„Hoffnung in einer hoffnungslosen Zeit“

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Die Ohel Jakob Synagoge am Jakobsplatz, Foto: haGalil

Am 15. Juli 1945, nur zwei Monate nach der Befreiung vom Nationalsozialismus, gründeten Überlebende der ausgelöschten Münchner Kultusgemeinde diese wieder und schufen damit die Strukturen für jüdisches Leben und einen Zufluchtsort für die zurückgekehrten jüdischen Münchner sowie die Displaced Persons, die das Menschheitsverbrechen des Holocaust in unsere Stadt verschlagen hatte.

Gemeinsam mit dem 80. Jahrestag ihrer Wiedergründung beging die Kultusgemeinde in einem großen Festakt auch 40 Jahre Präsidentschaft von Dr. h.c. mult. Charlotte Knobloch, die 1985 erstmals zur Präsidentin gewählt wurde.

Wir dokumentieren das Grußwort von Zentralratspräsident Dr. Josef Schuster:

80 Jahre IKG München / 40 Jahre Dienstjubiläum Charlotte Knobloch

Diese Leistung ist unvorstellbar. Es muss eine übermenschliche Kraft gewesen sein, die die Männer und Frauen am 15. Juli 1945 angetrieben hat, diese israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern zu gründen. Zeitgleich mit ihr entstehen auch überall im Land wieder jüdische Gemeinden. Diese zu gründen, in den Trümmern des jüdischen Lebens in Deutschland, in der blanken Hoffnungslosigkeit im Angesicht der Schoa, drückt eine Hoffnung in einer hoffnungslosen Zeit aus, die mich berührt und die mich beeindruckt.

Die IKG München und Oberbayern wächst schnell. Bereits wenige Monate nach der Wiedergründung zählt sie 2.800 Mitglieder. Heute ist sie die mitgliederstärkste Gemeinde in Deutschland mit fast 10.000 Mitgliedern.

Ihre Gründung – übrigens fünf Jahre vor der Gründung des Zentralrats, dessen 75-jähriges Jubiläum wir dieses Jahr feiern – war kein Wiederbeginn jüdischen Lebens in Deutschland; das war nach all dem Grauen nicht möglich. Es geschieht, was kaum vorstellbar schien: Jüdisches Leben wird in Deutschland erneut möglich. Ohne die Gemeinden, die sich in diesen dunklen Zeiten mit kaum mehr als einem Lichtschimmer am Horizont gründeten, wäre das nicht möglich gewesen.

Hier in München wird das besonders sichtbar: Die Einweihung der Ohel Jakob Synagoge am 9. November 2006 ist wahrlich ein historischer Tag gewesen.

Es ist, liebe Charlotte Knobloch, Ihr Lebenswerk. Diese Gemeinde ist ohne Charlotte Knobloch und ihre Familie nicht zu denken. Mit Unterbrechungen war ihr Vater, Fritz Neuland seligen Angedenkens, von 1951 bis 1969 Präsident der IKG München und Oberbayern. Sie selbst ist es seit 1985 – 40 Jahre. Vorher war sie bereits für die Gemeinde tätig, zwischenzeitlich auch vier Jahre Präsidentin des Zentralrats der Juden: Ich verneige mich vor diesem Dienst an unserer jüdischen Gemeinschaft hier in Bayern, aber auch in Deutschland.

Als Zentralratspräsident blicke ich vor allem auf die Zeit von 2006 bis 2010, in der Sie auch unsere Dachorganisation geführt haben.

Meine Damen und Herren, Charlotte Knobloch wusste es vermutlich schon mit Amtsantritt: Sie wird die letzte Person sein, die den Zentralrat führt und die Schoa überlebt hat. Auch heute noch trägt sie diese Bürde des »Erlebt-und-Überlebt-Habens« mit solcher Demut, dass die große Verantwortung für die nachfolgenden Generationen greifbar wird – aufseiten der Opfer wie der Täter.

Charlotte Knoblochs Amtszeit im Zentralrat steht unter dem Stern dieses Bewusstseinswandels, der uns nicht nur als jüdische Gemeinschaft in Deutschland, sondern als Gesellschaft insgesamt betrifft. Und sie ist damit in ihrer ganz eigenen Art umgegangen. Sie hat Deutschland wieder zu einem Begegnungsort für internationale jüdische Organisationen gemacht, die das Land lange Zeit gemieden haben. Als einer ihrer Nachfolger bin ich ihr zu Dank verpflichtet und habe größten Respekt vor dieser Leistung.
Heute stehen wir gesellschaftlich einmal mehr vor großen Herausforderungen. Die Offenheit und Radikalität des Antisemitismus in diesem Land, die wir seit dem 7. Oktober 2023 erleben, schockieren uns. Wir ringen zuweilen auch mit uns. Stellt es all dies in Frage, wofür wir, wofür unsere Eltern und die Generation davor eingetreten sind?

Meine Damen und Herren, wir sind es nicht, die diese Frage beantworten können oder sollten. Was wir wissen ist, dass das jüdische Leben in Deutschland auf unseren Gemeinden fußt; auf den Menschen, die sich hier treffen, die sich engagieren und die ihr Judentum ausüben – in der Form, wie sie es für richtig halten. Dafür tritt auch der Zentralrat der Juden in Deutschland ein – es ist sein oberstes Ziel. Wir gehen hier nicht weg, denn wir gehören hierhin.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!“

(Es gilt das gesprochene Wort!)