
Offiziell finden die nächsten Wahlen zur Knesset erst im Oktober kommenden Jahres statt. Doch bereits jetzt formieren sich die Gegner des amtierenden Ministerpräsidenten. Und alle fragen sich, ob der Ausgang des Krieges mit dem Iran Benjamin Netanyahu langfristig nutzen kann.
Von Ralf Balke
Der Herausforderer ist noch nicht ganz offiziell, Kandidaten gibt es aber gleich mehrere. Da ist erst einmal Naftali Bennett, der nach einer selbst auferlegten Pause in der Politik offensichtlich Ambitionen zeigt, Ministerpräsident Benjamin Netanyahu zu beerben. Anfang Juni war seine neue Partei offiziell registriert. Einen endgültigen Namen hat sie noch nicht, weshalb alle von „Bennett 2026“ sprechen. Die Tatsache, dass Naftali Bennett, der bereits von Juni 2021 bis Juni 2022 Ministerpräsident der vorzeitig gescheiterten Acht-Parteienkoalition war, die es geschafft hatte, bei den Wahlen im März 2021 Benjamin Netanyahu kurzfristig abzulösen, erneut antritt, ist keine Überraschung. Darüber spekuliert wurde schon lange. Offen war aber die Frage, wer mit ihm zusammenarbeiten würde, wenn es so weit ist. Auch die Folgen seines Comebacks für die anderen Parteien und Politiker, die die amtierende Koalition gerne ablösen wollen, sind schwer absehbar. Denn bekanntermaßen ist die israelische Politik extrem volatil, neue Player und überraschende Ereignisse können zusätzlich jede Prognose sofort obsolet machen.
Der erste, der nun für Schlagzeilen sorgen sollte, war Gadi Eisenkot. Der Ex-Generalstabschef war bis dato Partner von Benny Gantz und dessen zentristischer Nationalen Einheitspartei. Vergangene Woche erklärte Gadi Eisenkot, dass er die Zusammenarbeit beenden werde und aus der Partei austrete. Der offizielle Grund: Meinungsverschiedenheiten über die Strategie für die nächsten Wahlen, genauer gesagt über die Vorwahlen, die Personalfragen über die Parteispitze hätten klären sollen. Er wollte eine breiter gefächerte politische Plattform, um möglichst viele und unterschiedliche Personen in einen Wahlkampf einzubinden, Benny Gantz war dagegen, weil er zu viele interne Konflikte befürchtet, sollte dies der Fall sein. Vielleicht sah Gadi Eisenkot aber auch die Gefahr, dass der politisch eher glücklos agierende Benny Gantz nicht wirklich ein politischer Partner sein kann, der seinen Ambitionen gerecht wird. Und Gadi Eisenkot war nicht der einzige, der der Nationalen Einheitspartei den Rücken kehrte. Matan Kahana, ein rechter Politiker, der sich 2022 Benny Gantz angeschlossen hatte, folgte ihm.
Nun lautet die große Frage: Welcher anderen Gruppierung wird Gadi Eisenkot beitreten. Denn der Ex-Militär gilt als populär, weshalb er ein umworbener Partner ist, der bei Wahlen zusätzliche Stimmen verspricht. Mehrere Optionen gibt es. Zum einen könnte er mit der anderen großen zentristischen Partei, und zwar Yesh Atid, zusammenarbeiten. Doch deren Vorsitzender Yair Lapid hat etwas mit Benny Gantz gemein, und das ist das gleichfalls glücklose Agieren gegen den Platzhirsch Benjamin Netanyahu. Zum anderen soll es auch Gespräche mit Yair Golan von der Partei „Die Demokraten“ gegeben haben. Für die Linkszionisten wäre Gadi Eisenkot eine optimale Ergänzung, um eher zentristische Wähler anzuziehen. Darüber hinaus gab es Vermutungen, dass der Ex-Generalstabschef selbst einem Bündnis verschiedener Parteien, darunter Yesh Atid und Nationale Einheitspartei, voranstehen könnte, die nicht in Benjamin Netanyahus Koalition vertreten sind. Dafür aber hätten Benny Gantz und Yair Lapid ihre Ambitionen hinten anstellen müssen, selbst Ministerpräsident zu werden.
Doch auch dieses Szenario ist nun reichlich unrealistisch geworden. Und das, weil Naftali Bennett nun seinen Hut in den Ring geworfen hat, weshalb es aus aktueller Sicht für Gadi Eisenkot die interessantere Option sein könnte, mit ihm gemeinsam anzutreten. „Insider sagen, Eisenkot plane einen >politischen Paukenschlag< gegen Netanyahu“, titelte bereits die Tageszeitung „Haaretz“. Denn „Bennett 2026“ wäre aus dem Stand heraus bereits die zweitstärkste Kraft in der Knesset, wenn es jetzt Wahlen geben würde. Seit einem Monat, also dem Moment, an dem die Partei offiziell registriert war, kommt sie in den Umfragen auf 24 oder 25 Mandate im Parlament. Alle anderen potenziellen Herausforderer von Benjamin Netanyahu mussten dagegen seither ordentlich Federn lassen, beispielsweise Avigdor Lieberman mit seiner Partei Israel Beitenu, der sich monatelang auf einem Höhenflug befand, sackte von satten 19 Mandaten auf etwa neun oder zehn ab. Der Nationalen Einheitspartei erging es ähnlich, sie schrumpfte um fast zwei Drittel und käme derzeit auf gerade einmal sechs Parlamentarier. Last but not least halbierte sich in den Umfragen auch der Zuspruch für Yair Lapid. Seine Yesh Atid-Partei käme gerade einmal auf sieben bis neun Sitze. Bei den letzten Wahlen reichte es noch für 24 Sitze.
Nichts ist unzuverlässiger als eine Meinungsumfrage zu Wahlen ist Israel heißt es gerne, weshalb jede Form von Prognose unseriös ist und selbst Momentaufnahmen mit Vorsicht zu betrachten sind. Dennoch haben sich viele Experten die Frage gestellt, inwieweit der „Zwölftagekrieg“ mit dem Iran etwas an der Popularität von Benjamin Netanyahu und seiner Koalition geändert hätte. Und in der Tat zeigt die erste Wählerbefragung nach Beendigung der Kampfhandlungen, durchgeführt im Auftrag von TV-Kanal 12, ein leichtes Plus für den Likud, und zwar um zwei bis vier Sitze im Vergleich zu den Umfragen aus der Zeit davor. Demnach würde die Partei des Premiers derzeit auf 26 Sitze in der Knesset kommen – auch das ist eine Zahl, die weit entfernt ist von den 32 Mandaten, die der Likud in der jetzigen Knesset hat. Viel interessanter ist aber die Tatsache, dass die Koalition weiterhin keine Mehrheit mehr haben würde. So verfestigte sich der sich seit Monaten zeigende Trend, dass die Partei der Religiösen Zionisten von Finanzminister Bezalel Smotrich an der 3,25 Prozent-Hürde scheitern würde. Auch dessen rechtsradikaler Bündnispartner Itamar Ben Gvir und dessen Partei Otzma Yehudit würden etwa drei Mandate verlieren, weshalb die aktuelle Regierung nur auf 49 Sitze von 120 in der Knesset käme, die Oppositionsparteien – inklusive „Bennett 2026“ – aber auf 61 Sitze.
Wird aber die Frage gestellt, wen die Israelis als Ministerpräsidenten bevorzugen würden, liegt Benjamin Netanyahu derzeit mit 38 Prozent gegenüber 35 Prozent für Naftali Bennett vorne im Rennen – übrigens das erste Mal seit Monaten. Es handelt sich aber um eine Momentaufnahme, das weitere Agieren im Rahmen einer Lösung für den Krieg im Gazastreifen oder andere sicherheitsrelevante Ereignisse können das Bild schlagartig wieder ändern. Dennoch hat der Zwölftagekrieg laut Einschätzung von Professor Tamar Hermann, Expertin für Analyse der öffentlichen Meinung am Israel Democracy Institute erst einmal wenig an der Situation geändert, dass es zwei ziemlich verfestigte politische Lager gibt, Netanyahus Anhänger unterstützen ihn noch mehr und seine Gegner lehnen ihn weiterhin ab, erklärt sie gegenüber dem „Guardian“. „Sie bewerten den Krieg gegen den Iran zwar als sehr erfolgreich, trauen Netanyahu aber nicht.“ Anders dagegen Analysten, die der aktuellen Regierung nahe stehen. „Die von Ministerpräsident Netanyahu durchgeführte Operation gegen den Iran war zweifellos gerechtfertigt, aber sie hat ihm auch politisch genützt“, sagt beispielsweise Udi Tenne, ein strategischer Berater und Wahlkampfmanager von Regierungsvertretern. „Um es metaphorisch auszudrücken: Die auf den Iran abgefeuerten Raketen landeten auch in der israelischen Opposition.“
In dem ersten großen Interview seit seinem Rücktritt im Juni 2022 attestierte Naftali Bennett dieser Tage das Management des Krieges im Gazastreifen. Und er konstruiert bereits sein eigenes Narrativ, wenn es um die Zeit vor dem 7. Oktober 2023 geht. So verteidigte der wahrscheinliche Bibi-Herausforderer seine Zeit als Ministerpräsident und behauptete, dass es damals Pläne zur Tötung von Yahya Sinwar und anderen Hamas-Führern im Gazastreifen gegeben hätte. Diese seien jedoch nicht verwirklicht worden, „weil Idit Silman die Regierung stürzte“ – damit bezog er sich auf den Abgeordneten seiner damaligen Yamina-Partei, die den Lockrufen von Benjamin Netanyahu nicht widerstehen konnte und durch ihren Seitenwechsel ins gegnerische Lager die damalige Acht-Parteien-Koalition zum Einsturz bracht. „Wir diskutierten darüber, die gesamte Hamas zu enthaupten“, sagte er und betonte, dass dies nicht deshalb geschah, weil man so etwas wie den Angriff vom 7. Oktober 2023 geahnt habe – das Gegenteil wäre der Fall gewesen. Denn auch Naftali Bennett erklärte, aufgrund von Warnungen der Sicherheitschefs von einem größeren Konflikt, ausgelöst durch Spannungen rund um den Tempelbergs in Jerusalem, ausgegangen zu sein. Da er befürchtete, dass daraus ein Mehrfrontenkrieg werden könnte, wollte er damals die Initiative gegen die Hamas ergreifen.
Naftali Bennett schließt in dem Interview jegliche zukünftige Zusammenarbeit mit Benjamin Netanyahu kategorisch aus und betont, dass 20 Jahre Amtszeit für einen Premierminister in jeder Demokratie mehr als genug seien. Der Premier habe zudem reichlich Schaden angerichtet, weil er keine Verantwortung für sein Versagen übernommen und „Gift“ in der israelischen Gesellschaft verbreitet habe. Des weiteren kritisiert Naftali Bennett das Versagen des Ministerpräsidenten beim Thema Wehrpflicht für Ultraorthodoxe.
Danke für diese interessante Betrachtung. – Ein Satz fällt auf durch seine mutmassliche Unvollständigkeit: „In dem ersten großen Interview seit seinem Rücktritt im Juni 2022 attestierte Naftali Bennett dieser Tage das Management des Krieges im Gazastreifen.“ Es soll wohl die Kritik an der Kriegsführung in Gaza erwähnt werden (?).
Dem langjährigen Kenner der israelischen Binnen-Politik sei bei dieser Gelegenheit die Frage gestellt, wie die Warnmeldungen von Dan Ben-David einzuschätzen sind, zuletzt verfasst in diesem Beitrag v. 07.07.25:
https://blogs.timesofisrael.com/just-not-bibi-is-not-an-action-plan-for-a-national-pivot/
bzw. zuvor Ende 2024:
Despair, unfeasible separation from the Haredim, or an Israel 2.0 roadmap von Ende 2024
https://bendavid.org.il/articles/oped-BenDavid-SeparationVSIsrael2Eng.pdf
Ergänzend dazu die Lintl-Übersicht:
https://www.swp-berlin.org/10.18449/2020S21/
Freundlichen Gruss – B.L.
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