
Ein Interview mit der Köln-Nippeser Bezirksbürgermeisterin Dr. Diana Siebert
Von Roland Kaufhold
RK / haGalil: Seit April 2024 findet in Köln der wöchentliche RUN für die israelischen Geiseln statt. Wie nehmen Sie diesen wahr?
Siebert: Das Hamas-Pogrom vom 7.10.2023, die Ermordung von 1200 Israelis und die Verschleppung von so vielen israelischen Geiseln in die Terrortunnel der Hamas bleibt ein Schock und stellt eine Zäsur da. Die schärfste Zäsur seit 1945 für Jüdinnen und Juden weltweit.
Ich war nur bei ganz wenigen Kölner Demonstrationen für Israels Selbstverteidigungsrecht. Ich bin, neben meinem zeitaufwendigen ehrenamtlichen Job als Bürgermeisterin von Köln-Nippes vor allem Osteuropaexpertin. Ich bin bei vielen Kölner Demonstrationen für Belarus und für die Ukraine gewesen und habe schon ganz zu Beginn eine Rede gehalten.
Die auch militärische Unterstützung der Ukraine durch den Westen muss absolute Priorität haben. Das gilt in vergleichbarer Weise, von der Grundhaltung her, für Israel. Jüdinnen und Juden brauchen Solidarität, gerade nach dem Pogrom.
Darum ist es sehr wichtig, dass auch von Köln aus wie in wohl einem Dutzend weiterer Städte, regelmäßig ein solcher RUN für die Geiseln stattfindet. Die Zivilgesellschaft ist gefragt. Die Zivilgesellschaft muss mit dafür sorgen, dass die Geiseln nicht vergessen werden.
Der RUN versteht sich ja bewusst als keine politische, sondern als eine strikt humanitäre weltweite Bewegung…
Das strikt humanitäre Anliegen des RUNS empfinde ich als eine große, ermutigende zivilisatorische Grundhaltung. An die Verschleppung von so vielen Menschen, von so vielen Israelis, dürfen wir uns nicht gewöhnen! An das Schicksal der Geiseln muss fortgesetzt erinnert werden. Damit sie freikommen.
Die Bedrohung für Jüdinnen und Juden in Köln ist seit dem Hamas-Pogrom massiv gewachsen. Was können Politik und Polizei tun?
Selbstverständlich habe ich den terroristischen Angriff im amerikanischen Boulder Anfang Juni mitbekommen. Ein 45jähriger Mann greift den RUN an, an dem sich vor allem viele betagte amerikanische Juden beteiligt haben. Es kam zu acht Verletzten, die Justiz hat den Mordanschlag als hate crime eingestuft. Einige Wochen später verstarb eine betagte Shoa-Überlebende an den Spätfolgen des antisemitischen Angriffs.
Ich bin erleichtert, dass Ihr RUN regelmäßig und zuverlässig durch die Kölner Polizei begleitet und geschützt wird. Dennoch, so erzählt man mir, kommt es regelmäßig zu Beleidigungen und Bedrohungsgesten. Solche Übergriffe müssen durch die Polizei und Justiz strikt und konsequent geahndet werden! Nur so kann das Gefühl der Sicherheit für Kölner Jüdinnen und Juden und Kölner Freundinnen Israels wieder hergestellt werden. Dafür setze ich mich auch im Stadtbezirk Köln-Nippes ein.
In gleichem Maße ist die Erinnerungsarbeit an die Shoah und an den Widerstand wichtig. Wir haben vor wenigen Monaten in Nippes zum Beispiel ein Mahnmal für die Edelweißpiraten eingeweiht, in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Gymnasium. Der kürzlich leider verstorbene Gerhart Baum und Peter Finkelgruen haben diese Initiative nachdrücklich, sogar in ihrem hohen Alter, unterstützt.
Was kann die Kölner Zivilgesellschaft ansonsten tun, um Israel zu unterstützen?
Siebert: Ich las soeben bei Ihnen von dem neu gegründeten israelischen Bündnis „Mütter an der Front“. Dem Bündnis gehören wohl 15 israelische Frauenorganisationen an. Ja, das ist toll!
Ich vermag aus der großen Entfernung heraus nicht zu beurteilen, welcher Weg zu einer Befreiung der noch lebenden Geiseln und der Überlieferung der ermordeten Geiseln führt. Ich weiß nicht, ob die Besetzung des Gazastreifens ein Weg sein kann, habe jedoch große Zweifel.
Die große Mehrheit der Familien der Geiseln lehnt dies zumindest ab. Auf sie sollten wir hören, denke ich. Die jüngste große Demonstration in Tel Aviv, aber auch in ganz Israel fordert einen sofortigen Waffenstillstand und die sofortige Freilassung aller Geiseln. Dies fordert auch diese neue Frauenorganisation. Diese Forderung erscheint mir als vernünftig. Sie erhält nur eine Perspektive, wenn dies mit einer sofortigen Freilassung aller Geiseln verbunden ist. Auch als Partnerstadt von Tel Aviv sollten wir solche konkreten Forderungen unterstützen.
Ich bin froh, dass dieser Zusammenschluss von 500 israelischen Frauen beides fordert, als unverzügliche Maßnahme. So ein Druck auf die Regierung ist sinnvoll. Die deutsche Regierung und alle demokratischen Parteien sollten hierzulande vor allem den Druck auf die Hamas erhöhen.