Antike Beta-Israel-Handschrift „Orit“ an der Klagemauer

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MK Moshe Solomon, Kes Madhani Mordechai Tabai und Kes Niftalem Naftali Avraham bei der Sigd-Zeremonie an der Klagemauer. Foto: Michael Zekri, Nationalbibliothek Israels.

Am vergangenen Mittwoch feierte die äthiopisch-jüdische Gemeinschaft das Sigd Fest. Erstmals wurde eines der ältesten heiligen Bücher der Beta-Israel-Gemeinde – die Orit – von der Nationalbibliothek Israels zur Klagemauer gebracht, um dort an einer besonderen Sigd-Gebetszeremonie teilzunehmen. Dies ist das erste Mal, dass die 300 Jahre alte Handschrift die Bibliothek seit ihrer Einlieferung im Jahr 2016 verlassen hat.

Die Orit wurde 1982 von Kes Isaac Yaso („Jitzchak der Lehrer“) während seiner beschwerlichen Reise von Äthiopien durch den Sudan nach Israel gebracht. Auf dieser Reise musste er unter anderem Räubern entkommen und das Buch retten. Nach seinem Tod im Jahr 2016 übergab die Familie die Handschrift gemäß seinem Wunsch der Bibliothek zur Aufbewahrung.

Die in der alten Sprache Ge’ez auf Pergament verfasste Orit ist der wichtigste heilige Text der Beta-Israel-Gemeinde. Sie ist ein Oktateuch, die traditionelle Bezeichnung für die ersten acht Bücher der Bibel, bestehend aus den Fünf Büchern Mose sowie den Büchern Josua, Richter und Rut.

Auf Wunsch der Familie und der Gemeindevorsteher verließ die Orit für einige Stunden die Bibliothek, um als zentrales Element einer besonderen Sigd-Gebetszeremonie zu dienen, die von Würdenträgern der Gemeinde an der Klagemauer geleitet wurde.

Foto: Ardon Bar Hama

Die heiligen Schriften der Beta Israel – darunter die Orit, die Bücher der Jubiläen und Henoch sowie verschiedene Gebetbücher – gelten als selten und von außergewöhnlicher kultureller Bedeutung. Im vergangenen Jahr hat die Nationalbibliothek in Zusammenarbeit mit dem Programm „Tofsei HaOrit“ („Orit-Fänger“) der Universität Tel Aviv und dem Ethiopian Jewry Heritage Center weitere Manuskripte digitalisiert und diese Schätze online der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Bislang wurden 16 Handschriften digitalisiert, darunter zwei der frühesten bekannten Orits aus dem 15. Jahrhundert sowie Mezmur Dawit (die Übersetzung der Psalmen Davids ins Ge’ez), Gebetbücher für den Schabbat und Jom Kippur, das Jubiläenbuch, das Arde’et („Das magische Buch der Jünger“) und das Buch Henoch.

Dr. Chaim Neria, Kurator der Jüdischen Sammlung der Nationalbibliothek Israels, erklärt: „Sigd ist ein alter äthiopisch-jüdischer Feiertag, der 50 Tage nach Jom Kippur begangen wird. Es ist ein Tag des Fastens und Betens, der an die Erneuerung des Bundes zwischen Gott und dem jüdischen Volk erinnert und eine tiefe Sehnsucht nach Jerusalem zum Ausdruck bringt.“

Oren Weinberg, CEO der Nationalbibliothek Israels, erklärte, dass es zwar höchst ungewöhnlich sei, das antike Buch aus den Mauern der Bibliothek herauszubringen, „wir aber dem Wunsch der Familie und der Gemeinde nachgekommen sind – aus tiefem Respekt vor ihnen und zu Ehren von Kes Yaso, der diese einzigartige Zeremonie mitinitiiert hat. Das Buch, das er der Bibliothek anvertraute, ist und bleibt ein lebendiger Text, der von seiner Gemeinde genutzt wird.“