Dimensionen der Mittäterschaft – Themaverfehlung

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Klaus Kellmann schildert die Geschichte der europäischen Kollaboration mit dem Dritten Reich und wie damit nach der Befreiung umgegangen wurde. Er behauptet weder die Verbrechen der deutschen Volksgemeinschaft noch die der Kollaborationsnationen relativieren zu wollen…

Eine Rezension von Karl Pfeifer

Doch sein erster Beitrag über Österreich „die Kollaborationsnation schlechthin“ dient – nolens volens – der Relativierung. Österreich war sieben Jahre Ostmark und ein fester Bestandteil des Dritten Reiches. Die Beteiligung vieler, viel zu vieler Österreicher an den Verbrechen des „tausendjährigen Reichs“ wurde bereits von einigen Historikern dokumentiert und bringt keine neuen Erkenntnisse. 

Die Quellen für seine Behauptungen, Österreicher hätten „sage und schreibe 50 Prozent des Wach- und Aufsichtspersonals in den über ganz Mitteleuropa errichteten Konzentrationslagern“ gestellt sowie dass Bundespräsident Adolf Schärf 1962 mit dem Slogan „Wer einmal schon für Adolf war, wählt Adolf auch in diesem Jahr“, für seine Wiederwahl geworben hätte, gibt er nicht an.

Die Tatsache, dass es Österreich nach 1945 gelang keine „Haftungs- und Verantwortungsgemeinschaft mit Deutschland“ zu übernehmen ist hinlänglich bekannt.

Kellmann gefällt sich in der Rolle des Polemikers, das kann manchen Leser, der seine vorgefassten Meinungen bestätigt haben will, erfreuen, hat aber wenig mit seriöser Geschichtsschreibung zu tun.

Im Kapitel Italien stellt er eine tatsachenwidrige Behauptung auf, die leicht zu widerlegen ist: „Jeder fünfte der 43.000 Juden in Italien ist ermordet worden. Es gibt keinen Quellenbeleg dafür, dass dieses Verbrechen der deutsch-italienienischen Annäherung und der Achsenbildung zwischen Rom und Berling geschuldet ist,…“

Dr. Liliana Picciotto Fargion schildert in ihrem Aufsatz über Italien ((Dimensionen des Völkermords / Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, R. Oldenburg Verlag, München, 1991)) , dass vor der deutschen Besatzung im Herbst 1943 Juden nicht aus Italien deportiert wurden, sondern im Gegenteil, Juden aus Kroatien und aus Frankreich Zuflucht in Italien gefunden hatten. SS Hauptsturmführer Theo(dor) Dannecker, ein enger Mitarbeiter von Adolf Eichmann, der beauftragt worden war, die Deportation von Juden durchzuführen, wurde Anfang Dezember 1943 nach Deutschland zurückbeordert. „Die weitere Durchführung der „Endlösung“ sollte in die Hand von Friedrich Bosshammer gelegt werden, der zum Stab des Amtes Eichmann in Berlin gehörte und Dannecker in Italien ersetzen sollte. Eine vorbereitende Besprechung fand am 4. Dezember [1943] in Berlin statt. Anwesend waren der Vertreter des Auswärtigen Amtes, Eberhard von Thadden, Friedrich Bosshammer und Theo Dannecker… Während der Zusammenkunft wurde festgestellt, dass Dannecker kein ‚nennenswertes Ergebnis‘ (so wörtlich!) erzielt habe, weil die Verhaftungen nicht überraschend genug erfolgt wären…“

Bosshammer traf Ende Januar 1944 in Italien ein. Er richtete ein neues, auf die Verhaftung und Deportation der Juden spezialisiertes Referat bei der Abteilung IV (Gestapo) des BdS Italien in Verona ein. „Mit der Errichtung des Amtes IV b 4 wurde Italien im Hinblick auf die ‚Endlösung der Judenfrage“ den anderen Staaten unter deutscher Besatzung angeglichen.“

Kellmann hat anscheinend nicht selbst in den Archiven geforscht, sondern sich auf sekundäre Quellen verlassen. Es ist schade, dass er in seinem 666 Seiten umfassenden Buch gelegentlich seriöse Geschichtsschreibung durch billige Polemik ersetzt.

Klaus Kellmann: Dimensionen der Mittäterschaft / Die europäische Kollaboration mit dem Dritten Reich, Böhlau Verlag, 2019