Langfristige Auswirkungen des 7. Oktober – 2.521 antisemitische Vorfälle in Berlin

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Fast sieben antisemitische Vorfälle pro Tag, eine Zunahme antisemitischer Gewalt und insgesamt fast doppelt so viele Vorfälle wie im Vorjahr – der Bericht „Antisemitische Vorfälle in Berlin 2024“ der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS Berlin) zeigt das neue Ausmaß des Antisemitismus in der Stadt und die langfristigen Veränderungen seit dem 7. Oktober 2023.

Anhaltend hohes Niveau antisemitischer Vorfälle seit dem 7. Oktober 2023

Viele Entwicklungen, die von RIAS Berlin seit dem 7. Oktober festgestellt wurden, setzten sich 2024 fort: Antisemitische Vorfälle haben sich auf hohem Niveau verstetigt, die antisemitische Gewalt in der Stadt ist weiter angestiegen. 43% der Vorfälle wiesen einen Bezug zum Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 oder zum Krieg zwischen Israel und der Hamas auf. Online und im öffentlichen Raum wurde konstant zu diesen Themen mobilisiert. Pro Woche wurden vier Versammlungen mit antisemitischen Vorkommnissen in Berlin dokumentiert.

Im Durchschnitt ein antisemitischer Angriff pro Woche

Im Jahr 2024 wurden zwei Fälle extremer Gewalt sowie 53 Angriffe registriert, bei denen Betroffene getreten, geschlagen, bespuckt oder beworfen wurden. In vielen Fällen nahmen die Täter_innen jüdische oder israelische Symbole zum Anlass, die Betroffenen anzufeinden und anzugreifen. Im Januar unterhielten sich eine Frau und ein Mann in einem Imbiss in Neukölln auf Hebräisch, vom Nebentisch rief ihnen ein Mann „Fuck Israel“ entgegen, die Frau widersprach – daraufhin wurde sie von dem Mann mit einem Stuhl attackiert. Als die Frau den Stuhl abwehrte, prügelte einer der Angreifer auf sie ein, spuckte sie an und schlug ihrem Begleiter ins Gesicht.

Störung des Gedenkens: Beschädigungen von Gedenkorten haben sich verdreifacht

RIAS Berlin dokumentierte 54 gezielte Beschädigungen von Gedenkorten. So wurde im Mai auf einen Güterwaggon in Moabit, der als Mahnmal an die Deportation von Jüdinnen und Juden erinnern soll, „Free Palestine“ und „Fuck Israel“ gesprüht. Im August malten Unbekannte „Jews are committing Genocide“ auf ein Denkmal, das an den Protest von Frauen gegen die Inhaftierung ihrer jüdischen Ehepartner und Familienangehörigen im März 1943 erinnert, sowie eine Palästina-Flagge und „Free Palestine“ auf den Boden davor. In diesen Fällen wurde die Schoa bagatellisiert und deren Opfer in antisemitischer Umkehr zu Tätern gemacht. Auch Trauerstellen und Gedenkorte für die Opfer vom 7. Oktober und die von der Hamas verschleppten Geiseln wurden beschädigt.

Mehr antisemitische Vorfälle an Schulen und Hochschulen

An Bildungseinrichtungen wurden RIAS Berlin deutlich mehr Vorfälle bekannt, allerdings ist weiterhin von einem großen Dunkelfeld auszugehen. Jüdische Kinder und Jugendliche wurden von Mitschüler_innen angefeindet und in sieben Fällen auch körperlich angegriffen. An Hochschulen wurden jüdische oder israelische Studierende, mitunter wiederholt, antisemitisch beschimpft oder waren mit antisemitischen Kommentaren konfrontiert. Zudem wurde Antisemitismus in Parolen bei Protestaktionen, auf Plakaten und mit Schmierereien auf dem Hochschulgelände verbreitet.

Online: Antisemitische Botschaften enthemmter und gewaltvoller

Deutlich häufiger als in den Vorjahren waren jüdische oder israelische Institutionen Ziel antisemitischer Anfeindungen: Etwa eintausend antisemitische E-Mails oder Kommentare auf Social-Media-Plattformen wurden an Institutionen gerichtet. Dabei wurde häufig Bezug genommen auf den 7. Oktober sowie den Krieg zwischen Israel und der Hamas. Die antisemitischen Botschaften online beinhalteten teilweise explizite Androhungen von Gewalt, Befürwortungen der Schoa und andere Vernichtungsfantasien.

Jüdisches Leben findet weiterhin nur eingeschränkt in der Öffentlichkeit statt

Ob auf der Straße, im Park, im ÖPNV, im Café, bei Sportveranstaltungen oder in Kultureinrichtungen – Jüdinnen und Juden in Berlin sind in vielen Situationen des Alltags mit Antisemitismus konfrontiert und wurden mitunter auch aus früher vertrauten sozialen und politischen Räumen gedrängt. Seit dem 7. Oktober 2023 berichten Jüdinnen und Juden, dass die Situation nachhaltig geprägt sei von Gefühlen der Isolation und Unsicherheit, der Sorge um die eigene physische Unversehrtheit, von Erfahrungen des Verlusts – von Freund_innen, Bekannten und einstigen politischen Verbündeten – sowie einem Mangel an Solidarität und Empathie.

Der vollständige Bericht ist online abrufbar unter:
https://report-antisemitism.de/documents/2025-05-20_rias-be_Antisemitische-Vorfaelle-Berlin-2024.pdf