Israel und Syrien führen erstmals seit Jahrzehnten wieder Gespräche. Es geht um Sicherheit und entmilitarisierte Zonen. Trotzdem operierte die israelische Armee dieser Tage erneut in der Nähe von Damaskus. Wie passt das zusammen?
Von Ralf Balke
Direkte Zusammenstöße zwischen israelischen und syrischen Soldaten am Boden soll es wohl nicht gegeben haben. Doch laut dem Außenministerium in Damaskus seien mehrere syrische Militärangehörige getötet worden, als Israel am Dienstag und Mittwoch damit begann, eine ehemalige Armeebasis in Tal Maneh nahe der Stadt Kisweh etwa 15 Kilometer südlich der Hauptstadt aus der Luft anzugreifen. Die Einrichtung, die vormals der syrischen Luftabwehr diente, soll bis vor wenigen Monaten ebenfalls vom Iran und Teheran nahestehenden Terrororganisationen Hisbollah benutzt worden sein. Berichten der syrischen Nachrichtenagentur SANA zufolge hieß es, dass eine Patrouille der Armee dort Überwachungssysteme entdeckt hätte und bei dem Versuch, sie zu entfernen von israelischen Jets angegriffen worden sei. Am Donnerstagmorgen seien israelische Soldaten erschienen und wären für rund zwei Stunden vor Ort aktiv gewesen. Parallel zu dieser Operation landeten ebenfalls vier israelische Helikopter in der überwiegend von Drusen bewohnten Stadt Sweida. Israel selbst kommentierte diese Berichte nicht.
Es sind nicht die ersten militärischen Einsätze der israelischen Armee auf syrischem Boden in diesen Tagen. Nach dem Zusammenbruch des Assad-Regimes im Dezember vergangenen Jahres operierten israelische Soldaten in der östlich des Golan gelegenen entmilitarisierten Pufferzone zwischen beiden Staaten. „Fast ganz Syrien ist nun unter der Kontrolle von al-Qaeda und dem Islamischen Staat“, erklärte damals Diaspora-Minister Amichai Chikli mit Verweis auf die radikal-islamistische Vergangenheit von Ahmed al-Sharaa, dem neuen starken Mann in Damaskus, der zu diesem Zeitpunkt eher unter seinem Nom de guerre Abu Mohammad al-Julani bekannt war. Man befürchtete die Präsenz genau dieser Gruppen an der Grenze zu Israel und wollte ihnen durch diesen Schritt zuvorkommen. Im Februar berichtete Haaretz unter Berufung auf Satellitenbilder, dass Israel mindestens sieben neue Außenposten in der Pufferzone errichtet habe.
Ebenfalls intervenierte Israel im Juli, als Regierungstruppen anfingen, in der südsyrischen Stadt Sweida Drusen zu drangsalieren und zu ermorden. Hunderte Drusen wurden in diesen Tagen gefoltert und getötet. Israel griff daraufhin als Warnung das Hauptquartier der syrischen Armee und den Präsidentenpalast in Damaskus an. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu erklärte, Israel handle militärisch, um „die Banden des Regimes“ in Syrien zu eliminieren und „unsere drusischen Brüder zu retten“.
Und dennoch: Damaskus und Jerusalem befinden sich in fortgeschrittenen Gesprächen über ein Sicherheitsabkommen, hieß es vor einigen Tagen. Das jedenfalls erklärte Nadim Koteich, General Manager von Sky News Arabia, nachdem er an einem Treffen zwischen Präsident Ahmad al-Sharaa und Journalisten teilgenommen hatte. Eingefädelt haben diese Kontakte die Vereinigten Staaten. Tom Barrack, US-Gesandter für die Region sei regelmäßig zwischen beiden Hauptstädten hin- und her gependelt und hätte so einen Draht aufgebaut. Aber für Euphorie wäre noch kein Platz, die Wahrscheinlichkeit, dass Israel und Syrien bald Botschafter austauschen, ist gleich null. Dennoch: Ahmed al-Sharaa sagte, ein Friedensabkommen stehe derzeit gewiss nicht auf der Tagesordnung. Wenn sich jedoch in Zukunft herausstellen sollte, dass ein solches den Interessen Syriens und der Region dienen könnte, würde Damaskus sich nicht dagegen stellen. Syrische Regierungsquellen betonen, dass die Gespräche mit Israel sich auf Sicherheitsmaßnahmen beschränken, die schrittweise umgesetzt werden sollen, um so eine Grundlage für Vertrauensbildung zu schaffen. Doch die Tatsache, dass ein syrischer Präsident mit der islamistischen Vergangenheit eines Ahmed al-Sharaa so spricht, ist erst einmal ungewöhnlich und sollte aufhorchen lassen.
Israel dagegen hat sich zu den Gesprächen so gut wie überhaupt nicht geäußert. Eigentlich war man anfangs auch nicht daran interessiert, weil man befürchtete, durch Zusagen oder andere Verpflichtungen die eigene Handlungsfreiheit in Syrien einzuschränken. Lieber hätte man ganz klassisch eine lange Phase der Vertrauensbildung angestrebt, die am Ende – falls erfolgreich – ein umfassendes Friedensabkommen hervorbringen könnte. Doch es war wohl der politische Druck aus Washington, der Israel dazu brachte, es erst einmal mit Gesprächen über ein Sicherheitsabkommen zu versuchen. Und dann waren da noch die Massaker in Sweida, bei denen insgesamt über 1.300 Menschen, die allermeisten davon Drusen, getötet wurden. Die Drusen in Israel machen das Regime von Präsident Ahmed al-Sharaa dafür verantwortlich. Israel selbst sieht sich als Schutzmacht der drusischen Minorität in Syrien, weshalb alles andere als diese Hintergrundgespräche bei den Drusen in Israel derzeit nicht gut angekommen wäre. Die von US-Präsident Donald Trump vor einigen Monaten angedeutete Einbeziehung Syriens in die Abraham-Abkommen sehen Experten daher kritisch. Es handele sich dabei wohl eher um „eine finanzielle Phantasie, angefacht von Trump“, so das Urteil von Carmit Valensi, Researcherin am Institute for Nation Security Studies (INSS), einem unabhängigen Thinktank der Universität Tel Aviv gegenüber der Tageszeitung „Haaretz“. „Man erkennt in Israel, dass ein solcher Ansatz aus sicherheitspolitischer und politischer Sicht noch nicht realisierbar ist. Das Regime ist weit davon entfernt, stabil zu sein. Wir brauchen eine Art Testphase – wir sollten vorsichtig mit einem begrenzten Sicherheitsabkommen beginnen und sehen, ob die andere Seite es auch einhalten kann.“
Laut israelischen Medienberichten von Anfang dieser Woche nähern sich Damaskus und Jerusalem einer Einigung, wobei das zur Diskussion stehende Abkommen sich eigentlich nur auf eine Rückkehr zum Status von vor knapp einem Jahr handeln würde, und zwar auf die Rückzugslinien, auf die sich beide Seiten 1974 einige Monate nach dem Jom-Kippur-Krieg geeinigt hatten. Es gehe dabei vor allem um die Wiederherstellung der damals vereinbarten entmilitarisierten Zone und der syrischen Souveränität auf diesem Gebiet. Diese erstreckt sich vom israelisch-jordanisch-syrischen Dreiländereck im Süden bis hoch auf den Berg Hermon und wurde von der United Nations Disengagement Observer Force, der am längsten andauernden Mission der Vereinten Nationen, überwacht. Doch Israel beharrt auf einige Änderungen, und zwar einer andauernden Kontrolle über den syrischen Süden, um – eine Lehre der Massaker vom 7. Oktober 2023 – besser vor Überraschungen geschützt zu sein, was zugleich eine Entmilitarisierung weiteren syrischen Gebiets mit sich bringen würde. Last but not least fordert Jerusalem die Einrichtung eines „humanitären Korridors“, um die Drusen in Sweida versorgen und vor weiterer Gewalt schützen zu können. Denn diese ständen unter einer Blockade des Regimes. Genau das kam wohl in den beiden Treffen, die es zwischen Ron Dermer, Israels Minister für strategische Angelegenheiten, sowie Syriens Außenminister Asaad al-Shibani unter amerikanischer Vermittlung in Paris gab zur Sprache. Ob die syrische Regierung auf die israelischen Forderungen in Gänze oder nur partiell eingehen wird und inwieweit Israel zu Konzessionen bereit ist, lässt sich derzeit schwer vorhersehen.
Fakt aber ist die Tatsache, und das stärkt die israelische Verhandlungsposition, dass das neue Regime in Damaskus unter Druck steht. Einerseits droht eine erneute Abhängigkeit, die der alten des Diktators Bashar al-Assad vom Iran ähneln könnte, nur wäre diesmal die Türkei die vorrangige Schutzmacht. Und Ankara hätte nicht unbedingt viel Verständnis für eine allzu große Annäherung zwischen Syrien und Israel. Nicht nur deshalb würde man in Damaskus als Gegengewicht gerne auch die Vereinigten Staaten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate oder die Europäer als Unterstützer eines Wiederaufbaus und Investoren an Bord holen. Um diese aber überzeugen zu können, muss Präsident Ahmed al-Sharaa das Land anders in den Griff kriegen als bisher und die Handlungsfähigkeit des Staates unter Beweis stellen. Kurzum, er muss zeigen, dass seine Regierung nicht nur für einige Gruppen, in diesem Fall arabische und sunnitische Moslems, da ist, sondern für alle Bürger. Genau das dürfte ein Problem für Ahmed al-Sharaa werden.
Umgekehrt weiß auch Israel, dass anders als früher Syrien militärisch keine ernstzunehmende Bedrohung mehr darstellt. Aber ein zu schwaches Regime kann auch eine Gefahr sein, weil sich beispielsweise radikale Palästinensergruppen oder die Hisbollah im Süden nahe der Grenze zu Israel einnisten könnten. Das will man unter allen Umständen vermeiden, weshalb es durchaus ein Interesse gibt, dass etwas mehr Stabilität in Syrien zu sehen ist – auch wenn der neue starke Mann eine radikal-islamistische Vergangenheit hat. Ohnehin fällt auf, dass es in all den Gesprächen bis dato auch nicht um den Golan geht, den Israel 1967 erobert hatte und den Syrien weiterhin als sein Staatsgebiet betrachtet. Israel habe deshalb langfristig mehr zu verlieren als zu gewinnen, wenn man weiterhin aggressiv und militärisch in Syrien vorgehe. „Daher ist es unter der Schirmherrschaft amerikanischer und internationaler Unterstützung durchaus angebracht, einer Sicherheitsvereinbarung mit dem syrischen Regime eine verantwortungsvolle und faire Chance zu geben“, so INSS-Expertin Carmit Valensi. „Ein Abkommen mit dem al-Sharaa-Regime könnte zur Stabilisierung der Nordgrenze, zur Schwächung der iranischen Achse und zur Verbesserung der Position Israels auf der internationalen Bühne beitragen.“
Angenehm nüchterner und durchdachter Bericht, danke dafür + Grüsse / B.L.
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