Band 32 des „Jahrbuchs für Antisemitismusforschung“ erschienen

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Der Band 32 des „Jahrbuchs für Antisemitismusforschung“ enthält 16 Aufsätze zu ganz unterschiedlichen inhaltlichen Kontexten, die von Hannah Arendt über Antisemitismus in Indonesien und der empirischen Sozialforschung bis zu Definitionsdebatten reichen. Erneut erschein ein beachtenswerter Band mit ganz unterschiedlichen Forschungsbilanzen.

Von Armin Pfahl-Traughber

Mittlerweile liegt Band 32 des „Jahrbuchs für Antisemitismusforschung“, das vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin herausgegeben wird, als wieder einmal umfangreicher Sammelband vor. Bekanntlich versteht es sich als Forum, das nicht nur Forschungen zur Judenfeindschaft, sondern auch zu anderen Minderheitenfeindlichkeiten thematisieren will. Autoren sind nicht nur Historiker, sondern auch Sozialwissenschaftler, womit man es mit einem interdisziplinären Werk zu tun hat. Der aktuelle Band, der von der Leiterin Stefanie Schüler-Springorum herausgegeben wurde, enthält 16 Texte zu ganz unterschiedlichen Themenfeldern. Dazu gehört auch ein Jubiläum, kann man doch auf 40 Jahre des Zentrums für Antisemitismusforschung zurückblicken. Die seinerzeitige Festrede hielt der bekannte israelische Historiker Moshe Zimmermann, der bei seinem Blick auf die Einrichtung auch diverse Konflikte thematisiert. Wünschenswert wäre am Anfang aufgrund des Jubiläums aber auch ein Statement gewesen, welches auf mal berechtigte, mal unberechtigte Einwände und Kritik aus Publizistik und Wissenschaft eingeht.

Forschungsprojekte werden dann im folgenden zweiten Kapitel thematisiert, wobei die interdisziplinäre Analyse judenfeindlicher Hassreden im Internet oder die Antisemitismusforschung im Spiegel der „Nationalen Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben“ thematisiert werden. Gerade Forschungen zur Judenfeindlichkeit im digitalen Raum sind von großer Relevanz, ist das Internet doch voll von einschlägiger Propaganda, seien es platte Hassbilder, seien es suggerierende Statements. Anschließend geht es um zwei Aufsätze im dritten Kapitel „Nationalsozialismus“. Zunächst wird der Antisemitismus am Fluchtort Türkei nachgezeichnet, wobei dies anhand von betroffenen Emigranten geschieht, einhergehend mit einer abschließenden differenzierten Einordnung. Danach sind die Handlungsspielräume sowjetischer Kriegsgefangener ein Thema. Dabei ergeben sich  zur Antisemitismusforschung keine direkten Bezüge. Es handelt sich um ein Beispiel dafür, dass das Jahrbuch auch über eine begrenzende Themenauswahl hinausgeht.

Und dann gibt es Aufsätze im vierten Kapitel, die in Erinnerung an das erstmalige Erscheinen von Hannah Arendts „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ entstanden. Sie behandeln ganz unterschiedliche Aspekte, nicht nur bezogen auf dieses bekannte Buch der berühmten Philosophin. Bis heute gibt es ja zu ihrer Auffassung besonders zu Israel ebenso Kontroversen wie allgemein zum Zionismus. Erstaunlicherweise werden in den vier Aufsätze aber Gesichtspunkte der Totalitarismusforschung kaum angesprochen, obwohl das Buch gerade bis in die Gegenwart hier als wichtiger Klassiker gilt. Dafür geht es mehr um die dortige Antisemitismus-Deutung, aber auch das Bild von Eichmann in einem späteren Werk. Das fünfte Kapitel blickt noch in eine andere Weltregion, bezogen auf den „Antisemitismus in Indonesien“. Anlässlich des bei der Documenta aufkommenden Skandals ist das ein wichtiges Thema. Ein grundlegender Beitrag liefert die relevanten Informationen, plädiert dann aber auch für eine nicht immer nachvollziehbare Kontextualisierung.

Und dann findet sich als sechstes Kapitel noch „Antisemitismus definieren und Messen“ mit zwei Texten. Die kursierenden Antisemitismus-Definitionen erörtert Thomas Haury, wobei beachtenswerte kritische Anmerkungen vorkommen, die eigene Alternative aber dann doch nicht so verständlich vermittelt wird. Gleichwohl verdienen derartige Erörterungen angesichts der kontinuierlichen Polarisierungen eine intensive Wahrnehmung. Dies gilt ebenso für die von Werner Bergmann vorgenommene Darstellung zu Ergebnissen der empirischen Sozialforschung, die sich auf in Deutschland kursierende Einstellungen zu Juden im internationalen Vergleich beziehen. Der Autor unterscheidet dabei unterschiedliche Ebenen und präsentiert differenzierte Interpretationen. Abschließend geht es noch im „Antisemitismusprävention“-Kapitel um entsprechende Texte, einmal bezogen auf „Antisemitismus und Muslim:innen“ und einmal hinsichtlich sprachwissenschaftlicher Herangehensweisen. Erneut liegt damit ein beachtenswerter Band des Jahrbuchs vor.

Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.), Jahrbuch für Antisemitismusforschung. Bd. 32, Berlin 2023 (Metropol-Verlag), 422 S., Euro 21,00, Bestellen?

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