Klassenkämpfer wider Willen

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Die KPD und der Antisemitismus zur Zeit der Weimarer Republik…

Von Olaf Kistenmacher
Jungle World v. 14.07.20122

Eine bekannte Fotografie zeigt Walter Ulbricht, den späteren Staatsratsvorsitzenden der DDR, KPD-Mitglied seit 1918 und seit 1928 deren Reichstagsabgeordneter, im Januar 1931 auf einer NSDAP-Versammlung in Berlin-Friedrichshain. Im Vordergrund ist Joseph Goebbels zu sehen ((Das Foto ist abgedruckt in: Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED, Band 4. Berlin/DDR 1966, S. 272)). Auf solche aus heutiger Sicht befremdlichen Zusammentreffen wie auch auf kurzfristige Kooperationen beider Parteien beim BVG-Streik 1932 wird mitunter hingewiesen, um die Gefahr einer »Querfrontpolitik« zu verdeutlichen (etwa Angela Marquardt in Jungle World 33, 1998). Der Inhalt von Ulbrichts damaliger Rede ist hingegen bis heute wenig bekannt. Die Tageszeitung Die Rote Fahne, das Zentralorgan der KPD, veröffentlichte sie 1931. In diesem Protokoll ist auch folgender Wortwechsel Ulbrichts mit einem anonymen Zwischenrufer dokumentiert: »Am 21. Januar stimmten die Naziführer für die Subventionen der Mansfeld-AG von 7 Millionen Mark. Die Herren Otto Wolff, Jakob Goldschmidt und Co. (Zwischenruf: der Jude Otto Wolff, der Jude Goldschmidt). Jawohl, dem jüdischen hundertfachen Millionär Otto Wolff wurden noch weitere Millionen geschenkt, aber dafür haben die nationalsozialistischen Führer gestimmt.« ((»Genosse Ulbrichts Abrechnung mit den Nazis«, »Rote Fahne«, 24.1.1931))

In der Ulbricht-Werksausgabe der DDR fehlt dieser Wortwechsel, der Ulbrichts Unwillen belegt, dem antisemitischen Ressentiment offen zu widersprechen. Seit dem 19. Jahrhundert hatte die sozialistische und kommunistische Linke stets gegen Judenfeindschaft Partei ergriffen. Die Rote Fahne druckte in den Jahren der Weimarer Republik August Bebels, Friedrich Engels’ oder Wladimir I. Lenins Pamphlete gegen den Judenhass ((»Friedrich Engels über den Antisemitismus«, »Rote Fahne«, 24.8.1922; »Juda verrecke … ! Was ist Antisemitismus?«, »Rote Fahne«, 23.9.1930; »Lenin über Juden«, »Rote Fahne«, 3.1.1931; »Stalin über Antisemitismus«, »Rote Fahne«, 3.2.1931)). Gleichwohl schien Ulbrichts Reaktion mit der Linie der Partei vereinbar zu sein. Für die politische Auseinandersetzung ist es von zweitrangiger Bedeutung, ob man Ulbricht selbst judenfeindliche Ressentiments attestiert oder nicht. Wichtiger ist die Frage nach der Tradition, in der seine Reaktion stand. Anhand der Berichterstattung der Roten Fahne lässt sich nachzeichnen, wie sich die zwiespältige Haltung der KPD zur »Judenfrage« gleichsam von selbst entwickelte – ohne dass dies einzelnen Akteuren bewusst oder von ihnen beabsichtigt gewesen sein mochte.

Die Politik der KPD in der Spätzeit der Weimarer Republik wird üblicherweise mit der These von einer »Stalinisierung« der Partei erklärt. Doch trotz aller Kurswechsel, die die KPD in diesen Jahren vollzog, und trotz der immensen Fluktuation von Mitgliedern in den letzten Jahren der Weimarer Republik – in manchen Ortsgruppen wechselte die Mitgliederschaft zu 100 Prozent – wies die Darstellung von »Juden« in den Veröffentlichungen der KPD eine bemerkenswerte Kontinuität auf. Zwar standen die einschlägigen Artikel nicht im Mittelpunkt der Berichterstattung. Aber sie stellten »Juden« doch meist als Vertreter des Kapitals und der herrschenden Klasse dar. Dadurch konnte die KPD an der Deutung festhalten, Judenfeindschaft sei nichts als der »Sozialismus der dummen Kerls« ((Diese Formel wird häufig August Bebel zugeschrieben. In einem Interview hatte Bebel 1894 hingegen gesagt, dass sie »doch die Sache nicht« treffe.)). Außerdem konnte so die Hoffnung genährt werden, hinter der Feindschaft gegen »die Juden« stecke ein antikapitalistisches Potential, das im Sinne des Kommunismus genutzt werden könne.

»Hakenkreuzparade vor Hakennasen«

Was in dem Wortwechsel zwischen Ulbricht und der Person im Publikum lediglich anklingt, hatte Ruth Fischer acht Jahre zuvor drastischer ausgedrückt. Auf einer KPD-Veranstaltung, zu der »besonders die völkischen Gegner« eingeladen waren, hatte Fischer, Mitglied der Parteizentrale, des späteren Zentralkomitees, 1923 ihr Publikum mit den Worten zu gewinnen versucht: »Sie rufen auf gegen das Judenkapital, meine Herren? Wer gegen das Judenkapital aufruft, meine Herren, ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß. Sie sind gegen das Judenkapital und wollen die Börsenjobber niederkämpfen. Recht so. Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie. Aber meine Herren, wie stehen Sie zu den Großkapitalisten, den Stinnes, Klöckner … ?« ((Franz Pfemfert: Die schwarzweiszrote Pest im ehemaligen Spartakusbund, in: »Die Aktion« 14, 1923; alle Hervorhebungen hier und im Folgenden im Original.))

1923 sollte nach dem Plan der Dritten Internationale in Deutschland die Revolution stattfinden. Die KPD versuchte deshalb, über ihre klassische Klientel hinaus Anhänger zu gewinnen – auch unter Nationalisten und Antisemiten. Anders als Ulbrichts Rede von 1931 fand sich Fischers Rede nicht in der Roten Fahne, obwohl diese über die Veranstaltung Folgendes berichtete: »Am Schluss rief Ruth Fischer den Studenten, die hartnäckig nach dem Großen Mann verlangt hatten, zu: ›Der Gigant, der Deutschland befreien wird, ist da! Ihr seht ihn nicht! Der Gigant ist das deutsche Proletariat, zu dem Ihr gehört, und mit dem Ihr gehen sollt!‹ – Dann lauter Beifall von allen Seiten, und die Gegner schieden, nicht gerade versöhnt, aber mit dem Gefühl gegenseitiger Achtung.« ((»Zum Existenzkampf der geistigen Arbeit«, »Rote Fahne«, 29.7.1923))

Es war der Rätekommunist Franz Pfemfert, der 1923 in seiner Zeitschrift Die Aktion Fischers Rede in Auszügen zitierte. Pfemfert hatte im Ersten Weltkrieg eine Splittergruppe namens Antinationale Sozialistische Partei Deutschlands (A.S.P.) ins Leben gerufen. 1918/19 war er auf dem Gründungsparteitag der KPD dabei, verließ die Partei aber nach kurzer Zeit. Als antinationaler Rätekommunist kritisierte Pfemfert sie seitdem für den Bolschewismus, den Stalinismus und wies auf antisemitische Tendenzen in der Partei hin (Birgit Schmidt in Jungle World 23, 2004). Doch erst der Vorwärts, die Tageszeitung der SPD, lenkte durch eine neue Überschrift (»Ruth Fischer als Antisemitin«) die Aufmerksamkeit auf diesen Aspekt, als sie Pfemferts Bericht im August 1923 wiedergab ((»›Hängt die Judenkapitalisten.‹ Ruth Fischer als Antisemitin«, »Vorwärts«, 22.8.1923)).

Ruth Fischers Argumentation unterschied sich vor allem durch die drastische Wortwahl von dem, was zur gleichen Zeit in der Roten Fahne zu lesen war. Im Sommer 1923 diskutierten dort Karl Radek, der Vertreter der Kommunistischen Internationale (Komintern) in Deutschland, und andere KPD-Vertreter mit dem bekannten Nationalsozialisten Ernst Graf von Reventlow. Radek gab Reventlow recht, dass die deutschen Industriebosse »mit den jüdischen Kapitalisten zusammen Deutschland« beherrschten, und versprach, sofern die kommunistischen Arbeiter mit den nationalistischen kleinbürgerlichen Massen vereint kämpften, »ein Ende der Herrschaft der beschnittenen und unbeschnittenen Kapitalisten« ((Karl Radek: »Kommunismus und deutsche nationalistische Bewegung«, »Rote Fahne«, 16.8.1923)). Paul Frölich, der spätere Biograph Rosa Luxemburgs, zitierte Reventlows Aussage zustimmend: »Der Volksstaat soll an Vollbürgern alle Arbeitenden und arbeitsunfähig Gewordenen begreifen, aber nur sie. Die übrigen sind Drohnen, somit Schädlinge.« ((»Nationale Frage und Revolution«, »Rote Fahne«, 3.8.1923))

In ihrer Haltung zur »Judenfrage« stand die KPD in der Tradition der SPD des 19. Jahrhunderts. Die SPD hatte antisemitische Parteien bekämpft und Judenhass verurteilt. Gleichwohl gab sich August Bebel in seiner Rede auf dem Kölner Parteitag 1893 zuversichtlich, dass die Judenfeindschaft »schließlich wider Willen revolutionär werden« müsse ((August Bebel: Vorschlag einer Resolution zum Thema Antisemitismus und Sozialdemokratie, in: Iring Fetscher (Hg.): Marxisten gegen Antisemitismus, Hamburg 1974, S. 76)). Wilhelm Liebknecht sagte bei gleicher Gelegenheit: »Ja, die Herren Antisemiten ackern und säen, und wir Sozialdemokraten werden ernten. Ihre Erfolge sind uns also keineswegs unwillkommen.« ((Wilhelm Liebnecht, zitiert nach: Rosemarie Leuschen-Seppel: Sozialdemokratie und Antisemitismus. Bonn 1978, S. 155)) Im »ABC des Kommunismus«, einem Grundlagenwerk für neue KPD-Mitglieder, das 1920 auf Deutsch erschien, schrieben Nikolaj I. Bucharin und Jewgenij A. Preobraschenskij, die herrschende Klasse benutzte die Judenfeindschaft, um »die Empörung der unterdrückten Arbeiter und Bauern von Gutsbesitzern und Bourgeoisie ab-, gegen die ganze jüdische Nation zu lenken« ((Nikolaj I. Bucharin/Jewgenij A. Preobraschenskij: Das ABC des Kommunismus, Zürich 1985, S. 197–199)). Ähnliches stand wiederholt in der Roten Fahne ((»Der Stolz der jüdischen Frontsoldaten«, »Rote Fahne«, 14.9.1925)). Demnach begriff Judenfeindschaft zwei Komponenten in sich: auf der einen Seite eine Ideologie, die die herrschende Klasse propagierte und die die Kommunisten zu bekämpfen hatten, und auf der anderen Seite eine noch unreife »Empörung« der einfachen Bevölkerung, an die die KPD anknüpfen müsse. Oder mit den Worten Ruth Fischers: Wer »gegen das Judenkapital aufruft«, befinde sich bereits im Klassenkampf, wenn auch vielleicht unbewusst.

In der Diskussion mit dem Antisemiten Reventlow bediente sich Karl Radek 1923 eines Arguments, das vor allem in der Phase von 1928 bis 1933 wiederkehren sollte. Er warnte, dass nach einem faschistischen Staatsstreich in Deutschland dasselbe passieren werde wie in Ungarn, wo »Graf Bethlen mit der jüdischen Börse seinen Frieden macht« ((Karl Radek: »Kommunismus und deutsche nationalistische Bewegung«, »Rote Fahne«, 16.8.1923)). Eine Sonderausgabe der Roten Fahne fasste diese Warnung in eine griffige Zeichnung: Am Rande einer nationalsozialistischen Demonstration stehen zwei Männer mit für antisemitische Karikaturen typischen Merkmalen. Beide haben Hakennasen, wulstige Lippen und halb geschlossene Augenlider und sehen trotz eleganter Kleidung schmutzig aus. Die Überschrift lautet: »Hakenkreuzparade vor Hakennasen. Eine wahre Begebenheit. Geld stinkt nicht oder: So sieht ihr Antisemitismus aus!« ((»Hakenkreuzparade vor Hakennasen«, in: Deutschlands Weg. Sonderausgabe der »Roten Fahne«, 29.7.1923)) Durch diese Wortwahl erweckte die Karikatur den Eindruck, die Abbildung zeige nicht nur ein zufälliges Ereignis, sondern das wesentliche Verhältnis zwischen Nationalsozialisten und »jüdischen Großindustriellen«. In den Jahren zwischen 1928 und 1933 brachte die Rote Fahne Überschriften wie »Juda soll nicht verrecken! Nazianleihe für Warenhäuser. So sieht der Kampf der Nazis gegen Zinsknechtschaft und jüdisches Warenhaus-Kapital in Wirklichkeit aus«, »Ein Nazi spitzelt für den jüdischen Chef«, »Nazis als Helfer des ›jüdischen‹ Kapitals« oder »Nazis für jüdisches Kapital«. Die Anführungszeichen in der Überschrift »Nazis als Helfer des ›jüdischen‹ Kapitals« zeigen, dass der Redaktion bewusst war, wie problematisch der Ausdruck »jüdisches Kapital« war, was sie aber nicht daran hinderte, ihn zu verwenden.

Von 1924 bis 1928 hatte die Zahl solcher Darstellungen abgenommen. Aber sie waren nicht verschwunden. Auch in der Phase der Stabilisierung der Weimarer Republik versuchte die Rote Fahne völkischen Parteien nachzuweisen, dass diese im Dienste des Kapitals ständen und ihrer Klientel nichts bieten könnten. Ein Wahlplakat, das die Rote Fahne 1924 zum Ausschneiden abdruckte, war mit der ironischen Überschrift versehen: »Die neuesten Arbeiterfreunde oder wie die Völkischen das Kapital bekämpfen« ((»Die neuesten Arbeiterfreunde«, »Rote Fahne«, 23.4.1924)). Ein anderes Wahlplakat wurde noch deutlicher: »›Judengeld stinkt nicht!‹ Einiges über die Geldquellen der Völkischen. Was die völkisch-vaterländische Partei kostet und wer sie bezahlt« ((»›Judengeld stinkt nicht!‹«, »Rote Fahne«, 25.4. 1924)). Das Plakat war wie eine Zeitungsseite mit einem langen Artikel gestaltet. Der erklärte aber nicht, von wem das angebliche Zitat »Judengeld stinkt nicht!« stammte. Die Botschaft war trotzdem deutlich: Die völkische Partei sei nicht nur eine Partei des Kapitals, sondern nehme »Judengeld«.

Vom Proletariat zum »arbeitenden Volk«

Nach Aussage ehemaliger KPD-Mitglieder wie Hans Jäger, der die Anti-Nazi-Arbeit der KPD leitete, oder Karl Retzlaw war der Antisemitismus auch in den Jahren von 1928 bis 1933 »kein Problem, das die Partei besonders beschäftigte« ((Karl Retzlaw: Spartakus. Aufstieg und Niedergang. Erinnerungen eines Parteiarbeiters. Frankfurt/Main 1985, S. 310)). Erst 1932 erschien die einzige diesbezügliche Erklärung des Zentralkomitees, betitelt »Kommunismus und Judenfrage«. Das ZK bezeichnete darin zwar den Antisemitismus als eine der »wichtigsten Agitationswaffen« der NSDAP. Doch die KPD blieb bei der Position, der Antisemitismus sei lediglich ein Propagandainstrument der herrschenden Klassen, um »die werktätigen Massen zu verwirren und vom Klassenkampf abzuhalten« ((ZK der KPD: Kommunismus und Judenfrage, in: Der Jud’ ist Schuld … ? Diskussionsbuch über die Judenfrage. Basel/u. a. 1932, S. 283)). Entsprechend versuchte Ulbricht auf der NSDAP-Versammlung, dem Publikum den Weg in den Klassenkampf zu weisen. Die deutschen Großunternehmer bezeichnete er als »Handlanger der internationalen Hochfinanz«, und der NSDAP-Führung hielt er vor, die Interessen des Kapitals zu vertreten. Entsprechend schloss Ulbricht mit dem Aufruf: »Vor jedem nationalsozialistischen Arbeiter, Angestellten und Kleingewerbetreibenden steht die Frage: Mit den Kommunisten gegen die Kapitalshyänen, gegen die deutschen Sklavenhalter des internationalen Finanzkapitals, gegen die Wucherer und Schieber, oder mit den Kapitalisten und mit den nationalsozialistischen Führern gegen die revolutionären Arbeiter.« ((»Genosse Ulbrichts Abrechnung mit den Nazis«, »Rote Fahne«, 24.1.1931))

Der »Sieg des arbeitenden Volkes«, behauptete Ulbricht, sei »gleichzeitig der siegreiche Kampf um die nationale Befreiung des deutschen Volkes«. Diese Aussage entsprach dem 1930 verabschiedeten Programm der KPD zur »nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes«, war aber historisch nichts Neues. Bereits Anfang der zwanziger Jahre bezog sich die KPD positiv sowohl auf die deutsche Arbeiterklasse wie auch auf das deutsche »Volk«. Rosa Luxemburgs antinationale Position hatte nicht einmal in den frühen Jahren der Weimarer Republik einen wesentlichen Einfluss auf die Politik der KPD. 1932 ironisierte die Rote Fahne Luxemburgs Position in einer Überschrift als »Rosa Fehler« ((»Leninismus und nationale Frage. Lenin gegen Rosa Fehler«, »Rote Fahne«, 21.1.1932)). Von Mitte der zwanziger Jahre an kam die antiimperialistische Glorifizierung »nationaler Befreiungsbewegungen« hinzu. Die Komintern erweiterte den berühmten Aufruf aus dem »Kommunistischen Manifest« mit den Worten: »Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker der Welt, vereinigt euch!« ((»›Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker der Welt, vereinigt euch!‹ Von G. Sinowjew«, »Rote Fahne«, 8.7.1925))

Die Pointe des »Programms zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes« bestand darin, sich im Gegensatz zur NSDAP als die eigentlich nationale Partei zu präsentieren. Der NSDAP wurde »nationalverräterische(r)« Faschismus vorgeworfen. Die KPD attestierte ihr, weder national noch sozialistisch noch eine Arbeiterpartei zu sein: »Die Faschisten (Nationalsozialisten) behaupten, sie seien eine ›nationale‹, eine ›sozialistische‹ und eine ›Arbeiter‹partei. Wir erwidern darauf, dass sie eine volks- und arbeiterfeindliche, eine antisozialistische, eine Partei der äußersten Reaktion, der Ausbeutung und Versklavung der Werktätigen sind.« ((»Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung«, »Rote Fahne«, 24.8.1930)) Die Nationalsozialisten würden sich am »Hoch- und Landesverrat an den Lebensinteressen der arbeitenden Massen Deutschlands« beteiligen.

Zu diesem Nationalismus kam ein zweites Motiv. In der kommunistischen Presse war es üblich, die Herrschaft des Kapitals als Herrschaft von Kapitalisten darzustellen. Ein solcher personifizierter Antikapitalismus schien einfache Lösungen dafür anzubieten, wie die kapitalistische Gesellschaft überwunden werden könne – nämlich indem die Kapitalisten beseitigt würden. Auf der Titelseite zeigte die Rote Fahne 1925 einen muskulösen Arbeiter, der mit nacktem Oberkörper in einer Fabriklandschaft steht. In seinen kräftigen Händen hält er zwei kleine, dickliche Menschen, durch ihre Kleidung als Industriekapitalist und Großgrundbesitzer zu erkennen. Daneben ist zu lesen: »Entfernt die Parasiten. Wählt Kommunisten« ((»Entfernt die Parasiten. Wählt Kommunisten«, »Rote Fahne«, 20.11.1925)). Eine wirkliche Aufhebung des Kapitalismus würde, schreibt Moishe Postone in seiner Darstellung der Marx’schen Kritik der politischen Ökonomie, auch die Abschaffung der proletarischen Arbeit und damit des Proletariats bedeuten. Der traditionelle Marxismus hingegen nahm die Produktionsweise des industriellen Kapitalismus nicht einfach nur als Tatsache hin, sondern ging davon aus, dass »die Produktionsweise des Sozialismus wesentlich die gleiche sein werde wie die des Kapitalismus: Das Proletariat und seine Arbeit werden im Sozialismus ›zu sich selbst kommen‹« ((Moishe Postone: Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft. Freiburg/Br. 2003, S. 116, S. 557)). Wie die Redeweise von den »Parasiten« deutlich macht, reproduzierte ein solcher Antikapitalismus biologistische Vorstellungen, wonach es einen vermeintlich gesunden, nützlichen Bereich der Produktion gebe – an dem sich die Kapitalisten wie »Parasiten« bereicherten.

Die Wiederentdeckung der »Judenfrage«

Weder aus dem Nationalismus noch aus dem personifizierten Antikapitalismus folgte aber notwendig eine antisemitische Position. Dazu brauchte es als drittes Element das Stereotyp, »die Juden« unterhielten zum Kapital eine besondere Affinität, die sie von »den Deutschen« unterscheide. Solche Vorstellungen waren in der Weimarer Republik weit verbreitet. Dass »Juden« zu einer »semitische(n) Rasse« gehörten, stand auch im »ABC des Kommunismus« ((Bucharin/Preobraschenskij: ABC des Kommunismus, S. 198)). Und dass Juden eine besondere Affinität zum Geld hätten, ließ sich, wenn man wollte, schon den marxistischen Klassikern entnehmen. Marx hatte 1843 in »Zur Judenfrage« den »wirklichen Juden« durch »praktisches Bedürfnis«, »Eigennutz«, »Geld« und »Schacher« definiert. Die Rote Fahne druckte 1923 Auszüge aus diesem Text unter der Überschrift: »Karl Marx: Zur Judenfrage. Den Nationalsozialisten ins Stammbuch« ((»Karl Marx: Zur Judenfrage«, »Rote Fahne«, 14.3.1923)). Der österreichische Kommunist Otto Heller, der von Mitte der zwanziger Jahre an in Berlin für die Rote Fahne arbeitete, kündigte 1931 in seinem Buch »Der Untergang des Judentums« dessen historisches Ende an. Mit »Judentum« meine er nicht »Juden schlechthin«, auch nicht die Religion, sondern den »Untergang des spezifischen sozialen Typs (…), des durch die Besonderheit der jüdischen Geschichte entstandenen jüdischen Händlers und aller, durch diesen besonderen Ablauf bedingten Begleiterscheinungen seiner Existenz« ((Otto Heller: Der Untergang des Judentums. Berlin/Wien 1931, S. 7)).

Für das ZK war die »Judenfrage« in Deutschland 1932 ebenfalls eine »soziale Frage«, die auf »der besonderen sozialen Geschichte der Juden« beruhte, weil deren »soziale Schichtung der der übrigen deutschen Bevölkerung nicht entspricht, ›anormal‹ ist, woraus die besonderen Konflikte zwischen Juden und Nichtjuden« entständen ((ZK der KPD: Kommunismus und Judenfrage, S. 277)). Die kommunistische »Lösung« dieses Problems bestand in der Sowjetunion darin, aus »Juden« Arbeiter und Bauern zu machen. 1928 erklärte die Sowjetunion das fernöstliche Gebiet Birobidjan zu einer autonomen jüdischen Verwaltungseinheit. Hellers Buch enthält auch einen ausführlichen Reisebericht aus Birobidjan. Begeistert schildert er, dass die Jüdinnen und Juden dort keine »Juden« mehr seien: »Die Leute waren richtige Bauern. Hätten sie nicht jüdisch gesprochen, man hätte nicht geahnt, bei Juden zu sein. Vor allem die Großmutter machte den Eindruck einer behäbigen Bauersfrau.« ((Heller: Untergang des Judentums, S. 293))

Dass antisemitische Vorstellungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts geläufig waren, kann zwar erklären, warum sie sich auch in der Roten Fahne finden. Aber nicht, warum sie in der Roten Fahne sogar weiterentwickelt wurden. Die Karikatur »Hakenkreuzparade vor Hakennasen« bediente sich antisemitischer Stereotype in einem Zusammenhang, der einer linken und antifaschistischen Tagezeitung vorbehalten war. Vom »jüdischen Kapital« konnten noch sowohl Mitglieder der KPD wie auch der NSDAP sprechen. Aber dass »Hakenkreuz« und »Hakennasen« eine Einheit bildeten, diese Behauptung blieb für die sich antifaschistisch verstehende Linke reserviert. In den Jahren von 1929 bis 1933 tauchte diese Argumentation in mehreren Varianten wieder auf. So lautete eine Überschrift der Roten Fahne 1929: »Hinter den Kulissen der Hitler-Partei! ›Arbeiterpolitik‹ der Nationalsozialisten. Ehemaliger Bezirksleiter der NSDAP enthüllt die Verbindungen der Nationalsozialisten zu Großkapital und zu den Bombenattentätern – Jüdische Kapitalisten als Geldgeber.« ((»›Arbeiterpolitik‹ der Nationalsozialisten«, »Rote Fahne«, 9.11.1929)) Hermann Remmele, Mitglied des Zentralkomitees der KPD, behauptete auf einer Diskussionsveranstaltung mit Joseph Goebbels 1930, die NSDAP verzichte seit kurzem auf den Schlachtruf »Juda verrecke!«: »So hat u. a. der Gauleiter von Berlin, Dr. Goebbels, einen Parteibefehl erlassen, dass der Ruf ›Juda verrecke!‹ in Zukunft nicht mehr angewendet werden dürfe. Bald danach berichtete die bürgerliche Presse, dass die nationalsozialistische Gauleitung von dem Juden Jakob Goldschmidt, einem vielfachen Millionär und Generaldirektor der Danatbank, große Geldmittel zur Verfügung gestellt bekam.« ((Hermann Remmele: Sowjetstern oder Hakenkreuz. Berlin 1930, S. 13–14))

Die gleiche Behauptung hatte die Rote Fahne 1929 unter der Überschrift »Im Auftrag Jakob Goldschmidts. Goebbels verbietet: ›Juda verrecke‹« aufgestellt ((»Im Auftrag Jakob Goldschmidts«, »Rote Fahne«, 17.11.1929)). Es ist fraglich, inwieweit sich die NSDAP zu bestimmten Zeiten aus wahltaktischen Überlegungen zurückhielt. Doch unabhängig von der Frage, ob der Antisemitismus 1929/30 im Wahlkampf der NSDAP im Vordergrund stand, war die Erklärung bemerkenswert, die die Rote Fahne und Remmele anboten: Hinter den Wahlkampfmanövern der NSDAP stehe der »Jude Jakob Goldschmidt«. Sogar Artikel, die den Judenhass der Nazis kritisierten, konnten antisemitische Vorstellungen reproduzieren. 1929 erschien der ganzseitige Beitrag »Die Blutsauger des deutschen Volkes im Scheunenviertel«. Dem Stereotyp von den reichen und mächtigen Juden hält er die Beschreibung einer Realität entgegen, in der Jüdinnen und Juden zu den »Ärmsten der Armen« gehörten: »Wenn man in die Elendsquartiere des Scheunenviertels hineinleuchtet, muss man sagen, gemeiner und tierischer kann eine Lüge nicht sein wie dieser mörderische Antisemitismus gegen die Ärmsten der Armen.« ((»Die Blutsauger des deutschen Volkes im Scheunenviertel«, »Rote Fahne«, 19.9.1929)) Im nächsten Satz gibt der Beitrag dem »jüdischen Großkapital« eine Mitschuld an den Pogromen der Nationalsozialisten: »Die Pogrome, die diese von dem jüdischen Großkapital gut bezahlten Horden durchführen, sind Mörderfeldzüge gegen arme Proletarier, die nicht nur in dem tiefsten Elend dieser kapitalistischen Gesellschaft ihr Dasein fristen, sondern Sklaven einer mittelalterlichen Zurückgebliebenheit sind.« Auch Ulbricht versuchte 1931 nachzuweisen, dass die »nationalsozialistischen Führer« dem »jüdischen hundertfachen Millionär« dienten ((»Genosse Ulbrichts Abrechnung mit den Nazis«, »Rote Fahne«, 24.1.1931)).

Das »jüdische Kapital« und der Zionismus

Zu solchen Berichten über das »jüdische Kapital« passte die Berichterstattung der Roten Fahne über den Nahen Osten. Zur gleichen Zeit, als die Rote Fahne eine Zusammenarbeit von NSDAP-Führung und »jüdischem Kapitel« konstruierte, stellte sie den Zionismus als Vorstoß des Kapi­talismus, Imperialismus und Faschismus in Nahost dar. In der Antisemitismusforschung herrscht das Bild vor, der antizionistische Antisemitismus sei erst nach 1945 entstanden. Da dessen auffälligstes Merkmal die Gleichsetzung von Zionismus und Nationalsozalismus ist, wird der antizionistische Antisemitismus auf Motive wie die Erinnerungsabwehr und den Wunsch zurückgeführt, die Shoah zu relativieren. Ingrid Strobl schreibt über die Motive der westeuropäischen Linken nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967: »Wie unbewusst auch immer, durch die israelische Politik gegen die Palästinenser fühlten sich viele deutsche Linke befreit von jeder Verantwortung, der sie sich als Nachkommen womöglich stellen müssten. Da jedoch die Ungeheuerlichkeit der Shoah selbst für diejenigen, die sich nie näher mit ihr konfrontiert haben, so ohne weiteres nicht zu ignorieren ist, musste sie auf Teufel komm raus relativiert werden.« ((Ingrid Strobl: Das unbegriffene Erbe. Bemerkungen zum Antisemitismus in der Linken, in: dies.: Das Feld des Vergessens, Berlin/Amsterdam 1994, S. 110))

Aber bereits 1932 erklärte das ZK in seinem Papier »Kommunismus und Judenfrage«: Die »Kommunisten bekämpfen den Zionismus genau so wie den deutschen Faschismus« ((ZK der KPD: Kommunismus und Judenfrage, S. 284–285)). Die Ablehnung des Zionismus ging auf eine längere Tradition zurück. Der erste Artikel der Roten Fahne über den Zionismus trug die Überschrift: »Zionismus – Kettenhund des Imperialismus« ((»Zionismus – Kettenhund des englischen Imperialismus«, »Rote Fahne«, 25.7.1925)). Während die Dritte Internationale »nationalen Befreiungsbewegungen« in der Dritten Welt ein revolutionäres Potential zusprach, galt der Zionismus als reaktionär und bürgerlich. Die Kibbuzbewegung in Palästina fand in der Roten Fahne keine Erwähnung. Sogar die Kommunistische Partei Palästinas, von jüdischen Mitgliedern gegründet und geprägt, galt Ende der zwanziger Jahre nicht als revolutionäre Partei.

Ihren Höhepunkt erreichte diese Nahost-Berichterstattung im Spätsommer 1929. Damals kam es im britischen Mandatsgebiet Palästina zu pogromartigen Ausschreitungen, die länger als zwei Wochen andauerten und in deren Verlauf mehr als 100 Jüdinnen und Juden ermordet wurden. Was in Palästina geschah, war der Kom­intern bekannt. Joseph Berger, Vorsitzender der KP Palästinas, beschrieb in der Internationalen Presse-Korrespondenz das Ausmaß der Gewalt eindrücklich. Die »unter finster-klerikaler, feudaler und bürgerlicher Führung stehenden fanatischen Massen mohammedanischer Bauern überfielen sengend und mordend vor allem die unbewehrten armen jüdischen Siedlungen, jüdische Synagogen und Schulen, wo furchtbare Blutbäder angerichtet wurden. In der Talmudschule von Hebron wurden 60 jüdische Schüler – auch Kinder – getötet und verstümmelt. In der Kolonie Moza wurde eine jüdische Familie samt Frau und Kind abgeschlachtet.« ((Joseph Berger: »Das Blutbad im ›Heiligen Lande‹«, in: »Inprekorr« 86 (1929)))

Der »arabisierte« Kommunismus

Darüber fand sich in der Tageszeitung der KPD kein Wort. Vielmehr begrüßte die Rote Fahne die Gewalt als Auftakt einer antiimperialistischen Aufstandsbewegung. Auf der Titelseite erschien am 28. August 1929 der Beitrag »Der Araberaufstand wächst!«, in dem es heißt: »Besonders charakteristisch für die Entwicklung dieser Bewegung ist, dass die Angriffe der Araber nicht auf die jüdische Bevölkerung beschränkt bleiben, sondern sich gegen ihren Hauptfeind, den englischen Imperialismus, zu richten beginnen. (…) Die Schläge, die die arabischen Eingeborenen gegen die zionistische Bourgeoisie und den zionistischen Faschismus in Palästina führen, sind gleichzeitig Schläge gegen England. Das jüdische Proletariat Palästinas muss Schulter an Schulter mit den arabischen Werktätigen den Kampf gegen ihre(n) gemeinsamen Klassenfeind, den englischen Imperialismus und die mit ihm auf Leben und Tod verbundene jüdische Bourgeoisie führen.« ((»Der Araberaufstand wächst!«, »Rote Fahne«, 28.8.1929))

Dieser Beitrag ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Erstens schreibt die Zeitung selbst, dass es sich um Angriffe »auf die jüdische Bevölkerung« handelte, nicht etwa nur auf Zionistinnen und Zionisten. Zweitens zeigt der Ausdruck »die arabischen Eingeborenen«, dass die Parteinahme für die arabische Seite von rassistischen Vorstellungen nicht frei war, auch wenn er verbürgen sollte, dass die arabische Bevölkerung in Palästina im Gegensatz zu den Jüdinnen und Juden keine Fremden seien. Drittens war die Anspielung auf das »jüdische Proletariat Palästinas« zweifelhaft.

Der Beitrag »Der Araberaufstand wächst!« stand auf der Titelseite in einem besonderen Zusammenhang. Die Überschrift lautete: »Faschisten morden in Berlin«. Der Beitrag über Palästina war mit der Fotografie eines Soldaten illus­triert, unter der zu lesen stand: »Stahlhelmlümmel? Nein, ein Mitglied der jüdisch-faschistischen Legion in Jerusalem«. Der Artikel kritisierte nicht nur den Flügel um Wladimir Jabotinsky innerhalb der zionistischen Bewegung, sondern unterschied gar nicht mehr zwischen der zionistischen Bewegung, älteren, nichtzionistischen jüdischen Gemeinden in Palästina oder der KP Palästinas, die eine antizionistische Position vertrat. Auch die Rede von dem »jüdischen Proletariat Palästinas« zielte nicht auf die Kommunistische Partei Palästina. Auf einer ZK-Sitzung im Jahr 1929 bezeichnete Hermann Remmele die jüdischen Mitglieder der KP Palästinas vielmehr als »Zionisten«, die nicht das »revolutionäre Element« verkörpern könnten: »Unsere Partei hat in Palästina 160 Mitglieder, davon 30 Araber, die anderen 130 Zionisten. Es ist ganz klar, dass diese Partei nicht eine solche Einstellung haben kann, wie sie dem Gesetz der Revolution entspricht. Gerade das unterdrückte Volk, jene Schicht des Volkes, die das revolutionäre Element, den Verhältnissen entsprechend, überhaupt ausmachen kann, sind nur die Araber.« ((Hermann Remmele: Referat auf der ZK-Sitzung vom 24./25.10.1929, in: 2. Verhandlungstag – 25.10.1929, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen, RY I/2/1/74))

Anfang der dreißiger Jahre bestellte die Komintern die führenden jüdischen Mitglieder der KP Palästinas nach Moskau. Die KP Palästinas sollte sich unterdessen, wie es hieß, »arabisieren«. Leopold Trepper, Mitglied der KP Palästinas, schreibt in seinen Erinnerungen, die Komintern habe »die Parole von der ›Arabisierung und Bolschewisierung‹« ausgegeben: »Als wenn es genügt hätte, in den verantwortlichen Organen einfach die Juden durch Araber zu ersetzen, um automatisch stärkeren Zulauf zu bekommen. (…) Bei dem Versuch, die Weisungen von oben buchstabengetreu zu befolgen, wurde einer unserer Kameraden in der Nähe von Haifa gelyncht.« ((Leopold Trepper: Die Wahrheit, München 1975, S. 33–34)) Viele Mitglieder der KP Palästinas wurden in den Jahren von 1936 bis 1938 verhaftet und ermordet.

Es gab innerhalb der kommunistischen Linken Kritik an der Darstellung der Roten Fahne. Die sogenannte Rechtsopposition um den früheren KPD-Vorsitzenden Heinrich Brandler und den ehemaligen Chefredakteur der Roten Fahne, August Thalheimer, schrieb 1929 in ihrem Organ Gegen den Strom: »Ohne den Versuch einer marxistischen Untersuchung des Klassencharakters auch dieses Kleinkrieges spricht die ›Rote Fahne‹ unterschiedslos von den Juden, die sie natürlich alle als zionistische Faschisten bezeichnet, und die sie den Arabern, die natürlich alle ›Revolutionäre‹ sind, entgegenstellt.« ((»Zu den Ereignissen in Palästina«, in: »Gegen den Strom« 10 (1929))) Die »jüdischen Genossen in der Kommunistischen Partei Palästinas« wären, so heißt es in dem Beitrag, gewiss verwundert, wenn sie wüssten, dass die KPD sie »als freche jüdische Eindringlinge« darstelle. Nach der Deutung der Roten Fahne hatte die arabische Bevölkerung, als das »echte« Volk, für werktätig und revolutionär zu gelten, während die jüdische Bevölkerung fremd im Nahen Osten sei und auf der Seite des Kapitals und des Faschismus stehe. Klassenunterschiede innerhalb der arabischen und jüdischen Bevölkerung wurden kaum thematisiert.

Wie die ZK-Erklärung von 1932 zeigt, revidierte die KPD ihre Position bis 1933 nicht. In der Roten Fahne ging die Berichterstattung über Palästina zwar nach 1930 zurück. Aber die Berichte über die Verbindung von »jüdischem Kapital« und Nationalsozialisten wurde bis 1933 fortgeführt. In beiden Fällen wurden »die Juden« als Personifikationen der herrschenden Klasse, als Kapitalisten und damit als »Parasiten« vorgestellt. Die Analyse der Roten Fahne macht deutlich, wie die Zeitung Argumentationsfiguren etablierte, die nur die politische Linke gebrauchen konnte. In diesem Sinn handelte es sich tatsächlich um einen Antisemitismus von links – nicht etwa, weil Judenfeindschaft genuin aus der politischen Linken stammen würde, sondern weil die judenfeindlichen Darstellungen in einen spezifisch linken Kontext integriert und dadurch legitimiert wurden.

In der heutigen Diskussion, wie sie im Streit um den Antisemitismus in der Linkspartei wieder aufflammt, herrscht das Bild vor, in West­europa sei der antizionistische Antisemitismus erst nach dem Sechs-Tage-Krieg entstanden. Die Gleichsetzung von Zionismus und Nationalsozialismus habe sich aus dem Wunsch ergeben, die deutsche Schuld zu relativieren. Doch die KPD nahm ähnliche Gleichsetzungen bereits in den zwanziger Jahren vor. Das könnte bedeuten, dass sich »linker« Antimsemitismus nicht nur aus den Motiven des sogenannten sekundä­ren Antisemitismus, sondern aus einer viel weiter zurückreichenden Traditionslinie speist. Dieser Traditionslinie ist nicht allein dadurch beizukommen, dass radikale Linke das Existenzrecht Israels anerkennen oder sich mit der Shoah auseinandersetzen. Es müsste vielmehr reflektiert werden, warum sich die Mehrheit der kommunistischen Linken bereits in den zwanziger Jahren positiv auf nationale Befreiungsbewegungen bezog, das Recht auf nationale Selbstbestimmung für Jüdinnen und Juden im Nahen Osten aber nicht gelten sollte.

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