Jüdinnen und Juden in der internationalen Linken

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Seit 2021 haben Riccardo Altieri, Bernd Hüttner und Florian Weis für die Rosa-Luxemburg-Stiftung fünf Bände mit siebzig Einzelbeiträgen und drei Interviews (Gregor Gysi, Bodo Ramelow, Isabel Frey) über die lange und tiefe Allianz zwischen jeweils großen Teilen der jüdischen Emanzipationsbewegungen und der sozialistischen und Arbeiter:innenbewegung herausgegeben. Programmatisch wie exemplarisch haben sie dabei in Anlehnung an einen Artikel des Jüdischen Arbeiterbundes das Motto gewählt: Die jüdische mit der allgemeinen proletarischen Bewegung zu vereinen.

Über viele Jahrzehnte hinweg waren Jüdinnen und Juden in Tunesien und Marokko ebenso überproportional stark in linken Organisationen vertreten wie in Südafrika, im Osmanischen und Deutschen Reich ebenso wie in Österreich. Die Liste ließe sich noch beträchtlich verlängern.

Warum standen so überdurchschnittlich viele Jüdinnen und Juden auf der Linken?

Fast überall lässt sich festhalten, dass die Arbeiter:innnbewegung für Jüdinnen und Juden eine soziale Integration ermöglichte, die sie in anderen gesellschaftlichen Bereichen selten vorfanden. Christian Dietrich fasst dies für die Sozialdemokratie der Weimarer Republik prägnant zusammen: «Die Sozialdemokratie war für jüdische Politiker (…) gemessen am gesamtgesellschaftlichen Klima ein Emanzipationsraum».

Dies hatte wesentlich auch damit zu tun, dass die sozialistische und Arbeiter:innenbewegung überwiegend – wichtige Einschränkungen sind für das späte 19. Jahrhundert, mehr noch für den Stalinismus und auch für einen Vulgär-Antiimperialismus ab den 1970er Jahren zu machen – gegen den Antisemitismus ankämpfte, zumindest aber weit weniger anfällig für Antisemitismus war als andere Ideologien und Parteien, da sie einem Gleichheitsideal verpflichtet war.  Behauptungen, die Linke sei historisch wesentlich antisemitisch gewesen, sind empirisch falsch und Ausdruck einer ideologischen Polemik im politischen Gegenwartskampf.

Falsch ist es aber auch zu behaupten, Linke könnten gar keine Antisemit:innen sein und den Antisemitismusvorwurf als reine Denunziation zu verwerfen, denn dafür wiederum gab es zu viele antisemitische Politiken und Praxen wie – keineswegs nur – im Stalinismus.

Die jüdische mit der allgemeinen proletarischen Bewegung zu vereinen?

In den 1930er und 1940er Jahren, dies ist eine zweite übergreifende Erklärung, erschienen gerade die Kommunistischen Parteien vielen säkularen Jüdinnen und Juden attraktiv, so etwa in Tunesien, Südafrika und Großbritannien, weil sie entschieden antifaschistisch waren.

Gregor Gysi formuliert pointiert einen dritten Grund: Wenn du ausgegrenzt wirst, gehst du zu anderen Ausgegrenzten. Gerade radikale Teile der Arbeiter:innenbewegung strahlten eine Attraktivität für Außenseiter:innen aus, die Jüdinnen und Juden zumeist blieben, selbst wenn sie ökonomisch aufgestiegen sein mochten.

Schließlich übertrugen – viertens – viele säkulare Jüdinnen und Juden, die sich von der jüdischen Religion entfernt hatten, religiös-kulturelle Gerechtigkeits- und Heilserwartungen in eine sozialistisch-säkulare Zukunftsutopie.

Die von uns untersuchten Jüdinnen und Juden in der Linken bzw. linken Gruppen waren entweder – fünftens – entweder areligiös oder aus einer aufklärerischen und marxistischen Prägung heraus sogar dezidiert antireligiös und standen damit oft in Gegnerschaft zum konservativen und orthodoxen Judentum.

Auch die reaktionären und faschistischen Gegner:innen der Arbeiter:innenbewegung und der Judenemanzipation stellten im übrigen einen engen Zusammengang zwischen Sozialismus und Judentum her, und das bereits vor Adolf Hitler. Für sie waren die sozialistischen Parteien „Judenparteien“, waren die demokratischen Republiken in Deutschland und Österreich, die wesentlich von der Sozialdemokratie getragen wurden, „Judenrepubliken“. Antisemitismus, Antisozialismus und Republikfeindlichkeit waren organisch miteinander verbunden.

„Jüdinnen und Juden in der internationalen Linken:“