„National befreite Zone“? Neonazismus in Vorpommern

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Im Osten Mecklenburgs und in Vorpommern existiert wohl die dichteste Kameradschaftsszene in der BRD. In der Deutschen Stimme, dem Publikationsorgan der NPD, erläuterte der Neonazi Enrico Hamisch die Strategie der extremen Rechten in Vorpommern: „National befreite Zonen [1] und Gebiete müssen daher in ihrer bereits bestehenden Infrastruktur fortwährend ausgebaut, gestärkt und gefestigt werden“…[2]

Von Michael Lausberg

Die zahllosen Kameradschaften[3] und andere Neonaziorganisationen profitieren von der Schwäche demokratischer Parteien und zivilgesellschaftlicher Gruppen. An vielen Orten sind die Neonazis die Einzigen, die überhaupt noch aktiv sind. In manchen Dörfern und Kleinstädten Vorpommerns gibt es kaum eine aktive Ortsgruppe einer demokratischen Partei und auch kaum Freizeitangebote. Denjenigen, die es mal gab, wurden die finanziellen Mittel gekürzt oder ganz gestrichen. Die NPD und die seit Jahren verankerten Kameradschaften füllen diese Leere schon seit Jahren. Mit Kinderfesten, Grillabenden mit Informationsveranstaltung, Angeboten zur Kultur Pommerns oder einfachen Fußballturnieren gewinnen sie Akzeptanz, Sympathie und in manchen Fällen auch Wählerstimmen oder Parteimitglieder.

Wenn sich in den Köpfen der Bevölkerung festsetzt „Die tun ja was und kümmern sich, so schlimm sind die gar nicht“, dann ist der Punkt erreicht, wo Neonazismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist und mit der Zeit zur Normalität wird, an der sich keiner mehr stört. In Vorpommern gehören neonazistische Strukturen zum Alltag, in jeder Kleinstadt besitzen die extremen Rechten eine breite Akzeptanz. Auf dem antifaschistischen Infoportal „links lang“ heißt es: „In Ueckermünde hat sich der NPD-Landtagsabgeordnete Tino Müller seine Hausmacht aufgebaut. So störte es kaum, wenn sich Kameraden um Müller an Volksfesten wie dem ‚Haff-Fest‘ beteiligen, wenn Müller beim Osterfeuer in der Nachbargemeinde Koblentz als Feuerredner fungiert, Neonazis sich bei allen Gelegenheiten unters Volk mischen oder gar als Securities Einlasskontrollen für Jugendliche verrichteten.“[4]

Enttäuschte Erwartungen und sozialer Abstieg seit der „Wiedervereinigung“, gefühlte Vernachlässigung, Arbeitslosigkeit, gefühlte Zukunfts- und-Perspektivlosigkeit bei Jugendlichen sind der Nährboden für eine Protesthaltung weiter Teile der Bevölkerung. Die gut ausgebildeten jungen Menschen haben Vorpommern längst den Rücken gekehrt. Wer bleibt, sind Senioren und junge Männer und Frauen mit relativ schlechter Bildung. Warum allerdings diese Protesthaltung ausgerechnet zur Hinwendung zum Neonazismus führt, bleibt im Dunkeln. Eine Hinwendung zum Linksradikalismus, Nihilismus, zur Religiosität, erhöhtem Drogenkonsum wäre auch denkbar. Die eigentlich Verantwortlichen für diesen Zustand, das politische System in der BRD und/oder die Landesregierung in Schwerin, werden seltsamerweise auch nicht ernsthaft in Frage gestellt.

In Vorpommern war die NPD vor ihrem Zusammengehen mit parteiunabhängigen Kräften, Kameradschaften, neonazistischen „Kulturkreisen“, rechten Initiativen mit bürgerlichem Namen und Anstrich praktisch nicht verankert.[5] Beim Landtagswahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern suchte die NPD in Mecklenburg-Vorpommern die Zusammenarbeit mit den neonazistischen Kameradschaften, die auf deren Listen kandidierten.[6] Soziale Ängste und Perspektivlosigkeit der Bevölkerung wurden dabei mit aggressiven Protestparolen bedient Die NPD hat bei den Landtagswahlen 2006 mit 15 Prozent im weitläufigen Uecker-Randow-Kreis in Vorpommern ihren besten Wert erzielt. In Vorpommern gab es kaum Proteste gegen die Agitation der Neonazis. Dies ist mit dem Fehlen einer breiten antifaschistischen Zivilgesellschaft, Angst vor Repressalien durch Rechte, Gleichgültigkeit und Verharmlosung der politischen Situation zu erklären. Die Landesregierung in Schwerin hat die Zeichen der Zeit schon seit Jahren nicht erkannt, dass das Problem der Faschisierung verschiedener Bezirke der vorpommerschen Provinz ganz oben auf die politische Agenda gehört.

In der Grenzregion von Mecklenburg-Vorpommern versucht die NPD immer wieder mit polenfeindlichen Ressentiments zu punkten. Überregionale Beachtung fanden vor allem ihre Plakate mit der Aufschrift „Polen-Invasion stoppen“ bei den Kommunalwahlen 2009, die in der Folge wegen Volksverhetzung verboten wurden. Im Vorfeld der Landtagswahlen im Herbst 2011 in Mecklenburg-Vorpommern machte die NPD gegen die seit Mai herrschende Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus Polen mobil. Mit kleineren Parteiveranstaltungen vor allem entlang des Grenzgebietes wollte die NPD ihre „Präsenz“ zeigen und sich als „Kümmerer“ aufspielen, die die „Sorgen“ der deutschen Bevölkerung ernst nehmen. Der damalige Vorsitzende der NPD, Holger Apfel, sprach davon, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit ein „globalisierter Verschiebebahnhof“ sei und „als Verrat an den nationalen Interessen Deutschlands“ zu werten wäre.[7]. Die über die Grenze zu Polen einwandernden Osteuropäer würden dann ebenfalls irgendwann über „die offene Grenze“ in die BRD kommen. Aus diesem Grund stellte die NPD die Forderung auf, dass die damalige Bundesregierung die vereinbarten Verträge zur Freizügigkeit einseitig aufkündigen müsse, „um den deutschen Arbeitsmarkt vor der Billiglohnkonkurrenz aus dem Osten zu schützen“ und die „Grenzen für Lohndrücker und Wirtschaftsflüchtlinge dicht“ zu machen.[8] Eine Steilvorlage für die NPD war zudem ein Antrag der CDU-Fraktion in Greifswald, die „Szczeciner-Straße“ in „Stettiner-Straße“ umzubenennen. Dies schien offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein; mit 6% Zweitstimmen schaffte es die NPD den Einzug in den Landtag in Schwerin. In den strukturschwachen Grenzregionen zu Polen erzielte die NPD sogar mehrheitlich zweistellige Stimmenergebnisse. Die von der NPD geschürte antipolnische Hetze stieß auch auf eine breitere Resonanz in der Bevölkerung als es ihr Wahlergebnis vermuten ließ. Unter den Jugendlichen in den Grenzregionen äußerte sich laut einer Studie der Universität Potsdam ungefähr ein Drittel zustimmend zu polenfeindlichen Aussagen.[9]

In den Grenzort Löcknitz zogen in den letzten Jahren viele Polen aus Szczecin wegen der billigeren Mieten, machten sich selbständig und schufen Arbeitsplätze auch für die deutsche Bevölkerung. Trotzdem machte sich eine diffuse antipolnische Stimmung breit. Ihnen wurde neben „Überfremdung“ allen Ernstes vorgeworfen, Deutschen die Arbeitsplätze wegzunehmen und auf Sozialgelder zu spekulieren.[10] Aus den Vorurteilen wurden Taten: Regelmäßig wurden die Scheiben von polnischen Autos eingeschlagen, einer Dolmetscherin wurden die Reifen zerstochen. Der Werbeaufsteller einer polnischen Computerfirma wurde regelmäßig zerstört. Drei Mädchen bespuckten spielende polnische Kinder, übergossen diese mit Bier und riefen dabei polenfeindliche Parolen. Als die Mutter eines der Mädchen sie zur Rede stellte, kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung. Schmierereien wie „Deutsche wacht auf“ und „Polacken raus“ spiegeln die antipolnische Stimmung wider. Nutznießer dieses Rassismus in der deutschen Mehrheitsbevölkerung ist die NPD, die bei den Landtagswahlen 2006 in Löcknitz auf 18% kam. Auf seiner Homepage schreibt der NPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern: „Kein Entwarnung für Löcknitz: Wir fordern den sofortigen Zuzugsstopp von Polen und die Schließung der Grenzen.“[11] Auf Flugblättern an alle (deutschen) Löcknitzer Haushalte unter dem Titel „Grenzen dicht“ wurde agitiert, dass „die Polen nach Löcknitz kommen, weil es hier Kinder- und Wohngeld, Hartz IV und ein Babybegrüßungsgeld gibt, und dass Schulfahrten nur noch nach Polen stattfinden.“[12]

Morde an Obdachlosen aus rechter Motivation in Vorpommern erschütterten die Öffentlichkeit. Am 22. April 1997 wurde der Arbeitslose Horst Gens in Sassnitz (Mecklenburg-Vorpommern) von vier jungen Männern entführt und mit einem 30 Kilogramm schweren Stein erschlagen. Die Täter handelten aus sozialdarwinistischen Motiven, laut Staatsanwaltschaft Stralsund wollten die Täter im Alter zwischen 18 und 29 Jahren einen „Assi klatschen“.[13] Das Landgericht Stralsund verurteilte die Schläger wegen Mordes zu Jugendstrafen zwischen sechs und zehn Jahren. Vier Jugendliche haben Ende Juli 2000 in Ahlbeck/Usedom einen Obdachlosen mit Schlägen und Tritten getötet.  Die Angeklagten gehören nach eigenen Angaben der neonazistischen Szene der Insel Usedom an. Nach ihrer Ansicht handelte es sich bei dem Opfer um einen gesellschaftlichen Außenseiter, der in Ahlbeck und in der Gesellschaft nichts zu suchen gehabt habe. Drei Neonazis ermordeten der Greifswalder Obdachlosen Eckhard Rütz, weil er „dem deutschen Steuerzahler auf der Tasche liegt“. „[14].Alle drei waren Teil der rechten Szene in Greifswald, Einer war nach Angaben der Staatsanwaltschaft bis kurz vor der Tat noch NPD-Mitglied. Ebenfalls in Greifswald wurde der Obdachlose Klaus-Dieter Gerecke in der Nacht zum 24.Juni 2000 erschlagen; die Täter stammten aus der rechten Szene.

Angelehnt an die jährlichen neonazistischen „Trauermärsche“ in Dresden wollen die extremen Rechten in Vorpommern die zahlreichen Bombardierungen pommerscher Städte durch die Alliierten entsprechend des eigenen Opfermythos umzudeuten, natürlich ohne Einbeziehung des deutschen Angriffskrieges und anderer Tatsachen. Hierbei wird zum Beispiel der Luftangriff Stralsunds durch eine US-amerikanische Offensive am 06. Oktober 1944 benutzt, um 70 Jahre später mit dem „Gedenken an deutsche Opfer“ nationalsozialistisches Gedankengut zu reproduzieren. Durch Aufmärsche in Stralsund, Demmin oder Sassnitz/Rügen an „Gedenktagen“ versuchen sie, ihre Agitation in der Gesellschaft zu verankern und ein anderes nationalsozialistisches Geschichtsbild zu etablieren.

Die fast jedes Wochenende in Mecklenburg-Vorpommern stattfinden Rechtsrockkonzerte werden zumeist mehreren hundert Teilnehmern besucht. Sie dienen neben der Indoktrinierung des neonazistischen Gedankenguts auch als Netzwerktreffen der verschiedenen Kameradschaften und ausländischen Neonazis.

Im Jahre 2002 wurde die „Pommersche Aktionsfront“ als Dachorganisation verschiedener Kameradschaften in Vorpommern gegründet. Dieses Netzwerk benannte sich dann in das Soziale und Nationale Bündnis Pommern (SNBP) um und entwickelte sich zu einem der wichtigsten Vorfeldorganisationen in Mecklenburg-Vorpommern. Als seit 2006 eine Annäherung der Kameradschaften an die NPD erfolgte, bedeutete dies das Ende des SNBP. Auf dem Internetportal Netz gegen Nazis heißt zur Zielsetzung des Zusammenschlusses: (…) bot das Bündnis der großen und ausdifferenzierten rechten Szene der Region abseits der bestehenden lokal orientierten Gruppierungen, der Neonazi-Bands oder der einschlägigen Ladengeschäfte die Möglichkeit, politisch in die Breite zu wirken. Gründung, Aktivität und das noch nicht ausgesprochene Ende des SNBP waren Teil einer pragmatischen Strategie der rechten Kader Vorpommerns, ihre Propaganda abseits einschlägiger Szene-Zirkel durch betonte Bürgernähe in die Bevölkerung zu tragen.“[15]

Auf der Homepage „Freies Pommern“ wurde die nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“ glorifiziert: (…) eine Revolution vom einsamen Ich-Denken zum gemeinschaftlichen Wir-Denken stattfinden. Das ist die elementare Voraussetzung, um den Freiheitsbegriff richtig zu deuten. Eine freie Persönlichkeit kann auch nur derjenige sein, der etwas zum Nutzen der Gemeinschaft geschaffen hat. Erst die Gemeinschaft verleiht den Titel Persönlichkeit. Demnach kann es auch keine Freiheit des Individuums geben, es gibt nur eine Freiheit der Völker. Weil dies die einzigen natürlich gewachsenen Gemeinschaften sind, in denen sich das Leben des Einzelnen vollzieht. Er handelt frei und fühlt sich in seinem Handeln frei, wenn er dem Wesen seiner Gemeinschaft – der Volksseele – entsprechend handelt, wenn er der Stimme seines Blutes folgt.“[16]

Der Heimatbund Pommern (HbP) wurde im August 2002 gegründet. Er widmet sich insbesondere der rechten Jugendarbeit in den Landkreisen Uecker-Randow und Ostvorpommern und ist ein wichtiger Bestandteil lokaler rechter Netzwerke. Bei Demonstrationen des SNBP übernimmt der HbP regelmäßig Ordneraufgaben und tritt beim NPD-Pressefest auf. Mitglieder des HbP sind in den lokalen Kameradschaften aktiv, es bestehen enge Beziehungen zu Neonazigruppen aus Brandenburg, Berlin und Sachsen. Dabei wird die Strategie verfolgt, bürgernah und seriös zu geben. Die hinter dem HbP steckende nationalsozialistische Weltanschauung wird oft erst beim näheren Hinsehen sichtbar. Im Antifaschistischen Infoblatt (AIB) hieß es: „Mit Infoständen tourte der Heimatbund durch mehrere Orte und stellte sein Angebot vor, legten Informationsblätter und die eigene Publikation ‚Stimme der Heimat‘ aus. Sonderausgaben für Kinder enthalten Spiele, Rätsel, Witz. Mit auf den ersten Blick unverfänglichen Aktivitäten wie Wanderungen, Elterngespräche, Müllsammeln, Geländespielen, Fußballturnieren oder einem Mädchenlaienspiel trifft der Heimatbund kaum auf Widerstand. Redebeiträge, Texte und Aktionen spiegeln Versatzstücke nationalsozialistischer Ideologie wieder. Die Organisation propagiert eine ‚nationalistische Weltanschauung‘ und eine ‚artgerechte völkische Kultur‘.“[17] Ihre Untergliederung „Kulturbund Pommern“ tritt bei Festen in der Umgebung auf und versucht, ins bürgerliche Spektrum hineinzuwirken und dabei insbesondere ältere Menschen anzusprechen.

Anklam gilt als Hochburg der rechten Szene in Vorpommern. Der Vorsitzende des NPD-Kreisvorstandes Enrico Hamisch und gab 2008 in der „Deutschen Stimme“, der Parteizeitung der NPD, ein Interview. Hier erklärte der Neonazi, dass „die Region in und um Anklam über starke und gut organisierte Strukturen innerhalb des nationalen Widerstandes verfügt und somit als ‚nationaler Leuchtturm‘ bezeichnet werden kann“.[18] Der Kameradschaftsbund Anklam (KBA) ist eine der ältesten Kameradschaften in Mecklenburg-Vorpommern uns besteht aus einen Kern von ca. 20 Aktivisten sowie ein breites Umfeld von Sympathisanten. Schon zu DDR-Zeiten gab es schon verdeckt agierende Neonazikader. Der KBA verfügt über Kontakte zu Hamburger Neonazis und arbeitet eng mit den Kameradschaften in den umliegenden Kleinstädten in den Landkreisen Ostvorpommern und Uecker-Randow zusammen. Ihren Anfang nahmen die Aktivitäten des KBA mit Rechtsrock-Konzerten Mitte der 1990er Jahre im Landgasthof „Zur Linde“ im Dorf Klein-Bünzow wenige Kilometer nordöstlich von Anklam.[19] Im Laufe der Jahre kamen aus ganz Deutschland, England und Skandinavien Besucher, Neonazikader und Bands in die vorpommersche Provinz. Auch die bekannte englische Neonazi-Band „No remorse“ mit ihrem Szene-Hit „Barbecue in Rostock“ nahm an den Konzerten Teil. Dort knüpften die regionalen Aktivisten Kontakte zur deutschen und internationalen Prominenz der Neonazi-Szene. Demonstrationen vor dem Denkmal für deutsche Vertriebene nach dem Ende des 2. Weltkrieges im Herzen Anklams in den Jahren 2000 und 2001 wurden hauptsächlich von Mitgliedern des KBA organisiert. Die extrem rechte Szene in Anklam verfügt über mehrere Anlaufpunkte in der Kreisstadt. Neben dem seit Jahren existierenden dem Szeneladen „New Dawn“ erwarben Neonazis ein ehemaliges Möbelkaufhaus, in welchem die Kommunalpolitische Vereinigung der NPD und der „Pommersche Buchdienst“ residieren.

Das neonazistische Gefahrenpotential wird von Verantwortlichen hartnäckig geleugnet, was Teil des Problems ist. Anklams Bürgermeister Michael Galander stellte etwa fest: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir ein gravierendes Problem mit Rechtsextremismus haben.“[20] Der Anklamer Stadtvertreter und Kreistagsabgeordneten Marco Schulz (CDU) verglich im Dezember 2012 die Juden-Verfolgung zur Zeit des Nationalsozialismus mit dem Umgang mit Neonazis in der Kleinstadt. Schulz hatte auf dem „Pommernblog“, einem Internetportal des CDU-Kreisverbandes Vorpommern-Greifswald, die Ausgrenzung von NPD-Mitgliedern in Kommunalparlamenten mit der Verfolgung von Andersdenkenden in der NS-Zeit gleichgesetzt. Anklams Bürgermeister Michael Galander (parteilos) müsse „sich zwangsläufig die Frage gefallen lassen, ob wir tatsächlich Menschen zwanghaft meiden wollen, nur weil sie einer anderen, momentan noch legalen Partei angehören. Ich erinnere gern an das Dritte Reich. Dort wurden solche Bürger letztlich sogar markiert, damit jeder sehen konnte, dass dieser Mensch wegen seiner Anschauung beziehungsweise Religion ein Staatsfeind ist“.[21]

Die rechte Gesinnung ist auf Usedom, „die braune Insel“[22], besonders ausgeprägt. In manchen Teilen Usedoms hat jeder vierte Wähler bei der vergangenen Landtagswahl 2011 für die NPD gestimmt. 22,7 Prozent wählten die NPD in Usedom-Stadt. 23,9 Prozent in Kamminke, einer Gemeinde an der Grenze zu Polen, und 24,9 Prozent in Bansin-Dorf. Die NPD spielte bis zum Jahre 2004 auf Usedom überhaupt keine Rolle. Dominierend war von jeher der Kameradschaftsbund Usedom (KBU) bestehend aus ca. 20 Personen und einem Umfeld von Sympathisanten. Die KBU gibt eine eigene Zeitung, den Insel-Boten, mit mehreren Lokalausgaben und einer fünfstelligen Auflage heraus. Viele Usedomer fühlen sich als Verlierer der „Wende“, die neu entstehenden Jobs im Niedriglohnsektor reichen oft auch aufgrund des teuren Wohnraums nicht zum Überleben ohne staatliche Hilfe aus. Polen werden als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt wahrgenommen und werden für das Absinken der Löhne verantwortlich gemacht. Vor der Wahl plakatierte die NPD auf der gesamten Insel „Grenzen dicht“ und machten Polen für die soziale Situation vieler Usedomer verantwortlich. In Wirklichkeit kann das Tourismusgewerbe auf der Insel ohne polnische Arbeitskräfte nicht funktionieren. Weiterhin ist der revisionistische Gedanke, dass die Insel „eigentlich den Deutschen“ gehöre, weit verbreitet.[23] Günther Hoffmann vom Verein „Bunt statt Braun“ auf Usedom bemerkte: „Mit Stammtischen und Unzufriedenen ist das weniger erklärt. Wir haben einfach die letzten zehn Jahre einen kontinuierlichen Strukturaufbau von rechtsextremen Organisationen, neofaschistischen Organisationen und Parteistrukturen auf der Insel gehabt. Und die konnten dort unbehelligt, ihre Bildungsarbeit und ihre Strukturarbeit machen. Man hat dem ganzen Problem nie eine Aufmerksamkeit geschenkt.“[24] Am 12.März 1945 kam es zu einem amerikanischen Bombenangriff auf die Stadt Swinemünde, wo sich zu diesem Zeitpunkt aufgrund von Flüchtlingen mehr als 100.000 Menschen aufhielten. Rund 20.000 von ihnen wurden dabei getötet. Nahezu alle Opfer wurden anonym in Massengräbern auf dem Golm (Usedom) bestattet, nur von 432 waren die Namen bekannt. Der Golm ist neben dem Waldfriedhof Halbe eine der größten Kriegsgräberstätten in Deutschland. Am „Volkstrauertag“ gedenken die Kameradschaft Insel Usedom und andere Kameradschaften seit Jahren den Toten, die sie als „Helden“ bezeichnen und instrumentalisieren sie in geschichtspolitischer Verdrehung als „deutsche Opfer“.

In der Kleinstadt Ueckermünde holte die NPD insgesamt 16,1% der Stimmen, in einigen Wahllokalen in Ueckermünde-Ost sogar über 30%. Die Kameradschaften Aryan Warriors Ueckermünde und die National-Germanische Bruderschaft fallen seit Jahren durch rassistische, geschichtsrevisionistische und antisemitische Aktionen auf und schüchtern mit Gewalt Andersdenkende ein. Als in Ueckermünde ein Asylbewerberheim entstehen sollte, gründeten Neonazis die unverfänglich anmutende „Bürgerinitiative Schöner und Sicherer Wohnen“ und sammelten 2000 Unterschriften dagegen. Beim jährlichen Hafffest rudern sie im Bootskorso mit und warben mit Geschenken für Kinder für die NPD. Sie protestieren gegen Irak-Krieg, Hartz IV und die Privatisierung von Krankenhäusern. Weiterhin engagieren sie sich in Elternvertretungen und anderen Ehrenämtern und erlangen so Akzeptanz in der Mitte der Gesellschaft. Der Sozialdemokrat Erinski, Ausbilder für Autofachwerker in einem Ueckermünder Bildungszentrum, bemerkte resignierend „Die stetige Präsentation von rechtem Gedankengut hat sich so in der Bevölkerung verinnerlicht, dass man das so als Extremismus gar nicht mehr wahrnimmt. Also es ist sehr schleichend und durchdringend. Ohne dass jemand noch mal stark aufschreit, so wie Nebel, der so übers Land zieht, hat sich das einfach gesetzt. Und jeder nimmt das so gefahrlos hin. Oder nicht jeder, aber sehr, sehr viele, die dann damit umgehen, Und sagen: Ja, das ist ja ganz richtig, dass die Jungs da mal was machen, das finden wir doch gar nicht so schlimm und die haben doch ganz gute Anschauungen und so.“[25]

In der pommersche Kleinstadt Eggesin schlugen Neonazis in der Nacht vom 21. zum 22. August 1999 rechte Skinheads zwei Vietnamesen auf einem Volksfest fast tot. Die Täter waren Mitglieder der beiden Kameradschaften „Arischer Widerstand Eggesin“ und „Nationaler Widerstand Eggesin“, die eine „Reinhaltung der weißen deutschen Rasse“ und den „Kampf gegen Ausländer“ propagieren.

Am 27. Januar 2012, dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, kamen über hundert Gäste auf Einladung der Universität, der Stadt und dem Kulturreferat für Pommern ins Pommersche Landesmuseum in Greifswald. Die „Nationalen Sozialisten Greifswald (NSG)  störten die öffentliche Gedenkveranstaltung mit geschichtsrevisionistischen Flugblättern und verhöhnten damit die Opfer der NS-Verbrechen. Dort wurde die deutsche Kriegsschuld geleugnet, eine „verfälschte Geschichts-“ und „antideutscher Lügenpropaganda“ in verschwörungstheoretischer Weise angedeutet und der Nationalsozialismus verherrlicht.

Zum Autor: Michael Lausberg, Dr. phil (Politikwissenschaften), studierte Pädagogik, Philosophie, Politikwissenschaften und Neuere Geschichte sowie den Aufbaustudiengang Interkulturelle Pädagogik an den Universitäten Aachen, Köln und Amsterdam.“. Seit 2007 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) und zudem als freier Publizist tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Theorie, extreme Rechte, Rassismus, Antiziganismus sowie Migration. Regelmäßige Veröffentlichungen im Migazin, in hagalil, Netz gegen Nazis, im DISS-Journal, bei Kritisch Lesen und in der Tabula Rasa.

[1] Mit dem Ausdruck national befreite Zone wird ein Machtbereich außerhalb der staatlichen Ordnung bezeichnet, in dem extrem rechte motivierte Gewalt, Symboliken oder Institutionen das Straßenbild so stark prägen, dass Feindbilder der extremen Rechten wie demokratische oder antifaschistische Menschen, nichtdeutsche oder als nichtdeutsch markierte Personen, Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen, Obdachlose usw. sich aus Furcht vor gewalttätigen oder verbalen Übergriffen nicht mehr auf die Straße/den Bezirk wagen. Der Journalist Burkhard Schröder schrieb: „Eine ‚befreite Zone‘ ist kein fest umrissener und geografisch definierter Ort, sondern beschreibt ein bestimmtes Milieu, ein Netz von Verhaltensmustern, das Einstellungen und Ideen nur innerhalb bestimmter Grenzen als ’normal‘ vorschreibt. Ziel sei es, die normale Alltagskultur und ihre moralischen Normen mit weltanschaulichen Versatzstücken zu infiltrieren.“ (Schröder, B.: Im Griff der rechten Szene. Ostdeutsche Städte in Angst,  Reinbek 1997, S. 158)

[2] www.links-lang.de/presse/7791.php

[3] (Freie) Kameradschaften sind informell organisierte und selbständig strukturierte Neonazi-Gruppen mit einer Mitgliederzahl von fünf bis zwanzig Personen. Sie sind nichtrechtsfähige Vereine und daher hinsichtlich ihrer Struktur und der Mitglieder von Sicherheitsbehörden nur schwer greifbar. In der BRD existieren hunderte regional und überregional agierende Kameradschaften, die stark miteinander vernetzt sind. Das Konzept der Kameradschaften bildete sich in der Mitte der 1990er Jahre heraus, als durch Verbote mehrerer extrem rechter Parteien und Organisationen eine Basis des rechten Randes weggebrochen war. Dieses neue Konzept sollte ein Verbot von staatlicher Seite erheblich erschweren.

[4] www.links-lang.de/presse/8747.php

[5] www.spiegel.de/politik/deutschland/mecklenburg-vorpommern-neonazi-kameradschaften-machen-sich-in-der-npd-breit-a-438175.html

[6] www.publikative.org/2011/07/20/npd-wahlkampf-hitler-verehrer-und-verurteilte-gewalttater/

[7] www.migazin.de/2015/07/06/antipolnischer-rassismus-in-ostdeutschland/

[8] Ebd.

[9] Ebd.

[10] www.taz.de/!5182209/

[11] Zitiert aus Ebd.

[12] Ebd.

[13] Ostseezeitung vom 13.3.1998

[14] Ostseezeitung vom 30.5.2001

[15] www.netz-gegen-nazis.de/lexikontext/soziale-und-nationale-buendnis-pommern-snbp

[16] http://freies-pommern.de/?p=3733

[17] AIB 5/2005

[18] www.links-lang.de/presse/7791.php

[19] Kleffner, H.: Mittendrin. Der Kameradschaftsbund Anklam, S. 144-159, in: Röpke, A./Speit, A. (Hrsg.):  Braune Kameradschaften. Die neuen Netzwerke der militanten Neonazis, Berlin 2004, S. 144-159, hier S. 147

[20] Zitiert aus Ebd., S. 159

[21] www.links-lang.de/presse/13004.php

[22] www.deutschlandfunk.de/usedom-die-braune-insel.724.de.html?dram:article_id=100

[23] www.tagesspiegel.de/politik/rechtsextremismus-npd-auf-usedom-tiefenbraeune-an-der-ostsee/4658490.html

[24] Zitiert nach www.deutschlandfunk.de/usedom-die-braune-insel.724.de.html?dram:article_id=100

[25] www.deutschlandradiokultur.de/der-nette-nazi-von-nebenan