Eva Illouz fragt in ihrer knapp gehaltenen Monographie danach, wie sich die Ignoranz in der Linken gegenüber dem Massaker vom 7. Oktober 2023 erkläre. Berechtigt verweist die Autorin dabei auf das moralische Debakel in der Linken, sieht aber dessen Grundlage nur in Identitätspolitik und Postmoderne.
Von Armin Pfahl-Traughber
Bekanntlich führte die Hamas ein grausames Massaker am 7. Oktober 2023 durch. Wenn ein Buch darüber mit „Der 8. Oktober“ als Titel erscheint, könnte der Eindruck einer falschen Terminierung entstehen. Doch dem ist bei Eva Illouz, der bekannten israelischen Soziologin, nicht so. Ihr geht es auch um eine Erschütterung, aber um eine solche über die politische Linke. Von deren Anhängern habe sie erwartet, dass man sich über die Gräueltaten empöre. Doch es kam für Illouz anders, wie sie im Vorwort schreibt: „Ein beträchtlicher Teil der globalen Linken … hat die Existenz dieser Gräueltaten geleugnet oder sie als Akt des ‚antikolonialen Widerstands‘ gefeiert. Diese Linke hat die schockierten und leidtragenden Juden im Stich gelassen, ignoriert, stigmatisiert und einer vermeintlichen Urschuld des israelischen Kolonialismus bezichtigt. Warum? Wie ist es so weit gekommen?“ (S. 7). Antwort auf diese Frage soll eine gerade hundertseitige Monographie geben, worin die sich selbst als Linke verstehende Verfasserin um Verständnis ringt.
Illouz spricht dabei aber nicht von der Linken, sondern von einem bedeutenden Teil. Und sie zitiert mit erschütterter Schreibe einige bekannte linke Wissenschaftler, die „begeistert“ (Russel Rickford) über das Massaker waren oder es „eindrucksvoll“ (Joseph Massad) fanden. All dies geschah bereits in Kenntnis der konkreten Taten, einschließlich der Abschlachtungen kleiner Kinder: „Die Leugnung und die Freude angesichts der Vernichtungswut der Hamas bleiben für mich ein Rätsel, das mich nicht loslässt“ (S. 15). Eine Auseinandersetzung mit den Gründen dafür soll die genannte Monographie liefern. Sie identifiziert dafür das manichäische Denken, das dem als progressiv geltenden Identitätsdenken erwachsen wäre: Die Bösen seien die Israelis, die Guten die Palästinenser. Aus dieser Auffassung erwachse das fehlende Mitleid ebenso wie ein israelfeindlicher Wahn. Dessen ideengeschichtliche Grundlage wird in den Geisteswissenschaften entdeckt, Illouz verweist auf die dortigen Hauptverdächtigen, womit sie die „Postmoderne“ und die „französische Theorie“ meint.
Für diese Deutung gibt es gute Gründe, die auch von Illouz als inhaltliche Zuspitzung vorgetragen werden. Indessen darf hier ein ideengeschichtlicher Einwand formuliert werden, gab es doch schon lange zuvor eine innerlinke Judenfeindschaft. Sie ging auch bei Bakunin und Marx mit rassistischen Stereotypen einher, welche deren Anhänger bis in die Gegenwart hinein ungern wahrhaben wollen. Leider blendet Illouz diesen Traditionsstrang aus. Sie bleibt demgegenüber fixiert auf Postkolonialismus und Postmodernismus, die mit einer Ablehnung der Aufklärung einhergingen. Gleichwohl macht es sich die Autorin mit dieser Eindimensionalität etwas zu einfach, geht es doch nicht nur um den Einfluss eines fremden Geistes. Bereits in den sich radikal gebenden Denkungsarten frühere Jahrhunderte gab es verbreitete Positionen, die eigentlich nicht zu den Idealen einer politischen Linken in ihrem Selbstverständnis passen. Aber gerade in deren unreflektierter Fortexistenz darf wohl mit die gegenwärtige Ignoranz gegenüber den jüdischen Opfern gesehen werden.
Sie münden in einem dualistischen und platten „Anti-Imperialismus“ und „Post-Kolonialismus“, der auch auf Israel als angebliche moderne „Kolonialmacht“ übertragen wurde. Ganz am Ende heißt es bei Illouz entsprechend: „Der Antizionismus, die intellektuell respektable Version des Antisemitismus, verhilft somit zu kognitivem und identitärem Trost“ (S. 91). Dabei gehen der politischen Linken auch ihre universellen Maßstäbe verloren, haben doch Israelis auch Menschenrechte. Nur deren inhaltliche Ignoranz erklärt die erwähnten Reaktionen. Darauf verweist die Autorin dann auf der letzten Textseite: „Man verteidigt die Palästinenser nicht besser, indem man sich tugendhaft gebenden Hass auf Israel an den Tag legt. Und Israel zu verteidigen heißt nicht, vom Kampf für die Rechte der Palästinenser abzulassen“ (S. 92). Eine solche Auffassung besteht auch noch in der politischen Linken, sie droht aber als Minderheitenmeinung dort an den Rand zu geraten. Auf diese Entwicklung macht Illouz aufklärerisch und kritisch – nicht nur gegenüber der Linken – aufmerksam.
Eva Illouz: Der 8. Oktober. Aus dem Französischen von Michael Adrian, Suhrkamp Verlag 2025, 102 S., 12 Euro, Bestellen?




Abgesehen vom marginalen Grüppchen der sog. Anti-Deutschen (um Gremliza & Co. herum) teilen sämtliche Fraktionen der Linken hierzulande und seit jeher einen fundamentalen Wahrnehmungsfehler, der ihnen seit Gründung Israels bei jedem Konflikt, den dessen Feinde anzettelten, immer absurdere Schlussfolgerungen, Bezichtigungen und Verleumdungen nicht bloss des Staates Israel, sondern jüdischen Lebens an sich beschert. Der im Zuge muslimischer Einwanderer abzuschöpfende Beifall wurde gern angenommen, weder primär noch kausal spielte er für das linke Israel-feindliche Ressentiment mitnichten eine wesentliche Rolle. Die linken Denkschablonen entstammen allemal der Vorzeit und zu ihren wichtigsten gehören systematisch skotomisierte politische Betrachtung und habituelle Kritikabwehr. – So gerne und notorisch man Rosa Luxemburg besang, so rigide wurden ihre eindrücklichen Warnungen vor Antisemitismus ignoriert. Stattdessen haben Linksdeutsche mit jeder politischen Etappe ihren perversen „Schuldkult“ gegen Israel weiter vorangetrieben, sei es mittels imaginierter Gleichsetzung der jeweiligen Regierung Israels mit dem NS-Regime, sei es mit dem Völkermord-Vorwurf beim Fraternisieren mit rabiaten osmanischen, arabischen bzw. iranischen Fraktionen usw. Jeder Blick zurück auf die letzten 80 Jahre zeigt, dass von einem „Versagen“ der Linken nach (oder „ab“) dem 7. Oktober nicht im mindesten die Rede sein kann. Von den unglaublich verlogenen Russell-Trubunalen, über die pseudopazifistischen Grossaufmärsche nach 9/11, vom linken Unterwandern in Akademien, in Medienkonzernen und in NGO’s bis zur krassen Riege unserer SPD-Aussenminister – eine schier endlose Kette grotesker judenfeindlicher Veranstaltungen bzw. Prominenz, die den christlichen Mummenschanz von einst perfekt bis heute nachäffen. Vielfach unterscheiden sich linke Parolen und linkes Instrumentarium kaum von dem des NS-Stichwortgebers Alfred Rosenberg, wie bei Robert Wistrich nachzulesen ist. – Wer an der Selbsttäuschung vom linken „Versagen“ bei diesem oder jenem verstrichenen Termin festhält, wird den zentralen linken Denkfehlern und der daraus folgenden Inhumanität in Bezug auf jüdisches Leben kaum beikommen, sondern nur erneut behilflich sein, beider Überwindung zu vertagen.
Einige Belege für diese Anschauung sind hier summiert:
https://docs.google.com/document/d/1pLiLEIYgK8f-25mDGdqfF_SZgum1RTvYHne6uFVI-C4/edit
https://docs.google.com/document/d/12oytdg50-ApdULVx85FHTcEoLLZ26Bw2AJPYUACncPs/edit
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