Das neue „Jahrbuch für Antisemitismusforschung“

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Das Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Band 31 enthält 16 Texte zu ganz unterschiedlichen Themen. Erneut ist damit ein Band mit interessanten Detailstudien entstanden. Nicht alle Beiträge passen zum Jahrbuchtitel, aber manche von ihnen zeichnen sich durch ein hohes Differenzierungsvermögen und eine interessante Problemstellung aus.

Von Armin Pfahl-Traughber

Seit über dreißig Jahren erscheint das „Jahrbuch für Antisemitismusforschung“, das vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin zunächst von Wolfgang Benz bzw. danach von Stefanie Schüler-Springorum herausgegeben wurde bzw. wird. Von Anfang an konzentrierte man sich auf die Antisemitismusforschung, wie eben der Jahrbuchtitel nahelegt, war aber bezogen auf die Autoren und Themen interdisziplinär und international angelegt. Es ging in den einzelnen Bänden aber auch um andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, ebenso wie um besondere Gesichtspunkte jüdischen Lebens in einer feindlich gesinnten Umwelt. Selbst langjährige Leser waren und sind immer wieder überrascht, welche inhaltlichen Schwerpunkte gelegt wurden und werden. So verhält es sich auch mit dem Band 31, der 2022 erschien und einleitend nachträglich an das eigentlich vergessene dreißigste Jubiläum erinnert. Er enthält 16 ganz unterschiedliche Aufsätze, die in fünf Kategorien mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten aufgeteilt wurden.

Zunächst geht es um eine zum Antisemitismus in Deutschland entstandene bedeutsame Privatsammlung, wozu deren Begründer Wolfgang Haney hinsichtlich seines Lebenswegs ein Thema ist. Der darauf folgende Beitrag widmet sich der als jüdisch vorgestellten „Fagin“-Figur, die in Charles Dickens berühmten „Oliver Twist“-Roman von 1838 vorkam. Anhand von vielen Details, wozu etwa Abbildungen auf Teetassen zählen, wird die alltägliche Präsenz antisemitischer Symbolik aufgezeigt. Der zweite Block des Jahrbuchs ist dann „Juden, Sexualität und Prostitution“ überschrieben, worin sich Beiträge zu antisemitischen Bildern im Mittelalter oder auch zu judenfeindlichen Deutungen des späteren „Mädchenhandels“ finden. Die letztgenannte altertümliche Bezeichnung wird gleich in zwei Texten genutzt, wobei auf Anführungszeichen um der besseren Lesbarkeit willen verzichtet wurde. Dies wirkt aber auf heutige Betrachter etwas absonderlich, ist doch die Prostitution bzw. besser formuliert die Zwangsprostitution gemeint. Antisemitische Diskurse dazu sind jeweils das Thema.

Im anschließenden dritten Block geht es um gegenwärtige Debatten, wobei etwa die Aussage von Politikern, wonach Israels Sicherheit zur deutschen Staatsräson gehöre, hinsichtlich der darin enthaltenen Implikationen kritisch untersucht wird. Dann fällt der Blick auf evangelische Diskurse, wobei einschlägige Erklärungen problematisiert werden und etwa die Rede von der „Sünde gegen Gott und die Menschheit“ hinterfragt wird. Man findet aber auch einen ungewöhnlichen Beitrag in diesem Kapitel: „Banderas Verantwortung für die Verbrechen ukrainischer Nationalisten“. Eigentlich passt dieser Aufsatz inhaltlich gar nicht so richtig in das Jahrbuch, er liefert aber eine sehr differenzierte Einschätzung des Genannten, der eigentlich nicht als ukrainischer Nationalheld gelten sollte. Auch der folgende Aufsatz über die Einkerkerung britischer Faschisten 1939/40 passt nicht so richtig in das Jahrbuch, ist aber ebenfalls durch ein hochgradiges Differenzierungsvermögen geprägt. Beide Abhandlungen zu historischen Fragen sprechen darüber hinaus aktuelle Probleme an.

Der letztgenannte Beitrag gehört dann noch zu dem Kapitel über „Sicherheit und Selbstbehauptung“, worin sich auch ein biographischer Beitrag über Werner Leopold findet, einen wichtigen früheren Akteur der jüdischen Selbstverteidigung in Montevideo. Und schließlich gibt es noch zwei Besprechungsessays, einmal über ein Buch zu Schlüsselbegriffen der Antisemitismusforschung, einmal zu Antisemitismus und Antizionismus in der jüngeren Fachliteratur im Vergleich. In der Bilanz liegt erneut ein lesenswertes Jahrbuch vor, welches viele Beiträge zu interessanten Themenkomplexen präsentiert. Verständlicherweise hat man es meist nur mit Fragmenten zu den jeweiligen Gesichtspunkten judenfeindlicher Ideologie und Praxis zu tun. Sie schärfen aber immer wieder den Blick für wichtige Details, wofür exemplarisch der Aufsatz zu antisemitischen Dimensionen in der klassischen Literatur zählt. Gerade die Alltagsdimension der Judenfeindschaft verdient nicht nur größere wissenschaftliche Wahrnehmung.

Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.), Jahrbuch für Antisemitismusforschung. Bd. 31, Berlin 2022 (Metropol-Verlag), 416 S., Bestellen?