Mit dem Buch „Israelphobie. Die unendliche Geschichte von Hass und Dämonisierung“ bemüht sich Jake Wallis Simons um eine Wortneuschöpfung. In gut lesbarer Form veranschaulicht er Kontinuitäten, die zwischen dem alten Antisemitismus und der neuen Israelfeindlichkeit bestehen. Auch die Differenzierungen sprechen dabei für den Verfasser.
Von Armin Pfahl-Traughber
Kommt es zu einer Eskalationen im Nahost-Konflikt, dann blüht regelmäßig der Hass auf Israel auf. Diese Entwicklung konnte man nicht erst nach den Hamas-Massakern vom 7. Oktober 2023 konstatieren. Denn es lässt sich eher von einer jahrzehntelangen Kontinuität sprechen, was auch in einschlägigen Schlagworten deutlich wird: Sie reichen von „Apartheid“ über „Rassismus“ bis „Völkermord“. Auch berechtigte Einwände gegen die Politik der israelischen Regierung münden dabei häufig in inhaltlichen Zerrbildern, welche es in anderen Fällen mit weitaus gravierenden Folgen im öffentlichen Meinungsbild so nicht gibt. Zumindest von einer „Doppelmoral“ kann die Rede sein. Die Bezeichnung „Israelphobie“ bringt dies wohl noch mehr auf den Punkt. Dazu liegt mittlerweile ein ganzes Buch von Jake Wallis Simons mit „Die unendliche Geschichte von Hass und Dämonisierung“ als Untertitel vor. Der Autor ist ein bekannter britischer Journalist und seit 2021 der Herausgeber des „Jewish Chronicle“. Sein Buch erschien vor dem 7. Oktober und wirkt wie ein prophetischer Kommentar zu den Reaktionen darauf.
„Israelphobie ist die neueste Version des ältesten Hasses“ (S. 11), heißt es bereits am Ende des Vorworts. Und durch die ganze Darstellung zieht sich die Erkenntnis, dass es ideengeschichtliche Hintergründe für die gegenwärtige Israelfeindlichkeit gibt. Ansonsten ist dazu meist von einem „israelbezogenen Antisemitismus“ die Rede, währenddessen hier eine begriffliche Neuschöpfung vorgeschlagen wird. Diese Absicht überzeugt indessen nicht ganz, da der andere Begriff doch viel klarer ist. Darüber hinaus wird hier eigentlich auf eine Angst vor Israel angespielt, was eben mit der Einstellung einer Phobie gemeint ist. Dieses Argument gegen die Begriffswahl spricht aber nicht gegen die Darstellung und Wertung. Ganz im Gegenteil, für das Gemeinte werden auch treffende Merkmale von Simons präsentiert: „1. Dämonisierung: Verleumdung Israels als böse und Bedrohung für die Welt, 2. Bewaffnung: Instrumentalisierung der Bewegung für soziale Gerechtigkeit als trojanisches Pferd für den Hass auf Juden und ihre nationale Heimat, 3. Verfälschung: Nachbeten von Nazi- oder Sowjetpropagandalügen“ (S. 35).
Anhand von vielen Beispielen wird jeweils das Gemeinte in den folgenden Kapiteln veranschaulicht. Dabei blickt der Autor nicht nur, aber insbesondere auf linke Protagonisten. Die Beispiele reichen von Willam Cobbett aus dem 18. bis Jeremy Corbyn aus dem 21. Jahrhundert. Zahlreiche Fälle zeigen dabei auf, wie unangemessen israelfeindliche Stereotype sind. Insbesondere die Ausführungen zu „Kolonialismus“- und „Rassismus“-Vorwürfen haben dabei hohen aufklärerischen Wert. Der Autor neigt dabei nicht zu einer Idealisierung von Israel, angemessener Kritik räumt er immer wieder Raum in seinen Statements ein. Auch die damit einhergehende Differenzierung spricht für seine Seriosität. So heißt es etwa: „Das soll nicht heißen, dass die Sünden Israels nicht verurteilt werden dürfen oder das palästinensische Unrecht vergessen werden sollte. Es geht einfach darum, die Relation zu benennen und die Dämonisierung zu entlarven“ (S. 70). Denn die Angesprochenen schwiegen häufig genug zu weitaus schlimmeren Fällen in anderen Ländern, woraus sich die simple Frage nach den Gründen für derartige Schiefen ergibt.
Ausführlich wird auch das „Nachbeten von Nazi- oder Sowjetpropagandalügen“ thematisiert, wobei es nicht nur um die Kooperationen des „Mufti von Jerusalem“ mit den Nationalsozialisten geht. Der Autor erinnert auch an Bücher aus der Sowjetunion, etwa gesondert für Kinder mit „Rassismus unter dem blauen Stern“ als Titel. Überhaupt veranschaulicht er den langfristigen Einfluss bis in die Gegenwart auf Linke noch aus Sowjetzeiten. Das Buch endet mit „Acht verräterischen Anzeichen und fünf Druckpunkten“, welche argumentativ Hilfestellungen gegenüber israelfeindlichen Positionen geben wollen. Diese Ausführungen neben der Definition liefern auch praktische bzw. theoretische Hinweise von größerer Relevanz. Ansonsten hat man es mit einem leicht geschriebenen Buch zu tun, das insbesondere die vielen Doppelmoralen kritisch hervorhebt, dabei aber keine eindimensionale Israelapologie betreibt. Gerade in seiner Differenziertheit und nicht nur in seiner Lesefreundlichkeit liegt der Wert. Für anstehende und bereits laufende Debatten liefert Simons daher auch wichtigen Stoff gegen kursierende Zerrbildern.
Jake Wallis Simons, Israelphobie. Die unendliche Geschichte von Hass und Dämonisierung, Berlin 2023 (Edition Tiamat), 238 S., Euro 24,00, Bestellen?