nach Köln umzog. Er zählte zu den Mitbegründern der Kölner Austrittsgemeinde Adass Jeschurun, die als sehr orthodox galt und deren Präsident er später wurde.

In der Domstadt kam Moritz (Moshe) Wallach im Jahre 1866 zur Welt. Er studierte in Berlin und Würzburg Medizin, wo er bei Hofrat Prof. Dr. Rindskopf mit der Arbeit Zur Lehre des Melanosarkoms promovierte. Der Bergheimer Heimatforscher Gerd Friedt betont in seinem Aufsatz „Ein Kölner Jude als medizinischer Pionier in Erez Israel“,[5] dass sich die Liebe zu diesem Land in seiner Mitgliedschaft bei den Chibbat Zion, den Zionsfreunden, ausdrückte. Bereits 1890/91 wanderte daher der junge Mediziner nach Palästina aus.

Wenn auch nur wenige Juden in der Voreifel daran interessiert waren, vor dem 1.Weltkrieg auszuwandern oder gar Pionierarbeit in Palästina zu leisten, so unterstützte man doch den inzwischen in Köln lebenden Glaubensbruder und dessen zionistische Idee. Es ist nicht auszuschließen, dass Moshe Wallach auch von seinen in Euskirchen lebenden Verwandten diesbezüglich beeinflusst wurde. Sein Onkel, der Metzgermeister Moses Wallach (1847- 1929), soll ihn aber auf jeden Fall  in dieser Hinsicht ermutigt haben.

Ein wichtiges Familienfoto aus dem Jahre 1904 zeigt die Angehörigen, als sie schon in Köln lebten. In der Mitte ist der weißbärtige Vater Joseph Wallach (1838 -1921) zu sehen, der in seinem Geburtsort Euskirchen Inhaber der Firma der Tuchfabrik Wallach & Marx war. 1863 heiratete er Marianne Levy aus Münstereifel (vorne), mit der er von Euskirchen nach Köln umzog. Rechts neben ihm steht Dr. Moritz (Moshe) Wallach, der sich noch am Anfang seiner Karriere befindet.

Ein Freund der Euskirchener Familie, Andreas Schweizer, gehörte seit 1909 dem ESRA an, einem neutralen Verein zur Unterstützung Ackerbau treibender Juden in Palästina. Sogar der Hilfsverein der deutschen Juden, der Auswanderer nach Erez Israel und die Schulen im Orient betreute, hatte in der Euskirchener Synagogengemeinde zahlreiche prominente Mitglieder, zu denen auch die Verwandten Andreas und David Wallach zählten. Umgekehrt könnte auch vermutet werden, dass wegen der segensreichen Tätigkeit von Dr. Moshe Wallach die Euskirchener Juden eher bereit waren, die jüdische Aufbauarbeit in Palästina finanziell zu unterstützen. Korrespondenzen oder andere Belege hierfür sind aber heute nicht mehr vorhanden.

Dr. Moshe (Moritz) Wallach, Gründer des Sha’are Zedek Hospitals in Jerusalem

Immer schon, so auch im19. Jahrhundert, hatte die Region Palästina, Erez Israel oder Heiliges Land eine besondere geschichtliche und religiöse Bedeutung für das Judentum, den Islam und das Christentum. Der aus Köln stammende Moritz Wallach bewies jedoch schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, dass eine religiöse Einstellung mit der ethischen Verpflichtung eines Arztes durchaus vereinbar ist. Mit der Gründung und dem Bau des seit 1902 bestehenden „Shaarei Zedek Hospital“ – auf deutsch: „Tore der Gerechtigkeit“-, an der Jaffa Road, schuf er eine Institution, die bis in die Gegenwart hinein als hoch qualifiziert gilt.

45 Jahre lang leitete  Joseph Wallach das berühmte Krankenhaus. Offiziell wird immer wieder hervorgehoben, dass er die moderne Medizin für die verarmte und krankheitsgeplagte Bürgerschaft einführte, Patienten aller Religionen respektierte und kostenlos freie medizinische Versorgung zur Verfügung zur Verfügung stellte. Auch die meist islamischen Einwohner von Jerusalem identifizierten seine Person derart mit dem Krankenhaus, dass es als „Wallach’s Hospital“ bekannt wurde. Dies alles gewinnt deswegen an Bedeutung, als er ein orthodoxer Jude war und als Aktivist in der jüdisch-orthodoxen Bewegung Agudath Israel tätig war. Es herrschte große Trauer in Jerusalem, als er 1957 verstarb und auf dem kleinen Friedhof neben dem Krankenhaus beerdigt wurde.

Im Foyer des renommierten Hospitals befindet sich heute eine kleine Ausstellung, die die Lebensleistung von Dr. Moshe Wallach dokumentiert. Inzwischen gibt es in Jerusalem eine  „Dr.-M.Wallach-Allee“, Gedenkkarten und auch sogar eine Briefmarke, die an diese herausragende Persönlichkeit des deutschen Judentums sowie den medizinischen Pionier im damaligen Palästina und heutigen Staates Israel erinnern.

Würdigung des Zedek-Krankenhauses und Moshe Wallach durch die Post in jerusalem (1978), Foto: Archiv Arntz/(c) Josef Wallach (Israel)

Auch heute noch ist das inzwischen sehr moderne „Sha`re Zedek Medical Center“ ein religiös nach jüdischer Tradition und Gesetzen geführtes Krankenhaus. Das bedeutet beispielsweise, dass an Shabbat (beginnt Freitag abends und endet Samstag abends) und allen jüdischen Feiertagen nur eingeschränkt gearbeitet wird und der Sonntag ein ganz normaler Arbeitstag ist. Man sieht viele traditionell gekleidete Patienten und einige religiöse Ärzte. In den Ärzteteams sind alle möglichen Nationalitäten vertreten,  viele kamen im vorletzten Jahrzehnt aus der ehemaligen UdSSR; aber es sind auch viele Amerikaner, Kanadier usw. hier tätig. Die gebürtigen Israelis sind nach Angaben eines interviewten Arztes fast in der Unterzahl. Das Krankenhaus ist assoziiert mit der „Ben Gurion University of the Negev in Beer Sheva“. Es hat 500 Betten und 10 Etagen, von denen drei sich unter der Erde befinden, so dass die OP-Säle und der Emergency Room auch bei militärischen Angriffen funktionieren können.

Zur Historie des Sha’are Zedek Hospitals in Jerusalem und Wirken von Dr. Joseph Wallach

Dieser Vorgang der Wiederbelebung des Landes mithilfe der Fremden erstreckte sich auf Jahrzehnte. Die medizinische Versorgung hielt wohl kaum mit dem Wachstum der religiösen Motivation Schritt. Hier sah der 26jährige Dr. Moritz (Moshe) Wallach eine Herausforderung. 1891 ging er nach  Jerusalem. Als dann kurz vor der Jahrhundertwende die Bevölkerung unter Malaria, Unterernährung, Diphtherie und anderen Krankheiten litt und kaum Besserung zu erwarten war, beschloss  das deutsche „Comitee zur Unterstützung der Juden in Palästina“, das in Frankfurt am Main gegründet worden war, ein Hospital in Jerusalem zu errichten. Dank seiner zehnjährigen Erfahrung vor Ort und seiner medizinischen Kompetenz wurde ihm die Leitung des neu erbauten Krankenhauses angetragen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich schon durch seine strikten medizinischen Maßnahmen hervorgetan. Er machte auf dem Eselsrücken Hausbesuche und verschrieb sogar Milch und spezielle Lebensmittel als geeignete Medizin. Gerd Friedt ergänzt in seinem Aufsatz  „Ein Kölner Jude als medizinischer Pionier in Erez Israel“:

Hier, in der Altstadt von Jerusalem, eröffnete er eine kleine Klinik. Danach arbeitete der junge Dr. Wallach im Bikur Cholim Hospital, einem der drei jüdischen Krankenhäuser, die damals in Jerusalem existierten. Hier übte er seine Tätigkeit als Frauen-, Kinder- und Augenarzt sowie als Chirurg (Spezialgebiet Halsoperationen) aus. Außerdem war er als `Mohel´ tätig, der viele Kinder bei der Aufnahme in den Bund beschnitten hat.

Der in Köln tätige Professor Yizhak Ahren bestätigte mir am 10. Februar 2008, dass er wohl einer der letzten Knaben gewesen sei, der von Dr. Wallach beschnitten worden sei.

Der Voreifel und natürlich auch seiner Heimatstadt Köln blieb der beschäftigte Arzt Moshe Wallach weiterhin verbunden, was durch etliche Besuche belegt ist. Bei der Amtseinführung von Rabbiner Dr. David Carlebach im Jahre 1929 (5689) zum Beispiel finden wir ihn unter den zahlreich er­schienenen Ehrengästen. Das war auch in demselben Jahr, als sein naher Verwandter in Euskirchen, Moses Wallach (1847-1929), starb.

Dr. Moshe Wallach, ein aus dem Rheinland stammender orthodoxer Jude, berufen zur praktizierten Nächstenliebe und in seiner Lebensleistung vielleicht mit einem Albert Schweitzer vergleichbar, verblieb an der Stelle, die er sich ausgesucht hatte. Dass er auch heute immer noch für den Staat Israel Vorbild und von Bedeutung ist, erkennt man an der Tatsache, dass selbst das Außenministerium ihn und sein Sha`are Zedek Hospital  im Internet präsentiert.

Bau des Zedek-Krankenhauses, 1902, Historisch Postkarte, Foto: Archiv Arntz

Die Autorin Lili Eylon fasst unter der Überschrift  Sha’arei Tzedek (Gates of Righteousness) die Entwicklung seines „Hospitals“ zum modernen Sha’are Zedek Medical Center in Jerusalem zusammen. Sie war in der Zeit  von 1902 bis heute stürmisch und hatte sich besonders den politischen Gegebenheiten anzupassen: Während des 1.Weltkrieges musste zum Beispiel auf eigene Kosten ein Kuhstall für 40 Kühe gebaut werden, weil es im Krankenhaus an Milch mangelte. Und als im Jahre 1917 der britische Major Shea, der damals die 60. Division kommandierte, die Kapitulation der türkischen Armee in Jerusalem annahm, fand diese Zeremonie in den Gärten des Sha’are Zedek Hospitals statt. Jahrelang standen die Tore für jedermann offen, das heißt, es wurden keineswegs nur Juden behandelt. Besonders Scharlachepidemien, Meningitis und Typhus wurden bekämpft, obwohl der Krankenhausbetrieb häufig durch Unruhen und Massaker stark beeinträchtigt wurde.

Während des Unabhängigkeitskrieges (1948) – als Jerusalem belagert und von der Umwelt völlig abgeschnitten war -, nahm das Sha’arei Tzedek Hospital täglich 60 bis 80 neue Patienten auf. Am ersten Tag des Sechstagekrieges (1967) wurden täglich bis zu 150 Patienten in einem unterirdischen Operationssaal ununterbrochen operiert. Obwohl das Krankenhaus mehrere Treffer erhielt, wurde kein Patient getroffen.

Aber im Laufe der Jahre entsprach das alte Krankenhaus nicht mehr den modernen Anforderungen und kurz nach 1978 fand der Umzug in größere Räumlichkeiten mit besseren Kapazitäten in der Bayit Vergan Nachbarschaft statt. Das Sha`are Zedek Hospital, das im Jahre 1902 nur über 21 Betten verfügte, hatte nun Platz für etwa 525 Patienten und wesentlich moderne medizinisch-technische Voraussetzungen. Das alte Sha’arei Tzedek Building auf der Jaffa Road stand nun für etwa 20 Jahre völlig leer und verfiel. Unter Berücksichtigung des architektonischen und auch historischen Wertes wurde es dann doch restauriert, so dass zumindest die Fassade an die Historie des Gebäudes erinnert.

Die Pionierleistung von Dr. Moshe (Moritz) Wallach

Gerd Friedt, der selber 10 Jahre lang in Israel gearbeitet und sich mit der Geschichte des Sha’are Zedek Krankenhauses befasst hat, erwähnt im historischen Rückblick seines Berichtes:

Es war das Ziel von Dr. Moshe Wallach, ein modernes Krankenhaus außerhalb der alten Stadtmauern Jerusalems zu errichten. Mit Spenden aus Frankfurt/am Main und Amsterdam kaufte er Land außerhalb der Stadt, welches an der Jaffastraße gelegen war, und gründete ein modernes Krankenhaus. Der Baubeginn war 1897, und 1902 (zu Kaiser Wilhelms Geburtstag am 27.01.1902) eröffne­te man dieses Krankenhaus. Es trug den Na­men `Sha’are Zedek´ (Tore der Gerechtigkeit), war jedoch als Wallach-Krankenhaus bekannt. Bis 1947 war er Direktor dieses Krankenhau­ses, welches seine unverkennbar orthodoxe Handschrift aufwies. Er schuf hier eine bedeu­tende Abteilung für Infektionskrankheiten, mit einer damals in Palästina unüblichen Isolierstation, und schuf u.a. die Grundlagen für eine bis heute gültige Milchhygiene in Israel. Neben dem Spital baute er eine land­wirtschaftliche Wirtschaft auf, um den Bedarf des Krankenhauses an Milch, Gemüse, Eiern usw. zu gewährleisten. Eigene Wasserzisternen wurden angelegt, um von der städtischen Wasserversorgung unabhängig zu sein. Er gründete eine eigene Schwesternschule, die zeitig für einen gut ausgebildeten Nachwuchs sorgte.

Im Lehrplan stand in Wallachs typischer Diktion: Unterricht in den religiö­sen Geboten und Verboten. In diesem Zusammenhang sei auch an die Mitarbeiterin Selma, seine Oberschwester, erinnert, die 1916 aus Deutschland kam – auf dem Höhepunkt einer Typhusepidemie – und 1936 die  Shaare Zedek’s School gründete und seitdem leitete. Insofern konnte das medizinische Personal fachgerecht für das Zedek Krankenhaus herangebildet werden. An dieser Stelle sollte angemerkt werden, dass die zierliche Oberschwester ihre eigene Ausbildung am Heinrich-Heine-Hospital in Hamburg erhalten hatte. Anfangs war sie die einzige Krankenschwester in Jerusalem , die eine fachspezifische Berufsausbildung vorweisen konnte. Bis 1984 übte sie ihren Dienst gewissenhaft aus. Derjenige, der Weiteres über Dr. Moshe Wallach und sie lesen möchte, sollte den interessanten Beitrag von Orit Navot berücksichtigen[6].

Als die verdienstvolle „Schwester Selma“ 1984 an ihrem 100. Geburtstag starb, soll sie nach Angabe der Historikerin Lili Eylon von dem Time Magazine als „lebende Heilige“ und „einem Engel ähnlich“ bezeichnet worden sein. Ihre aus 18 Seiten bestehende Autobiographie „My Life and Experiences at Sha’are Zedek (1973) stellt ganz besondere Augenblicke und Ereignisse während ihrer gesamten Tätigkeit dar. Einige Fotos illustrieren ihre verlässliche Tätigkeit als „Rechte Hand“ von Dr. Wallach.

Rückblickend ist hervorzuheben, dass die Einweihung des Sha`arei Tzedek Hospital am 27. Januar 1902 nicht nur für den jungen Direktor Dr. Moshe Wallach ein großes Ereignis war, sondern auch für die Stadt Jerusalem. Zu den Ehrengästen zählten Jawad Pasha in seiner Funktion als türkische Gouverneur der Stadt Jerusalem, der deutsche Konsul Dr. Schmidt, der Askenasi-Rabbiner Salant und der Sephardi-Oberrabbiner Haham Bashi Eliashar. Die Rabbiner schlossen in die Gebete auch den Sultan und den Kaiser laut in ihre Gebete ein.

Für 45 Jahre stellte das Sha’are Zedek Hospital nicht nur für  Dr. Moshe Wallach den Arbeitsplatz, sondern auch seinen Wohnort und seine „Heimat“ dar. Die Bevölkerung identifizierte den Mediziner derart mit seinem Krankenhaus, dass die immer größer werdende Institution von der Bevölkerung nur noch „das WALLACH“ bezeichnet wurde. Wie erwähnt stand es anfangs an der Jaffa Road, auf einem etwa „two-and-a-half acre“ Grundstück. Von hier aus hatte es etwa 20 Minuten gedauert, um auf einem Esel in die Altstadt von Jerusalem zu reiten, wo vor Jahrzehnten die meisten Patienten lebten. In ihrem englischsprachigen Online-Bericht beschreibt Lili Eylon, wie die Kranken aber auch auf Karren, „per Kamel oder Esel“, nicht nur aus Jerusalem selber, sondern aus allen Teilen des Landes zu dem Krankenhaus „Wallach“ gebracht wurden. Das war jetzt vorbei. Das neue, moderne Sha’are Zedek Medical Center ist eines der modernsten Krankenhäuser im Nahen Osten.

Verwandte Wallach folgten nach Erez Israel

Es lässt sich nicht bestreiten, dass die Geschichte des Krankenhauses eng mit der von Jerusalem verbunden ist; dasselbe gilt für gewisse Zeiten auch umgekehrt.

Dr. Moshe Wallach war ein Vor- und Leitbild. Seinen Spuren folgten viele, beruflich, aber auch aus anderen Gründen. In diesem Zusammenhang sollen auch einige Anverwandte Wallach genannt werden, von denen viele rechtszeitig aus dem nationalsozialistisch gewordenen Deutschen Reich flohen und in Palästina, in Erez Israel, eine neue Heimat fanden.

Zu ihnen zählte zum Beispiel Ruth Wallach, die Nichte von Dr. Moshe Wallach. Ihr Lebenslauf gibt ein solches Schicksal wieder: geb. 1911 in Düsseldorf, Vater Fabrikdirektor in Augsburg. Ruths Eltern waren Simon Wallach (geb. 1880 in Köln) und Hedwig (geb. 1875 in Braunschweig). Simon war Direktor von verschiedenen Maschinenfabriken. Ruth hatte einen jüngeren Bruder, Rolf (geb. 1916). Sie heiratete den Augsburger Eugen Grünhut (geb. 1909). (Eugen war ein Neffe von Adele Mendelsohn, geb. Grünhut, der Mutter von Fanny Mendelsohn). Das Ehepaar bekam eine Tochter. Ruths Onkel war Moritz Wallach, der berühmt gewordene Dr. Moshe Wallach.

Auch Ruth und ihr Ehemann flohen 1936 nach Palästina. Ruths Eltern zogen 1932 nach Mannheim. Auch sie wanderten 1936 nach Palästina aus. Simon starb 1950 in Jerusalem, Hedwig 1960 in Haifa. Ruths Bruder Rolf emigrierte ebenfalls nach Palästina. Er kehrte mit Ehefrau und zwei Söhnen 1956 nach Deutschland zurück, wo er 1990 starb. Ruth Grünhut, geb. Wallach, verstarb vor 2006 in Haifa.

Die Angehörigen der Familie Wallach sind zahlreich. Ich selber lernte im Jahre 1985 einen weiteren Wallach-Angehörigen kennen, der im Staate Israel bekannt wurde. Es handelte sich um Dr. phil. Simon Wallach, den Begründer der Knessetbibliothek von Jerusalem. Er baute diese Institution des Parlamentes auf und verstarb im Jahre 2007 in Mönchengladbach. Ihn wollte ich noch zu einer Wiedersehensfeier mit ehemals in Euskirchen beheimateten jüdischen Mitbürgern und deren Anverwandten einladen. Seine Töchter und deren Familien leben heute noch in Israel.

Es ist nur wenig darüber bekannt, wie Dr. Moshe (Moritz) Wallach die Vorgänge im nationalsozialistischen Deutschland wahrnahm. Erschüttert soll er jedoch später vom Schicksal einiger seiner jüdischen Verwandten gehört haben. Bekannt ist, dass er bis zum Aufkommen des Nationalsozialismus Deutsch für seine Korrespondenzen benutzte, dann aber zum Hebräischen in Raschischrift überging. Das halte ich für bedeutsam, weil er politisch der radikalen Orthodoxie nahestand und Hebräisch als Umgangssprache des Alltags ablehnte.

Anmerkungen zur Ehrung des Ehrenbürgers von Jerusalem

Die Stadt Jerusalem bedankte sich bei Dr. Moshe Wallach (1866-1957) mit der Verleihung des Titels „Yakir Yerushalayim“ (Ehrenbürger von Jerusalem). Die medizinische Fakultät der Hebräischen Universität in Jerusalem verlieh ihm zu seinem neunzigsten Geburtstag die erste Ehren­doktorwürde, die dort vergeben wurde. Zu derselben Zeit fungierte an dieser Hebrew University Prof. Dr. Evenari (1904-1989)[7] als Vizepräsident, und man kann davon ausgehen, dass er die Ehrung des aus dem Rheinland stammenden Glaubensbruders durch seine Hochschule sicher auch befürwortet hat. Und jetzt bekommt der vorliegende Artikel einen wirklich Eifel-spezifischen Aspekt: Der Vater von Prof. Evenari stammte ebenso aus der Kreisstadt Euskirchen wie der Vater von Dr. Moshe Wallach. Hier treffen sich die Zweige einer lokalen Genealogie, zumal feststeht, dass sich die beiden jüdischen Männer  früher persönlich gekannt haben.

Ausblick

Weiterhin stehe ich in Kontakt mit dem in Israel lebenden Dr. Josef Wallach (*1938), dem Großneffen von Ludwig Wallach, also dem Bruder des berühmten Dr. Moshe (Moritz) Wallach. Er verwaltet jetzt das Wallach-Archiv und begründet, weshalb die Beschäftigung mit dem Leben seines berühmten Vorfahren sein Leben geändert und seinen Berufswechsel zum bekannten Philatelisten und Buchautor bewirkt hat. Er teilte mir u.a. mit:

“I  was lucky to know both grandfathers and grandmothers from both  sides and also the famous  Dr. Moritz  Wallach  – who hold the hospital under his strong discipline!

My Father took me every Shabat (Saturday) to the hospital synagogue as Dr. Wallach  nominated my father to be the reader of the  Torah scrolls  each Shabat  all over the year, in  summer (hot)  or cold or even snowy  winter (…).

Dr.  Moritz  Wallach  passed  away  in  1957  with  a  gigantic  life time  legacy.  His private  archive (he kept all and each  piece of  paper) came finally to my hands. When I met the  story and history of Palestine  and  medicine  in Palestine – through the archive,  it changed my  life time  career. I changed from Chemist to  handle collectors historical  items. From stamps  to covers, documents of  Judaica, Palestine  etc.  For  a while I hold  an  Auction on  the above items. I also became  a researcher  of modern Israel and Palestine  postal  history.”

Den Briefen konnte ich entnehmen, dass der an der Hebrew University und am Weizmann- Institut promovierte Chemiker inzwischen ein sehr bekannter Philatelist geworden ist, dessen Bücher zur Fachliteratur gehören. Hierzu gehört zum Beispiel das Werk: „ISRAEL – ARAB CONFLICT: Undercover/Forwarding Mail after the 1947 War between Israel and Arab States“. Beachtung fand vor einigen Jahren seine große Ausstellung „UNDERCOVER OR FORWARDING, CLANDESTINE MAIL ROUTES between the Population of the 1967 Occupied Territories and Arab States.“ 

Die Präsentation war historisch und politisch von Bedeutung, weil es in dem genannten Zeitraum und während des beiderseitigen Boykotts keine direkte Postverbindung mehr gab.

Aus dem Album von Dr. Moshe Wallach, Foto: Archiv Arntz((c) Josef Wallach

Das Familienarchiv Wallach ist zurzeit noch ein ungehobener Schatz und ruht also bei seinem Großneffen Dr. Josef Wallach, den ich auch in meinen Online-NEWS bereits vorstellte. Dank unserer gemeinsamen Bemühungen fand sich die Doktorandin Verena Wulf, die in ihrer inzwischen abgeschlossenen Promotionsarbeit das Lebenswerk von Dr. Moritz Wallach wissenschaftlich darzustellen vermochte.

Kurz nach seinem neunzigsten Geburtstag, einen Tag vor seiner Ernen­nung zum Ehrenbürger Jerusalems (1957), verstarb Moshe Wallach, der Gründer des Sha’are Zedek Krankenhauses  in Jerusalem. Mit ihm ging eine Epoche zu Ende.

Gerd Friedt zitiert in seinem Artikel den Nach­ruf von Dr. R. Michaelis, Jerusalem, im Mitteilungsblatt der „Vereinigung der europäischen Einwanderer“ vom 10. Mai 1957[8]:

„Als originelle uneigennützige Persönlichkeit von makellosem Charakter, als hochgeschätzter Arzt wird Dr. Moshe Wallach bei allen denen, die den Vorzug hatten, ihn zu kennen, in unvergesslicher Erinnerung bleiben“.

Der Verfasser dieser Zeilen wird sofort nach Erscheinen dieses Artikels und unter Vorlage des Eifel-Jahrbuches 2018 bei der Stadt Köln eine Straßenbenennung nach Dr. Moshe (Moritz) Wallach beantragen.

Anmerkungen

[1] RABIN, Yitzhak Rabin: “My Jerusalem“, in: Conference of Presidents of Major American Jewish Organizations (1995).

[2]  ARNTZ, Hans-Dieter: JUDAICA – Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983, 3. Auflage 1986.

[3]   ARNTZ, Hans-Dieter: Regionalhistorische Artikel, in: http://www.hans-dieter-arntz.de/artikel.html#Nationalsozialismusund2WeltkrieginderEifelundVoreifel In mehreren Vorträgen berichtete ich auch über den verdienstvollen jüdischen Mediziner Dr. Moshe Wallach. Vgl. z.B. den Artikel für das israelische, deutsprachige Magazin „MB Yakinton (Israel)“, (Jg. 81, Nr. 259, Mai 2013, S. 14/15): Ein Kölner Arzt als Pionier in Erez Israel – Dr. Moshe Wallach gründet das Sha`are Zedek Hospital.

[4]  BRAND, Gregor: Mosche Wallach, in: Kinder der Eifel aus anderer Zeit. Eifler Persönlichkeiten, die Geschichte machten (hrsg. v. Hermann Simon), Südwest- und Eifel-Zeitung Verlags- und Vertriebs-GmbH (2012).

[5]  FRIEDT, Gerd: Ein Kölner Jude als medizinischer Pionier in Erez Israel, in: Gemeindeblatt der Kölner Synagogengemeinde (Nr.2/1995, S.17).

[6]  NAVOT, Orit:  Dr. Moritz Wallach – A Century of Medicine and Tradition in Sha’are Zedek (Harefuah,  Vol. 142   [6] June 2003.

[7]  ARNTZ, Hans-Dieter: Michael Evenari, ein jüdischer Botaniker von Weltruf, in: http://www.hans-dieter-arntz.de/evinari.html

[8]MICHAELIS, R.:  Nach­ruf, in: Mitteilungsblatt Nr. 19 des Irgun Oley Merkas Europa (Vereinigung der europäischen Einwanderer) Jerusalem, vom 10. Mai 1957