
300 Milliarden für Griechenland wg. Kreta 1941 ff. – woher nehmen wenn nicht stehlen? Mein Vorschlag: Gerald Franz fragen und die AfD
Von Christian Niemeyer
Von der Überschrift her ist die Sache, wie immer bei mir, etwas kompliziert. Deswegen hier mein Lesetipp: Einfach weiterlesen bis zum Schluss und dann die Überschrift nochmal: Wetten, dass die meisten Leser*innen am Ende beim nochmaligen Studium der Überschrift wissend schmunzeln?
Also los, im Vertrauen auf ein wenig Vorbildung in dieser Frage, dargeboten am 20. Mai 2021 unter dem Titel Was für eine Luftnummer![1]:
Vom Ende her: Thessaloniki
Am Dienstag, dem 29. Oktober 2024 hat der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Thessaloniki besucht und das Gelände des dort geplanten Holocaustmuseums Griechenland. Allzu berechtigt beides, Besuch und Bau, angesichts der nackten Zahlen[2]: Im Jahr 2000 lag der Anteil der jüdischen Bevölkerung in Thessaloniki, der noch 1913 39 % betrug, bei gerade einmal 0,3 % – eine Spätfolge zwar nicht speziell der deutschen Eroberung Kretas vom Mai 1941, wohl aber des Einmarsches der Deutschen in Griechenland gut sechs Wochen zuvor. (vgl. Snyder 2015: 265) In absoluten Zahlen ausgedrückt: 65.000 Griechenland, 260 Kreta, 120 Kros, 1.700 Rhodos (vgl. Gilbert 2001: 2) – so, ganz nüchtern, lauten die Zahlen der von Deutschen via Auschwitz deportierten und dort oder in Treblinka vergasten griechische Jüdinnen und Juden. Mehr als aus Österreich, Jugoslawien oder Rumänien. Auch die Transportwege sind bekannt, des Gleichen das Elend in den Lastwagen von den Inseln hin zum Bahnhof, etwa nach einem Nachrichtenbulletin der griechischen Botschaft in London vom 6. Juni 1944. (ebd.: 118) Und die Tragödien hinter dieser Tragödie – Verstecken, Ausstatten mit neuen Papieren, Angst, entdeckt zu werden – mag man sich lieber nicht ausmalen.
Des Gleichen kein Geheimnis: die Namen der Haupttäter. Wobei uns hier vor allem diejenigen der vor Ort aktiven interessieren, beispielsweise also Otto Wagener, der selbsternannte ‚König von Rhodos‘ mit Durchhalteparolen noch am 20. April 1945, der ein eigenes KZ Kalithea mit Folterungen und Hungertoten betrieb und allein im März/April 1945 1.300 Todesurteile vollstreckte, selbst für Bagatellen. Einverstanden: 1948 wurde Wagener in Italien wegen der Erschießung von italienischen Kriegsgefangenen auf Rhodos zu 15 Jahren Haft verurteilt – aber im Mai 1951 nach Intervention des skrupellosen und von österreichischen Neo-Nazis wie Fred Duswald (2002) gefeierten Vatikan-Flüchtlingshelfers Bischof Alois Hudal, auch bei Konrad Adenauer, freigelassen. (vgl. Klee 1991: 36 ff., 2003: 648; Sachslehner 2019: 201 f.) Vergleichbares Glück hatte Kurt Student, Befehlshaber beim Unternehmen Merkur und nachfolgend Inselkommandant, verantwortlich für das Massaker in Kondamari, der am 28. Mai 1945 festgenommen und zu fünf Jahren Haft verurteilt, aber schon 1948 entlassen wurde. (vgl. Giordano 2000: 301) Zu nennen ist schließlich noch Bruno Bräuer, verantwortlich „für die Vernichtung der Juden in der kretischen Küstenstadt Chania.“ (Giordano 2000: 301) Oder der eigentliche Planer des „Unternehmens Merkur“, Alexander Löhr, der unmittelbar zuvor das Kommando geführt hatte beim von 611 deutschen Bombern und Jagdflugzeugen mit 440 Tonnen Brand- und Splitterbomben geführten Angriff auf Belgrad am 6. April 1941 ohne jede Kriegserklärung (ebd.: 293) und der als Chef der Heeresgruppe E beteiligt gewesen war an Judendeportationen von Rhodos und Korfu, des Weiteren an Sühnemaßnahmen im Raum von Kalavrita im Dezember 1943; und der deswegen 1946 in Jugoslawien als Kriegsverbrecher abgeurteilt und am 26. Februar 1947 erschossen worden war. (vgl. Ganglmair 1998; Klee 2003: 377)
Schon diese wenigen Hinweise zeigen das Berechtigte in der Pressekritik an Steinmeiers Besuch, mündend in dem Fazit der SZ (= Schaumburger Zeitung) Nr. 252, 262. Jg. vom 28. Oktober 2024, Titelseite:
„Vielen Hinterbliebenen der Opfer reicht die Bitte um Verzeihung nicht. Sie fordern Entschädigung. Die Frage steht seit Jahrzehnten im Raum. Die griechischen Ansprüche gehen in eine Größenordnung von 300 Milliarden Euro.“
Folgen wir Steinmeier also ein wenig weiter auf seiner Reise durch Griechenland, in der Hoffnung, wir könnten noch anderer Schuldner für diese Summe habhaft werden; folgen wir ihm auf jene Insel, auf der das ganze Elend begann und die Steinmeier am heutigen (Reformations-) Tag, dem 31.10. 2024, besuchen wird: Kreta.
Vom Anfang des Endes: Kreta 1941 – in der Darstellung des „Gerald Franz“
Erster Punkt: Kreta 1941 meint im Wesentlichen Hitlers als Kriegsverbrechen vom Typ völkerrechtswidriger Angriffskrieg zu deutende Weisung Nr. 28 (Unternehmen Merkur) vom 25. April 1941, die als Ziel der dann am 20. Mai gestarteten Luftlandeoperation die „Besetzung der Insel Kreta“ als „Stützpunkt für die Luftkriegführung gegen England im Ost-Mittelmeer“ (zit. n. Hubatsch 21983: 115) auswies – und die als Mosaikstein gelesen werden muss im Blick auf das übergreifende Kriegsziel Hitlers, zum Vortrag gebracht am 30. Januar 1939 im Deutschen Reichstag, wo Hitler für den Fall eines erneuten Weltkriegs die „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ als eines seiner Kriegsziele neben dem ‚Endsieg‘ ausgewiesen hatte. Dass er ausgerechnet in Kreta und, verallgemeinert gesprochen, in Griechenland von Judenvernichtung absähe, stand also nicht zu erwarten und wurde einleitend ja auch schon am Beispiel Thessaloniki erläutert.
Zweiter Punkt: Willst Du um die zentralen Positionen des Think Tank der AfD wissen, musst Du den Fünfbänder mit dem Seriosität vortäuschenden Staatspolitisches Handbuch aus dem Verlag von Götz Kubitschek studieren (von kaufen war keine Rede!). Insbesondere die Bände 4 und 5 offerieren so etwas wie ein Deutschland ohne „Vogelschiss“ (Gauland) als Teil der von Björn Höcke eingeklagten „erinnerungspolitischen Wende um 180°“ und ohne Hinweis auf Auschwitz und das diesem Genozid zugedachte „Denkmal der Schande“ (Höcke); Kriegsverbrechen Deutscher stehen grundsätzlich nicht auf der Agenda neu-rechter Historiker wie Stefan Scheil oder Völkerrechtler wie Alfred de Zayas sowie Zuarbeiter wie insbesondere Günter Zemella, Rolf Michaelis sowie Kurt Mehner. In Frage steht von hier aus auch das als Schuldkult verdächtig gemachte diesbezügliche Gebaren, das im Kniefall Willy Brandts in Polen seinen deutlichsten Ausdruck fand. Dem gilt es aus neu-rechter Sicht nicht weiteren Auftrieb zu geben, etwa auch mit der Folge des Bremsens etwaiger Hoffnungen der Deutschen auf höhere Weltgeltung. Beides bleibt also im Spiel, zumal beim AfD-Vorturner Erik Lehnert, Schüler des Nietzscheforschers Volker Gerhardt: Sein süffisanter Hinweis zur hier anstehenden Sache: Willy Brandt sei die „‚Preisgabe‘ der Ostgebiete“ nach eigenem Eingeständnis „leichter gefallen, als sich das Rauchen abzugewöhnen.“ (SH 5: 186) Aber auch die düstere Andeutung, derlei „Macht des Faktischen“ stünde nur so lange, „bis irgendwann ein ernsthafter politischer Wille sich diesem Problem (sic!) annimmt.“ (SH 5: 187) Ist dies O-Ton Hitler? Oh nein, es ist, nochmals sei es gesagt, ‚nur‘ der Ton Lehnerts aus seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter eines Abgeordneten der AfD, einer seit 2017 im Deutschen Bundestag vertretenen Partei, die sich offenbar der 1970 von Bernhard Wintzek mitbegründeten Aktion Widerstand („Brandt an die Wand“) erinnert sowie Wintzeks Monatszeitschrift MUT, in welcher 1979 zu lesen war, „dem satanischen Ziel, das deutsche Volk in einen […] Schuld- und Sühnekomplex hineinzumanipulieren“, müsse Paroli geboten werden, sowie 1981: KZ-Gedenkstätten seien „als Schandmale … spurlos zu schleifen.“ (zit. n. Müller 1989: 14) Will sagen: eigentlich hat Deutschland, in dieser neu-rechten Denke, mindestens noch einen Schuss frei, Putin ohnehin, wie zumal die Putinizer in der AfD meinen, darauf rechnend, der „gemeine“ Ostler missdeute das Desinteresse von AfD und BSW an der Ukraine als die einer Friedenspartei würdige Haltung. Drehen wir die Sache einmal um: Putins kinderräuberische Politik in den von ihm eroberten Teilen der Ukraine ist die Kopie eines auf Hitlers Bluthund Himmler zurückgehenden Originals (vgl. Niemeyer 2024: 19 ff.), was zugleich meint: Nach dem Krieg wird es, so noch jemand lebt und diesen auf der richtigen Seite von Herz, Kopf und Verstand verortet, viele Prozesse gegen Mittäter und Mitläufer geben.
Dritter Punkt: Die An- und Abführung beim Namen „Gerald Franz“ in der Überschrift verweist auf den an sich harmlosen, auf spätpubertäres Gehabe hinweisenden Namenszauber bezogen auf den Think Tank der Neuen Rechten. So zeichnet Raskolnikow, geb. 1975 in Nordostbrandenburg (?), als „vaterloser Bastard“ und „cholerischer Tunichtgut“ und trägt sein Pseudonym nach einem Gottesleugner bei Dostojewski (vgl. Kositza/Kubitschek 2015: 102). Martin Lichtmesz heißt eigentlich Semlitsch. Thorsten Hinz verwendet das Pseudonym „Doris Neujahr“; und Götz Kubitschek legt offenbar Wert auf die Attitüde des Räuber Hotzenplotz, wie sein psychologisch aufschlussreicher Zusatz andeutet: „Im Kern ein Menschenfreund, aber das weiß keiner.“ (ebd.: 152) Nimmt man noch Björn Höcke hinzu, der sich hin und wieder gerne „Asterix“ heißt, würde nicht überraschen, wenn Gerald Franz sich als „Obelix“ entpuppte – jedenfalls, wenn man in diesem (Sprach-) Spiel verbleibt.
Dagegen spricht allerdings die bittere Wahrheit jenseits dieser Fassade, die sich andeutet, wenn man Karlheinz Weißmanns Agieren als rechtsradikaler Geschichtslehrer am Gymnasium in Northeim in Betracht zieht, wo er seinen erfolgreich einem Redpilling unterzogenen Schüler Benjamin Hasselhorn offenbar ermutigte, sich aus Sicherheitsgründen das Pseudonym Martin Grundweg zuzulegen und, zusammen mit Erik Lehnert, keine Bedenken kannte, ihn sowie Gerald Franz der Antaios-Lesegemeinde im April 2014 unter eben diesen Namen vorzustellen (SH 4: 9), als handele es sich nicht um Pseudonyme. „Rechte müssen lügen“, könnte man hierzu schulterzuckend sagen – wäre hier nicht als Neuheit zu notieren, dass dies ganz oben, auf der Führungsebene, systematisch geschieht und als Teil eines Kampfes, bei dem der Zweck offenbar alle Mittel heiligt.
Mit diesem Warnzeichen im Hinterkopf, sind wir hinreichend gewappnet, das Lemma Kreta – Fallschirmjäger aus Deutsche Orte, stammend von „Gerald Franz“ kritisch in Augenschein zu nehmen. Dazu, nochmals: Meine Recherche in der Frage nach dieser Person hat kein Ergebnis gebracht, auch keine Lebensdaten zu Tage gefördert. Dafür einige Ideen. Der offenbar komplementär zu diesem Zweiseiter angelegte Beitrag Balkanfront 1941 (2019) von Stefan Scheil könnte einen beispielsweise glatt auf die Idee bringen, Franz sei Scheils Pseudonym, versehen mit dem Auftrag der Zündung einer Nebelkerze des Inhalts, die Engländer seien schuld, namentlich Churchill habe die Deutschen auf Kreta 1941 zu Kriegsverbrechen getrieben. Der perfide Hintersinn des Ganzen, im Vorwort von Scheil vergleichsweise offen angesprochen: Den „immer wieder aufflammenden Streit um griechische Reparationsforderungen an die Bundesrepublik Deutschland oder Schlagzeilen in Sachen ‚Wehrmachtsverbrechen‘“ (Scheil 32019: 8) endlich die Krone abzubrechen.
Schauen wir ihn uns nun also etwas genauer an, den nur zwei Druckseiten umfassenden Eintrag von „Gerald Franz“. Eröffnet wird er mit einer Klage über mangelnde griechische Denkmalpflege bzw. über die „Preisvorstellungen der Griechen“ bzw. über deutsche Antifaschisten, die dort vor Ort im Sommer „mit Farbe und Sprühdosen Kühnheit und Kampfesmut freien Lauf“ (SH 4: 111 f.) ließen – statt es, so soll man wohl ergänzen, ihren Altvorderen gleichzutun und also mit dem Maschinengewehr für Ordnung zu sorgen, wie es deutsche Fallschirmjäger, lt. Grabinschrift das „II. Bataillon, Sturmregiment“, im Kampf auf Kreta zwischen dem 20. und 28. 5. 1941 taten. Leider vergebens, wie noch hinzugesetzt wird, in dramatisierender Rede:
„Zahlreiche Fallschirmjäger wurden noch in der Luft getötet oder verwundet – oder am Boden brutal massakriert, was später Vergeltungsmaßnahmen der Deutschen an kretischen Zivilisten nach sich zog.“ (ebd.: 112)
Dies klingt – damit sind wir bei Scheils Stichwort ‚Wehrmachtsverbrechen‘, von mir hier ergänzt um das Stichwort ‚Alfred de Zayas‘ – ganz nach dem Tenor des Abschnitts „Kreta“ der Wehrmachtsuntersuchungsstelle (= WUSt) (vgl. Zayas 61998: 262 ff.); also nach NS-Propaganda; also nach Kriegsverbrechen an Deutschen und nachfolgender Vergeltung dafür – und kehrt die Schuldfrage komplett um: Das Massaker im Dorf Kondamari, in der Literatur breit und von den Tätern selbst fotografisch dokumentiert (vgl. Bergschicker 1981: 376) und von Franz noch nicht einmal mit Namen erwähnt, sinkt herab zu einem folgerichten Randereignis ohne jedes Recht, auf es die Vokabel ‚Kriegsverbrechen‘ anzuwenden. Ersatzweise rückt die als Kriegsgeschehen zu deutende Gegenwehr gegen den deutschen Überfall auf Kreta in die Nähe eines Kriegsverbrechens. Demagogisch geschickt wird am Ende „das Schicksal der Brüder von Blücher aus dem thüringischen Mühlhausen“ (SH 4: 112) nacherzählt (drei Brüder fielen auf Kreta, der vierte fiel als Entmilitarisierter am 8. Juni 1944 einem Jagdunfall zum Opfer). Die Frage indes, was die vier Thüringer eigentlich auf Kreta zu suchen hatten und wie sich die Opferlage auf griechischer Seite darstellt, wird nicht gestellt – übrigens ganz analog der Erinnerungsarbeit Lehnerts im gleich interessierenden Fall (vgl. Kap. 9) und ganz Franz‘ Vorbild Franz Uhle-Wettler folgend. Denn schon er, dieser mit allen Wassern des Demagogischen gewaschene rechtsradikale Ex-Bundeswehrgeneral, ließ 2004 seinen Aufsatz Kreta 1941 mit den drei Grafen ausklingen, deutlicher: mit der Todesanzeige vom 23. Juni 1941, die davon Kunde gibt, dass der älteste Graf 24 Jahre zählte und der jüngste gerade einmal 17 Lenze. (vgl. Uhle-Wettler 2004: 103)
Aber schlimmer und nicht zu toppen durch unseren neu-rechten Ideologen: Uhle-Wettler hatte zusätzlich die Unverfrorenheit, nach jener längst als NS-Propandas ins Abseits gerückten WUSt zu zitieren, und zwar das folgende, nach einer Aussage „von Oberarzt Dr. Zenker“ im Zuge seiner Vernehmung am 11. Juni 1941:
„Bei mehreren waren die Ohren abgeschnitten. Wiederholt habe ich auch Schnitte an der Nase festgestellt. Einem Soldaten (…) waren beide Augen ausgestochen. Die Augenhöhlen waren völlig leer, um die Augen sah man Blutkrusten. Ich habe keinen Zweifel, daß die Stichwunden beigebracht worden sind, nachdem die Männer in feindlicher Hand waren. Sie befanden sich aller an der gleichen Stelle der Brust oder des Halses, und sie können daher unmöglich während des Kampfes beigebracht worden sein.“ (zit. n. Uhle-Wettler 2004: 86)
Genauso, mit einer bezeichneten, aber auch bezeichnenden Auslassung („soweit ich mich erinnern kann, war es ein Leutnant“) sowie, bedeutender, der Fortlassung des Namens des Vernehmenden („KGR [Joachim] Schölz“) sowie der Fehlschreibweise des Namens des Vernommenen (aus „Oberarzt Dr. Helmut Zänker“ wird bei Uhle-Wettler, wie gesehen, „Oberarzt Dr. Zenker“), steht es auch in der WUSt nach Alfred de Zayas (61998: 270). Auf die sich Uhle-Wettler ein Jahr später, in seinem Beitrag für die Denkschrift für den Ex-SSler Wolfgang Venohr, zu beziehen scheint, wenn er schreibt:
„Ein amerikanischer Völkerrechtler hat einige Aussagen von Überlebenden und Zeugen veröffentlicht, zahlreiche weitere Dokumente sind im Bundesarchiv zu finden.“ (Uhle-Wettler 2005: 474)
Klingt ganz gut, fast nach Wissenschaft – wenn nicht ausgerechnet die Fußnote (Nr. 47) zu dieser Bemerkung, die, wie alle anderen 58 (= 57) Fußnoten, Belege zu geben hätte und Literaturnachweise, schlicht fehlte. Ja, unglaublich und meiner Beobachtung ein absolutes Unikat im Wissenschaftsgeschäft: Fußnote 47 fehlt – nicht aber die durch keinerlei Quelle zu unterstützende, den bekannten Tatsachen und zumal den griechischen Opfern Hohn sprechende Bewertung, die Wehrmacht habe den Krieg gegen Griechenland mit „unglaublicher Ritterlichkeit“ zu führen versucht und „auf dem Festland nachweislich geführt.“ (ebd.: 473) So also ein sich im Autorenregister als „Historiker“ ausweisender Generalleutnant a.D., der als Endzwanziger (1956) in die Bundeswehr eintrat und dem im Streben, die Tradition, der er sich, inklusive Wehrmacht, zurechnete, mit allen Mitteln heilig zu sprechen, auch – anders war diese nicht möglich – mittels der Lüge. Nicht schlecht für einen 1983 mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse sowie 1987 mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland Behängten. Wobei natürlich nicht auszuschließen ist, dass der Staat sich so bei einem bedankte, der die Reparationsforderungen Griechenlands abzuweisen half.
Wobei die Veränderungen Uhle-Wettlers in das Material – das Fehlen von Fußnote 47, das offenbar Zayas schützen sollte, ist nur ein Symptom – zu auffällig sind, als dass nicht auf erhebliche kriminelle Energie nach Art etwa der Mafia gesprochen werden muss. Dies gilt umso mehr, als die von Hans-Otto Mühleisen präsentierte und im Internet bequem abrufbare „Verlustliste Kreta“ den von Zayas genannten „Oberarzt Dr. Helmut Zänker“ mit dem Vermerk „verwundet“ und der Einheit „IV./Sturm-Ret. 15. Komp.“ ausweist. So dass „Zänker“ richtig, „Zenker“ hingegen ein Fake zu sein scheint nach dem Cui-bono-Prinzip, übersetzt für den der Mafia-Regeln unkundigen:
Ein toter Zeuge ist ein guter Zeuge, weil er nicht mehr die von ihm kolportierten Aussagen als unrichtig dementieren kann.
Aber noch besser als ein toter Zeuge ist einer, dem ohnehin niemand, wegen Namensfehlschreibung, auf die Spur kommen kann.
Sollte sich dieser Verdacht bestätigen und dieser „Fehler“ nicht auf Uhle-Wettlers Kappe gehen, sondern im Bundesarchiv/Militärarchiv passiert und dort unter der von ihm geltend gemacht Registratur „BA/MA RW 2/136, Blatt 29 f.“ nachweisbar sein – als Gegenprobe stünde die von Zayas (61998: 270) angeführte Registratur „BA-MA, RW 2/v. 146, S. 96 bereit –, hätten wir es mit kriminellen Machenschaften in einer Behörde zu tun, ein schlimmer Verdacht und extrem schädigend für die Bundeswehr.
Zurück zur Sache selbst und gesetzt, Gerald Franz sei nicht ein Avatar, womöglich ein Mix aus Uhle-Wettler und Zayas, sondern real, müsste man folgern, dass dieser anders als sein Vorredner Uhle-Wettler um Kriegsverbrechen weiß – allerdings nur um solche der Griechen, dies allerdings auf überaus fraglicher Materialgrundlage. So gesehen scheint es fast verständlich, dass Gerald Franz in seinem Artikel von 2014 von all dem schweigt und sich nur auf das Denkmal konzentriert. Dem korrespondiert seine als auch Uhle-Wettlers Erinnerungspolitik in Sachen der Erschießung von mindestens 23 männlichen Zivilisten in Kondamari, beruhend auf einer von General Karl Student am 31. Mai 1941 erteilten Erlaubnis von Vergeltungsmaßnahmen sowie eines am 2. Juni erteilten Befehls von Oberleutnant Horst Trebes. Sich mit diesem Massaker und dessen Rechtmäßigkeit gar nicht zu befassen, gehört von jeher zu den Dogmen von Alt- wie Neo-Nazis, an das sich auch Uhle-Wettler hält, zugunsten der womöglich von ihm gezündeten Nebelkerze namens Zenker resp. Zänker. Indes und aller Chuzpe zum Trotz: Eines lässt sich nicht ausschalten, nämlich die auch in einer im Mai 2021 zum 80. Jubiläum des „Kreta-Tages“ 1941 eröffneten Ausstellung des Dresdner Bundeswehr-Museums in Auszügen (vgl. Pahl / Wagner 2021: 166) präsentierte, am 11.11.1945 beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess hinterlegte Zeugenaussage des Fotografen (und Leutnants d.R.) Franz Peter Weixler vom Tag des Kondomari-Massakers, wonach er ob umlaufender Gerüchte wegen „massakrierter Fallschirmjägerleichen und geplünderter Tote“ sofort eingewandt hatte, auch gegenüber Trebes‘ Vorgesetztem Walter Gericke, dass er „noch keinen einzigen massakrierten Fallschirmjäger unter den Hunderten und Aberhunderten von Gefallenen gesehen hätte, dagegen Dutzende von toten Kameraden, denen infolge der tropischen Hitze und schnellen Verwesung Augen, Nasen und Ohren fehlten.“ (Weixler 1945) Hinzugerechnet den gleichfalls von Weixler geltend gemachten Umstand, „dass gegen Abend in den ersten Kampftagen große Aasgeier auf Leichen unserer Kameraden, die noch in der Feindlinie in ihren Fallschirmen auf Olivenbäume gehangen waren, herumhackten“ (ebd.), wird der Widerspruch zwischen dieser Aussage sowie jenem von Zayas / Uhle-Wettler beigezogenen Vernehmungsprotokoll des Dr. Zänker (resp. Zenker) in wünschenswerter Weise aufklärbar: Offenbar hat der Vernehmer Zänkers, Joachim Schölz, ein skrupelloser NS-Richter (vgl. Podewien 1968), der zwischen dem 26. Mai und dem 11. Juni 1941 vor Ort 32 Zeugen vernommen haben will (vgl. Zayas 61998: 263), um den Zeugen Weixler einen weiter Bogen geschlagen und alle anderen Aussagen auf seine Linie gebracht. Ziel: Die NS-Propaganda konnte so ungestört aus jenen „Aasgeiern“ Bewohner des Dorfes Kondamari machen, um die für dieses Massaker Verantwortlichen aus der Schusslinie zu nehmen bzw. mit ihr Tun rechtfertigenden Handlungsgründen auszustatten.
Heißt: Mit Weixlers Zeugenaussage stehen auch Zayas Fürsprecher im Feuer, allen voran sein vorübergehender Chef, der Göttinger Völkerrechtler Dietrich Rauschning. Der, wie oben im Abschnitt Dichtung angesprochen, über zwanzig Jahre hinweg (1979 und 1997, jeweils mit Vorworten) für seinen vormaligen Assistenten einstand, geblendet wohl von Zayas‘ DFG-Förderung und ohne, wie offenbar auch die Gutachtenden der DFG, etwas von der Sache zu verstehen oder die spätestens 1997 deutlich hervortretende (etwa Zayas 1997) rechtsradikale Orientierung des US-Völkerrechtlers zu bemerken resp. sie als anstößig zu empfinden. Erschütternd vor allem die Sachferne Rauschnings im zweiten seiner Gutachten zur 6. Auflage: Die fünfzig Jahre zurückliegenden „Geschehnisse“ konnten „nach der Befragung von damals noch lebenden […] Zeitzeugen in ihrer Authentizität bestätigt“ werden und böten wegen der absehbar abnehmenden „schwindenden Erlebnisgeneration“ die Chance auf einen „dauerhaften Beitrag zu einer objektiven Betrachtung der Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkrieges und auch der Arbeit der Wehrmachtjustiz.“ (Rauschning 1997: 11) Was für ein Argument! – gleichsam von beiden Seiten her beschädigt: von der moralischen, insofern es auf die Lösung des Geltungsproblems auf biologischem Weg, eben durch sukzessives Aussterben der Zeitzeugen, setzt; aber auch von der gleichsam empirischen Seite, insofern damals, zwanzig Jahre nach der Erstauflage von Zayas‘ Machwerk, nicht mehr fraglich sein konnte, dass das oben am Fall des Duos Joachim Schölz / Helmut Zänker Erläuterte eher für die Regel denn für die Ausnahme steht: Der Vernehmer war von allerhärtestem NS-Kaliber, dem alles erlaubt schien im Interesse der NS-Propaganda. Sowie: Der in Richtung Zayas argumentierende Zeuge, Zänker, war tot. Und der andere Zeuge, Weixler, wurde schlicht ignoriert. Anders, wie angedeutet und hier noch einmal ausdrücklich gewürdigt, wie die Dresdner Bundeswehr-Ausstellung, die Weixlers Aussage im Zusammenhang des Kondamari-Massakers ausdrücklich herausstellte (vgl. Pahl / Wagner 2021: 166) und sich also weigerte, „monumentalische“ Historie zu liefern, wog formuliert, „kritische“ gefragt war.
Kommen wir zum Schluss: „Gerald Franz“ oder etwas dieser Art hat mit Götz Kubitscheks Billigung in Sachen Kreta ein ganz heißes Eisen angefasst, aber es gleich wieder fallen gelassen, offenbar in der Hoffnung, seine Klage über die mangelnde Pflege deutscher Soldatengräber brächte ihn zurück auf sicheres Terrain. Keine Chance: Franz argumentiert, übrigens ähnlich wie Kubitscheks Intimus Lehnert, ganz im Verein der von ihm gelisteten Gesinnungsliteratur (Harvey / Uhle-Wettler 2004; Nasse 2006) und hat, insoweit folgerichtig, mit Forschung nichts zu tun, deutlicher: bringt jene Attribute lebhaft zur Anschauung, die Ralph Giordano, aus eigenem Erleben urteilend, für unseres neu-rechten Autors zentralen Leumundszeugen in Sache Kreta, nämlich Franz Uhle-Wettler, in Vorrat hielt: „Abschottung vor einer längst einsehbaren Wahrheit“ sowie „totale innere Beziehungslosigkeit zur Welt der Opfer“ (Giordano 2000: 90) – Attribute, die es, auch Bundespräsidenten, verbieten sollten, lautstark wider die Berechtigung jene 300-Milliarden-Foderung zu streiten. Klüger wäre es, diese Summe am Ende für Peanuts zu erklären angesichts der Forderungen, die auf die AfD im Falle eines Nürnberg II zukämen als Reparationsforderungen der Ukraine, einzutreiben von jenen Putinizern in Europa (sprich Ungarn), die dem Bösen unbekümmert zusahen im Glauben, dies sei am Ende kostengünstiger für sie. Diesem Irrglauben könnte Steinmeier in Griechenland bequem entgegenarbeiten, wenn er die 300 Milliarden großzügig bewilligte, um einen Teil davon bei Leuten, die Gerald Franz mimen, einzuklagen, ihnen versichernd, es gehe doch nur um einen „Vogelschiss“. Vielleicht also war das Bundespräsidialamt doch nicht ganz so naiv bei der Planung der Griechenlandreise des Bundespräsidenten.
Autor: Prof. Dr. Christian Niemeyer, Berlin
[1] www.hagalil.com/2021/O5/Kreta-Tag.
[2] Ich folge hier und im Folgenden im Wesentlichen den Darstellungen in meinen Büchern Schwarzbuch Neue/Alte Rechte (= Bildung nach Auschwitz). Weinheim Basel 2021, S. 399 ff. sowie Die AfD und ihr Think Tank im Sog von Trumps und Putins Untergang (= Bildung nach Auschwitz, Bd. 2). Weinheim Basel 2023, S. 229 ff. Dort auch Nachweise der angeführten Forschungsliteratur.