„Ich bin kein Zeitzeuge“

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Emil Carlebach als Jugendlicher bzw. bei einer Veranstaltung 1995, Foto: Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora//Freundeskreis e.V.

Zum 111. Geburtstag von Emil Carlebach – Widerstandskämpfer und ehemaliger Häftling der KZ Dachau und Buchenwald

Von Christoph Leclaire

Am 10. Juli 1914 wurde Nathan Emil Carlebach in Frankfurt am Main geboren. Er wuchs auf in einer bürgerlichen, jüdischen Familie. Nach dem Abitur begann er eine kaufmännische Ausbildung, um das Geschäft seines Vaters zu übernehmen. Das Schicksal der beiden Ende der 1920er Jahre in den USA hingerichteten Arbeiter Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti weckte sein „jugendliches Gerechtigkeitsgefühl“ und politisierte ihn. Emil Carlebach betätigte sich gegen den Willen seiner Eltern zunächst im Sozialistischen Schülerbund, trat dann 1931 in den Kommunistischen Jugendverband (KJVD) und ein Jahr später in die KPD ein. Seit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten war er illegal (als „Norbert“) tätig und wurde schließlich im Jahr 1934 bei der Herstellung antifaschistischer Gewerkschaftszeitungen (erneut) von der Gestapo verhaftet. Er wurde wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, die er in Hameln und Hannover (Einzelhaft) absaß.

Nach der Verbüßung seiner Haftstrafe wurde Emil Carlebach in sogenannte „Schutzhaft“ genommen und als „politischer Jude“ in das KZ Dachau eingewiesen. Ende September 1938 kam er schließlich in das KZ Buchenwald. Dort wurde er in verschiedenen Arbeitskommandos eingesetzt – später war er auch „Blockältester“ im jüdischen Häftlingsblock 22. Emil Carlebach war Teil der illegalen Widerstandsorganisation im Lager, in der er verschiedene Funktionen innehatte. Anfang April 1945 sollten er und andere vermeintliche Mitglieder des Lagerwiderstandes („Liste der 46“) durch die SS ermordet werden. Er wurde versteckt und bekam eine neue Identität, so dass er schließlich am 11. April die Selbstbefreiung der Häftlinge in Buchenwald erleben konnte. Insgesamt elf Jahre seines jungen Lebens verbrachte er in Gefängnissen und in Konzentrationslagern. Insbesondere die Zeit in den Lagern wurde für ihn eine „Schule für‘s Leben“ in der er neben Disziplin und Standhaftigkeit vor allem Solidarität lernte.

Im Mai 1945 kehrte Emil Carlebach nach Frankfurt am Main zurück und beteiligte sich am demokratischen Neubeginn in Hessen. Er baute die wieder erlaubte KPD mit auf, wurde deren Abgeordneter im hessischen Landtag und arbeitete an der neuen Landesverfassung mit. Darüber hinaus begann er (s)eine publizistische Laufbahn – zunächst als Mitherausgeber und einer der Chefredakteure der „Frankfurter Rundschau“. Zudem war er Mitbegründer der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN).

Emil Carlebach in Frankfurt nach der Befreiung, Foto: Lena Sarah Carlebach

Im Lauf der Jahre bzw. seines Lebens folgten diverse politische Aktivitäten in verschiedenen Bereichen und eine umfangreiche publizistische Tätigkeit zu Themen der Geschichte und Politik. Als ehemaliger Widerstandskämpfer und NS-Verfolgter war ihm die Geschichtsvermittlung und Aufklärung über den Faschismus stets ein wichtiges Anliegen. So war er auch als Zeitzeuge bei den verschiedensten Gelegenheiten und Veranstaltungen in der gesamten BRD aktiv. Er blieb bis zu seinem Tode ein überzeugter Kommunist und Antifaschist im Sinne des „Schwurs von Buchenwald“. Emil Carlebach starb am 9. April 2001 in Frankfurt am Main.

Emil Carlebach vor dem Glockenturm des Mahnmals der Gedenkstätte am 49. Jahrestag der Selbstbefreiung Buchenwalds. Neben ihm die Kameraden (v.l.n.r.): Guy Ducoloné, Kurt Julius Goldstein und Pierre Durand, Foto: Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora//Freundeskreis e.V.

Ich habe Emil Carlebach in einer von mir initiierten Veranstaltung an der Universität in Münster im Februar 1995 als „Zeitzeugen“ kennengelernt. Eine Bezeichnung, gegen die er sich immer verwahrte, denn er verstand sich als aktiv handelnder Mensch. Diese in jeder Hinsicht beeindruckende Begegnung mit ihm wurde für mich zum Anstoß für zahlreiche weitere „ZeitzeugInnengespräche“ mit anderen Verfolgten des Naziregimes und war insbesondere auch der Beginn einer tiefen Verbundenheit mit Buchenwald. Emil Carlebach selbst war noch mehrere Male bei uns in Münster und wir blieben in freundschaftlichem Kontakt. Sein umfassendes Wissen bzw. seine Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus waren für mich als (angehenden) Historiker von unschätzbarem Wert. Im Laufe der Zeit wurde mir mehr und mehr klar, dass Emil Carlebach aber nicht „nur“ ein NS-Verfolgter, sondern eine außergewöhnliche und auch umstrittene Persönlichkeit der Zeitgeschichte war. Darüber hinaus bewunderte ich seine Wortgewandtheit, seinen trockenen Humor und vor allem seine konsequente Haltung. Alles in allem haben mir die Freundschaft mit Emil Carlebach und die vielen Gespräche in vertrauensvoller Offenheit mir gegenüber persönlich sehr viel gegeben. Ich werde ihn – diesen kämpferischen Menschen – nie vergessen und seine Geschichte weitergeben!

Siehe auch: https://www.muenster.org/vvn-bda/z_emil.htm

https://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Carlebach

In den Arolsen Archives befinden sich zu Emil Carlebach viele Dokumente aus dem KZ Buchenwald: https://collections.arolsen-archives.org/de/search/person/5651286?s=emil%20carlebach&t=0&p=0

Interview mit Emil Carlebach im Zeitzeugenportal: https://www.zeitzeugen-portal.de/personen/zeitzeuge/emil_carlebach

Literaturtipp: Christoph Leclaire und Ulrich Schneider: Emil Carlebach – Widerstandskämpfer und ehemaliger Häftling des Konzentrationslagers Buchenwald. Dokumentation zum 100. Geburtstag, hrsg. von der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/Freundeskreis, Bonn 2014.