Von der Hamas-Ideologie zum Hamas-Massaker

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Bei den Hamas-Massakern sollten Juden als Juden ermordet werden, womit eine genozidale Dimension den brutalen Morden eigen ist. Ein Blick auf die Gründungscharta der Hamas macht verständlich, dass dieses Agieren durchaus deren ursprünglicher Ideologie entspricht.

Von Armin Pfahl-Traughber

Eine Gründungscharta veröffentlichte die Hamas bereits 1988. Auch oder gerade heute lohnt die Lektüre dieses alten Textes, lassen sich doch aus dessen Inhalt viele spätere Praktiken ableiten. Dies gilt auch für die antisemitischen Massaker, die jüngst von der islamistischen Organisation verübt wurden. Bevor auf die Ausführungen in der Charta eingegangen werden soll, seien noch Einwände gegen die in der Literatur kursierende Relativierung des Textes vorgetragen. Dazu gehört etwa die Aussage, wonach auch vielen Anhängern diese Charta gar nicht bekannt sei. Der darauf bezogene Kommentar lautet: Es handelt sich um die Charta, welche die Führung seinerzeit für ihr Selbstverständnis verabschiedet hat. Und ein weiterer Einwand lautet: Es gab doch 2017 eine neue Grundsatzerklärung, welche eine Mäßigung der Positionen beinhalte. Man habe dort gar eine Anerkennung Israels nahegelegt, zumindest aber nicht mehr von einer Vernichtung gesprochen. Eine darauf bezogener Kommentar lautet: Das Gegenteil ist gegenwärtig als Praxis erkennbar. Einen inhaltlichen Abschied von der Gründungscharta und ihren dortigen Positionen vollzog man nicht.

Der darin enthaltene Antisemitismus und Antizionismus ist überdeutlich, eben auch verkoppelt mit Vernichtungsphantasien und Verschwörungsvorstellungen. Im Artikel 12 wird aus den Hadithen zitiert, also den Mohammed zugeschriebenen Überlieferungen. Es heißt hier: „Der Gesandte Gottes … sagt: ‚Die Stunde (der Auferstehung) wird nicht kommen, bis die Muslime gegen die Juden kämpfen. Die Muslime werden sie töten, bis sich der Jude hinter Stein und Baum verbirgt, und Stein und Baum dann sagen: ‚Muslim, Oh Diener Gottes! Das ist ein Jude hinter mir. Komm und töte ihn‘, außer der Gharqad-Baum, denn er ist ein Baum der Juden“. Ob es sich tatsächlich um eine Aussage des „Gesandten Gottes“ handelt, kann angesichts fehlender gesicherter historischer Quellen nicht gesagt werden. Für die Einschätzung ist dies auch unerheblich. Bedeutung kommt den Sätzen gleichwohl zu, weil sie in der Charta die Ermordung von Juden als heilige Weisung nahelegen. So wird ein angedachtes mörderisches Agieren letztendlich auch durch eine religiöse Legitimation unterstützt oder vorbereitet. Die aktuellen Ereignisse stehen in dieser Konsequenz.

Die Einordnung unterstellt selbstverständlich nicht, dass die mörderischen Taten direkt aus dem Zitat heraus erklärbar sind. Es geht bei der Hervorhebung der erwähnten Passage lediglich darum, dass eine derartige Geisteshaltung die Hamas bereits früh prägte. Gleiches gilt für die erklärte Absicht, die Existenz des Staates Israel nicht nur nicht zu akzeptieren, sondern aktiv zu überwinden. So heißt es ebenfalls in der Charta: „Die Islamische Widerstandsbewegung ist eine einzigartige palästinensische Bewegung, die Gott ihre Treue gibt, den Islam zur Lebensweise nimmt und dafür wirkt, Gottes Banner auf jedem Fußbreit Palästinas zu hissen …“ (Artikel 6). Auch wenn das bei der ersten Lektüre noch etwas verklausuliert wirken mag, steht das gezeichnete Bild doch für ein rein islamisches Palästina. Dies schließt die dortige Existenz eines jüdischen Staates aus. Denn es geht um einen vollständigen Besitz für die Muslime, eben als Ergebnis einer religiösen Vorgabe. In der Charta liest man über das islamische Land: „Weder darf es oder ein Teil von ihm aufgegeben werden noch darauf oder auf einen Teil von ihm verzichtet werden …“ (Artikel 11).  

Betrachtet man nun die aktuellen Ereignisse, etwa das Massaker an jungen Menschen bei einem Trance-Festival, wo um die 260 Jugendliche getötet und dabei schreckliche Kriegsverbrechen begangen wurden, so gibt es eine inhaltliche Verbindung. Es soll hier das Ausmaß der Grausamkeiten auch mit Worten nicht erneut geschildert werden, viele Details kursierten als Filme oder Fotos in den Medien. Bei diesem mörderischen Agieren ging es ersichtlich aber nicht darum, sich einen militärischen Vorteil zu verschaffen. Es handelte sich auch nicht um einen spontanen Blutrausch, der die Mörder ergriffen hatte und damit der Situation geschuldet war. Bekanntlich kamen sie mit Gleitschirmen und auf Motorrädern. Und sie hatten die Instrumente für ihre Morde dabei. Noch einmal sei bezogen auf diese Ereignisse betont, dass von der Charta keine direkte Konsequenz in diesem Sinne ausging. Kaum einer der Täter dürfte den Text kennen. Gleichwohl steht in der Gründungscharta angedeutet, was sich an mörderischen Grausamkeiten aufgrund eines solchen ideologischen Willens ereignete. Wer die Ideologie kennt, versteht die Praxis, man muss die Texte lesen.

Anmerkung zur Quelle für die Zitate: Die Charta findet sich in deutscher Übersetzung in: Helga Baumgarten: Hamas. Der politische Islam in Palästina, München 2006, S. 207-226.

Bild oben: Ismail Haniyya gilt als wichtigste Führungsfigur und organisiert von Katar aus, Foto: Council.gov.ru / CC BY 4.0; Hamas-Logo

Aufsätze des Autors zum Thema:

Armin Pfahl-Traughber: Antisemitismus und Antizionismus in der Charta der „Hamas“. Eine Textanalyse aus ideengeschichtlicher und menschenrechtlicher Perspektive, in: Martin H. W. Möllers/Robert Chr. van Ooyen (Hrsg.): Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2010/2011, Erster Halbband, Frankfurt/M. 2011, S. 197-210.

Armin Pfahl-Traughber: Die palästinensische Hamas – eine islamistische Organisation zwischen Regierungspartei, Sozialpolitik und Terrorismus, in: Rauf Ceylan/Michael Kiefer (Hrsg.), Der islamische Fundamentalismus im 21. Jahrhundert. Analyse extremistischer Gruppen in westlichen Gesellschaften, Wiesbaden 2022, S. 157-172.