Antisemitische Vorfälle in Köln 2023

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Dritter Jahresbericht der Meldestelle für antisemitische Vorfälle im NS-DOK veröffentlicht: Zahl antisemitischer Vorfälle in Köln 2023 verdoppelt

Die Fachstelle gegen Antisemitismus im NS-Dokumentationszentrum verzeichnete im Jahr 2023 einen massiven Anstieg antisemitischer Vorfälle in Köln im Vergleich zum Vorjahr. Wurden im Jahr 2022 noch 83 Vorfälle dokumentiert, so hat sich die Zahl im vergangenen Jahr mit 176 Vorfällen mehr als verdoppelt (+112%).

Dieser sprunghafte Anstieg steht in einem deutlichen Zusammenhang mit dem 7. Oktober, dem Tag, an dem in Israel der größte Massenmord an Jüdinnen*Juden seit der Schoa verübt wurde.  Die im Jahresbericht dokumentierten Vorfälle reichen von antisemitischen Anfeindungen und Übergriffen auf Kölner Jüdinnen und Juden über antisemitische Schmierereien im öffentlichen Raum und beschmierte Stolpersteine bis hin zu antisemitischen Äußerungen auf Demonstrationen. Da sich fast zwei Drittel aller 2023 in Köln registrierten Vorfälle nach dem 7. Oktober ereigneten, widmet der Jahresbericht diesem Thema ein eigenes Kapitel.

Die Analyse der Vorfälle zeigt, dass die 2023 dokumentierten Vorfälle nicht nur quantitativ zugenommen haben, sondern auch deutlich gewalttätiger waren als im Vorjahr. Dies zeigt sich insbesondere in der Zunahme der Kategorien „Angriffe“ (von drei auf acht) und „Drohungen“ (von zwei auf sieben). Der überwiegende Teil der 2023 dokumentierten Vorfälle ereignete sich in Form von sogenanntem „verletzendem Verhalten“ (152 Fälle). Darunter fallen auch die insgesamt 27 Demonstrationen im Kölner Stadtgebiet, bei denen antisemitische Äußerungen dokumentiert wurden. Die Kontexte und Orte, an denen antisemitische Vorfälle dokumentiert wurden, sind äußerst vielfältig. Besonders einschneidend für Betroffene sind jedoch Vorfälle, die sich im persönlichen Nahbereich, z.B. in der Schule, am Arbeitsplatz oder im Wohnumfeld, ereignet haben.

Der Jahresbericht soll dazu beitragen, das Problem des Antisemitismus auf lokaler Ebene sichtbar zu machen, für die verschiedenen Ausdrucks- und Erscheinungsformen des Antisemitismus zu sensibilisieren und zum Handeln gegen Antisemitismus aufzurufen. Wie schwierig es sein kann, Courage zu zeigen, zeigen auch immer wieder Meldungen, die die Meldestelle erreichen. Nachdem im Oktober ein Mann in einer U-Bahn andere Fahrgäste antisemitisch beleidigt hatte, meldete ein Zeuge den Vorfall und schrieb dazu: ‚Ich selbst war mit der Situation sehr überfordert und […] völlig handlungsunfähig. Ich hätte gerne mehr Stellung bezogen und mich mit dem anderen Fahrgast solidarisiert.‘“

Der Jahresbericht steht auf der Website der Meldestelle zum kostenlosen Download zur Verfügung.

Stimmen zur Veröffentlichung

Bettina Levy, Vorstandsmitglied der Synagogen-Gemeinde Köln

„Antisemitismus kann durch nichts ‘ausgelöst‘ werden. Er hat immer keine Rechtfertigung. Heute sind es Juden, die verfolgt werden, morgen kann es jeder demokratisch gesinnte Mensch sein. Wem es vor dem Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 noch nicht klar war: Was in Israel und was den Juden in aller Welt widerfährt, geht uns alle an. Es ist ein Angriff auf die Freiheit jedes Einzelnen.“

Henning Borggräfe, Leiter des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln

„Die von der Fachstelle gegen Antisemitismus erhobenen Daten zeigen deutlich, dass nach dem 7. Oktober nicht nur der israelbezogene Antisemitismus, sondern auch andere Erscheinungsformen des Antisemitismus in Köln deutlich zugenommen haben. Als NS-Dokumentationszentrum, dem zentralen Erinnerungsort in Köln, müssen wir immer wieder feststellen, dass der Hass auf Israel häufig mit einer Abwehr der Erinnerung an die Schoa einhergeht. Das zeigt sich zum Beispiel in den Einträgen in unseren Gästebüchern.“

Daniel Vymyslicky, Mitarbeiter der Fachstelle gegen Antisemitismus

„Antisemitismus ist nicht erst seit dem 7. Oktober ein Phänomen, das den Alltag vieler Jüdinnen und Juden in Köln prägt. Dennoch ist die Wucht, mit der nach dem Hamas-Massaker auch in Köln antisemitische Bilder und Narrative in den öffentlichen Raum getragen wurden, erschreckend. Unabhängig davon, wie weit verbreitet Antisemitismus ist, dürfen wir uns als Stadtgesellschaft niemals an einen solchen Zustand als etwas vermeintlich „Normales“ gewöhnen.“