Als Schloss Maßbach Kibbuz Lanegew hieß

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Shoa-Überlebende bereiteten sich in Unterfranken auf ihre Zukunft in Israel vor…

Von Jim G. Tobias

„Eingebettet in eine malerische Landschaftskulisse im Lauertal lädt die Marktgemeinde Maßbach (LK Bad Kissingen) zum Verweilen ein“, textet der Tourismusverband stimmungsvoll und preist die „abwechslungsreiche Natur- und Kulturlandschaft im östlichen Teil der Rhön.“ Doch auch sehenswerte Baudenkmäler hat der Ort zu bieten, wie etwa das um 1890 erbaute Neue Schloss, das heute als Kulisse für ein Freilichttheater dient und der Sitz der Unterfränkischen Landesbühne ist.

Dass im schmucken Schlösschen während der NS-Zeit ein Schulungslager des Nationalsozialistischen Lehrerbunds (NSLB) untergebracht war und den Namen des Bayreuther Lehrers und Gauleiters der „Bayerischen Ostmark“ Hans Schemm trug, ist vor Ort kein Geheimnis. Völlig in Vergessenheit geraten ist jedoch, dass Schloss Maßbach in der Nachkriegszeit vorübergehend von Überlebenden der Shoa bewohnt war. Unübersehbar für jedermann war die neue Nutzung des ehemaligen Naziheims durch das Hissen der blau-weißen Fahne mit dem Davidstern deutlich gemacht worden.

Nach dem Einmarsch der US-Armee hatte erst die Militärregierung das Gebäude genutzt und dann ab Oktober 1946 hier eine Unterkunft für jüdische DPs, Displaced Persons (zu Deutsch: verschleppte entwurzelte Menschen) eingerichtet. Überall in Bayern existierten seit Kriegsende solche DP-Lager, wie etwa in Föhrenwald, Landsberg oder Bamberg, in denen Tausende von Juden lebten, die zumeist vor antisemitischen Ausschreitungen und Pogromen aus ihrer osteuropäischen Heimat in das besetzte Deutschland geflüchtet waren. Allein in Franken sind 30 solcher Auffanglager nachweisbar, darunter etwa 20 als Kibbuz geführte landwirtschaftliche Trainingsfarmen.

Die jüdischen Bewohner von Schloss Maßbach nannten ihr vorübergehendes Zuhause programmatisch Kibbuz „Lanegew“, zu deutsch etwa „auf in den Negew“. Dort, im noch zu schaffenden jüdischen Staat, sollten in der Wüste blühende Landschaften entstehen. Da die damalige britische Mandatsmacht in Palästina jedoch eine äußerst restriktive Einwanderungspolitik betrieb, war eine Übersiedlung kaum möglich – man war gezwungen, im Land der Täter auszuharren.

Zuvor waren die bis zu 90, zumeist aus Polen und anderen osteuropäischen Ländern stammenden Männer, Frauen und Kinder in großen Auffanglagern in Hofgeismar und Ulm untergebracht gewesen. Da es dort offensichtlich keine Ausbildungsmöglichkeiten gab, wurden sie ins bäuerliche Unterfranken umgesiedelt. Auf der zum Schloss Maßbach gehörenden Landwirtschaft sollten ihnen Grundkenntnisse im Ackerbau vermittelt werden. In ihrer Freizeit lernten die zukünftigen Palästinasiedler Hebräisch und hörten Vorträge über die Kultur und Geschichte ihrer neuen Heimat Israel. Zudem gründeten die Maßbacher Kibbuzniks eine Theatergruppe und entspannten sich bei diversen sportlichen Betätigungen wie etwa beim Tischtennis- oder Schachspielen.

Auch wenn die osteuropäischen Juden aus nachvollziehbaren Gründen wenig Kontakt zur deutschen Bevölkerung suchten, sind nach Aussagen des örtlichen Heimatforschers Klaus Bub Begegnungen zwischen Einheimischen und den Schlossbewohnern nachweisbar. Ältere Maßbacher erinnern sich noch daran, dass es sogar zu einigen Liebesbeziehungen kam. Doch nicht nur zarte Bande wurden geknüpft. Die tiefverwurzelte nationalsozialistische Gesinnung der Ortsansässigen war immer noch virulent, wie ein Dokument aus dem Staatsarchiv Würzburg belegt: „Polizeiliche Ermittlungen ergaben, dass die Fahne des Judenlagers Maßbach am Donnerstag, den 27. Februar 1947, abends durch ruchlose Hände heruntergerissen und zerfetzt wurde“, notierte der Beamte der Landespolizeidienststelle. Obwohl auch die Militärregierung in die Ermittlungen einbezogen wurde, konnten die Verantwortlichen für diese Tat nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Versorgung der Kibbuzniks mit Lebensmitteln und Kleidung erfolgte durch die UN-Hilfsorganisation UNRRA sowie vom „Regionalkomitee der befreiten Juden in Franken“ mit Sitz in Bamberg. Da der Bezirk Unterfranken zunächst dem Regionalkomitee Frankfurt unterstellt war und erst im Herbst 1946 zu Bamberg wechselte, gab es einige organisatorische Probleme hinsichtlich einer ausreichenden Versorgung für die auf dem Schloss Maßbach untergebrachten Juden, wie einem Report der jüdischen Zeitung Undzer Wort zu entnehmen ist. Das vom Regionalkomitee in Bamberg verlegte Wochenblatt wurde auf den Druckmaschinen des Fränkischen Tag gedruckt und informierte die etwa 16.000 in Franken gestrandeten Shoa-Überlebenden auf Jiddisch, der Muttersprache aller osteuropäischen Juden.

Die Mitglieder des Kibbuz Lanegew, die zur zionistischen Dachorganisation Noar Chaluzi Meuchad (Vereinigte Jugendpioniere) gehörten, blieben bis zum Frühsommer 1947 in Maßbach. Danach machten sich die Kibbuzniks vermutlich auf den Weg in Richtung der italienischen oder französischen Mittelmeerhäfen, um von dort nach Palästina zu gelangen. Viele Einwanderer-Schiffe wurden jedoch von den Briten abgefangen und die Passagiere in Internierungslagern auf der Insel Zypern eingesperrt. Erst nach Gründung des Staates Israel im Mai 1948 war eine freie Einreise ins „Gelobte Land“ möglich. Wann und wie die Kibbuzniks aus Maßbach letztlich nach Israel gelangten, ist nicht überliefert.

Ausführliche Informationen über alle jüdischen DP-Camps und Kibbuzim in der US-Besatzungszone finden Sie im Internetlexikon
http://www.after-the-shoah.org

Bild oben: Schloss Maßbach: Im Herbst 1946 verwandelte sich das ehemalige NS-Schulungslager „Hans Schemm“ in den Kibbuz Lanegew. Foto: Heimatverein des Marktes Maßbach (Archiv Klaus Bub)