Die große Synagoge in Pilsen

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Neulich war es wieder einmal soweit. Eine Fahrt in die „Hauptstadt“ stand auf dem Programm. In welche Hauptstadt? Selbstverständlich in die westböhmische, nämlich Pilsen. Es muss ja nicht ständig Prag auf der Tagesordnung stehen…

Von Karl W. Schubsky, NachbarnKennen, 29.10.2011

Immerhin ist Pilsen nicht nur die größte Stadt Westböhmens, darüber hinaus bereitet sich die Stadt auch auf die Übernahme des Titels einer „Kulturhauptstadt 2015″ vor und wird damit, zumindest auf ein Jahr, Prag den Rang ablaufen. Gerne brüstet sich man in Prag mit diversen „Kleinigkeiten“, aber Pilsen hat durchaus einige Vorteile vor der Hauptstadt. – Dabei soll einmal das „Pilsner Urquell“ außer acht gelassen.

Die Dominante Pilsens ist einwandfrei und zweifelsohne die beeindruckende gotische Kathedrale St. Bartholomäus mit ihrem 103 Meter hohen Turm, der damit zu den höchsten Kirchtürmen in Europa zählt. Mit dem Kirchenbau wurde nach der Stadtgründung um 1295 begonnen Vom Rundgang auf 60 Metern über dem Erdboden aus bietet sich ein weiter Rundblick, der sogar bis zum 70 Kilometer weit entfernten Böhmerwald reichen kann, vorgesetzt, man wagt den Schritt hinauf, um sich vom Wind durchblasen zu lassen und das Wetter lässt den Weitblick auch zu. St. Bartholomäus ist seit 1993 die erste Kirche des Bistums Pilsen.

Aus 60 Metern Höhe findet der Blick doch nicht nur in der Ferne Interessantes, auch in der allernächsten Umgebung, also in der Stadt selbst, bleibt er an vielen eindrucksvollen Gebäuden hängen. Ins Auge fallen dabei besonders zwei Zwiebeltürme, die aus der Ferne irgendwie eine gewisse Ähnlichkeit mit der Frauenkirche Münchens nicht abwegig erscheinen lassen, obwohl sie auf den beiden Spitzen kein Kreuz, sondern Davidsterne, also jüdische Symbole, tragen, deren goldener Überzug die Sonnenstrahlen reflektiert. Sie gehören zur Großen Synagoge von Pilsen.

Auf dieses bemerkenswerte Stück jüdischer Kultur in Pilsen sollen sich die nun folgenden Bemerkungen auch konzentrieren, das, in aller Bescheidenheit, zum internationalen Ansehen der Stadt zumindest einen großen Teil beiträgt und in großen Kreisen einen hohen Bekanntheitsgrad besitzt. Nicht slawisch, nicht deutsch, sondern jüdisch. Neben dem Bischofssitz besteht in Pilsen, heutzutage leider mehr unauffällig, eine weitere religiöse Einrichtung, nämlich die für weite Teile Westböhmens zuständige jüdische Gemeinde mit ihren verschiedenen Einrichtungen. Zu diesen zählt auch die Große Synagoge, die aber weniger religiösen Zwecken, mehr als Museum und Erinnerungsstätte dient, wo gelegentlich auch kulturelle Veranstaltungen abgehalten werden. Sogar der gebürtige Pilsner Karel Gott hat hier einmal schon ein Konzert gegeben, bei der guten vorhandenen Raumakustik im Gebäude ist das auch kein Wunder.

Der Turmstreit zu Pilsen

Die Synagoge kann in den Bereich der Superlativen gerückt werden, denn schließlich war sie, als man sie erbaute, das größte jüdische Gotteshaus in Böhmen, Mähren und Schlesien. Heute ist sie noch immer die größte Synagoge in der Tschechischen Republik, die drittgrößte der Welt und die zweitgrößte in Europa, nach Jerusalem und Budapest. Da kann St. Bartholomäus nicht mithalten. Ein weiteres Element sind die beiden Türme der Synagoge. Während die Kirche nur noch über einen singulären verfügt – der zweite Turm wurde im Jahre 1525 bei einem Brand 1525 beschädigt und die Stadt Pilsen konnte aber lange Jahre kein Geld für die Reparatur aufbringen – ereignete sich der Glücksfall, dass der Architekturstil von der Gotik in die Renaissance überwechselte und plötzlich niemand mehr einen zweiten Turm – in gotischem Stil – mehr für erforderlich hielt. Man verzichtete daher auf die Ausgaben und die Kirche wurde daher einfach nur überdacht.

Die Dimensionen im dreischiffigen Synagogenraum sind derart, dass ein Blitzlicht beinahe verblasst und von dem geheimnisvollen Zwielicht verschluckt wird. Zum Interieur gehört eine einzigartige Orgel, die sog. „Brauner’sche pneumatische Orgel“ mit 2.700 Pfeifen, die in der Orgelbau-Anstalt der Brüder Brauner in Mährisch-Neustadt im Jahre 1893 erbaut wurde. Diesem Werk zollte die damalige Fachpresse enormes Lob („Zeitschrift für Instrumentenbau“ in den Ausgaben des Jahres 1893/1894). Neben der Orgel gibt es noch eine weitere Rarität in Form der Heißluft-Fußbodenheizung, welche die Synagoge so heraushebt und die Ende des 19. Jahrhunderts ein Novum war.

Im Vorfeld des geplanten Neubaus kam es zu einigen Schwierigkeiten bezüglich der geplanten Dimension, da der Pilsener Stadtrat die ursprünglichen Pläne des vorgesehenen Architekten Max Fleischer ablehnte. Grund war unter anderem auch ein zu gewaltiges Aussehen gegenüber der auf dem Hauptmarkt stehenden St. Bartholomäus-Kathedrale. Daraufhin wurde von Architekt Emanuel Klotz neu geplant und in maurisch-romanischem Stil entworfen. Dieser Stil wurde zu jenen Tagen bei Synagogen-Neubauten häufig benutzt, um Schwierigkeiten mit den christlichen Mitbürgern auszuräumen. Die Grundsteinlegung erfolgte im Dezember 1888 und 1893 war der Bau vollendet. Zwar behielt bei seinen Plänen Klotz den Grundriss und die Gesamtkonzeption Fleischers bei, überarbeitete aber vor allem die Außengestaltung. Und – die beiden Türme wurden nur mit 45 Metern Höhe ausgeführt und waren damit um 20 Meter niedriger, als in der ursprünglichen Planung. Der Bau erhielt Elemente des romanischen Stils und der Neorenaissance, die Ausschmückung erfolgte im orientalischen Stil. So steht sie heute noch da, eingefügt in die Häuserzeile der entlang des Verlaufs der früheren Stadtmauer an der Hauptverkehrsader, mit einem Grundriss von 56 x 30 Meter und in Ost-West-Richtung gebaut.

Der Jüdischen Gemeinde Pilsen diente die Große Synagoge mit ihren über 2.000 Sitzplätzen bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. „Sie überlebte die Kriegszeit als Lagerraum für alle Gegenstände, die von den jüdischen Mitbürgern konfisziert wurden. Viele von ihnen flüchteten oder wurden deportiert. Nach dem Krieg bestand die ehemals große Gemeinde nur mehr aus kaum 60 Mitgliedern. Sie erhielten zwar die Synagoge zurück, konnten aber deren Instandhaltung und Restaurierung nicht finanzieren und das Gebäude verfiel zusehends. 1973 wurde der letzte Gottesdienst in der Synagoge abgehalten, danach musste das Haus auf Grund des desolaten Zustandes geschlossen werden. Obwohl die Gemeindemitglieder versuchten, in aller Welt Geld für die Renovierung aufzutreiben, misslang das Vorhaben aus finanziellen Gründen, bis 1995 der Staat für die Kosten der Renovierung der Fassade und des Daches einsprang. Der wunderschöne, stimmungsvolle Innenraum wartet nach wie vor auf seine Instandsetzung, ebenso wie die Thora und die einzigartige pneumatische Orgel.“ Für religiöse Zwecke nutzen die wenigen Pilsner Juden nur noch die kleine „Wintersynagoge“, während der Hauptraum für Besucher – außer Samstag – von 10.00 bis 17.00 Uhr zugänglich ist. Das wäre eines der „Pfunde“, mit dem auch die „Kulturhauptstadt 2015″ wird wuchern können.

Fotos: © Karl W. Schubsky