Der bekannte Antisemitismusforscher Stephan Grigat legt einen neuen Sammelband mit eigenen Texten vor: „Vom Antijudaismus zum Hass auf Israel. Interventionen zur Kritik des Antisemitismus“. Deren Beiträge erschienen zuvor an unterschiedlichen Orten, sie liefern in der gebündelten Form viele interessante Positionierungen, die insbesondere auf Formen einer antisemitischen Israelfeindlichkeit bezogen sind.
Von Armin Pfahl-Traughber
Bekanntlich nahm der Antisemitismus direkt nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 wieder zu. Der genaue Blick auf die Chronologie der Ereignisse veranschaulicht, dass hierbei nicht die militärischen Reaktionen des israelischen Staates entscheidend waren. Eher boten Anspielungen darauf später scheinbare Legitimationen, sei es für Rechtfertigungen oder Relativierungen. Kritische Blicke auf solche Entwicklungen hatten zuvor einige Forscher geworfen, die sich durch die Ereignisse hinsichtlich ihrer Interpretationen bestätigt fühlen mussten. Zu ihnen gehört auch Stephan Grigat, der die Professur für Theorien und Kritik des Antisemitismus an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen innehat. Jüngst legte er zu den angesprochenen Fragen eine eigene Monographie vor, die „Vom Antijudaismus zum Hass auf Israel. Interventionen zur Kritik des Antisemitismus“ überschrieben wurde. Die Formulierung „Interventionen“ im Untertitel ist dabei treffend, geht es doch in den Beiträgen um Stellungnahmen zu dem angedeuteten Themenspektrum.
Die zwanzig Beiträge unterschiedlichster Länge wurden in drei Teile untergliedert: Nach einer Einführung zur „Antisemitismuskritik vor und nach dem 7. Oktober“ finden sich Interviews, die in den letzten Jahren etwa in „Die Welt“ oder „Die Zeit“ erschienen. Der Autor geht darin auf allgemeine Fragen ein, wobei sich seine Antworten mitunter wie eine kurze Einführung in den Themenkomplex lesen. Dabei geht es um ganz unterschiedliche Aspekte, sei es die Erinnerungspolitik und den „Historikerstreit 2.0“, sei es den „linken Israelhass“ und die Shoahrelativierung. Dem folgen Abdrucke älterer Aufsätze, die angesichts aktueller Ereignisse erneutes Interesse verdienen. Ein Blick zurück geht auf die christliche und islamische Judenfeindschaft ein, verkoppelt mit Betrachtungen zur antisemitischen Israelfeindlichkeit. Außerdem geht es um den Antisemitismus des islamischen Regimes, wobei differenziert die Ausrichtung der Judenfeindschaft unterschieden, gleichzeitig aber auch die Naivität deutscher Politik gegenüber dem „islamischen Staat“ kritisiert wird.
Außerdem erinnert der Autor an einen vergessenen Exodus, mussten doch 1948 viele Juden aus den arabischen Ländern fliehen, woran heute nicht durch Demonstrationen wie zur angeblichen oder tatsächlichen „Nakba“ erinnert wird. Grigat würdigt danach den israelischen Historiker Benny Morris, der sich durch differenzierte Forschungsarbeiten auf Quellenbasis gleich bei unterschiedlichsten Seiten „unbeliebt“ gemacht hat. Dies gilt auch für Detailfragen wie das Deir Jassin-Massaker, das mal eine Dramatisierung und mal eine Verharmlosung erfahren hat. Und dann gibt es noch Abhandlungen zum Antisemitismus in der österreichischen Linken und allgemein zu linkem Israelhass und Zionismusverständnis. Der letzte Abschnitt erinnert an Johannes Agnoli als Staatskritikern und thematisiert kritisch das Antisemitismus- und „Arbeitsfetischismus“-Verständnis in unterschiedlichen Zusammenhängen. Diese Beiträge machen noch einmal den wissenschaftstheoretischen Background für Grigat aus der kritischen Theorie deutlich.
Bilanzierend betrachtet könnte man das Fragmentarische des Gesamtbandes problematisieren, aber dafür ist der Sammelband nun einmal ein Sammelband. So etwas ist für dieses „Genre“ grundsätzlich ein Problem. Man findet aber durchgängig wichtige Anregungen und Deutungen, um die aktuelle Auseinandersetzung ideen- wie realgeschichtlich einer Einordnung zu unterziehen. Die am Beginn abgedruckten Interviews vermitteln auch noch einmal grundlegende Positionen. Die längeren Aufsätze verweisen auf viele Details, die häufig genug nur geringe Beachtung in der polarisierten Debatte gefunden haben. Der linke Antisemitismus steht bei all dem etwas zu sehr im Zentrum, gleichwohl wird ihm in der allgemeinen Debatte häufig genug nicht genügend Interesse gewidmet. Agnolis Parlamentarismus- und Staatskritik hätte man selbst wieder kritischer sehen können. Aber das sind alles eher marginale Aspekte einer Kritik, die nicht nur den intellektuellen Reiz der Texte nicht schmälern kann und will.
Stephan Grigat, Vom Antijudaismus zum Hass auf Israel. Interventionen zur Kritik des Antisemitismus, Verlag Barbara Budrich 2025, erschienen auch im Open Access als kostenfreier PDF-Download.
Aus dem Buch:
Terror aus Teheran
Der Antisemitismus der Ajatollahs, die Struktur des iranischen Regimes und die deutsche Iran-Politik