Warum hat der Bundeskanzler eine Kippa auf?

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Mitunter kann man bei der aktuellen israelfeindlichen Agitation auch im Alltagsleben merkwürdige Besonderheiten feststellen, etwa wenn der Bundeskanzler auf einem Foto bewusst mit einer Kippa gezeigt wird. Nur was ist bei einer solchen Auswahl der motivierende Hintergrund? Bilder vor einem Bonner Imbiss mit kaum noch unterschwellig zu nennenden Ressentiments und Stereotypen.

Von Armin Pfahl-Traughber

Geht man vom Bonner Busbahnhof unterirdisch zum Hauptbahnhof, so kommt man an einem „Che Falafel“ als Schnellrestaurant mit auffälligen politischen Statements vorbei. Bereits direkt im Eingangsbereich findet sich unübersehbar ein Schild: „Deutschland auf der Anklagebank“ kann man darauf lesen. Und weiter heißt es „Wir unterstützen die Anklage/den Protest 500 internationaler Anwälte vor dem IGH in den-Haag (sic!) gegen die deutsche Regierung wegen Beihilfe zum Völkermord in Gaza.“ Dazwischen stehen Fotos bundesdeutscher Politiker, ganz groß von Olaf Scholz, kleiner darunter von Nancy Faeser, Christian Linder, Annalena Baerbock und Robert Habeck. Besonders auffällig bei dem Foto von Scholz ist: Er trägt eine Kippa. Auch Habeck trägt eine Kippa. Nun dürften Aufnahmen der beiden Genannten meist ohne Kippa sein, gefühlt etwa in Fällen von 99,99 Prozent und vielleicht noch höheren Werten. Was motivierte diese besondere Fotoauswahl, steckt dahinter eine antisemitische Einstellung? Um eine Erörterung dieser Frage soll es hier gehen.

Offenkundig wirbt man für eine antiamerikanische und israelfeindliche Auffassung, heißt es doch gleich auf dem direkt rechts daneben stehenden Plakat nach einem kurzen Vorspann: „USA & ISRAEL sind Kriegsführer-WELTMEISTER!“ Darüber sind die Flaggen beider Länder abgebildet. Von Hand wurden sie offenbar mit einem roten Stift durchgestrichen. Es wird bezogen auf Israel auch von den hohen Militärausgaben gesprochen, kontinuierliche Angriffe auf das Land thematisiert man nicht. Auch die Hamas oder die Hizb‘ Allah mit ihren Raketenangriffen kommen nicht vor. Bezogen auf Israel und die USA heißt es dann weiter: „Wir als Zivilisten bestrafen beide Terrorstaaten und boykottieren ihre Produkte.“ Und schließlich kann man lesen: „Wir verkaufen gerne die Produkte der Unterdrückten und werben für sie!“ Entsprechende Flaggen von den Ländern der gemeinten „Unterdrückten“ werden abgebildet. Es handelt sich um Afghanistan, Irak, Jemen, Kuba, Libyen, Pakistan, Palästina, Somalia, Sudan, Syrien, Venezuela und Vietnam.

Ganz am Ende finden sich dann noch folgender Satz: „Gerechtigkeit & Menschlichkeit sind uns wichtiger als Geldverlust!“ Angesichts dieser Aussage muss die Frage erlaubt sein, wie es denn um Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in den genannten Staaten steht. Man mag gewisse Defizite auch für Israel und die USA konstatieren, nur stehen diese gegenüber den dortigen Menschenrechtsverletzungen in keinem Verhältnis. Wer von „Gerechtigkeit“ und „Menschlichkeit“ spricht, während man gleichzeitig Afghanistan oder Syrien nennt, lässt ein bezeichnendes Bild von eben diesen Staaten erkennen. Unschwer kann man eine auf diese autoritär-diktatorische Systeme bezogene politische Verbundenheit konstatieren. Erstaunlich wirkt nur das Fehlen des Iran in der Liste. In der Bilanz lässt sich bei solchen Solidarisierungen nur schwerlich nachvollziehen, dass man hier für „Gerechtigkeit“ und „Menschlichkeit“ votiert. In keinem der Länder dürfte es legale Massenproteste gegen die Regierung oder jeden Tag eine große oppositionelle Zeitung geben.

Doppelstandards bei der Kommentierung unterschiedlicher Staaten sind unverkennbar. Derartige Einseitigkeiten können, müssen aber nicht einen antisemitischen Hintergrund haben. Denn es kommt hierbei auf die jeweiligen Grundeinstellungen an, womit auf die anfänglich formulierte Frage zurückgekommen werden soll. Geht es nur um eine einseitige „antiimperialistische“ Einstellung gegen Israel, geht es nur um argumentative Fehlschlüsse gegen den jüdischen Staat? Man mag derartige Auffassungen als Form der Meinungsfreiheit vortragen, in deren Namen sind aber auch öffentliche Reflektionen und Wertungen möglich. Sie beziehen sich auf die titelgebende Frage: „Warum hat der Bundeskanzler auf dem Foto eine Kippa auf?“ Eine derart einseitige Fotoauswahl gibt es übrigens auch in rechtsextremistischen Publikationsorganen, will man damit doch bundesdeutsche Politiker als „pro-jüdische Vasallen“ erscheinen lassen. Damit lässt sich der politische Antisemitismus mit seinen Konspirationsvorstellungen vermitteln. Die Fotoauswahl auf dem erwähnten Plakat steht auch dafür, unabhängig von subjektivem Denken tickt das Ressentiment objektiv so.