Jüdisches Leben in Berlin ist seit dem 07. Oktober stark beeinträchtigt
Berlin, 28.11.2023: Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS Berlin) verzeichnete 282 antisemitische Vorfälle zwischen dem 07. Oktober – dem Tag, an dem die Terrororganisation Hamas Massaker an der israelischen Zivilbevölkerung verübte – und dem 09. November – dem Tag, an dem sich die Reichspogromnacht zum 85. Mal jährte. Das sind im Schnitt mehr als acht Vorfälle pro Tag. Seit Beginn der zivilgesellschaftlichen Dokumentation im Jahr 2015 gab es keinen Monat, in dem RIAS Berlin so viele Vorfälle bekannt wurden wie im Oktober 2023.
Antisemitismus ist präsent im öffentlichen Raum
Antisemitische Reaktionen auf den Terrorangriff der Hamas zeigen sich im öffentlichen Leben in Berlin: Im öffentlichen Nahverkehr und in Bars wurde lautstark und ohne Scheu über das Töten von Jüdinnen und Juden fantasiert; Plakate, die die Freilassung der israelischen Geiseln fordern, wurden abgerissen oder beschmiert; Teilnehmende von Mahnwachen, bei denen der Ermordeten und Entführten des 07. Oktobers gedacht wurde, wurden von Umstehenden antisemitisch angepöbelt. Auf Social Media wurde das Hamas-Massaker an den Israelis vom 07. Oktober wiederholt legitimiert.
Enthemmte Gewalt
Das bei RIAS gemeldete Vorfallgeschehen ist seit dem 07. Oktober eskaliert. In der Nacht zum 18. Oktober wurden brennende Molotowcocktails auf ein jüdisches Gemeindezentrum in Berlin-Mitte geworfen. Die Brandsätze verfehlten das Gebäude und erloschen auf dem Gehweg. Auf israelfeindlichen Versammlungen kam es zu Terrorverherrlichungen und Gewaltaufrufen. Diese ereignen sich an verschiedenen Orten in der Stadt, zum Beispiel auch an einer Berliner Hochschule. Die antisemitische Sprache auf Online-Plattformen wurde brutaler: jüdische Nutzer_innen sind dort vermehrt mit Vernichtungsfantasien konfrontiert.
Jüdisches Leben findet im öffentlichen Raum nur noch eingeschränkt statt
Jüdinnen und Juden verstecken seit dem 07. Oktober noch mehr als zuvor jüdische Zeichen und Symbole: eine Mütze über der Kippah, den Davidstern-Anhänger unter dem Schal verbergen, kein Hebräisch-Sprechen auf der Straße. Dieses individuelle Vermeidungsverhalten bildet sich in Reaktion auf antisemitische Erfahrungen heraus und wird von einem großen Teil der jüdischen Communities umgesetzt. Jüdisches Leben in Berlin wird so weniger sichtbar, weniger offen gelebt.
Im Alltag kaum Solidarität spürbar
Viele Menschen beteiligten sich nach dem 07. Oktober an Gedenkkundgebungen und Mahnwachen, bei denen die von der Hamas Ermordeten betrauert und die Rückkehr der verschleppten Geiseln gefordert wurde. Wenn sich jedoch in alltäglichen Situationen antisemitische Vorfälle ereignen, stehen die Betroffenen oft alleine da. Sie schildern, dass umstehende Passanten oder Fahrgäste nicht reagierten während sie antisemitisch beschimpft wurden. In anderen Fällen stießen die antisemitischen Äußerungen gar auf Zuspruch.
Der Bericht „Nach dem Terror der Hamas – Antisemitische Vorfälle in Berlin vom 07.10.2023 bis 09.11.2023“ von RIAS Berlin kann online unter https://report-antisemitism.de/RIASBerlin eingesehen werden.
Ebenfalls erscheint heute ein Bericht über die bundesweiten Entwicklungen seit dem 07. Oktober des Bundesverbands RIAS e.V.: „Antisemitische Reaktionen auf den 07. Oktober. Antisemitische Vorfälle in Deutschland im Kontext der Massaker und des Krieges in Israel und Gaza zwischen dem 07. Oktober und 09. November 2023“, einsehbar unter: https://report-antisemitism.de/BundesverbandRIAS