Nico Lange & Carlo Masala: Dead Man‘s Walker Nr. 1 u. 2?

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Eine offene Frage, aus einem ab jetzt offenen Brief

Von Christian Niemeyer

Ich weiß ja nicht, wie Sie, liebe Leserin, lieber Leser, mit jenen unhöflichen Zeitgenossen verfahren, die nicht antworten auf Mails oder Briefe geschweige denn Büchern, die von ihnen handeln – aber wie wäre es, zwecks Antwortbeschleunigung, den privaten in einen offenen Brief zu verwandeln oder das in ein Buch Geschriebene hier noch einmal herzusetzen, in der Hoffnung, wie im vorliegenden Fall, zur Läuterung der hier Kritisierten beizutragen, einerseits durch den ganz am Ende folgenden offenen Brief, zunächst aber – und dies betrifft jetzt nur Nico Lange[1] – durch Wiederholung eines Vorwurfs an ihn, der seiner Aufmerksamkeit wohl entging. Kurz: Ich zitiere jetzt gleich, extra für diesen Politik-Berater, die ersten Zeilen meines Buches Die AfD und ihr Think Tank im Sog von Trumps und Putins Untergang. Eine Analyse mit Denk- und Stilmittteln Nietzsches (2023):

Prolog

Der Irrsinn ist bei Einzelnen etws Seltenes, –
Aber bei Gruppen, Parteien, Völkern die Regel.
(Nietzsche 1886) 

Um ein Buch dieser Machart zu schreiben, bedarf es guter Nerven. Dies vor allem in Zeiten wie diesen. Die ein hochbegabter Dichter mittels der Zeilen zu beschreiben suchte:

‚Von dem Wirbel dieser Kriegszeit gepackt, einseitig unterrichtet, ohne Distanz von den großen Veränderungen, die sich bereits vollzogen haben oder zu vollziehen beginnen, und ohne Witterung der sich gestaltenden Zukunft, werden wir selbst irre an der Bedeutung der Eindrücke, die sich uns aufdrängen, und an dem Werte der Urteile, die wir bilden.‘ (GW X: 324)

Das Sigel […] stellt es klar: Zitiert habe ich soeben nicht etwa einen Tagebuchschreiber aus der Ukraine, sondern Sigmund Freud. Hintergrund ist also, wie man später zu zählen lernte, der Erste Weltkrieg. Der Titel dieses Textes, Zeitgemässes über Krieg und Tod, trifft den entscheidenden Punkt: Ob 1915, ob 2023 – der Text passt offenbar als beschreibender. Nur: Wer oder was soll uns aktuell helfen, nicht irre zu werden ‚an der Bedeutung der Eindrücke, die sich uns aufdrängen, und an dem Werte der Urteile, die wir bilden‘? Etwa an dem katastrophalen Eindruck, den der einzige deutsche Militärhistoriker Sönke Neitzel am 21. Januar 2023 bei Anne Will (ARD) hinterlässt.

‚Was gibt es da noch abzuwägen? […] Es ist doch Quatsch, dass wegen so alten Panzern ein Atomkrieg kommt‘,

gibt er plötzlich von sich, an den von Nietzsche beschriebenen „kleinen tüchtigen Bursch“ erinnernd, von dem Nietzsche 1888 mutmaßte, er würde „ironisch blicken, wenn man ihn fragt: willst du tugendhaft werden?“; der aber die Augen aufmachen würde, „wenn man ihn fragt willst du stärker werden als deine Kameraden.“ (XIII: 464) Das Problem ist nur: Neitzel ist kein kleiner Junge mehr. Er sieht nur so aus. Ähnlich übrigens wie Tobias Schulze von der taz oder dessen Bruder im Ungeist Nico Lange (von der Konrad-Adenauer-Stiftung). Dem offenbar lange keiner gesagt hat, dass ihm als ehemaligem Berater von Annegret Kamp-Karrenbauer des Falls Kabuls wegen – der Putin zu seinem Überfall auf die Ukraine erst motivierte – aktuell nur eines geziemt: Demut. (Niemeyer 2023, S. 11 f.)

*

Soweit der Auszug aus dem Prolog mit Schwerpunkt Nico Lange sowie der Vokabel „Demut“; schlicht deswegen, weil Lange den Text, aus dem ich eben zitiert habe, offenbar meinte ignorieren zu dürfen und, auch deswegen, von mir im Folgenden erneut mit der Forderung nach Demut konfrontiert werden wird. Zuvor aber bedarf dieses Publikationsortes wegen die Frage der Begründung, was das Thema, vordergründig der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Putins auf die Ukraine, mit Judentum, Israel oder Antisemitismus zu tun hat – eine Frage, die ich sicherlich nicht durch den Hinweis erledigen kann, dass der Chef der Ukraine Jude sei und/oder der Angreifer eine antifaschistische Gesinnung als eine sein Handeln begründendes Motiv anführt; noch vordergründiger: dass es der geniale Jude Freud und sein Vermächtnis, die Psychoanalyse, waren, die, im Verein mit einem am Ende entschiedenen anti-antisemitisch gesonnenen Pastorensohn aus Röcken b. Leipzig, energisch zurückfragten nach dem „Irrsinn“ (Nietzsche), der sich im kriegerischen Gebaren von Einzelne wie Staaten offenbart.

Aber wie wäre es, wenn wir die Frage ein wenig grundsätzlicher angingen, also etwa ausgehend von den Handlungsmotiven, die über die durch den Kramp-Karrenbauer-Berater Nico Lange in Spiel gebrachte „Konrad-Adenauer-Stiftung“ (KAS) gegeben sind und die Lange und diese Stiftung offenbar an die Seite der Ukraine rückten? Zumal diese Stiftung nicht primär durch Aufklärung über antisemitische Umtriebe auffällig geworden ist, im Gegenteil: Nimmt man jenes eingangs zitierte Buch von 2023 unter die Lupe, gewinnt Kap. 8 (ebd.: 162 ff.; dort auch alle weiteren Literaturhinweise) eine gewisse herausgehobene Bedeutung, dies insbesondere im Blick auf einer der prominentesten Stipendiaten dieser Stiftung, nämlich den (späteren) Regensburger Historiker Manfred Kittel (*1962), legendär als ziemlich schnell entlassenen Gründungsdirektor der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin. An Kittels von der KAS geförderte und von Horst Möller (*1943) betreuten Dissertation von 1993. Denn auffällig an dieser Arbeit, eher Kampfschrift denn seriöse Qualifikationsarbeit, ist das demonstrative Desinteresse am antisemitischen Terror jener Jahre, etwa dem Olympia-Attentat vom 5. September 1972, den Oktoberfestanschlag vom 26. September 1980 sowie, um nur dies noch zu nennen, den antisemitisch motivierten Doppelmord an Shlomo Levin und Gattin am 19. Dezember 1980 auffällig, kurz: ungeachtet des damaligen beschränkten, wenn nicht gar bewusst beschränkt gehaltenen Wissens um rechtsterroristische Taten wie diese, die heutzutage natürlich sehr viel besser aufgeklärt sind (vgl. etwa Roth 2016; Steinke 2020; Chaussy 32020; Jensen 2022), hätte damals, um 1990, zumindest doch klar sein müssen, dass alles andere eher zur Debatte steht als eine Art Schlussstrich nach Art des rechtsextremen Freiherren und IfZ-Kritikers Schrenk-Notzing – dem Kittel durch sein Schweigen unterstützte.

Und, schon gar nicht machbar, gleichwohl aber von Kittel in aller Unverfrorenheit vorgeführt: Eine Parole wie Winning ugly by untold stories, und dies auch noch in Stellung gebracht gegenüber Alexander Mitscherlich, zusammen mit seiner Frau Margarete wegen beider Buch Die Unfähigkeit zu trauern (1967) Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels 1969. Ein Buch, dem Peter Glotz 1988 wegen der Thematisierung der Nicht-Vergangenheitsbewältigung der NS-Deutschen mittels psychoanalytischer Denkmittel mit höchstem Lob bedachte, es als erstaunlich verbuchend, „daß die deutsche Rechte seinerzeit die beiden Autoren nicht härter attackiert hat.“ (Glotz 1988: 394)

Als wolle unser Möller-Schüler Glotz Lügen strafen, unterstand sich Kittel nicht, unter Berufung ausgerechnet auf den Dauer-Linken resp. -Rechten Herbert Ammon (1990: 584 ff.) ein im politischen Kampf zu Tode gerittenes Pferd aus dem Stall zu zerren, verzeichnete also „die immerhin bemerkenswerte Tatsache“, dass Alexander Mitscherlich 1932-37 „zur nationalrevolutionären Niekisch-Gruppe gehörte“ (zit. n. Kittel 1993: 27), um ansonsten darüber zu spotten, die Mitscherlichs redeten „einer heilerzieherischen Auffassung von Geschichte […] jenseits der rein sachlichen Vermittlung von Information und Urteilsfähigkeit“ (ebd.) das Wort – was nun einen weiteren Rückschluss erlaubt: Im Fach „Erziehung nach Auschwitz“ (Adorno) wäre dieser Doktorand, hätte er nicht in Erlangen, sondern in Frankfurt/M. studiert, krachend durchgefallen. Was nun allerdings auch, und damit wird die Sache zusätzlich brisant, jedenfalls für das Fach Geschichte, für den Historiker Jürgen Reulecke gilt, der noch 2013 dem völkischen Jugendbewegungs-Literaten und NS-Geschichtsprofessor Hjalmar Kutzleb (1885-1959) gleichfalls als nationalrevolutionären Widerstandskämpfer mit Nähen zum „jungen Alexander Mitscherlich“ (Reulecke 2013: 710) rehabilitieren wollte – eine Nebelkerze, die zu jener Zeit, wie das Beispiel Kittel lehrt, zwanzig Jahre auf dem Buckel hatte.

Vergleichbar schlimm und thematisch eigentlich dem vorherigen Punkt zugehörend: Kittels Thematisierung des Falles von Adenauers Vertriebenenminister (1953-1960) Theodor Oberländer (1905-1998). Kittel nämlich als „Kampagnenjournalismus“ des Spiegel ab, was ab 1959 auch die westdeutsche Presse als Vorwurf vortrug: nämlich dass Oberländer „1941 bei der Besetzung Lembergs an der Ermordung von Juden und polnischer Intelligenz beteiligt gewesen sein soll“ (Kittel 1993: 83), sich dabei auf ein Leumundszeugnis eines CDU-Ehrenrats verlassend und die SPD beschuldigend, ein „Kesseltreiben“ gegen Oberländer veranstaltet zu haben, so dass er verängstigt und eigentlich ohne Grund den Rücktritt gewählt habe. So also ein Möller-Schüler 1993 zu einem vormaligen Teilnehmer am Hitler-Putsch 1923, seit 1937 a. o. Prof. an der Uni Königsberg und ab 1939 Offizier, als Osteuropaexperte betraut mit der Aufstellung einer Spezialeinheit mit russischen Kriegsgefangenen zwecks Partisanenbekämpfung, der 1960 in der DDR in Abwesenheit zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden war und zu jener Zeit seinem ihm von Adenauer attestierten Gesinnungswandel offenbar Ausdruck geben wollte, indem er, etwas spöttisch geredet, der 1960 von ehemaligen SS-Offizieren und NSDAP-Funktionären[2] begründeten Gesellschaft für freie Publizistik (vgl. Dudek/Jaschke 1984, Bd. I: 47; Kellershohn 2004: 282 f.; Brumlik 2005: 25 ff.; BNA 1: 72) beitrat.

Zusammenfassend geredet: Manfred Kittel, frisch gestärkt offenbar durch die Erfolge „im deutschen Revolutionsjahr 1989/90“ (Kittel 1993: 473) – eine Wertung vom Juli 1993, die damals schon verrückt war und sich einem Historiker, der für Gorbatschow nicht eine Zeile verschwendet, verbietet –, schreckte nicht davor zurück, der Alten Rechten neue Argumente zu backen für ihre Propaganda. Und forderte gleichsam ein Schlusslicht-Argument durch die Hintertür, indem er als damals aufsteigende Stern der Jungen Union Bayern mit siegfriedhaftem Hohn und Spott, getragen vom Applaus der FAZ, gegen den Hamburger Juden und Linken Ralph Giordano ins Feld zog und es wagte, diesem nur um Haaresbreite den Nazi-Schergen Entronnenen entgegenzuhalten: „Die Deutschen haben sich ihrer braunen Vergangenheit gestellt – nicht erst seit der 1968er Revolte, sondern gleich nach dem Krieg, schon in den Gründerjahren der Bundesrepublik.“ (Kittler 1993: U 2) Dazu hier vier über das bisher in Erinnerung gerufene hinausgehende Fragen, konzentriert auf den Thesenteil „nicht erst seit der 1968er Revolte“, der ja so klingt, als wolle Kittler jener Revolte ihr Recht an NS-Aufklärung nicht nehmen, der aber tatsächlich, wegen des Thesenteils „gleich nach dem Krieg“, meint, ihre Revolte sei, jedenfalls in diesem Punkt, unberechtigt gewesen. Aus eben diesem Grund, so mein Eindruck, verschwieg Kittel auch den eigentlichen Skandal um das am 9. November 1967 an der Universität Hamburg gezeigte APO-Banner Unter den Talaren – der Muff von 1000 Jahren: Der Orientalist Berthold Spuler, einer der Talarträger, der die Studierenden mit dem Spruch „Sie gehöre alle ins KZ!“ beschimpft hatte und deswegen nach einem Bericht des Hamburger Abendblatt vom 17. November 1967 (vorübergehend) suspendiert wurde, war seinerseits schwer NS-belastet als, ab Juni 1944, Leiter von Lehrgängen für muslimische Feldmullahs (vgl. Motadel 2017). Das Schweigen Kittlers hierüber korrespondiert den dafür maßgeblichen Gründen nach jenen Götz Alys (2008) fünfzehn Jahre später: Diesem war, inzwischen im Kampf mit der Studentenbewegung befindlich, nicht gelegen an der Herausstellung ihrer positiven Seiten in Sachen NS-Aufklärung (vgl. Niemeyer 22018: 124). Ähnliches gilt für Kittlers seinerzeitige Motivlage, hier noch ergänzt um das Streben, das diesbezügliche Aktivwerden der 68er als insgesamt sinnlos bewertbar zu machen sowie, hier: als Teil einer hysterischen Reformsucht zu deuten, die in der Wirklichkeit der Ära Adenauer keinen Rechtsgrund fände. Aus ähnlichem Grund verschwieg Kittler auch Beate Klarsfelds (letztlich mit der Nichttätigkeit der deutschen Behörden in der Causa des Kriegsverbrechers Klaus Barbie erklärbare) Ohrfeige für den willigen Nazi-Helfer Kurt-Georg Kiesinger im November 1968 (vgl. BNA1: 29) sowie den Sprengstoffanschlagsversuch vom 9. November 1969 auf den damaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Berlin, Heinz Galinski (1912-1992). Nicht zu vergessen und besonders schockierend: Kittler verschwieg den „Toten in der Badewanne 1968“ (Steinke 2015: 268), also den unerbittlichen Auschwitz-Ankläger Fritz Bauer, dessen Tod bis auf den heutigen Tag Gerüchten Auftrieb gibt, er sei in Wirklichkeit ermordet worden und über welchen Andreas Voßkuhle 2013, in seiner damaligen Eigenschaft als Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, urteilte:

„In einer Zeit, in der eine juristische Aufarbeitung des Nationalsozialismus allenfalls sporadisch erfolgte, zeigte Fritz Bauer, was mit den Mitteln des Rechts möglich sein kann.“ (Voßkuhle 2013: 10)

Dies also ist sie: Die schallende Ohrfeige eines mit unserem 1993er Doktoranden fast Gleichaltrigen zwanzig Jahre nach dessen Dissertation, eine Ohrfeige desjenigen, der ohne Frage als Bundespräsident in Betracht käme (ein Amt, für das er zweimal angefragt wurde). Eine Ohrfeige allerdings nur indirekt, insofern sie als Tadel an Kittel gelesen werden könnte, einen Autor, der in seiner Dissertation über Barbie, Bauer, Klarsfeld & Spuler komplett schwieg, letztlich auch über Galinski, abgesehen von einem fassungslos machenden Tadel (vgl. Kittel 1993: 312). Und dies im Verein mit nicht zur Sache gehörendem Geschwätz über Kiesinger.

Damit rückt nun Kittels ‚Aufsichtsrat‘ ins Zentrum, allererst sein aus Breslau stammender Doktorvater Horst Möller, bei dem sich die Frage stellt: Wie, um alles in der Welt, ist Möller nur nach Breslau gekommen? Etwa ähnlich wie Erika Steinbach im nämlichen Jahr nach Rahmel, Danzig-Westpreußen? Möller, der sich 1978 bei dem von Giordano kritisierten Ernst Nolte habilitiert hatte und zum Zeitpunkt des Erscheinens von Giordanos Nolte-Kritik (1987) Ordinarius (1982-1989) in Erlangen war. 1992 folgte als nächster Karriereschritt das Amt des Direktors des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) in München. Es litt damals noch ein wenig unter den Nachwehen des Buches Charakterwäsche (1965) der Neu-Rechts-Ikone Caspar von Schrenck-Notzing. Der in diesen damals von der Welt am Sonntag zum „Standardwerk“ hochgejazzten und noch 2019 von Caroline Sommerfeld zustimmend beigezogenen Buch das IfZ eine von Amerikanern gegründeten „Institution der Geschichtsbildkontrolle“ (Schrenck-Notzing 1996: 243) hieß. So betrachtet liegt die Vermutung nahe, dass Möller in den Jahren vor seinem Direktorat in München seinen Doktoranden (und späteren Mit-Professor in Regensburg) Kittel eine Dissertation erstellen ließ, die im Ergebnis geeignet war, IfZ-Bashing nach Art jenes Freiherren zu unterlaufen – eine Absicht, der offenbar auch der Andreas-Hillgruber-Schüler Reiner Pommerin (*1943) sowie der Nolte-Schüler Anselm Doering-Manteuffel (*1949) zuneigte. Dieses Trio muss sich also nun, heute, im fortgeschrittenen Lebensalter, die Frage gefallen lassen, wie es zu Kittlers systematischem Verschweigen widersprechender Befunde zu seiner These steht sowie zu Möllers Fanatismus. Ihm nämlich scheint in den Jahren 1987 bis 1991 offenbar an kaum mehr gelegen gewesen zu sein also an der Zerstörung Giordanos – ein Erkenntnisinteresse, das ihn, und dies scheint mir der eigentliche Skandal, für seine wichtige Funktion als Direktor des Münchener IfZ offenbar nicht ungeeignet machte. Wie man heutzutage dort, unter dem aktuellen Direktor Andreas Wirsching – immerhin 1988 gleichfalls in Erlangen promovierend und 1995 in Regensburg sich habilitierend, – über dasjenige denkt, was hier, zu Kittel/Möller, geschrieben steht, soll nicht mehr meine Sorge sein.[3]

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Wer jetzt einräumt, das hier aus meinem Anti-AfD-Buch Nacherzählte klänge zwar recht interessant, führe aber doch sehr weit weg von unserem Ausgangspunkt (Kabul resp. Nico Langes Betätigung als Ratgeber Kramp-Karrenbauer), möchte ich eine Zusatzfrage stellen zu den 1993 in seiner gegen Ralph Giordano gerichteten Dissertation von Manfred Kittel verschwiegenen anti-semitischen Rechtsterror in der BRD der 1980er Jahren: Was eigentlich[4] steckt hinter dem immer wieder in Deutschland auffälligen kollektiven Versagen unserer Sicherheitsbehörden jenseits dieser Altfälle, also im Fall NSU oder in den Fällen Amri bis hin zum (fast im doppelten Sinne zu verstehen) Fall Kabuls? Was hinter dem Versagen zumal der Regierenden, angefangen von den Ministerien für Verkehr und Gesundheit bis hin zu den wirklich schweren Fällen, die wir oben schon mit einigen Namen markiert haben? Der, wie hier und das gemutmaßt wird, Deeper State? Oh nein, es ist weit profaner und ablesbar an der kalkulierten Kaltblütigkeit, mit der die vormalige Kanzlerin, als sie es noch nicht war, Bush in Washington versicherte, sie sei anders als Schröder und werde, als Kanzlerin, diesem so uneingeschränkt solidarisch zur Seite stehen wie es jener nur behaupte. Damit war klar: Hier wuchs ein neues Talent auf dem Felde des Machiavellismus nach, das dann allerdings doch ein wenig zuckte, als Trump den Trumpismus als Steigerung des Machiavellismus erfand und fortan heftig wetteiferte mit dem derart zur Nr. 2 degradierten Krim-Sekt-Fan Putin. Nun gab es kein Halten mehr und die Welt versank im Sumpf der Lügen und mit ihr die Sicherheitsbehörden. Wo, wie überall sonst, jeder gegen jeden etwas werden wollte und niemand dem oder der Anderen die Butter auf dem Brot gönnte, also die Infos über die richtig Bösen – so er/sie nicht mit ihm/ihr/es sympathisierte – lieber für sich behielt. So dass auch die eigentliche Klientel in diesem Sumpf der Lügen versank, sprich: nicht durch koordinierte Aktion kontrolliert, sondern durch unkoordinierte Reaktion unterhalb des Radars verunsichert wurde. Zeugnis für Letzteres ein Leserbrief von Otto Hartseil aus Rödern (Rhld.-Pf.) zum Spiegel-Gespräch von Melanie Amann & Martin Knobbe (Nr. 45/2021) mit Horst Seehofer „über sein Leben zwischen Politik und Hobbykeller“, abgedruckt am 20.11.2021 in Nr. 47: „Ein Minister, den ich so bisher nicht kannte. Ein toll geführtes Interview, das den Menschen Seehofer in einem ganz anderen Licht rüberbrachte.“ Gleich darauf abgedruckt: ein Anti-Rheinland-Pfälzer aus Berlin, wie er in fast jedem zweiten Buche steht:

Sie inszenieren Horst Seehofer zum Ende seiner 50-jährigen Politikkarriere per Homestory von Bunte-Format als Ikone des Kindischen. Ist Ihnen dabei nicht die Idee gekommen, dass sie Ihrem Modelleisenbahnfreak auf den Leim gehen, der sich via ‚kindisch‘ prächtig aus der Verantwortung stehlen kann? Welche Verantwortung? Nun, vielleicht, um mit dem allerletzten Skandal zu beginnen: für den Fall Kabuls Mitte August und das schändliche Instichlassen der afghanischen Ortskräfte, auch und gerade durch Seehofers Ministerium. Prof. Dr. Christian Niemeyer, Berlin/Dresden.

Ein toller Leserbrief, nicht wahr? Dem allerdings der seit dem Fall Relotius (vgl. Moreno 2019), dem offenbar 2022 ein Fall Relotius II nachfolgte[5], so sehr auf Wahrheit erpichte Spiegel die Krone brach, indem er ohne jeden Kommentar dem Originalbrief den Schlusspassus nach „Seehofers Ministerium“ einfach strich. Also das folgende ohne jeden Kommentar wegließ:

„Ein Skandal der Alt-Regierung, über den der mit dem Leserbriefschreiber identische Chefredakteur des wohl kleinsten Print-Magazins Deutschlands dieser Tage meinte: ‚So träumte mir […], ich sei Adler, hätte, endlich, meinen Horst verlassen und nahe des Dörfchens Seehofer unten auf der Straße einen Karrenbauer entdeckt, der maaß-los vor sich hinmerkelte. Offenkundig kam er mit dem Einsammeln der Leichen nicht zu Rande, die von einem in großer Höhe abdrehenden US-Transporter abfielen.‘ (Zeitschrift für Sozialpädagogik 19/2021, H. 4, S. 345) Sie müssen zugeben: ein prächtiges Bild für jeden Modelleisenbahn-Bauer – nur nicht für Horst Seehofer! Quod erat demonstrandum: Das Kindische ist ihm als Verteidigungsstrategie hilfreich – mehr nicht.“

Den Dauerrefrain („Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe gekürzt […] zu veröffentlichen“) in allen Ehren – aber hier tritt im Kürzungsakt selbst eine hiermit zum ersten Mal zur Sichtbarkeit gebrachte Strategie zutage, die man, mindestens dies doch, mit Nietzsche dahingehend erklären könnte, dass es der Presse[6] „nie an der Wahrheit gelegen ist, sondern immer nur an der im nützlichen Wahrheit“ (I: 422) – und dies ist, wie mir scheinen will, beispielsweise jene des Lesers Otto Hartseil aus Rödern (Rhld.-Pf.). Ein Fall also für die Journalistenfortbildung? In meinen Augen unbedingt.

Gesetzt, dieser Journalistenschelte käme auch nur geringe Geltung zu, bleibt die Frage: Ist es eigentlich zutreffend, das en passant eingeworfene Wort, wonach die Welt im Sumpf der Lüge versank? Nein, ist es nicht, nicht die Welt versank, sondern nur die Erwachsenen auf ihr. Die nur rettbar scheinen so sie wieder werden wie ihre Kinder – die ihnen, jedenfalls solange sie nicht vollgepumpt werden mit der Unwahrheitsdroge Pimpameron, ihren Eltern ab dem 13. Lebensjahr einheizen dürften, ihnen jede Lüge oder Unredlichkeit unter die Nase reibend. Auch und gerade, so ihre Eltern auf Namen wie Merkel, Maas, Seehofer, Kramp-Karrenbauer oder Giffey getauft sind oder, um wenigstens eine empirisch belegbare Variable zu nennen: auf den Namen Sarrazin. Warum Kinder dies tun? Nun, ganz einfach: Sie sind in diesem Alter, wie schon der (frühe) Reformpädagoge Christian Gotthilf Salzmann (1744-1811) wusste, gemeinhin und gemeinerweise Wahrheitsfanatiker (vgl. Niemeyer 2015: 182 ff.), wollen nichts werden, sie sind einfach, und zwar Seismographen ganz besonderer Güte. Ergo, wieder einmal, diesmal aber mit Wut auf allen Lindner-Käse: Kinder (vom Greta-Typus) an die Macht!? Nicht unbedingt, vielleicht genügt ja, in jedem von uns, den Erwachsenen, das Kindliche wachzurufen und unter Schutz zu stellen, kurz: vielleicht genügt ja, den Verfall zu stoppen, den das Wort „Reife“ mühevoll zu tarnen sucht, um Erwachsen- und Älterwerden zu beschönigen. Wie man das macht? Nun, vielleicht mittels Erzählweisen, die auch für Kinder passend sind. Ich weiß: Nicht jedem wird derlei gefallen, sieht er oder sie doch durch den subjektiven Faktor die Seriosität bedroht. Ich sehe es umgekehrt: Es ist die vermeintliche Seriosität und die Verdrängung des subjektiven Faktors, profan und mit Pestalozzi: die Verdrängung des Herzens zugunsten von Kopf und Hand, die für den Fall Kabuls verantwortliche Sprechpuppen wie Angela Merkel erzeugen half. Die wiederum als Zeichen für die eigentliche neuere Bildungskatastrophe gelesen werden dürfen, mit der Folge der mangelnden Aufklärung aller anderen Katastrophen, die im Schatten jener wie Giftpilze wuchern. So betrachtet liegt das Zwischenfazit nahe: Kinder lügen in der Regel nicht, allen gegenteiligen Forschungsergebnissen Erwachsener zum Trotz – es sei denn, sie schauten sich das Lügen bei Erwachsenen ab, etwa als Technik, ‚Böses‘ getan zu haben in Abrede zu stellen. Etwa die Vase von Tante Gertrud in Scherben geschlagen zu haben. Und nicht achtend, dass derlei von mir als Verdienst gewürdigt worden wäre. In Pech gehabt, vergebens gelogen – womit der im Motto angesprochene Grundsatz keineswegs beschädigt wird, so er die Variation erlaubt: „Die Existenz-Bedingung ‚guter Kinder‘, jedenfalls aus Perspektive der sie beobachtenden Eltern, ist die Lüge.“ Unendlich viele Varianten sind denkbar, angefangen vom dem für mich als mehrfachen Sitzenbleiber sehr nachdrücklich als richtig erfahrenen Satz „Die Existenz-Bedingung ‚guter Schüler‘, jedenfalls aus Perspektive des sie bewertenden Englischlehrers, ist die Lüge, also die vom Lehrer geglaubte Behauptung, der Schüler habe seine Hausaufgaben gemacht, sie allerdings dummerweise vergessen.“ Am Ende von derlei gedanklichen Experimenten können wir dann den Satz Nietzsches zum falsifizierbaren All-Satz aufwerten, das Kind mit Rousseau als von Natur aus gut und nur durch die Erwachsenen verdorben ansehen, um nach weiteren Varianten Ausschau zu halten, die dem Themenspektrum dieses Buches näherliegen.

Nichts leichter als das: Hitler im Sinne des als Motto gewählten Nietzsche-Zitats (aus Ecce homo; VI: 368), als ‚Guten‘ zu lesen, verlangt nicht viel, sondern nur Obacht auf die zahllosen Lügen dieses Braunauers: Ob Hitlers Tricks im Vorfeld des „Polenfeldzugs“, beglaubigt von einem gewissenlosen Ex-Wandervogel in seinem auf Goebbels Auftrag hin verfertigten Grusical Der Tod in Polen (1940) mit einer Erstauflage von 100.000 Exemplaren (vgl. Niemeyer 22022: 160); ob Trumps Nach-Wahl-Putschversuch im Capitol vom Januar 2021 oder Putins Gebaren im Vorfeld seines Überfalls auf die Ukraine im Februar 2022 – Rechte aller Couleur und Ausprägung lügen ähnlich wie vom „Fürst“ Machiavelli zur Zeit der Renaissance zwecks Machterhalt und -ausbau empfohlen. Kaum überraschend also, dass das zentrale Thema auch dieses Buches die Lüge sein wird, eingeschränkter: das gezielte Abweichen zumal neu-rechter Ideologen vom Pfad der Tugend, in organisierter Form zu beachten bei Medien, hier bekannt unter dem historisch verbürgten Term „Lügenpresse“ (s. BNA1-O: 65), der uns auf die NS-Zeit zurückweist, auf die Goebbels-Propaganda, wie man ohnehin sagen darf, dass „die gesamte ‚Informationspolitik‘ der Nazis [..] reine Propaganda [war] und […] auf Falschmeldungen und Fälschungen [beruhte].“ (Ulfkotte 2001: 274 f.) Sie lesen richtig: Der, den ich hier zitiere und der bei dieser Gelegenheit auch das zentrale Narrativ aller Lügenpresse-Szenarien recht quellennah vortrug[7], übrigens bar jeder Sorge, er torpediere so das Werk aller deutschen Geschichtsrevisionisten, ist der nämliche Journalist, der über ein Jahrzehnt später, als habe er sich selbst vergessen, zu einem der versiertesten Lügenpresse-Propagandisten seit Goebbels wird, unter der Maske auftretend, er bekämpfe die Lügenpresse der Anderen. Verstehen muss man diesen Sprung in Ulfkottes Natur nicht, Staunen reicht. Der Sachverhalt selbst steht jedenfalls außer Frage: Eine damals eher zufällig bereitstehende, ursprünglich (vgl. Gärtner 2015) auf die Finanzmarkt-Berichterstattung des Mainstream bezogene kritische Vokabel schaffte es unter dem Einfluss Ulfkottes und seiner Vasallen gleichsam auf Platz 1 im rechtspopulistischen Ideenhimmel, selbstredend nicht in selbstkritischer, sondern nur in kritischer Form, also in Gestalt eines damit angeblich aufgedeckten Betriebsgeheimnisses wie des folgenden:

„Der Mainstream macht Meinung, und diese hängt vom Gutmenschentum, Politischer Korrektheit und zahlenden Anzeigenkunden ab.“ (Grandt 2015: 158)

Wunderbar und heilsam die Umkehrung: ‚Die da unten‘, die Nicht-Mainstream sind, machen keine Meinung, sondern geben nur die unverfälschte Wahrheit kund, unbeeinflusst von ‚Gutmenschen‘, der Politischen Korrektheit sowie von irgendwelchen Anzeigenkunden‚ die im Internet, bei den Bloggern, zum Glück so gut wie nichts zu sagen haben. Aus diesen Trümmern erhebt sich sukzessive die „Facebook-Partei“ AfD, die „auf Emotion, Manipulation und etwas [setzt], das keine andere Partei in dieser Weise hat: Influencer*innen.“ (Stegemann/Musyal 2020: 219) Folge: Ob nun der österreichische Präsidentenkandidat Alexander Van der Bellen im Sommer 2016 seinen Arzt von der Schweigepflicht entbinden muss, um Gerüchten über eine Krebserkrankung entgegentreten zu können; oder ob Claudia Roth im Juli 2018 vorgeworfen wurde, „sie wolle 70 Millionen Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen“ und einem Grünen-Politiker namens Tobias Weihrauch Vergleichbares im Herbst 2018 – immer ist eine via Facebook oder, im Fall Roth, dem rechten Portal Jouwatch lancierte Fake News schuld, im letzten Fall gar bis hin ins Reich des Infamen, insofern es einen Politiker dieses Namens gar nicht gibt. (vgl. Gensing 2019: 112 ff.)

Dem Wissenschaftler als, dem Ideal nach, Anti-Ideologen par excellence obliegt bei all dem kein anderer Auftrag als der des Beharrens auf der Alternativlosigkeit einer methodologisch gesicherten Wahrheitsannäherung. Wie wichtig dieser Auftrag anstelle postmodernen bis popjournalistischen Geschwätzes über Gott und die Welt oder wenigstens doch Winnetou ist, offenbaren die ersten zwanzig Jahre dieses neuen Jahrtausends: Kübelweise Lügen haben wir von rechts wie auch aus der Mitte der Gesellschaft heraus seit nine/eleven präsentiert bekommen, seien es solche über Personen, seien es solche über Sachen, bis hin zu der eigentlich ganz einfach zu beantwortenden Frage, wann denn nun der Zweite Weltkrieg begann. Am 11. Dezember 1941, rechnet der eine neu-rechte Ideologe vor (Stefan Scheil), und der andere, Alexander Gauland, weigert sich, den 8. Mai 1945, also den Tag der Befreiung der Deutschen vom Nationalsozialismus (sowie der Befreiung von KZ-Insassen) zum Feiertag zu erklären. Zum trio infernale gerät das Ganze durch Michael Klonovskys „Vorschlag zur Güte an die Polen: Deutschland zahlt ihre Reparationsforderungen, dafür geben sie uns Schlesien zurück, und dort siedeln wir die ganzen Asylanten um bzw. dorthin um“ (Klonovsky 2020: 348)

– ein Witz eben jenes Moskauboten, der von dort mit dem „Pionierehrenwort“ zurückkam, Putin plane keinen Überfall auf die Ukraine. Wie? Sie kennen diese Zitate nicht? Dann, so scheint mir, arbeiten Sie womöglich beim vom Klonovsky-Mitgenossen Hans-Georg Maaßen ruinierten Verfassungsschutz.

Halten wir, als Zwischenergebnis, fest: All’ dies (gemeint sind die gedanklichen Exzesse von Dwinger, Scheidl, Gauland und Klonovsky) geschah oder geschieht einer dogmatisierten Weltsicht zufolge, der eine Umwertung aller Werte, namentlich des oder der Bösen ins Gute, obliegt. Offenheit, Fairness, Diskurs, kommunikative Vernunft als Zugehörigkeitsausweise in Sachen scientific community (vgl. Niemeyer 2018a) – nichts von dem interessiert im rechten Lager, das Zugehörigkeit allein über korrekte Gesinnung (und Haltung) zuweist. Entsprechend zählen allein gesinnungsrelevante Fake News, geht es primär um „ideologische Wahrheiten“ (Adorno; erläutert in Niemeyer 2021: 168 ff.)[8], oder um „nützliche Wahrheiten“ (Nietzsche) der im Zusammenhang meines Leserbriefs am dem Spiegel angesprochenen Art, erläutert gleichfalls dortselbst (ebd.: 156 ff.). Meint zugleich: Wissenschaft, gedacht als Szenario in einer Welt voller AfDler, geriete notwendig zur Farce (ebd.: 719 ff.), in den Schlussworten einer neueren Publikation zum Thema (Sex, Tod, Hitler) geredet und hier leicht paraphrasiert und am Ende mit einer erzieherischen Botschaft versehen: Im NS-Europa, zumal in jenem, das Wladimir Putin sich im Februar 2022 zu gestalten vornahm, wird es keine geistigen Schätze mehr geben, auf denen ein „Volk der Dichter und Denker“, sei es nun slavischen oder „arischen“ Zuschnitts, aufbauen könnte. Entsprechend wird es auch keine Nietzscheforschung mehr geben und von Nietzsche nur noch ein knappes Bändchen mit einfachen Imperativen vom Typ „Werdet hart!“ Krankheiten, zumal psychische Krankheiten, hat man, selbstredend auch Putin, nicht mehr – vielmehr werden sie nach Art des realen Jahres 2022 agiert: auf den Kriegsschauplätzen; auf den Straßen, gerne ohne Maske, aber wenigstens geborgen in der Masse hysterisch vor sich Hinschreiender, Nietzsches blonder Bestie und Balzacs sowie Zolas bête humaine freien Auslauf gewährend, aufgehetzt nicht mehr durch Printmedien – wie 1967 der Dutschke-Attentäter durch die Springerpresse –, sondern nach Ende derselben durch social media. Arbeiten wir alle gemeinsam daran, dass es so weit nicht kommt – und sei es durch das Lesen von Texten wie diesem hier.

Damit, so hoffe ich, können wir nun übergeben zum eigentlichen Thema dieses Textes, wobei ich raten würde, zu beginnen mit der Vorab-Lektüre meines hier[9] am 6. November eingestellten „Tatsachenberichts“ zu Putins Tod, der wichtig ist, um meine Empörung gleich zu Beginn über Nico Langes DLF-Interview vom 21. November zu verstehen.

Sehr geehrter Herr Lange, sehr geehrter Kollege Masala[10],

Ihr Interview, Herr Lange, heute [korrigiere: gestern] morgen (sic!) auf DLF [= Deutschlandfunk] litt unter einem völlig gehemmten Moderator [Jasper Barenberg], der es unterließ, die Prämisse ihrer Expertise [Putin: „Ich will bis 2030 Präsident bleiben!“][11] mittels der Frage: „Aber Putin ist doch tot, lt. Professor Niemeyer auf hagalil.com gestern [korrigiere: vorgestern]?“ zu zerstören. Auch, dass man Sie und Professor Masala auf ZEIT noch reden lässt, würde ich nicht überbewerten: Hier hat man noch nie in der letzten Zeit etwas auf die Reihe gekriegt[12], auch nicht Ihr Wirken bei der KAS [= Konrad-Adenauer-Stiftung][13], gipfelnd in Ihrer Ratgeberschaft für Kramp-Karrenbauer, deren Folgen man in Kabul studieren konnte und ein halbes Jahr später in Kiew: Ja, mein lieber Herr Lange, Sie sind indirekt schuld am Ukrainekrieg, den Sie jetzt, wenn ich Sie heute [korrigiere: gestern] morgen (sic!) recht verstanden habe, gerne per weiterer Waffen in den Dritten Weltkrieg verwandeln wollen, nicht wahr? Deswegen: Betretenes Schweigen wäre jetzt für Sie Gebot der Stunde, nachträglich prima passend zum Volkstrauertag!

Wer das sagt, Sie möchten ihn nämlich gerne verklagen?

Nun, ganz einfach: Prof. Dr. Christian Niemeyer, Emeritus von der TU Dresden, sagt das und beschrieb dies vielfach (s. Anlagen). Was, nie gehört von diesem Jungspund? Aber ich bitte Sie, werter Herr Lange, werter Kollege Masala: Ich bin doch nicht schuld an Ihrer Leseschwäche! Also bitte lieber entschuldigen statt klagen, nicht wahr? Aber bitte beeilen, denn was ich hier geschrieben habe, können Sie, sollte ich weiter schlechter Laune sein ob der Arroganz zu spät Gekommener, ab morgen [korrigiere: übermorgen] überall nachlesen. Auch die Meinung von KI zu Ihrem angeblich noch lebenden Putin, der seit mindestens 2015 einen Doppelgänger hat, wie Ihr Kollege mit dem goldenen Putin-Handschlag, Hubert Seipel, unfreiwillig aufzudecken half.[14]

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Christian Niemeyer

Foto: Kremlin.ru / CC BY 4.0

[1] Gemeint ist Nico Lange, lt. Deutschlandfunk Politikwissenschaftler, Publizist und Politik-Berater und, wie ich mir derlei öffentlich-rechtliche Aufklärung zu ergänzen erlaube, vormals enger Vertrauter von Annegret Kramp-Karrenbauer, ein Name, den noch nicht einmal hartgesottene Anhängerinnen der Frauenquote zu erwähnen wagen.

[2] Helmut Sündermann, Kurt Zisel, Erich Kern, Herbert Böhme und Peter Kleist. Unter den Mitgliedern ragen die Namen Hjalmar Schacht, Erwin Guido Kolbenheyer und Will Vesper sowie Annelies von Ribbentrop heraus, die in Sündermanns rechtsradikalem Druffel-Verlag ebenso publizierte wie Heinrich Härtle.

[3] Eine Anfrage meinerseits vom 31.12.2022 führte nicht wirklich zu einem Gespräch.

[4] Das Folgende entnehme ich weitergehenden, aus Platz- und Kostengründen zumeist entfallenen Partien meines Anti-AfD-Buches von 2023 .

[5] https://www.hagalil.com/2022/11/spott-light-6/

[6] Nietzsche sagt im Original zwar „Staat“, aber diesen terminologischen Unterschied kann man bei einem Staat im Staat à la Vierte Gewalt (Precht/Welzer 2022), wie dem Spiegel, wohl vernachlässigen…

[7] Erkennbar in Anlehnung an die eidesstattliche Erklärung Alfred Helmut Naujocks vom 20. November 1945 im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess (s. IMN Bd. IV: 270 f.; Zayas 61998: 34 f.), aber ohne diese Quelle zu nennen, schrieb Ulfkotte, in Korrektur der legendären Meldung des Polizeipräsidenten Gleiwitz vom 31. August 1939, gegen 20 Uhr sei „der Sender Gleiwitz durch einen Trupp polnischer Aufständischer angegriffen und vorübergehend besetzt“ worden. „Als am 31. August 1939 sieben Männer den Sender der in der Nähe der deutsch-polnischen Grenze gelegenen Stadt Gleiwitz überfielen, um den Aufruf eines polnischen Aufständischenverbandes zu verlesen, handelte es sich bei den ‚Polen‘ in Wirklichkeit um in Zivil gekleidete SS-Angehörige, die so den Deutschen ein Alibi für den schon beschlossenen Überfall auf Polen verschaffen sollten.“ (Ulfkotte 2001: 274 f.)

[8] Gemeint ist mein Buch Schwarzbuch Neue/Alte Rechte. Glossen, Essays. Lexikon (= Bildung nach Auschwitz). Weinheim Basel 2021

[9] www. hagalil.com/2023/11/putin-no-2-kommt-aus-der-tiefkuehltruhe/

[10] Gemeint ist Langes aktueller Co-Autor und Phoenix-Dauergast Prof. Dr. Carlo Masala von der – das sagt natürlich nicht alles – Bundeswehrhochschule München.

[11] Mitschrift aus dem am 21.11. um 6:50 auf DLF (Informationen zum Morgen) gesendeten Interview Jasper Barenbergs mit Nico Lange, der stellvertretend für seinen Co-Autoren Carlo Masala interviewt wurde; Gesamtdauer des Interviews: 8:36

[12] www. hagalil.com/2022/12/spott-light-oh-zeit/

[13] Wie sehr und wie langandauernd sich die KAS in Sachen politischer Bildung versündigt hat – an sich ein must have! für Politikwissenschaftler, nicht wahr, Kollege Masala? –, zeigt der im Vorhergehenden dargestellte Fall Manfred Kittel, aber auch der WBG-Skandal um ein von Norbert Lammert ediertes  Handbuch zur Geschichte der CDU (https://www.hagalil.com/2023/03/spott-light-7/). Wäre es nicht schön, werter Herr Barenberg, wenn auch Sie und damit vielleicht die DLF-Hörer*innen wüssten, wovon ich jetzt rede?

[14] https://www.hagalil.com/2023/11/hubert-seipel/