Wehrlose Demokratie?

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Antisemitismusbekämpfung gehört auch zu den konstitutiven Aufgaben eines demokratischen Verfassungsstaates. In seinem neuen Buch „Wehrlose Demokratie? Antisemitismus und die Bedrohung der politischen Ordnung“ macht sich Samuel Salzborn dafür stark.

Von Armin Pfahl-Traughber

Antisemitismus und Demokratie bilden einen fundamentalen Gegensatz. Diese Aussage bedarf gleichwohl der Konkretisierung: Erstens ist hier mit Demokratie die liberale und rechtsstaatliche Demokratie gemeint. Und zweitens sollte es im gesellschaftlichen wie staatlichen Selbstverständnis so sein, was aber auch nicht immer der Wirklichkeit entspricht. Auf damit einhergehende Fragen macht in seiner neuen Monographie gerade Samuel Salzborn aufmerksam. Er ist Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus und Honorarprofessor für Politikwissenschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Bekannt sind seine zahlreichen Aufsätze und Bücher, die sich den unterschiedlichsten Facetten der Judenfeindschaft widmen, aber eben auch ideengeschichtliche Entwicklungen ohne diesen Kontext behandeln. In seinem Buch „Wehrlose Demokratie? Antisemitismus und die Bedrohung der politischen Ordnung“ bringt er die beiden Perspektiven zusammen. Als Ausgangspunkt der Erörterung dient dabei eine einfache Feststellung:

„Der Kampf gegen Antisemitismus und der Kampf für Demokratie sind untrennbar miteinander verbunden – historisch, theoretisch und systematisch. Der Modus dieser Verbindung besteht in der Notwendigkeit, dass die Demokratie wehrhaft sein muss gegen Antisemitismus – und zwar aus ihrem genuin demokratischen Wesen heraus“ (S. 8). Genau diese Auffassung verdient großes Interesse und ebenso große Verbreitung. Denn Antisemitismus betrifft zwar primär Juden, er beschädigt aber auch den demokratischen Verfassungsstaat. Darauf machen die Betrachtungen von Salzborn immer wieder aufmerksam. Er erinnert gleich zu Beginn an das „wehrhafte Demokratie“-Konzept, dessen Ausgangspunkt die bereits 1937 formulierte Beobachtung „Demokratie und demokratische Toleranz wurden zu deren Vernichtung benutzt“ (Karl Loewenstein) war. Gerade angesichts des Aufstiegs eines neuen Rechtsextremismus, der sich eben scheinbar demokratisch gibt und damit erfolgreich wirkt, ist diese Erinnerung von großer politischer Relevanz.

Der Autor bezieht diese Einsicht dann aber auf das erwähnte Themenfeld, ist doch „Der Kampf gegen Antisemitismus als Kernanliegen der bundesdeutschen Demokratie“ nicht zufällig der erste Kapiteltitel. Deutlich wird mit Anerkennung betont, dass es hier Änderungen gegeben habe. Antisemitismus ist auch institutioneller Gegenstand staatlichen Handelns geworden, gleichwohl noch nicht in dem dafür nötigen Ausmaß, aber wichtige Schritte sind gemacht. Die folgenden Kapitel sind mit „Der Kampf gegen Antisemitismus und die Notwendigkeit der Wehrhaftigkeit“ und „Die Substanz der politischen Ordnung und die Genese der Wehhaftigkeit“ überschrieben. Dabei greift der Autor auf frühere Publikationen zurück, welche aber vor dem Hintergrund einer anderen Problemstellung entstanden. Daher wirken diese Abschnitte nicht immer so passend zur im aktuellen Buch entwickelten Thematik. Gleichwohl gibt es beachtenswerte Differenzierungen, etwa zu sozialer Heterogenität und homogener Normenordnung im dauerhaften Spannungsverhältnis.

Die letzten beiden Kapitel sind mit „Die antisemitische Radikalisierung und das Trojanische Pferd der Verharmlosung“ und „Antisemitismus und Demokratie. Zwischen Wehrhaftigkeit und Wehrlosigkeit“ überschrieben. Darin finden sich differenzierte und typologisierende Analysen zu den entsprechenden Entwicklungen in den letzten Jahren, wo allein schon die Ausführungen zur „Initiative GG 5,3 Weltoffenheit“ gegen „missbräuchliche Verwendungen des Antisemitismusvorwurfs“ besonders interessant sind. Für unterschiedliche Ebenen werden drei Missverständnisse von Salzborn thematisiert. Deutlich betont er, dass Antisemitismus nicht bei der Kunstfreiheit ignoriert werden dürfe. Hier wären noch weitere Aufforderungen an das staatliche Handeln als bilanzierende Zuspitzung interessant gewesen. Angesichts der allgemeinen Entwicklung wird es ohnehin relevanter, das „wehrhafte Demokratie“-Modell wieder stärker zu aktivieren. Dass dabei die Antisemitismusbekämpfung mit von großer Bedeutung ist, wurde in seinem neuen Buch von Salzborn angemessen betont.

Samuel Salzborn, Wehrlose Demokratie? Antisemitismus und die Bedrohung der politischen Ordnung, Leipzig 2014 (Hentrich & Hentrich), 144 S., Euro 17,00, Bestellen?

Leseprobe (PDF)