Islamischer Antisemitismus und der 7. Oktober – Betrachtungen eines liberalen Muslim

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Er kritisiert den islamischen Antisemitismus und versteht sich als liberaler Muslim: Abdel-Hakim Ourghi. In seinem neuen Buch „Die Liebe zum Hass. Israel, 7. Oktober 2023“ erörtert er aufklärerisch und kritisch die gegenwärtige Situation zu den genannten Themen.

Von Armin Pfahl-Traughber

 „Die Mehrheit muslimischer Intellektueller zeigt wenig Bereitschaft, sich mit dem Thema muslimischer Judenfeindschaft zu befassen …“ (S. 10). Das schreibt Abdel-Hakim Ourghi, der an der Pädagogischen Hochschule Freiburg seit 2011 Religionspädagogik und  Islamische Theologie lehrt. Er selbst versteht sich als aufgeklärt-liberaler Muslim und hat eine entsprechende Sensibilität entwickelt. Ein Ausdruck davon war bereits sein Buch „Die Juden im Koran. Ein Zerrbild mit fatalen Folgen“ (2023). Ihm folgt „Die Liebe zum Hass. Israel, 7. Oktober 2023“ als neue Monographie, woraus auch das einleitende Zitat stammt. Der Autor schildert darin bezogen auf das Hamas-Massaker nicht nur seine persönliche Wahrnehmung. Er reflektiert über bedeutsame Fragen, immer mit einem kritischen Unterton versehen. Auch hierbei bleibt Ourghi differenziert und sachlich ohne falsche Pauschalisierungen. Gerade angesichts seiner besonderen muslimischen Identität sah er sich zu seinen Stellungnahmen motiviert. Und genau diese machen das Buch interessant und wichtig.

Es beginnt mit Erörterungen zu dem Massaker und seiner Wahrnehmung. Dazu heißt es gleich zu Beginn: „Der 7. Oktober war keine Racheaktion der Unterdrückten. Es war von islamisch-radikalen Fanatikern ausgeübte Gewalt, die sich aus islamischem Antisemitismus, Judenfeindschaft und Israelphobie speiste“ (S. 12). Das ist eine deutliche Einschätzung, die man in „israelkritischen“ Milieus eher selten wahrnimmt. Dem folgen Ausführungen zu den Hintergründen und Wirkungen. Am Beginn steht der Blick auf Israel selbst, das dem Autor als „zerrissenes“ Land erscheint. Denn die Anschläge erfolgten in einer innenpolitischen Konfliktphase, darüber hinaus versagte die Regierung bezüglich ihrer eigenen Sicherheitspolitik. Anschließend wird an Details des Massakers erinnert. Der Autor macht dabei bezogen auf die Täter auch deutlich, dass es sich eben nicht um Psychopathen und Wahnsinnige handelte. Sie hatten Befehle zu einer Vernichtungsorgie erhalten. Keiner war indessen zu den Taten gezwungen worden.

Und dann geht es gesondert um den „islamischen Antisemitismus“, der auch so und nicht nur als „islamistischer Antisemitismus“ tituliert wurde. Denn hier gehe es nicht nur um europäische Einflüsse und deren Fernwirkung. Dieser Antisemitismus habe „auch religiöse Quellen, er wird theologisch begründet und legalisiert. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Entstehungsgeschichte des Islam wesentlich mit dem Versuch verbunden war, das Judentum als konkurrierende Religion zu bekämpfen …“ (S. 108). Ähnlich verhält es sich mit dem christlichen Antisemitismus, hätte Ourghi noch ergänzen können. Anhänger beider Glaubensformen haben mit so etwas aber ihre Probleme, wollen sie doch ihre jeweilige Religion von derartigen gesellschaftlichen und historischen Verantwortlichkeiten frei halten. Demgegenüber wird im Buch der Finger in die Wunde gelegt: „Judenhass von Anfang an“ (S. 109) lautet etwa ein Untertitel. So etwas lesen die Gläubigen nicht gern, es sollte aber zu kritischen Reflexionen motivieren.

Der Autor schlägt in seinen folgenden Erörterungen auch das Konzept eines „adaptierten Sekundärantisemitismus“ vor, um judenfeindliche Einstellungen im Israel-Kontext als Typus zu verorten. Und er spricht bei all seinen Ausführungen deutlich aus: „Der politisch-juristische Koran und die Tradition des Propheten bilden die Grundlage der Ideologie des Hasses“ (S. 152). Diese Einsicht nötigt gegenüber dem Islam nicht zu dessen Verwerfung, aber eben zu einer grundlegenden Reform eines solchen Selbstverständnisses zu dessen Überwindung. Der Autor spricht als liberaler Muslim, will er doch Hoffnungsbotschaften zur Veränderung aussenden. Gleichwohl merkt man ihm seinen persönlichen Pessimismus an, der auch allgemein bezogen auf den Nahost-Konflikt vorgetragen wird. Sein Buch endet etwas pathetisch-tröstend mit der Hoffnung auf Wunder. Dabei zitiert er David Ben-Gurion: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist“ (S. 204). Das gut lesbare Buch ist mit lockerer Hand geschrieben, es enthält wichtige Einsichten und Reflexionen.

Abdel-Hakim Ourghi, Die Liebe zum Hass. Israel, 7. Oktober 2023, München 2025 (Claudius-Verlag), 224 S., 24,00 Euro, Bestellen?