Meilenstein und Mahnung

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Hall of Names, Yad Vashem, Foto: Zeev Stein, Pikiwiki Israel, CC BY 2.5

Yad Vashem, Israels Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem, hat die Namen von fünf Millionen Jüdinnen und Juden identifiziert, die im Holocaust ermordet wurden. Dieser Meilenstein konnte nach sieben Jahrzehnten intensiver Forschungs- und Dokumentationsarbeit erreicht werden. Bis heute ist es Yad Vashems zentraler Auftrag, die Identität und die Erinnerung an jene Menschen zu bewahren, die durch die Nationalsozialisten ausgelöscht wurden. Diese Aufgabe ist heute wichtiger denn je, denn die Zahl der Überlebenden nimmt stetig ab und die Welt wird bald ohne Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sein.

Die Namen sind in Yad Vashems Zentraler Datenbank der Namen der Shoah-Opfer verzeichnet, die online in sechs Sprachen zugänglich ist. Mithilfe von Namens- und Ortsvarianten sowie speziell entwickelter Algorithmen umfasst die Datenbank auch Hunderttausende von „Personenakten“, die aus Archivquellen zusammengeführt wurden und Auskunft über Leben und Schicksal einzelner Opfer geben. Im Laufe der Jahre hat diese Datenbank unzähligen Familien ermöglicht, ihrer Angehörigen zu gedenken und verschollene Verwandte aufzuspüren.

Schätzungsweise eine Million Namen der Opfer sind weiterhin unbekannt – viele werden wohl für immer im Dunkeln bleiben. Doch das Team von Yad Vashem arbeitet daran, mit neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen so viele Namen und persönliche Details wie möglich zu ermitteln, indem sie Hunderte Millionen Archivdokumente analysieren, die bisher zu umfangreich für eine manuelle Auswertung waren. Auf diese Weise könnten noch rund 250.000 weitere Namen identifiziert werden.

„Fünf Millionen Namen zu identifizieren, ist sowohl ein Meilenstein als auch eine Mahnung an unsere noch nicht erfüllte Verpflichtung“, so Yad Vashem-Vorsitzender Dani Dayan. „Hinter jedem Namen steht ein Leben, das zählte – ein Kind, das nie erwachsen wurde, ein Elternteil, der nie zurückkehrte, eine Stimme, die für immer verstummte. Es ist unsere moralische Pflicht, dafür zu sorgen, dass jedes Opfer erinnert wird, damit niemand in der Dunkelheit der Anonymität zurückbleibt.“

Die Errungenschaft von fünf Millionen identifizierten Namen wird am 6. November in einem Seminar in Yad Vashem vorgestellt und steht im Mittelpunkt einer Veranstaltung der Yad Vashem USA Foundation am 9. November in New York.

Eine weltweite Initiative

Die Identifizierung der Namen ist eine globale Aufgabe. Yad Vashem arbeitet dabei mit jüdischen Gemeinden, Archiven, genealogischen Gesellschaften und Forschungseinrichtungen weltweit zusammen.

Eine zentrale Quelle bilden die Gedenkblätter („Pages of Testimony“) – einseitige Formulare, die von Überlebenden, Angehörigen und Freunden eingereicht werden, um individuelle Opfer zu ehren. Etwa 2,8 Millionen Namen wurden auf diesen Seiten in über 20 Sprachen festgehalten, und bis heute treffen weiterhin neue Einreichungen ein. Die Sammlung der Gedenkblätter wurde 2013 in das UNESCO-Register „Memory of the World“ aufgenommen.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil sind historische Dokumente: persönliche Briefe, Tagebücher, NS-Akten und Deportationslisten, Volkszählungsdaten sowie juristische Dokumente aus Verfahren gegen NS-Täter und Kollaborateure. Darüber hinaus gibt es unkonventionellere Initiativen – etwa die Auswertung jüdischer Grabsteine oder Gedenktafeln in Synagogen.

„Die Gedenkblätter sind symbolische Grabsteine“, sagt Dr. Alexander Avram, Direktor der Halle der Namen und der Zentralen Datenbank der Shoah-Opfer, der das Programm seit 37 Jahren leitet „Die meisten Opfer des Holocaust blieben ohne Grab, ohne jede Spur – sie werden heute nur noch durch die Gedenkblätter erinnert, die ihre Namen tragen. Jeder einzelne von ihnen hatte ein Leben und eine Geschichte, so wirklich und kostbar wie jedes andere. Die Nationalsozialisten wollten sie nicht nur ermorden, sondern auch die Erinnerung an sie auslöschen. Indem wir fünf Millionen Namen identifizieren, geben wir ihnen ihre menschliche Identität zurück und stellen sicher, dass die Erinnerung an sie fortbesteht.“

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