Peter Finkelgruens Gedenkrede in Peking

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Eine chinesisch-tschechisch-israelisch-deutsche Erinnerungsveranstaltung zur Shoah…

Von Roland Kaufhold

Ein außergewöhnlicher Gedenkort – und eine bemerkenswerte Kooperation mehrerer Botschaften: Am 22. Februar fand in der tschechischen Botschaft in Peking, Ritan Lu 2, ein Holocaust Memorial Event statt. Gemeinsame Einlader waren die tschechische, die deutsche und die israelische Botschaft in Peking, vertreten durch Berdich Kopecky, Michael Clauss und Guy Kivetz.

Gastredner war der am 9. März 1942 in Shanghai als jüdisches Flüchtlingskind geborene und heute in Köln lebende Autor Peter Finkelgruen. Finkelgruen hatte seine ersten vier Lebensjahre als Kind jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland in Shanghai verbracht. Anschließend emigrierte er mit seiner durch die Verfolgung schwer erkrankten Mutter und seiner Großmutter, die mehrere Konzentrationslager überlebt hatte, nach Prag, wo er weitere fünf Jahre lebte.

Die Idee zur Einladung Finkelgruens für diese Shoah-Gedenkrede in Peking kam von der jüdischen Gemeinde von Prag, der Finkelgruens Vita vertraut war. Und dieser Blickwinkel – China, Tschechien und Deutschland – bildete den von Finkelgruens Vita durchzogenen Versuch zur Erinnerung an den schwierigen Weg der Aussöhnung zwischen China, Tschechien, Deutschland und Israel. 

Finkelgruen erinnerte in seinem Vortrag an den schwierigen Überlebenskampf, den die etwa 19.000 jüdischen Flüchtlinge – andere Zahlen fallen deutlich höher aus – aus Deutschland und Österreich zu bewältigen versuchten: Das ferne, mythenumwobene Shanghai war für mehrere Jahre nahezu das einzige Land, in das Juden ohne Papiere einreisen durften. Aber selbst dieser Fluchtweg wurde am 15.11.1942 endgültig geschlossen. Es folgte am 18. Februar 1943 die Erklärung der Japaner – Verbündete des Deutschen Reiches – , dass bis zum 15.5.1943 alle Juden, die nach 1937 eingereist waren, ihre Wohnungen und Geschäfte in das Ghetto von Shanghai zu verlegen hatten. Auch Finkelgruens Eltern mussten ihren kleinen Laden für Handschuhe und Lederwaren schließen. Hauptmotor für die Errichtung des jüdischen Ghettos von Shanghai war jedoch die NDSdAP/AO Shanghai, die sich aus den ca. 2500 Deutschen Ariern in Shanghai rekrutierten. Erst zweieinhalb Jahre später, am 3.9.1945, nach der Befreiung Shanghais durch die Amerikaner und dem Rückzug der Japaner, wurde das Ghetto wieder aufgelöst.

Finkelgruens Lebensweg steht exemplarisch für das vieler jüdischer Emigranten: Sein Vater Hans erlebte die Befreiung nicht mehr. Er verstarb am 29.7.1943 in Folge der erlittenen Schädigungen und der mangelnden Hygiene in Shanghai. Die Vernichtung auch der Shanghaier Juden war ein fester Plan der deutschen Nazis. Diese entwarfen, unter Beteiligung des deutschen Generalkonsuls Martin Fischer, hierfür drei Pläne: Die Juden könnten bei unzureichenden Hungerrationen zu Zwangsarbeiten herangezogen werden, wodurch sich ihre Zahl  beträchtlich dezimiere. Man solle die überlebenden Juden unter einem Vorwand auf ein manövrierunfähiges Schiff verfrachten, dieses auf hohe See schleppen und dort verlassen. Oder man könne, so lautete die dritte Variante der Pläne, auf der Halbinsel Potong mit deutscher Unterstützung eine Gaskammer bauen. Entscheidend sei, dass man aller Juden in Shanghai habhaft werde. Am günstigsten wäre hierfür das jüdische Neujahresfest Rosh Hashana, an dem alle jüdischen Familien beisammen seien.

Finkelgruen, der in zwei Wochen 75 Jahre alt wird, erinnerte in seiner Shoah-Gedenkrede an seinen weiteren Lebensweg: 1946 ging er mit seiner Oma und seiner schwerkranken Mutter Esti in das kommunistische Prag, wo er für drei Jahre eine Grundschule besuchte. 1951 ging der neunjährige Peter, dessen Mutter ein Jahr zuvor an den Folgen der Traumatisierungen verstorben war, mit seiner Großmutter nach Israel. Seine Tante, die als überzeugte Zionistin noch rechtzeitig in das damalige Palästina emigriert war, erwartete ihn. Anfangs lebte Finkelgruen in deren Kibbuz Kfar Hammakabi, später dann in Nordisrael im winzigen Ort Kfar Samir. 1959, nach seinem Abitur in Israel, ging er mit tiefer Ambivalenz zum Studium in das ihm völlig unbekannte Deutschland.

An der gemeinsamen, sich auch an die chinesische Öffentlichkeit richtenden Gedenkveranstaltung in der tschechischen Botschaft in Peking nahmen etwa 100 chinesische und internationale Gäste teil. Die Feierlichkeit war verbunden mit einem Empfang der geladenen Gäste. Peter Finkelgruen las auch einen Ausschnitt aus seinem Buch Erlkönigs Reich. Die Geschichte einer Täuschung (1999) vor. Weiterhin wurden, dem Anlass entsprechend, kurze nachdenklich stimmende Stücke auf einem Klavier vorgetragen

Bereits vier Wochen zuvor, Ende Januar, hatten China und Israel in Veranstaltungen des 25. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen gedacht. Diese waren am 24.1.1992 von den beiden Außenminister David Levy und Qian Qichen in Beijing (Peking) unterzeichnet worden. Erster israelischer Diplomat war der vor drei Jahren in Tel Aviv verstorbene Zev Sufott. 1997 hatte Sufott mit dem Buch A China Diary: Towards the Establishment of China-Israel Diplomatic Relations seine Erfahrungen mit den japanisch-israelischen Beziehungen aufgearbeitet. China war zugleich das erste Land im Nahen Osten, das Israel 1950 anerkannt hat.

Die Beziehungen blicken auf eine lange, jedoch nicht unproblematische Vergangenheit zurück: Seit den Tagen der Jüdischen Gemeinde in Kaifeng vor Tausend Jahren bestehen Verbindungen zwischen beiden Ländern. Noch vor wenigen Monaten gab es Berichte darüber, dass China das jüdische Leben in Kaifeng plötzlich unterdrücke. Das einzige jüdische Lernzentrum von Shavei Israel sei geschlossen worden. Shavei Israel versucht seit Jahren, die Einwanderung nach Israel für chinesische Juden zu ermöglichen. Neben der Botschaft in Peking und dem Konsulat in Shanghai bestehen heute zwei weitere Vertretungen in Guangzhou und in Chengdu.

Erstaunlich: In Chinas wichtigsten sozialen Netzwerk habe die israelische Botschaft in Peking „beinahe zwei Millionen Follower“ und sei damit „die ausländische Botschaft in China mit den meisten Followern“, teilte das israelische Außenministerium am 24.1.2017 in ihrem Newsletter mit. Neben der Einrichtung von Zehnjahresvisa für Geschäftsleute und Touristen bildet die Aufnahme einer direkten Flugverbindung zwischen Tel Aviv und Peking durch Hainan Airlines zusätzlich zu den von El Al einen Meilenstein zur Intensivierung der Kontakte zwischen diesen beiden Ländern.

Eine stark gekürzte Version dieses Beitrages ist unter dem Titel Exil in Shanghai. Shoa-Gedenken in China, erschienen in: Neues Deutschland, 23.2.2017.
Bilder: (c) R. Kaufhold

Der Autor, Dr. Roland Kaufhold, arbeitet zur Zeit an einem umfangreichen Buch über Peter Finkelgruens Vita und Werk, das 2018 beim Psychosozial Verlag (Gießen) erscheinen wird.